Kapitel 24
Lucy schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, als sie mir Tee in das Büro meines Vaters brachte. Es half der Situation nur nicht wirklich weiter.
„Also", Dad beendete sein Telefongespräch und sah mich an. „Die kaputten Scheiben werden so eben ersetzt und ein Reinigungsteam hat sich um das faule Gemüse gekümmert."
Ich nickte teilnahmslos.
Nachdem wir gestern im Palast angekommen waren, hatten wir alle Diskussionen auf den nächsten Tag verschoben, um uns von dem Schock zu erholen. Dad meinte, wenn wir einen Nacht darüber geschlafen hätten würden wir einen klareren Kopf haben, um das Problem anzugehen.
Nur hatte war mein Kopf alles andere als klar. Meine Gedanken liefen Ammok, ich war schockiert, dass man einen Angriff auf mich versucht hatte und wollte mich eigentlich nur weinend unter meiner Bettdecke verkriechen. Und ich war rasend vor Wut, dass die Leute es gewagt hatten meine Stiftung zu beschmutzen. Ich hatte so viel Herzblut hineingesteckt, um den Menschen zu helfen, aber es wurde mit Füßen getreten.
Ein heftiges Klopfen unterbrach uns, dann trat Angie die Social-Media Beraterin ein. „Eure Majestät, eure königliche Hoheit", eilig knickste sie, dann schaltete sie den Fernseher ein. „Das sollten Sie sich ansehen."
„Bereits seit geraumer Zeit werden die Proteste gegen Kronprinzessin Wilhelmina Colleen Henstridge immer lauter." Die Stimme einer Reporterin erklang und ein Foto wurde von mir eingeblendet. „Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich der Protestbewegung angeschlossen, mit dem Ziel, die in Zukunft anstehende Machtübernahme zu verhindern. Vor einigen Monaten kam es daher zu Protestmärschen, die bisher immer friedlich geblieben waren. Gestern allerdings, kam es zu ersten gewalttätigen Ausschreitungen. Während die Kronprinzessin ihre neue Stiftung Grace for Veteran's eröffnete, wurde die Feier von einer wild gewordenen Menge unterbrochen, die zuerst mit faulem Gemüse das Gebäude bewarfen und sich dann mit Steinen durch die Glasfront Zugang verschafften. Verletzt wurde niemand, die Gäste konnten noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht wurden. Polizei und Militär beendeten den Angriff und verhafteten einige der Täter. Die Protestbewegung fordert nun ein Referendum, um Kronprinzessin Wilhelmina an ihrer Thronfolge zu hindern."
Ich schnappte nach Luft. Das durfte nicht wahr sein.
„Heute morgen haben sich die Anführer dieser Bewegung offiziell an den Palast gewandt, mit der Forderung die Thronfolge zu ändern. Andernfalls würde es zu weiteren gewalttätigen Überfällen kommen, sobald Kronprinzessin Wilhelmina zur Königin gekrönt wurde. Woher der Hass auf die junge Kronprinzessin schürt, ist unklar."
Ein gewaltiger Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich hatte mich nicht von Hasskommentaren im Internet beirren lassen und darüber hinweg gesehen, dass einige im Volk mich offensichtlich nicht leiden konnten. Ich hatte die Protestmärsche über mich ergehen lassen. Aber jetzt griffen sie mich an und forderten meinen Rücktritt. Das war kein Scherz, sondern sobald ich auf dem Thron saß, würde ein Bürgerkrieg ausbrechen.
„Berufen Sie sofort eine Sitzung mit unseren Beratern ein!"
In dem Beratungszimmer ging es seit Stunden heiß her. Zu Beginn hatte man noch eifrig diskutiert, mittlerweile riefen fast alle durcheinander.
„Meine Herren bitte! Versuchen wir doch gesittet eine Lösung zufinden", rief Dad irgendwann laut, was alle zum Verstummen brachte.
„Ich verstehe den Wirbel nicht, der um diese Forderung gemacht wird. Das ist eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürger, die in ihremLeben nicht genug zu tun haben und sich daher eine Beschäftigung suchen. Darauf sollten wir gar nicht eingehen, sondern ein Statement setzten, dass wir mit harter Hand regieren", warf jemand ein.
Dad winkte den Einwand entschieden ab. „Wir leben in einer Demokratie, was glauben Sie was passiert wenn wir plötzlich sagen wir regieren mit harter Hand? Damit zeigen wir doch quasi, dass wir die absolute Monarchie zurück wollen. So regieren wir aber schonlange nicht mehr, wir repräsentieren England nur noch. Wo wir gerade dabei sind, der Premierminister hat bereits darum gebeten möglichst schnell eine Entscheidung zu treffen."
„Vielleicht sollten wir den Forderungen nachkommen", meldete sich nun Mr Douglas zu Wort. Ich verdrehte die Augen. Natürlich stimmte er allem erfreut zu, was dazu führen würde mich an meiner Macht zu hindern.
