Kapitel 19

Die Stille im Raum tat mir in den Ohren weh. Während Dad in aller Ruhe durch meine Unterlagen blätterte und sich alles ganz genau durchlas, konnte ich keine einzige Sekunde still sitzen.

Wenn meine Fingernägel nicht lackiert gewesen wären, hätte ich jetzt an ihnen gekaut. Um der Versuchung nicht doch noch zu verfallen, schob ich meine Hände unter meinen Schoß.

Mit einem Räuspern sah mein Vater schließlich hoch. „Das ist gut. Das ist wirklich gut."
Erleichtert atmete ich auf. „Wirklich?"

Dad nickte. „Ja wirklich. Du hast alles detailliert ausgearbeitet, auf die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel geachtet und ein realistisches Konzept erstellt. Ich bin mir sicher, dass du das so umsetzten kannst. Wenn du dafür bereit bist, werde ich sobald wie möglich eine Sitzung mit den Beratern einberufen."

Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Nachdem ich mich endlich getraut hatte meinem Vater das Konzept für meine Stiftung zu zeigen, war ich mehr als nur erfreut, dass es ihm so gut gefiel.

„Ja natürlich bin ich dazu bereit. Ich kann es kaum erwarten dieses Projekt umzusetzen."
Dad lächelte, eine Seltenheit. Dann notierte er sich ein Termin auszumachen. „Wie es scheint war diese Gala die du besucht hast doch noch für etwas gut."

Ich nickte zustimmend. „Glaubst du es könnte Schwierigkeiten mit den Armentrouts geben? Sie haben schließlich auch eine Stiftung für Veteranen."

Nachdenklich lehnte sich Dad in seinem Schreibtischstuhl zurück. „Nein, ich denke das wird auf faire Konkurrenz hinauslaufen. Es ist kein Fehler wenn es mehrere Stiftungen gibt, die ein gutes Ziel verfolgen. Und im Endeffekt entscheidet jeder für sich von welcher Stiftung er Gebrauch nimmt."

Wir besprachen noch ein paar kleine Anmerkungen, die er schließlich doch noch hatte, dann wollte ich zurück in mein Arbeitszimmer gehen.

„Eine Sache noch", sagte Dad, als ich im Begriff war aufzustehen. „Ich habe das Gefühl, dass deine Aufmerksamkeit nicht uneingeschränkt auf den Casting Teilnehmern liegt."

„Was meinst du?", fragte ich verunsichert.
„Ich glaube du schenkst deine Aufmerksamkeit vermehrt deinem Bodyguard anstatt deinem zukünftigen Ehemann."
Ich schluckte ertappt.

„Du bist fast am Ende des Castings Wilhelmina und es sind nur noch drei Teilnehmer, seitdem du dich von Theodore nach dem Herbstball verabschiedet hast. Ich denke du wärst langsam in der Lage eine Entscheidung zu treffen, aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass du sie hinauszögerst. Und ich bin der Überzeugung, dass Mr O'Connor nicht ganz unschuldig daran ist."

„Emmett und ich verstehen uns gut." Mir war klar, dass diese Ausrede ziemlich lahm war und das sah auch mein Vater so.

„Das hast du schon das letzte Mal gesagt, als ich dich darauf angesprochen habe. Aber du kannst mich nicht für dumm verkaufen, Wilhelmina. Ich bin immer noch dein Vater und merke solche Dinge."

Ich traute mich kaum ihn anzusehen. War jetzt der Moment gekommen wo er Emmett feuern würde?

„Ich möchte dich nicht wiederholt an deine Verpflichtungen gegenüber England erinnern. Alles was ich möchte ist, dass du vernünftig handelst. Egal was du für deinen Bodyguard zu empfinden glaubst, spielt keine Rolle. Das Gesetz sieht einen Mann adeliger Abstammung für dich vor und Mr O'Connor ist nun eben bürgerlich. Eine solche Verbindung kann nicht toleriert werden."

