Kapitel 13
Das Wochenende bei den O'Connors fühlte sich an wie eine Oase. Emmett hatte Recht behalten. Ich musste dringend abschalten und mich sortieren.
Ein Wochenende außerhalb des Palastes und weit weg von seinen Bewohnern, war da genau das Richtige.
Die unzähligen Partien Scrabble, bei denen Susan uns regelmäßig fertig machte, trugen einen großen Teil dazu bei. Ich genoss die Spaziergänge, die wir mit Maddox machten, obwohl ich zuerst Bedenken hatte, man könnte mich erkennen. Aber in Jogginghose ging ich in der Masse unter. Einem Pärchen mit Mutter und Hund, schenkte niemand groß Beachtung.
Am meisten genoss ich allerdings die Berührungen, die Emmett und ich immer wieder austauschten. Die heimlichen Küsse, wenn wir alleine in einem Raum waren, waren besonders verlockend. Aber ich liebte es auch, wenn er mich über den Tisch einfach nur still anlächelte. Oder wenn er im Vorbeigehen meine Schulter drückte.
Ich lebte in meinem eigenen kleinen Paradies, das viel zu schnell ein Ende fand. Und das Wissen, Emmett danach wieder auf Abstand halten zu müssen, machte es nicht besser.
„Vielen Dank Susan. Dieses Wochenende war wirklich toll. Es war sehr freundlich von dir, mich aufzunehmen. Ihr beide seid eine tolle Familie, ich habe mich wirklich sehr wohl gefühlt."
Wir standen vor dem kleinen Cottage und ich umarmte Susan fest zum Abschied. Emmett packte in der Zwischenzeit unsere Taschen in den Kofferraum.
„Es war mir eine Ehre, Willow. Und du bist hier jederzeit Willkommen."
Ich kraulte Maddox ein letztes Mal hinter den Ohren, dann stieg ich in den Wagen, damit sich Emmett in Ruhe von seiner Mutter verabschieden konnte.
Auf der Heimfahrt spürte ich Emmetts Blick mehrmals auf mir, aber ich sah stur aus dem Fenster. Es herrschte Stille zwischen uns, als er den Wagen vor dem Palast parkte und ich zögerte auszusteigen.
„Emmett-"
„Schon gut, spar's dir, ich weiß was du sagen willst." Mit einem Räuspern zog er den Schlüssel aus dem Zündschloss. Ich biss mir auf die Lippe als ich ihn von der Seite musterte.
„Das Wochenende war wunderschön, ehrlich. Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß. Aber wenn wir wieder im Palast sind, können wir nicht mehr so einfach...du weißt schon."
„Uns küssen?", sprach er aus, was ich mich nicht traute. Ich nickte langsam.
„Du bist mein Bodyguard. Wir dürfen das nicht", murmelte ich leise. Emmett sah mich lange an, dann nickte er. „Ich verstehe das. Aber sag mir nur Eines: Bereust du es?"
„Nein", sagte ich sofort und das war die Wahrheit. „Ich bereue gar nichts."
„Okay. Das gibt mir immer noch Hoffnung."
Mir wurde schwer ums Herz. Denn Hoffnung bedeutete immer währendes Leid.
„Wie war dein Wochenende?", fragte Lucy aufgekratzt, als ich sie auf mein Zimmer bat, um meine Sachen auszupacken. „Wo seid ihr beide hingefahren?"
„Zu seinem Cottage außerhalb von London", erklärte ich ihr wage.
„Und was habt ihr gemacht? Wart ihr die ganze Zeit alleine?"
„Es war ein schönes Wochenende, okay? Der Rest ist unwichtig", ich lächelte entschuldigend.
„Wir haben uns auch ein schönes Wochenende gemacht."
„Wir?"
Ertappt hielt Lucy inne, als sie gerade die Balkontür öffnen wollte, um die warme Sommerluft hineinzulassen.