„Führen wir eine nationale Abstimmung durch, wer von den Burger Prinzessin Wilhelmina für eine geeignete Königin hält. So wie ich das sehe, will die Mehrheit des Volkes nur keine Frau auf dem Thron sehen. Sie sind mit ihrem Charakter und ihrer Art unzufrieden. An was könnte es sonst liegen, sie hat immerhin noch keine wichtigen politische Handlungen durchgeführt, für die man sie verachten kann."
Wie charmant. Am liebsten würde ich über den Tisch springen und dem Mann den Hals umdrehen.
„Wenn wir nachgeben es ist fast so, wie wenn wir mit Terroristen verhandeln", warf ein anderen ein. „Dadurch stehen wir da, als könnten wir uns wie Marionetten behandeln lassen."
Mein Vater nickte langsam. „Wir müssten also einen Kompromiss finden, der beide Seite für das Erste zufrieden stellt."
„Auch wenn ich nicht dafür bin die Thronfolge zu ändern, sollten wir diesen Weg im Hinterkopf behalten. Eure Majestät, sie sollten wenigstens mit Prinzessin Olivia sprechen, ob sie die Möglichkeit in Betracht zieht, an Stelle von ihrer Schwester den Thron zu übernehmen", äußerte sich ein Mann am anderen Ende des Tisches.
Die Vorstellung, dass Olivia Königin werden würde, war zum Lachen. Das Volk konnte doch unmöglich sie als Regentin wollen.
Dennoch stimmte mein Vater diesem Vorschlag zu und unterbrach die Sitzung, um mit Olivia zu sprechen.
„Das ist ein schlechter Scherz oder?"
Dad hatte nicht um den heißen Brei herumgeredet, nachdem er Olivia in sein Büro geordert hatte.
„Nein. Wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, solange nicht klar ist, wie wir vorgehen."
„Aber ich habe doch keinen blassen Schimmer von Regierungsgeschäften. Wilhelmina wurde seit ihrer Geburt darauf vorbereitet, ich nicht!"
„Du müsstest natürlich intensiven Unterricht nehmen. Noch steht aber nichts fest, es geht nur darum zu wissen, ob du es dir vorstellen kannst." Mein Vater ging seelenruhig mit der Sache um, während meine Schwester fast hysterisch wurde.
„Nein! Auf keinen Fall! Ich hasse diesen ganzen royalen Schwachsinn und will damit nichts zu tun haben! Nur über meinen Leiche besteige ich irgendeinen Thron!" Aufgebracht sprang sie auf und wirbelte aus dem Zimmer. Mit einem lauten Krachen fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
„Na das lief ja prima", seufzte Dad.
Mit so einem Ausbruch hätte ich nicht gerechnet. Eigentlich hätte ich sogar erwartetet, dass Olivia blöde Witze reißen und mich damit aufziehen würde, dass scheinbar niemand in diesem Land mich leiden konnte. Dass sie stattdessen fast in Tränen ausbrach, war absolut überraschend. Vielleicht war sie einfach nur überfordert gewesen.
Dad und ich gingen also schweigen in den Konferenzraum zurück, wo sich unsere Berater eine Teepause gegönnt hatten. Als wir den Raum betraten, verstummten automatisch die Gespräche und jeder eilte an seinen Platz zurück.
Mein Vater brachte alle auf den neusten Stand, dass für seine jüngere Tochter nicht in Frage kam, den Thron zu übernehmen. Dass sie dabei fast ausgerastet wäre, ließ er weg.
Es folgten also weitere öde Stunden an Besprechungen und dabei wurde eigentlich immer und immer wieder das gesagt, was bereits gesagt wurde. Zu einer Lösung kam niemand.
„Entweder wir stehen dar wie Vertreter der absoluten Monarchie oder wie Marionetten die mit Terroristen verhandeln", fasste mein Vater erschöpft zusammen. Es war bereits der Abend angebrochen, ein Ergebnis gab es immer noch nicht.
„Dann werde ich mich verloben."
Es war das erste Mal, dass ich überhaupt etwas zu den Diskussionen beitrug. Jeder im Raum schaute mich mit großen Augen an. „Das Gesetz besagt ich muss heiraten, bevor ich den Thron besteigen darf und ich bin in der Schlussphase des Castings. Also werde ich mich mit Graham verloben. Er ist mit Abstand der Favorit im Volk. Möglicherweise glättet das die Wogen für eine Weile. An Silvester können wir die Verlobung bekannt geben, so wie es geplant war und dann warten wir ab. Das wird die Protestbewegung sicher auch tun. Graham hat sein Studium in Politikwissenschaften gerade abgeschlossen, er kennt sich also aus. Möglicherweise beruhigt dies das Volk, weil sie denken er hat möglicherweise einen Einfluss auf mich."