Er machte einen kurze Pause und sah mich scharf an. „Also entweder du sorgst dafür, dass du dich nicht länger von ihm ablenken lässt oder wenn das nicht funktioniert solltest du dir darüber Gedanken machen diese Ablenkung zu entfernen und einen neuen Bodyguard einzustellen, haben wir uns verstanden?"

„Ja, Eure Majestät."

Meine Gedanken kreisten den ganzen Tag um die Zwickmühle, in der ich mich befand. Ich konnte Emmett nicht feuern, dass würde ich nicht übers Herz bringen. Genauso wenig konnte ich einfach meine Gefühle zu ihm abstellen. Auch wenn es egoistisch war, wollte ich ihn in meinem Leben, auch wenn ich einen Anderen heiraten musste.

Gegen Mittag rauchte mir der Kopf. Die Buchstaben in den Unterlagen, die ich durchgehen musste, tanzten vor meinen Augen und meine Konzentration war für die Tonne.

Ich musste mit jemandem über meine Situation reden, das hatte mir immer geholfen. Es fiel mir leichter Entscheidungen zu treffen, wenn mir jemand die Sache aus einem anderen Blickwinkel schilderte. Doch meinem Mangel an Freunden geschuldet, hatte ich niemand dem ich mich anvertrauen konnte. Die Person mit der ich normalerweise über so etwas geredet hatte war tot.

Kurzerhand sprang ich entschlossen auf. Ich musste mich beeilen, wenn ich das wirklich durchziehen wollte. Auf meinem Zimmer schnappte ich mir Handtasche und Smartphone, dann schlich ich mich nach unten. Emmett hatte seinen freien Tag, wahrscheinlich bearbeitete er den Boxsack im Trainingsraum. Die Stimmung war angespannt zwischen uns, aber jetzt war es mir ganz recht, dass er mir aus dem Weg ging.

Das war verrückt, dachte ich mir, als ich hinter dem Steuer des schwarzen Wagens saß. In unserer Tiefgarage wimmelte es von Autos, aber es schien mir unauffälliger einen der Kleinwagen zu nehmen, die unsere Mitarbeiter nutzen und nicht eine der Limousinen.

Ich hatte vor einigen Jahren Fahrstunden gehabt, die ich eigentlich nicht benötigte. Im Normalfall durfte ich sowieso nicht selbst fahren, dafür hatten wir Chauffeuere. Aber es konnte ja nicht so schwer sein. Was man einmal gelernt hatte, verlernt man nicht, hieß es doch immer.

Das Auto gab einige ungute Geräusche von sich, als ich den Motor startete und im Schneckentempo die Tiefgarage verließ. Erschrocken verzog ich das Gesicht, als ich in den zweiten Gang wechseln wollte und das Getriebe schmerzhaft quietschte. So viel dazu, das Gelände unauffällig zu verlassen.

Es war ein Risiko den Palast ohne Personenschutz zu verlassen, gerade jetzt da es Unruhen gab. Aber ich konnte Emmett unter keinen Umständen mitnehmen und wenn ich einen anderen Bodyguard bat, würde dieser über meinen Aufenthaltsort Bericht erstatten. Es war daher besser, wenn erst niemand erfuhr, dass ich weg war.

Das einzige Problem war der junge Wachmann, der das Tor bewachte. Doch zu meinem Glück war er noch sehr jung und wie es schien relativ frisch im Dienst, so nervös wie er wirkte. Er bekam große Augen als er mich hinter dem Steuer entdeckte. „Eu..Eure k..königlicheHoheit", stotterte er.

Ich versuchte beruhigend zu Lächeln. „Hi. Wie heißen Sie?"
„Brandon", brachte er verunsichert heraus.
„Wie schön Sie kennenzulernen Brandon. Sie arbeiten noch nicht lange für uns oder?"

Er schüttelte den Kopf.
„Ich bin mir sicher, dass Sie ihre Arbeit ganz hervorragend machen."
Brandon stellte sich stolz ein wenig aufrechter hin. „Es ist mireine Ehre die Krone zu beschützen."