„Ich habe jemanden kennengelernt", gab sie schließlich widerwillig zu.
„Wann ist das denn passiert?" Breit grinsend ließ ich mich auf mein Sofa fallen. Auch Lucy konnte schließlich ihr breites Lächeln nicht mehr verbergen.
„Tanzt du deswegen seit Wochen summend durch mein Zimmer?"
„Schon möglich." Lucy setzte sich zu mir auf das Sofa und sah verträumt nach draußen.
„Ich habe ihn hier im Palast kennengelernt. Er ist Lieutenant in der Nationalgarde. Wir mögen uns sehr." Nervös strich sie eine Haarsträhne hinter ihr Ohr, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte.
„Lucy, das freut mich sehr für dich." Lächelnd drückte ich ihre Hand. „Vielleicht stellst du ihn mir mal vor?"
„Ja vielleicht, wenn er mal wieder im Palast ist." Meine Zofe räusperte sich, dann stand sie auf. „Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss noch ein paar Dinge erledigen."
Als sie zur Tür ging, kam gerade Emmett herein. „Hallo Lucy", er schenkte ihr ein warmes Lächeln.
„Ach bevor ich es vergesse, Seine Majestät will euch beide in seinem Büro sehen", teilte Lucy uns mit, bevor sie mein Zimmer verließ.
Entsetzt sah ich zu Emmett. Mein Vater würde doch nicht etwa herausgefunden haben, was dieses Wochenende passiert war? Er würde Emmett mit Sicherheit feuern.
„Keine Angst, er verlangt bestimmt nur nach einem Lagebericht." Emmett versuchte mich damit zu beruhigen, aber eine gewisse Unruhe begleitete mich, bis zu dem Arbeitszimmer meines Vaters.
„Wilhelmina, Mr O'Connor. Setzt euch", befahl Dad, nachdem er uns hereingebeten hatte. „Wie war der Kurzurlaub?"
„Gut", sagte ich schlicht.
„Sie haben die täglichen Lageberichte ja erhalten. Es gab keine besonderen Vorkommnisse und Ihre königliche Hoheit war zu keiner Sekunde möglicher Gefahr ausgesetzt."
Emmett hatte meinem Vater jeden Tag Bericht erstattet?
„Danke für die Bemühungen Mr O'Connor, ich weiß das zu schätzen. So wie ich das mitbekomme ist meine Tochter mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden."
Ich biss mir auf die Lippe. Hoffentlich waren nicht hier, weil mein Vater wusste wie sehr ich mit Emmetts Arbeit zufrieden war.
„Das freut mich zu hören", antwortete mein Bodyguard sachlich. Wie konnte er so ruhig neben mir sitzen, wenn mein Vater aussah als würde er uns ins Kreuzverhör nehmen? Ich war so nervös, ich würde jeden Moment durchdrehen.
„Wir warten noch auf Mr Reeves und Angie." Abwesend blätterte mein Vater durch Unterlagen und schien erst einmal keine Notiz mehr von uns zu nehmen.
Wenn unsere Social-Media-Beauftragte dabei war, dann kursierte mit Sicherheit etwas im Netz, das da nicht hingehörte. Vielleicht war das Haus der O'Connors doch nicht so sicher wie gedacht. Möglicherweise war die Presse doch aufgetaucht und hatte heimlich Bilder gemacht.
Und wenn unser Sicherheitsberater auch an diesem Gespräch teil hatte, bedeutete das, dass Emmett sofort gefeuert werden würde? Würden Sie sein Leben ruinieren, sodass er nirgends einen Job bekam? Und würde ich am Ende des Tages schon verlobt sein, um das Dilemma zu vertuschen?
Mein Puls raste und ich spürte, wie sich kleine Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten. Diese Ungewissheit machte mich rasend.
Endlich öffnete sich die Tür. „Jacob, Angie. Gut, dass Sie da sind."
