Kapitel 21
Die Kopfschmerzen hielten auch noch am nächsten Morgen an. Meine Augen waren vom ganzen Weinen verquollen, sodass ich gar nicht erst wissen wollte wie ich aussah.
Lucy riss erschrocken die Augen auf, als sie kam um mir beim Ankleiden zu helfen.
„Geht es dir gut? Du siehst furchtbar aus."
„Melde mich für heute bitte krank", murmelte ich in mein Kissen. Ich fühlte mich nicht einmal in der Lage aufzustehen. „Und sag Emmett er soll sich den Tag heute frei nehmen."
Das würde mir gerade noch fehlen, ihn heute sehen zu müssen. Solange ich meine Gefühle nicht geordnet hatte, würde ich sofort wieder in Tränen ausbrechen.
Lucy zog sich daraufhin leise zurück. Später brachte sie mir Frühstück ans Bett, dass ich nur minimal anrührte, und lüftete mein Zimmer. Ansonsten ließ sie mich rücksichtsvoll in Ruhe.
Während ich zwischen weinen und emotionslos vor mich hin starrend wechselte, wurde mir bewusst, dass ich jetzt an einem Punkt angekommen war, an dem ich die ganzen Geschehnisse nicht mehr einfach so weiter laufen lassen konnte. Ich musste endlich eine Entscheidung treffen.
Diese Erkenntnis brachte mich nur wieder zum Weinen.
Wie sehr wünschte ich mir jetzt meine Mutter an meine Seite, die mir beruhigend über den Kopf streichen und mir zu flüstern würde, dass alles gut werden würde.
Stattdessen war ich völlig auf mich alleine gestellt, hatte niemand dem ich mich anvertrauen konnte. Ich hatte ja nicht einmal eine beste Freundin. Emmett hatte Recht: Ich war wirklich ganz alleine.
Schluchzend vergrub ich mein Gesicht im Kissen.
„Du siehst scheiße aus."
Leicht verwirrt hob ich meinen Kopf, als gegen Mittag plötzlich meine Schwester vor meinem Bett stand.
Ich gab einen genervten Laut von mir. „Hast du noch nie etwas von Anklopfen gehört?"
Unbeirrt setzte sich Olivia auf meine Bettkante und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. „Hast du geweint? Deine Augen sind total rot und verquollen."
„Lass mich in Ruhe, ich bin krank."
„Du siehst aus als hättest du Liebeskummer", stellte sie amüsiert fest. „Aber du bist gar nicht in der Lage menschliche Gefühle zu zeigen, also fällt das weg."
Ich verdrehte die Augen, was bei meinen hämmernden Kopfschmerzen allerdings keine so gute Idee war. Stöhnend hielt ich mir den Kopf.
„Was willst du hier, Olivia?", fragte ich erschöpft.
„Ich wollte nur nachsehen wie es dir geht. Mir war gar nicht bewusst, dass Roboter auch krank werden können."
„Wenn du nur hier bist um dumme Witze zu machen, da ist die Tür. Ich habe genug andere Dinge mit denen ich mich herum ärgern muss, die wesentlich wichtiger sind."
Jetzt war es an Olivia die Augen zu verdrehen. Scheinbar war das die einzige Angewohnheit, die wir beide gemeinsam hatten.
„Entschuldige, dass ich echtes Interesse an deinem Wohlergehen zeigen wollte, aber scheinbar ist das in dieser Familie überflüssig."
„Olivia-", aber bevor ich noch irgendwas sagen konnte, war sie schon wieder verschwunden. Na super. Stöhnend ließ ich mich zurück auf mein Bett fallen. Was für ein Schlamassel.
Nach dem Abendessen fühlte ich mich in der Lage aufzustehen. Mit einer Tasse Tee setzte ich mich auf meinen Balkon. Ich hatte die Dinge lange genug vor mich hergeschoben, damit war jetzt Schluss.
Auch wenn meine Mum nicht mehr da war, so war ich dennoch in der Lage eigene Entscheidungen treffen. Wenn ich in ihre Fußstapfen treten wollte, musste ich dieses Geheule sein lassen. Ich war die nächste Königin von England. Ich hatte Macht und ein paar dahergelaufene Männer, würden mich ganz sicher nicht aus der Bahn bringen.
So sehr mir meine Mutter auch fehlte, so durfte meine Trauer mich nicht mehr komplett in Besitz nehmen. Das ganze letzte Jahr hatte ich nur nach ihrem Tod ausgerichtet. Es würde sie nicht zurückbringen, wenn ich mit jeder Faser meines Körpers meine Trauer zeigte. Und nur weil ich vorwärts gehen wollte, hieß das noch lange nicht, dass die Erinnerung an meine Mutter verschwinden würde.
Im Gegenteil: Ich würde in ihre Fußstapfen treten und sie damit für immer in meinem Herzen bewahren.
Susans Worte würde ich befolgen. Alles was ich tun konnte war meinem Herzen zu folgen und das zu tun, was ich für richtig hielt.