Ich musste mir ein Lachen bei seinem Enthusiasmus verkneifen. „Das freut mich zu hören. Dann sind Sie doch sicherlich auch bereit, ihrer Kronprinzessin einen Gefallen zu tun?"

„Natürlich, Eure königliche Hoheit. Was immer Sie wollen, sie können auf mich zählen."

„Ich muss einen wichtigen Besuch machen, von dem niemand wissen sollte. Wenn Sie also jemand fragt, haben Sie mich nicht gesehen. Und Sie haben mir auch nicht das Tor geöffnet. Haben Sie das verstanden? Das ist sehr wichtig für mich."

Eifrig nickte Brandon. „Ich sage kein Wort, versprochen. Sie können sich auf mich verlassen."
Stolz drückte er den entsprechenden Knopf und das Tor öffnete sich mit einem leisen Summen. Das war leichter als gedacht.

Die Frau, die mir die Tür öffnete blickte mich überrascht an. „Willow? Emmett ist nicht da."

Susan ließ mich etwas verwundert eintreten. „Ich weiß, daher bin auch hier. Er sollte wenn möglich nichts davon erfahren."
„Ist etwas passiert?"

„Nicht direkt", etwas nervös spielte ich mit dem Henkel meiner Handtasche. „Aber ich muss dringend mit jemandem reden und wusste nicht wohin."
Wissend lächelte Susan und zog mich in ihre Arme. „Aber natürlich Liebes, du bist hier immer willkommen."

Während Susan in der Küche Wasser für den Tee aufsetze, ließ ich mich auf dem gemütlichen Sofa nieder und kraulte Maddox hinter den Ohren, die ihren Kopf auf meinem Schoß ablegte und mich treu ansah.

„Ich habe vorhin Kekse gebacken, sie sind noch ein wenig warm." Susan stellte ein vollbeladenes Tablett auf dem Wohnzimmertisch ab.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen."

Emmetts Mutter winkte nur ab und setzte sich dann zu mir.
„Also dann erzähl mal. Wie kann ich dir helfen?"

Ich holte tief Luft, dann begann ich offen und ehrlich zu erzählen. Von den Unruhen im Volk, die ich ausgelöst hatte und nicht wusste wie ich das ändern konnte. Von dem Casting und der arrangierten Ehe, die ich eingehen musste.

„Ich mag Austin, James und Graham. Die drei sind toll und würden sich sicherlich gut in der Rolle des Prinzgemahls machen. Vor allem Graham mag ich sehr. Er ist nicht auf seine eigenen Vorteile bedacht, sondern will mich wirklich unterstützen. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass ich ihn wirklich innig lieben könnte, aber er wäre eine gute Wahl und wir könnten unsere Ehe auf einer soliden Freundschaft aufbauen. Wenn man bedenkt, dass ich zur Ehe gezwungen werde, ist das immer noch die beste Lösung."

Während ich Susan mein Herz ausschüttete, hielt ich die Teetasse in meinen Händen fest umklammert, als könnte sie mir Halt geben.
„Und wenn du das für eine so gute Lösung empfindest, was hält dich dann davon ab?"

Ich war ihr so unendlich dankbar, dass sie mich nicht kritisierte. Sie war nicht entsetzt darüber, dass ich im einundzwanzigsten Jahrhundert zur Ehe gezwungen wurde, obwohl das in unserer Kultur nicht mehr üblich war. Sie verurteilte mich auch nicht dafür, dass ich klar sagte, ich könnte Graham nie wirklich lieben. Stattdessen hörte sie mir mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu.

„Ich könnte Graham nicht lieben, weil ich..." Ich traute mich nicht den Satz zu Ende zu führen.
„Weil du Emmett liebst", vollendete ihn Susan für mich.

Überrascht und peinlich berührt sah ich sie an, doch Susan lächelte nur. „Liebes ich habe euch zusammen gesehen. Ich habe bemerkt wie er dich angesehen hat und ich bin Mutter. Ich weiß wenn mein Sohn verliebt ist. Bei dir war ich mir bis gerade eben nicht ganz sicher, aber er liebt dich. Hundertprozentig."