Mein Vater winkte Sie herein.
„Ich möchte alle Beteiligten darauf hinweisen, dass dies ein vertrauliches Gespräch ist. Was in diesem Raum gesagt wird, bleibt in diesem Raum."
Jetzt machte er mir Angst. Angie entsperrte ihr iPad. „Heute Morgen habe ich dieses Video im Internet gefunden. Es ist sehr beunruhigend und wir waren uns einig, dass Sie das sehen sollten." Sie sah mich dabei direkt an, sodass ich eine Gänsehaut bekam.
Das Video zeigt dunkle Gassen, der Bildschirm wackelte, es musste also mit einer Handykamera aufgenommen worden sein und nicht mit professionellem Equipment. Dann wurde eine Mauer mit Taschenlampen beleuchtet.
Zuerst war ich erleichtert, weil das hier offensichtlich nicht mit dem zu tun hatte, was am Wochenende passiert war. Aber dann realisierte ich, was der Schriftzug auf der Mauer besagte. Und mir lief es eiskalt den Rücken herunter.
„Stürzt Prinzessin Wilhelmina!"
Prangte mit roter Farbe auf dem Gemäuer. Dann schwankte die Kamera weiter, auf eine Gruppe von Menschen, die mit Fackeln und Plakaten durch die Straßen Londons zogen. „Weg mit der Kronprinzessin!", schrien sie immer wieder.
„Oh mein Gott." Ich schlug mir entsetzt die Hand vor den Mund, da ich das Gefühl hatte mich gleich zu übergeben.
Die Person hinter dem Smartphone begann jetzt Leute zu befragen, warum sie mich los werden wollten.
„Ich habe Sie immer für verwöhnt und unnahbar gehalten. Dass sie jetzt auch noch gewalttätig wird, bestätigt nur meine Annahme, dass sie für das Amt als Königin völlig ungeeignet ist."
„Sie ist eine Frau. Und Frauen sollten nicht den Thron besteigen, ganz einfach", sagte ein anderer.
„Neben diesem Video sind diverse Bilder von den Randalen aufgetaucht. Versehrt mit diversen Hashtags", erklärte Angie. „Einer hat sich dabei besonders herauskristallisiert."
Weg mit Wilhelmina. Wie kreativ.
„Ich nehme an das Sicherheitsaufgebot wird verschärft?" Emmett wandte sich an meinen Vater. Er ging völlig sachlich an die Sache heran, während ich am liebsten schreien und weinen wollte.
Bösartige Artikel in Zeitschriften über mich, die mich als Furie darstellten, damit konnte ich noch umgehen. Aber das hier war eine ganz andere Nummer. Jetzt versuchte das Volk ernsthaft mich daran zu hindern den Thron zu besteigen.
„So ist es", bestätigte Dad. „Ich habe mit Jacob schon das Meiste besprochen. Wenn Wilhelmina den Palast verlässt sollte ein weiterer Bodyguard sie begleiten. Ausflüge wie das vergangene Wochenende sollten wir wenn möglich vermeiden. Wenn wir Veranstaltungen innerhalb des Palastes organisieren, möchte ich, dass die geladenen Gäste genaustens überprüft werden und auch sonst niemand den Palast ungebeten verlässt."
„Wir werden den Schichtplan etwas verändern müssen, da wir nun mehr Personal auf einmal brauchen", sagte nun auch Jacob. „Deine freien Tage werden wir verkürzen müssen Emmett, aber das hat nun Priorität."
„Ich hoffe Ihnen ist die Tragweite dieser Situation bewusst, Mr O'Connor. Ich vertraue Ihnen das Leben meiner Tochter, der Thronfolgerin an. Und Sie werden alles in Ihrer Macht stehende tun, um Sie zu beschützen. Andernfalls mache ich Ihnen das Leben zu Hölle, haben wir uns verstanden?"
