Kapitel 14

„Was ist mit diesem hier?"
Ich sah von meinen Unterlagen auf, um das Bild zu inspizieren, das Dad hoch hielt. Es war das Bild, das zu Colin Armentrouts Steckbriefhinzu gelegt worden war.

„Nein", bestimmt schüttelte ich den Kopf. „Er hat sich auf der Gala unmöglich verhalten. Alles was ihn interessiert ist, ob er gut dasteht. Ich kann ihn nicht leiden."

Dad und ich saßen zusammen in seinem Arbeitszimmer mit allen Unterlagen der Kandidaten, um die Vorauswahl zu treffen. Wenn es nach mir gegangen wäre, wären wir damit schnell durch, aber Dad wollte über jeden Kandidaten einzeln sprechen.

„Seine Eltern sind aber sehr engagiert", widersprach mir Dad.
„Das mag sein, aber Colin erntet ihre Lorbeeren ohne das er etwas tut."
„Na schön, dann ihn also nicht." Er seufzte, dann nahm er sich den nächsten vor.

„Ich würde gerne Austin Ward in die engere Auswahl nehmen", sagte ich und reichte meinem Vater die entsprechenden Unterlagen.„Wir haben uns gut verstanden."
„Seine Eltern haben beide in Oxford studiert und sind angesehene Anwälte, das klingt doch gut."
„Ja, er studiert ebenfalls Rechtswissenschaften in Oxford."

„Theodore Mitchell studiert Kunstgeschichte. Bringt uns das irgendeinen Vorteil?" Dad war mit meiner zweiten Wahl noch nicht ganz zufrieden.
„Vielleicht nicht unbedingt, aber er ist ein herzensguter Mensch und er hat eine Kunstgalerie eröffnet, dessen Einnahme er an die Bedürftigen spendet. Seine Eltern sind ebenfalls angesehene Leute in der Londoner Society."

William Morris segnete er ab, da er seinen Vater kannte. Dieser war Mitglied des Parlaments und hatte mit Dad schon die ein oder andere Partie Golf absolviert.

James Brown hatte gute Kontakte zum spanischen Königshaus, das gefiel Dad besonders gut. Vor allem aber beglückte ihn, dass Graham Politikwissenschaften studiert hatte.
„Dieses Wissen kann ihm äußerst nützlich sein als Prinzgemahl."

„Graham ist wirklich toll. Er hat mir heute Blumen geschickt, als kleiner Trost wegen den Randalen", merkte ich an. Der riesige Blumenstrauß war auf meinem Wohnzimmertisch drapiert worden und verströmte seitdem einen wunderbar süßlichen Duft in meinem Zimmer.

Graham hatte sogar eine Karte hinzugetan, in der er erwähnte, dass ich eine hervorragende Kronprinzessin sei und das Volk keine Ahnung von meinem wirklichen Charakter hätte.

„Wie aufmerksam von ihm", Dad schenkte mir einen kurzes Lächeln. „Aber fokussiere dich noch nicht zu früh auf einen bestimmten jungen Mann. Die Entscheidung die dir bevorsteht solltest du nicht leichtfertig treffen."

„Deshalb habe ich auch nur ein Jahr Zeit bekommen mich zu verloben", entgegnete ich spitz. Der Blick den mir mein Vater zuwarf brachte mich zum Schweigen.

„Also, da deine Wahl nun feststeht, solltest du alle kontaktieren. Unsere Mitarbeiter haben dafür extra Karten entworfen. Du solltest eine kurze Nachricht für jeden verfassen und diese dann verschicken. Danach solltest du dich öfter mit den fünf Verbliebenen treffen."

Zusätzlich klärten wir weitere Events ab. Dad schlug vor am Ende des Sommers eine Gartenparty zu geben, selbstverständlich nur mit gewählten Gästen und entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen. Schließlich gab es da draußen Leute, die mich loswerden wollten.

„Die Leute freuen sich bestimmt, wenn du Aktivitäten mit den Kandidaten unternimmst, die sie in ihrer Freizeit prägen. Begleite Graham zu eines seiner Polospiele oder Theodore in seine Galerie."
Verwirrt sah ich ihn an. „Ich dachte ich soll im Palast bleiben und wenn möglich keine Ausflüge machen."

„Diese Dinge dienen einer wichtigen königlichen Sache, bei der du entsprechendes Personal an deiner Seite haben wirst. Mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Bodyguards sollten dich begleiten. Und ich werde gründliche Sicherheitschecks auf dem Gelände veranlassen. Ich will nur nicht, dass du noch einmal einen unbeaufsichtigten Urlaub machst wie letztes Wochenende. Dieses Risiko ist einfach zu groß."