Zustimmendes Gemurmel ertönte. „Wenn das Volk glaubt, Graham habe genug Einfluss auf dich, wären sie möglicherweise bereit dich als Königin zu akzeptieren." Dad nickte anerkennend. „Das ist hervorragend. Graham ist unser Ass im Ärmel."
Es wurden noch Einzelheiten geklärt, zum Beispiel wann ich Graham Bescheid geben sollte und wie die öffentliche Bekanntgabe ablaufen sollte. Dann wurde die Sitzung endlich beendet.
Mir rauchte der Schädel. Möglicherweise sollte ich stolz sein, dass ich die entscheide Idee gebracht hatte, von der alle begeistert waren. Stattdessen fühlte ich mich, als hätte ich mich gerade verkauft.
„Das war ein wirklich guter Vorschlag Wilhelmina. Ich bin stolz auf dich." Dad und ich waren mittlerweile alleine im Raum. Er räumte seine Unterlagen zusammen und ich hatte mich noch keinen Millimeter bewegt. Ich musste erst verarbeiten was ich da gerade getan hatte.
„Das ist ja mal was ganz Neues", murmelte ich undeutlich.
„Wie war das?" Seine Stimme bekam einen scharfen Unterton und normalerweise würde ich jetzt den Mund halten, um ihn nicht weiter zu verärgern. Doch jetzt hatte ich genug davon still zu sein und alles hinzunehmen. Es war als hätte der Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht.
„Dir kann man doch nie etwas recht machen!", entrüstete ich mich. „Alles was ich versuche ist dir nicht gut genug."
„Ich verbiete dir diesen Ton, junges Fräulein!"
„Ich werde doch immer die Versagerin der Familie bleiben! Olivia kann tun und lassen was sie will. Mit ihren Partys und Skandalen auf der Titelseite von Magazinen landen, aber sie kriegt ein väterliches Lächeln. Und ich bemühe mich jeden verdammten Tag dir gerecht zu werden, aber ich mache trotzdem alles falsch."
Ganz und gar nicht erfreut setzte Dad seine Unterlagen ab. „Jetzt hör mir mal zu, junge Dame. Olivia und du, das sind zwei ganz unterschiedliche Geschichten. Du wirst eines Tages ein Land regieren und alles was ich tue ist dich so gut wie möglich darauf vorzubereiten. Dazu gehört eine gewisse Strenge. Wenn du damit nicht umgehen kannst, bist du vielleicht doch nicht dazu geeignet eine Königin zu sein. Alles was deine Mutter und ich versucht haben, war dich auf alles vorzubereiten."
„Ach jetzt willst du also über Mum reden?" Wütend funkelte ich ihn an. Ich hatte es so satt, dass alles in dieser Familie totgeschwiegen wurde.
„Du redet doch nie von ihr. Das ganze letzte Jahr hast du nicht ein Mal ihren Namen in den Mund genommen. Es kommt einem schon fast vor, als hätte sie nie existiert!" Aufgebracht fuhr ich mir durch meine Haare. „Ich vermisse sie so schrecklich, aber es scheint niemanden zu interessieren. Reden wir einfach nicht darüber, dann ist das alles nicht passiert! Vergessen wir einfach, dass es auch eine Mutter in dieser Familie gab!"
„Jetzt ist aber gut Wilhelmina!" Für einen kurzen Moment hatte Dad betroffen ausgesehen, aber jetzt hatte er wieder seine strenge königlich Mine aufgesetzt. „Benimm dich gefälligst nicht wie ein bockiger Teenager."
Ich schnaubte. „Es ist dir doch völlig egal wie es mir geht. Oder Olivia. Hauptsache du stehst als König gut da."
„Ich werde mir diesen Unsinn nicht länger anhören. Was auch immer in dich gefahren ist, geh in dein Zimmer und reg' dich ab. Dein Abendessen kannst du dort einnehmen." Mit einem eisigen Blick sah er mich an.
„Weißt du eigentlich, dass ich alles aufgegeben habe, damit du zufrieden bist?", rief ich, nein kreischte ich schon fast. Tränen traten mir in die Augen, aber ich wischte sie energisch weg.
„Ich habe ihn geliebt, aber weggeschickt, damit du zufrieden bist! Ich habe zugestimmt jemanden zu heiraten, den ich kaum kenne und schon gar nicht liebe. Ich habe es so satt es dir immer recht machen zu müssen, aber dennoch immer nur Missbilligung abzubekommen! Ich tue alles, um in deine Fußstapfen zu treten, aber egal, es ist immer falsch! Aber herzlichen Glückwunsch, deine Tochter hat sich nun vollkommen der Krone verpflichtet. Wen interessiert es schon, dass ich absolut unglücklich bin?"
Schniefend stürmte ich an meinem Vater vorbei, der weder etwas erwiderte noch mich aufhielt.
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