„Klar und deutlich, eure Majestät. Ich werde Wilhelmina mit meinem eigenen Leben beschützen und nicht zu lassen, dass ihr etwas passiert."
Ich könnte schwören, Emmett hatte sich in diesem Moment etwas aufrechter hingesetzt.
„Gut, dann zu den Medien. Angie und ich halten es für sinnvoll, wenn wir uns erst einmal nicht dazu äußern. Früher oder später müssen wir darauf reagieren, aber momentan sollten wir uns um das Casting kümmern." Dad zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Wollen die Kandidaten denn überhaupt noch Teil des Castings sein, wenn sie das sehen?", fragte ich und äußerte mich somit zum ersten Mal.
„Das werden wir dann sehen, wir sollten sie jedenfalls nicht daran hindern freiwillig auszusteigen, das wirft nur ein schlechtes Licht auf uns. Ich würde vorschlagen, dass wir sobald wie möglich die Vorauswahl treffen. Dann werden wir die fünf ausgewählten Kandidaten fragen, ob sie weiterhin dabei sein wollen."
Ich nickte langsam. „Okay."
„Vielleicht haben wir ja Glück und die Leute freuen sich über ein nettes Bild von dir und einem dieser Männer. Mach dir keine Sorgen, das wird schon wieder."
„Ich soll mir keine Sorgen machen?", fragte ich fassungslos. „Da draußen laufen Leute mit Fackeln herum und schreiben an Hauswände, dass sie mich stürzen wollen, sobald du abdankst! Dann werden sie sicherlich auch keinen Halt davor machen mich umzubringen, sobald sie mich in die Finger bekommen!"
„Wilhelmina, beruhige dich. Soweit wird es nicht kommen." Die Worte meines Vaters beruhigten mich kein bisschen.
„Ach nein? Jo Cox wurde auch umgebracht und da ging es nur um den Brexit! Warum sollte es also bei mir anders sein?" Ich sprang auf und stürmte zu Tür.
„Wilhelmina!" Die Stimme meines Vaters donnerte durch den ganzen Raum, aber diesmal gehorchte ich ihm nicht wie eine Marionette.
„Ich muss das erst verarbeiten."
Tränen verschleierten meine Sicht, als ich auf mein Zimmer stürmte. Entsetzt schnappte ich nach Luft. Die schlimmsten Szenarien spielten sich vor meinem inneren Auge ab. Ich erstochen in einer dreckigen Gasse. Oder ich erschossen während einem öffentlichen Event.
Die Geschichte zeigte, wie einfach es war einen Thronfolger aus dem Wegzu schaffen. Auch wenn das hier das einundzwanzigste Jahrhundert war, manche Dinge änderten sich nie.
„Willow." Emmetts sanfte Stimme ließ mich herumwirbeln.
„Die werden mich umbringen", keuchte ich. „Die werden mich aus dem Weg schaffen wie ein unwürdiges Stück Dreck. Das Volk hasst mich schon immer. Und jetzt finden sie endlichen einen Grund das zu beenden."
„Niemand wird dich umbringen Willow. Bis jetzt sind es nur Randale und harmlose Demonstrationen, aber sie werden dir nichts antun."
„Das kannst du nicht wissen", schniefte ich.
„Doch." Er kam auf mich zu und nahm mein Gesicht in beide Hände. „Willow, sieh mich an. Dich wird niemand umbringen, verstehst du?Weil ich nicht zulassen werde, dass dir irgendjemand auch nur ein Haar krümmt. Ich werde alles tun, um dich zu beschützen, das verspreche ich dir."
Emmett küsste mich auf die Stirn, dann zog er mich in eine feste Umarmung. Ich fühlte mich in seinen Armen sicher, das war wenigstens ein kleiner Trost.
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An dieser Stelle ein riesieges Dankeschön an alle, die hier immer fleißig Voten und Feedback da lassen. Ihr seid die Besten!
Bleibt gesund, Debbie
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