Unruhig saß ich an meinem Schreibtisch. Am nächsten Morgen hatte ich mich soweit gesammelt, um wieder arbeiten zu können. Doch das was ich vor hatte, ließ meinen Puls in die Höhe schießen. Fast die ganze Nacht hatte ich gegrübelt, ob dies die richtige Entscheidung war. Mehrmals wollte ich doch anders handeln, aber ich war zu dem Entschluss gekommen, dass das der richtige Weg war. Und jetzt musste ich es nur noch umsetzen.
Es klopfte an meiner Bürotür und nach einem nervösen „Herein" meinerseits, trat Emmett ein. Ich konnte ihm seine Nervosität ebenfalls ansehen, denn er sah mich prüfend an, um heraus zu finden, ob ich noch sauer war.
„Komm rein und setzt dich." Ich räusperte mich, um das Zittern meiner Stimme zu verstecken. Während er meine Anweisung befolgte, öffnete ich die oberste Schublade meines Schreibtisches. Der Umschlag der sich darin befand lächelte mir beinahe höhnisch entgegen. Ich nahm ihn heraus und drehte ihn einen Moment lang in meinen Händen. Noch könnte ich einen Rückzieher machen. Wortlos reichte ich Emmett den Umschlag.
„Was ist das?", fragte er etwas verwirrt,
„Mach ihn auf."
Ich beobachtete ihn, während er den Umschlag aufriss und das Schreiben las. Immer wieder runzelte er die Stirn. „Willow, im Ernst was ist das?", wiederholte er seine Frage.
Tief holte ich Luft. „Das ist ein Empfehlungsschreiben." Es dauerte einige Sekunden, bis ihm die Tragweite bewusst wurde.
„Du-"
„Ich habe mit dem Königshaus in Dänemark telefoniert", unterbrach ich ihn, während ich ihm einen zweiten Umschlag über den Tisch schob. Seine Kündigung. „Kronprinz Asher ist momentan auf der Suche nach einem neuen Bodyguard. Ich bin mir sicher, dass ihr euch gut verstehen werdet. Mit diesem Empfehlungsschreiben solltest du leicht einen neue Anstellung bekommen."
Die Stille die daraufhin folgte, machte mich wahnsinnig.
„Willow, wenn du noch sauer bist, wegen dem was ich an diesem Abend zu dir gesagt habe, dann tut es mir Leid. Ich habe das doch nicht so gemeint."
„Doch ich glaube du hast es genau so gemeint. Aber darum geht es hier nicht." Ich traute mich fast nicht ihm in die Augen zu sehen. Die Enttäuschung die darin lag, konnte ich nicht ertragen.
„Bitte Willow, lass uns darüber reden. Ich liebe-"
„Ich dich aber nicht." Tränen stiegen mir in die Augen, als ich ihn so zum Schweigen brachte.
„Und dann schickst du mich einfach so ins Exil?" Fassungslos stand Emmett auf. Die Kündigung und das Empfehlungsschreiben warf er abschätzig auf den Tisch. „Du weißt das meine Mutter schwer krank ist und mich in ihrer Nähe braucht. Und dann kannst du so herzlos sein und mich ins Ausland schicken?" Ich konnte sehen wie sein Herz zerbrach. Wie ich ihn zu tiefst verletzte.
„Du kannst dir auch hier in England eine Anstellung suchen. Ich wollte dich nur nicht ohne ein Jobangebot feuern", erklärte ich kleinlaut.
„Soll ich mich dafür jetzt auch noch bedanken?", fauchte er fassungslos.
Ich schwieg und er fuhr sich seufzend durch die Haare.
„Bitte Emmett hör mir zu", flehte ich ihn an. Er presste seinen Kiefer fest zusammen und obwohl er aussah, als würde er gleich aus diesem Zimmer stürmen, blieb er wo er war.
„Was du fühlst oder was ich fühle spielt hier keine Rolle. Ich habe mich der Krone verpflichtet und ich flehe dich an diese Entscheidung zu respektieren." Ich wischte die mir die Träne aus dem Gesicht, die sich ihren einsamen Weg über meine Wange gebahnt hatte. „Mach es bitte nicht noch schwerer als es sowieso schon ist", flüsterte ich.
Langsam nickte Emmett. Auch in seinen Augen konnte ich mittlerweile Tränen entdecken und ich würde am liebsten schreien, weil ich ihm das hier antat.
Emmett nahm die Papiere vom Tisch und sah sie eine Weile unentschlossen an. Mit dem Daumen rieb er sich schnell die Tränen aus den Augen, dann hob er den Blick, um mir direkt in die Augen sehen zu können.
„Ich hatte immer gehofft, du würdest eines Tages erkennen, dass du die Macht hast deine Grenzen zu verschieben. Aber es wird mir eine Ehre sein, dein Untertan sein zu dürfen."
Ich schlug mir die Hand vor den Mund, um mein Schluchzen zu unterdrücken, nachdem Emmett den Raum verlassen hatte. Er akzeptierte meine Entscheidung, um mich glücklich zu machen, egal wie sehr er dabei verletzt wurde. Das war Emmett.
Unfähig mich zu bewegen starrte ich auf die Tür, in der Hoffnung er würde zurückkommen. Aber das würde er nicht und das war meine Schuld. So wie ich sein Herz gebrochen hatte, hatte ich meines gebrochen, in dem Moment, in dem ich ihn durch die Tür habe gehen lassen.
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