Kapitel 12

Während Emmett sich umzog, inspizierte ich ebenfalls meine Reisetasche. Der Bleistiftrock und die Bluse, waren wohl kaum ein passendes Outift für dieses Wochenende.

Doch zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass meine Tasche nur solche Art Outfits enthielt. Warum hatten Lucy und ich nicht daran gedacht, etwas bequemeres einzupacken?
Vielleicht weil so etwas wie Jogginghosen mein Kleiderschrank gar nicht hergab.

Seufzend verließ ich das Zimmer und klopfte an Emmetts Tür, die einen Spalt weit offen stand.

„Emmett?"
„Ein Moment."

Ich hörte Schritte dann wurde die Tür ganz geöffnet und Emmett zog sich dabei das T-Shirt vollständig herunter, sodass ich gerade noch seine straffe Haut über den trainierten Muskel erhaschen konnte. Verdammt.

„Ähm." Ich lief rot an, als ich ihm wieder ins Gesicht sah. „Ich wollte fragen, ob du mir vielleicht eine Jogginghose oder so leihen kannst. Warum auch immer habe ich nur Sachen dabei, mit denen ich eine Parlamentssitzung bestreiten könnte." Nervös kratzte ich mich am Hinterkopf.

Emmett lachte mich zuerst aus, dann übergab er mir aber doch eine seiner Jogginghosen und einen Hoodie.

„Wir sehen uns unten." Dann war er auch schon im Erdgeschoss verschwunden.

Als ich mich schließlich umgezogen im Spiegel betrachtete, fiel mir auf, dass sowohl Hose als auch Pulli schwarz waren. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich begriff wie aufmerksam mein Bodyguard eigentlich war. Er hatte sich nie darüber beschwert, dass ich nur schwarz trug oder versucht es mir auszureden. Anders als alle anderen.

Besagter Mann prustete, als ich in den viel zu großen Klamotten schließlich die Küche betrat. Die Hosenbeine hatte ich umkrempeln müssen, damit ich nicht darüber stolperte und den Hosenbund musste ich extrem zuschnüren, damit er überhaupt an meinen Hüften hielt.

„Kann ich etwas helfen?", fragte ich Susan, um nicht unschlüssig herumzustehen.

„Nein, danke Liebes. Du kannst dich schon nach draußen auf die Terrasse setzten, wir sind hier gleich fertig."

Eine Glastür führte von der Küche hinaus in den Garten, dessen Blumen in den fröhlichsten Farben blühten und das Gemüsebeet ebenfalls schon seine Schätze hervorbrachte.

Die Hündin, die auf den Namen Maddox hörte wie Susan mir zu Beginn verraten hatte, kam schwanzwedelnd auf mich zu. Meine Streicheleinheiten schienen ihr zu gefallen, denn sie wich mir fast nicht mehr von der Seite.

Aus der Küche nahm ich leise Stimmen wahr, bis Susan sich schließlich empörte. „Bist du verrückt, du kannst ihr doch nicht diese alten Tassen vorsetzen. Wir haben die nächste Königin von England im Haus, also hol' das gute Porzellan aus dem Schrank."

Leise lachte ich, während Maddox mich mit schief gelegtem Kopf neugierig ansah. Auch wenn Susan es gut verbarg, eine Prinzessin im Haus zu haben machte selbst sie nervös.

Obwohl die Sonne langsam unterging, waren die Temperaturen herrlich warm um den Abend auf der Terrasse ausklingen zu lassen. Nachdem wir Tee getrunken hatten, hatte Susan das Abendessen in den Ofen geschoben. Noch immer weigerte sie sich, mich helfen zu lassen und versuchte mich ständig davon abzuhalten den Tisch abräumen zu wollen. Ich setzte mich allerdings lachend durch und räumte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine.

„Das macht mir wirklich nichts aus, Susan. Im Palast werde ich ständig bedient, auch wenn ich in der Lage bin mein Teller selbst abzuräumen. Aber hier fühle ich mich schlecht, wenn ich nutzlos herumsitze."

„Also schön, so lange du nicht anfängst meine Fenster zu putzen", sie zwinkerte mir zu, bevor sie einen Hustenanfall bekam und sich entschuldigend wegdrehte.

Emmett kam sofort in die Küche. „Mum, alles in Ordnung? Du hast dich doch nicht etwa erkältet? Nimmst du deine Medikamente regelmäßig?"

„Schatz, jeder Mensch hustet. Deine Alarmglocken brauchen nicht jedes Mal durchzudrehen. Mir geht's gut. Geh und bring die Auflaufform herein." Sie scheuchte ihn lachend aus der Küche, die Emmett offensichtlich nur widerwillig verließ.

„Ist alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig. Schließlich wollte ich mich nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angingen.

„Der Junge ist ein bisschen paranoid."
Stirnrunzelnd sah ich Susan an, die seufzte und sich mit verschränkten Armen an den Küchentresen lehnte.

„Ich leide seit einigen Jahren an Multipler Sklerose", ließ Emmetts Mutter die Bombe platzen.

„Oh nein Susan, das tut mir leid." Und ich meinte das ernst. Das waren keine Worte die man einfach so daher sagte, weil einem nichts besseres einfiel. Ich wusste aus eigener schmerzhafter Erfahrung, wie es war einen geliebten Menschen durch eine Krankheit zu verlieren.