Dad schob die ganzen Unterlagen zusammen und verfrachtete sie in eine Schublade. „So, ich habe jetzt noch andere wichtige Dinge zu bearbeiten. Auf deinem Zimmer warten die Karten, die du verschicken sollst."

„In Ordnung." Ich stand auf und ging zur Tür.
„Ach eine Sache noch, Wilhelmina. Deinen Bodguard, Emmett, du scheinst ihn sehr zu mögen."
Mein Puls schoss augenblicklich in die Höhe. „Wie bitte?", krächzte ich.

„Ich habe Augen und Ohren im Palast, sodass ich mitbekomme mit wem du deine Zeit verbringst."
„Ich mag Emmett, ja. Er macht seinen Job gut und ist eine große Hilfe. Wir unterhalten uns ab und zu." Inständig hoffte ich, dass mein Vater sich mit dieser Antwort zufrieden geben und nicht noch tiefer graben würden.

„Schön, er scheint ein aufrichtiger Junge zu sein. Sei dir aber sicher, dass du den Fokus auf die richtige Person legst", sagte er beiläufig, während er konzentriert auf seinem Computer herumtippte.

Es war deutlich zu spüren, dass die Stimmung im Palast angespannt war, seit die Videos und Hashtags im Netz aufgetaucht waren. Die Beiträge wurden auch nicht weniger, sondern immer mehr Leute mussten sich zu der ganzen Situation äußern, auch wenn sie keine Ahnung hatten was eigentlich abging.

Um mich nicht völlig aus dem Konzept zu bringen, vermied ich es für einige Tage auf meinen Social Media Kanälen vorbeizuschauen.

Sogar Olivia riss keinen schlechten Witz über die aktuellen Umstände, sie erkundigte sich sogar ernsthaft danach wie es mir ging. Wir liefen uns im Damensalon über den Weg, der hauptsächlichvon Olivia als Aufenthaltsraum genutzt wurde. Ich blieb entweder in meinem Büro oder Zimmer, da ich wusste wo meine Schwester sich aufhielt und nur ungern mit ihr Zeit verbrachte.

„Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, dann sag' mir Bescheid." Wie immer hatte sie ihre Nase in eines der Modemagazine gesteckt.

Ihr Angebot überraschte mich. Wenn sie nicht gerade einen stichelnden Kommentar für mich auf der Zunge hatte, dann redete sie meistens nicht mir. Woher dieser Anfall von Freundlichkeit auf einmal kam, war mir schleierhaft,

„Und wie sieht deine Hilfe aus? Bringst du mir bei, wie man seine Sorgen in Alkohol ertränkt?", erwiderte ich patzig. Ich konnte sehen wie ihr Kiefer sich anspannte und fühlte mich prompt schlecht.

Vielleicht hatte sie das wirklich ernst gemeint, doch da Hilfsbereitschaft in ihrem Sprachgebrauch ein Fremdwort war, war ich zu verwirrt um darauf wirklich einzugehen.

„Es war nur ein Angebot. Niemand zwingt dich davon Gebrauch zu machen."
Anstatt ihr zu antworten, verzog ich mich auf mein Zimmer und kam meiner allgemeinen Routine nach, Olivias Gesellschaft zu meiden.

Emmett und ich spielten uns immer mehr ein. Nachdem er mir so herzerwärmend versichert hatte mich zu beschützen, komme was wolle, war mir bewusst geworden, dass ich ihn nicht so einfach auf Abstand halten konnte. Ich war süchtig nach seinen Berührungen.

Ganz automatisch suchten meine Augen den Raum nach ihm ab und wenn sich unsere Blicke trafen, konnte ich mein Lächeln kaum noch zurückhalten. Es war aufregend, wenn sich unsere kleinen Finger beim Vorbeigehen ganz leicht berührten und diese Geste meinen ganzen Körper zum Kribbeln brachte.

Am meisten freute ich mich auf die Abende. Wenn ich Lucy weggeschickt hatte kam Emmett in mein Zimmer, bevor auch er seine Schicht beendete.

Manchmal saßen wir zusammen auf meinem Balkon, oder auf dem Sofa. Ab und an lagen wir auch eng aneinander gekuschelt in meinem Bett.