Meine Wangen wurden heiß. Irgendwie war es mir unangenehm sie darüber reden zu hören.
„Das Problem ist, Emmett kommt nicht in Frage", sprach ich es aus, doch Susan nickte nur wissend.

„Weil er keiner adeligen Abstammung ist und kein Teilnehmer des Castings."
„Ja", flüsterte ich.

Stille bereitete sich im Wohnzimmer aus, bevor Susan mir die Hand tätschelte. „Ich kann dir nicht vorschreiben was du tun sollst. Du hast dich an Gesetze zu halten, von denen ich keine Ahnung habe. Schlussendlich ist es deine Entscheidung. Aber eines möchte ich dir sagen. Du tust Emmett unglaublich gut. Ich habe ihn schon lange nicht mehr so viel lächeln sehen."
Fragend sah ich sie an. „Was war mit ihm?"

„Er war fünfzehn als sein Vater uns verlassen hat", begann Susanzu erzählen. „Mein Ex-Mann Robert hat kurz darauf wieder geheiratet und eine neue Familie gegründet. Für Emmett war das furchtbar. Der Gedanke, dass sein Vater ihn mit voller Absicht verlassen hat, hat ihn wahnsinnig gemacht. Er hat sich mehr und mehr zurückgezogen und mit dem Boxen angefangen. Stundenlang hat er auf diesen Sack eingeschlagen bis seine Knöchel blutig waren. Es wurde erst besser als er seinen Abschluss gemacht hat und zur Armee ging."

„Emmett war bei der Armee?", unterbrach ich sie. „Das wusste ich überhaupt nicht."
Wenn ich ehrlich war, wusste fast gar nichts über Emmett. Ich hatte ihn auch nie nach seiner Familie oder seiner Kindheit gefragt. Es ging in unseren Gesprächen immer nur um mich.

„Die Zeit dort hat ihm gut getan. Er hat gelernt mit seiner Wut entsprechend umzugehen. Als er zurückkam hat er die Ausbildung zum Bodyguard gemacht und im Palast angefangen. Und als er an seinem ersten freien Wochenende nach Hause kam, war er auf einmal nicht mehr so verschlossen. Er konnte fast gar nicht mehr aufhören von dir zureden."

Lächelnd nahm Susan meine Hand und drückte sie sanft. „Hör zu. Ich will nicht, dass du dich jetzt für Emmett entscheidest, weil du glaubst ihm gehe es deswegen besser. Ich möchte, dass wenn du dich für ihn entscheidest, du es tust weil du ihn wirklich liebst und den Rest deines Lebens mit ihm verbringen möchtest. Und wenn du dich gegen ihn entscheidest ist das auch in Ordnung. Vermutlich wird er ein wenig verletzt sein, aber er wird es verstehen und akzeptieren. Ich weiß er will nur, dass du glücklich bist, egal was das für ihn bedeutet."

Ich schluckte hart. „Wärst du mir böse, wenn ich mich gegen ihn entscheiden würde?", fragte ich und konnte nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen traten.

„Oh Süße, nein!" Susan zog mich in eine feste Umarmung und strich mir beruhigend über den Rücken. „Egal was du tust, ich bin immer für dich da, in Ordnung? Du kannst jeder Zeit zu mir kommen. Das ist nicht abhängig davon, ob du meine Schwiegertochter wirst oder nicht. Obwohl ich mich natürlich über eine Tochter freuen würde."

Wir lachten beide.
„Eines noch, Willow", sagte Susan und löste sich von mir, um mich ansehen zu können.

„Du solltest deine Entscheidungen nicht treffen, weil du glaubst etwas Bestimmtes tun zu müssen. Richte dich nach deinem Herzen und trau dich dem Konsequenzen entgegen zutreten. Denn Liebes, du bist stärker als du glaubst."

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