„Was ist mit deinen Knöcheln passiert?", fragte ich eines Abends, als wir in meinem Bett lagen und ich unsere Hände miteinander verschlungen hatte.

Die Haut auf seinen Knöcheln war aufgeplatzt und noch eine getrocknete Blutreste zusehen. Ich hauchte einen Kuss auf seine Wunde und entlockte ihm damit ein Schmunzeln.

„Das ist nichts Wildes. Ich habe beim Boxen heute ein bisschen übertrieben."
Ich setzte mich auf, um Emmett ernst in die Augen zu blicken. „Nichts Wildes? Es klingt sehr wild, wenn du dich beim Boxen verletzt. Seit wann boxt du überhaupt?"

Emmett zog mich wieder zu sich herunter, um mir lächelnd durch das Gesicht zu streichen. „Mach dir darüber nicht zu viele Gedanken, das ist nicht das erste Mal."
„Dann boxt du also öfters?"
„Ich boxe seit ich fünfzehn bin. Dabei kann ich Dampf ablassen und meine Wut auf etwas anderes übertragen", erklärte Emmett.

„Willst du darüber reden was dich beschäftigt?"
Seine Finger waren an meiner Lippe angekommen und verweilten dort.
„Nein." Er küsste mich und entlockte mir damit ein wohliges Seufzen.

„Daran könnte ich mich gewöhnen", flüsterte er.
„Ich habe mich schon daran gewöhnt", erwiderte ich schmunzelnd, woraufhin Emmett lachte.

„Meinst du das ist klug?" Sein Miene wurde wieder ernst und ich seufzte. In solchen schönen Momenten wollte ich unsere Zweisamkeit genießen und nicht daran denken, dass es ein Uns niemals geben könnte.

Mir kam der Gedanke, dass das vielleicht ein Thema war, das ihm durch den Kopf ging und er sich deshalb die Knöchel wund geschlagen hatte. Dieser Gedanke gefiel mir gar nicht.

„Menschen handeln nicht immer klug, vor allem nicht wenn sie von Gefühlen geleitet werden."
Ich war gut darin meine Gefühle vor der Außenwelt zu verbergen. Besonders da mir beigebracht wurde immer mit dem Verstand zu handeln, statt mit Gefühlen, da es eine Menge Ärger ersparte.

„Wir könnten abhauen", sagte Emmett irgendwann in die Stille herein. „Nach Amerika durchbrennen, uns ein kleines Häuschen kaufen..."

„Und Olivia den Thron überlassen?", vollendete ich fragend den Satz. „Sie würde das ganze Land in Chaos stürzen." Ich kicherte.„Vermutlich gäbe es unter ihrer Regierung kostenlosen Alkohol für alle."

Es war unrealistisch, aber es machte Spaß mit Emmett darüber zu fantasieren wie unser Leben aussehen würde, wäre ich nicht Kronprinzessin. Wir waren uns darüber einig, dass wir ein Haus mit weißem Gartenzaun wollten und ein Hund musste unbedingt auch zur Familie gehören.

Emmett würde ein eigenes Boxstudio leiten und ich würde mich daheim um den Haushalt kümmern. Nur über die Kinderanzahl waren wir uns nicht einig. „Mindestens drei", fand Emmett, am besten eine so große Familie wie möglich. Mir persönlich würden auch schon zwei reichen.

„Emmett?" Er hatte die Augen geschlossen, als ich ihm vorsichtig durch die dunkelblonden Haare fuhr. „Hm?", brummte er.
„Bearbeitest du den Boxsack deshalb so brutal, weil es kein Uns geben kann?"

Langsam öffnete er die Augen, um mich anzusehen. Es war kein Vorwurf in ihnen zu sehen, nur Erschöpfung.
„Wir wissen beide, dass wir diese Heimlichtuerei nicht ewig durchziehen können. Und du hast ziemlich klare Vorgaben wie dein Leben auszusehen hat, da habe ich keinen Platz mehr. Also ja, vielleicht hast das auch zu den Gründen gezählt."

„Können wir nicht einfach sehen wo das mit uns hinführt? Wir können doch einfach die Zeit genießen, die wir zusammen haben. Und danach sehen wir weiter."

Es war egoistisch das zu sagen und unfair gegenüber Emmett. Weil ich etwas verlangte, was ihn im Endeffekt mehr verletzen würde als mich. Aber ich sehnte mich so sehr nach der Liebe die Emmett mir schenkte, dass ich nicht bereit dazu war das hier aufzugeben, obwohl es uns beiden sehr viel Leid ersparen würde.

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