„Das muss es nicht, Liebes. Ich habe gute und schlechte Tage, aber im Großen und Ganzen geht es mir gut. Letztes Jahr um diese Zeit hatte ich eine schwere Lungenentzündung, während ich einen Schub hatte. Sie hat mich fast umgebracht. Nur hatte ich das Gefühl, Emmett leidet mehr als ich."

Unweigerlich dachte ich an meine eigene Mutter, die ungefähr zur selben Zeit gestorben war, als Susan die Lungenentzündung hatte.

„Einen geliebten Menschen zu verlieren ist nie leicht", sagte ich leise.

„Willow, es tut mir so leid. Ich rede hier davon, dass ich überlebt habe und habe gar nicht bedacht-"

„Schon gut. Du solltest dich nicht dafür entschuldigen, dass du am Leben bist. Wir wussten alle, dass Mum durch die bösartige Leukämie nicht mehr viel Zeit haben würde. So ist das eben, wir können nicht beeinflussen wer uns genommen wird."

„Emmett ist seit dieser Lungenentzündung noch besorgter als sonst. Bei jedem Anzeichen einer Erkältung dreht er am Rad. Weißt du, er will es immer allen Recht machen. Es ist ihm egal wie es ihm geht, solange alle die er liebt glücklich sind."

Sie beobachtete ihren Sohn durch das Küchenfenster, der Maddox ihren Ball durch den Garten warf. Ich folgte ihrem Blick.

„Wenn ich irgendetwas für euch tun kann, dann sag mir das bitte."

Susan lächelte nur. „Glaub mir, du tust schon genug."

Ich wandte den Blick von Emmett wieder ab, um sie anzusehen.

„Wie meinst du das?"

„Seit er im Palast arbeitet ist er ausgeglichener. Er redet sehr viel über dich. Du tust ihm gut, weißt du?"

„Susan, wir sind nicht-"

Emmet kam wieder in die Küche, sodass ich abrupt abbrach und so tat als wäre ich schwer damit beschäftigt das Geschirrtuch ordentlich zusammenzulegen. Susan räusperte sich und nahm ihrem Sohn die Auflaufform aus der Hand.

„Über was habt ihr beide gesprochen?" Emmett sah misstrauisch zwischen uns her.

„Ach nur Frauengespräche. Ich musste Willow doch über deine peinlichen Kindheitsgeschichten aufklären. Glaub nicht, dass du da herum kommst, nur weil sie eine Prinzessin ist." Susan tätschelte ihm liebevoll die Wange.

„Ich gehe jetzt ins Bett. Gute Nacht ihr beiden."

„Gute Nacht Susan. Und vielen Dank für alles."

Sie verschwand nach oben, während Emmett und ich es uns mit einer weiteren Tasse Tee auf dem Sofa bequem machten. Wir hatten das Förmliche seit langer Zeit hinter uns gelassen, immerhin übernachtete ich im Haus seiner Mutter, also legte ich dreist meineFüße über seinen Schoß, um es mir gemütlich zu machen.

„Also über was habt ihr in der Küche geredet?"

„Nichts besonderes", wich ich ihm aus.

„Das sah aber nicht so aus." Auffordernd blickte er mich an, doch ich blieb standhaft.

„Eine Dame schweigt."

Emmett lachte leicht. „Na schön, wenn du nicht darüber reden willst, reden wir eben über deine arrangierte Ehe."

Ich schleuderte lachend ein Kissen nach ihm, das er mit Leichtigkeit abfing. „Du bist ein Idiot, Emmett."

Wir verfielen in Schweigen, bis ich schließlich doch darauf einging. Ich wusste mittlerweile, dass ich Emmett diese Dinge anvertrauen konnten und er mich dafür nicht verurteilen würde.

„Manchmal wünschte ich mir, ich hätte die gleichen Möglichkeiten wie alle anderen Frauen in diesem Land. Ich weiß, dass es gewisse Pflichten mit sich bringt, die nächste Königin von England zu sein. Wir leben in einer konstitutionell-parlamentarischen Monarchie und jeder einzelne Bürger und jede einzelne Bürgerin kann über das eigene Leben bestimmen. Und ich werde dazu gezwungen zu heiraten, damit ich den Thron besteigen darf. Als wäre das nicht schon frauenfeindlich genug, muss ich auch noch so tun als würde ich mich verlieben, während alle mir dabei zusehen."

Ich pausierte kurz um Emmett anzusehen, der die Stirn runzelte, während er mir aufmerksam zu hörte. In seinem Blick lag volles Verständnis.

„Ganz ehrlich Emmett, es fühlt sich absolut erniedrigend an und so als wäre ich dagegen machtlos."

„Und wenn du das deinem Vater sagst?", schlug Emmett vor.

„Ja klar", ich lachte trocken. „Weil er ja auch so darauf bedacht ist die Gefühle seiner Töchter über das Land zu stellen. England hatte schon immer Priorität für ihn. Du kennst doch meinen Vater, er ist erst zufrieden, wenn ich endlich verheiratet bin und er aus dieser Ehe politische Vorteile ziehen kann."

Ich seufzte tief und rieb mir erschöpft über die Augen. „Auch wenn es toll klingt Prinzessin zu sein, gibt es gewisse Grenzen. Und diese Grenzen können einen erdrücken."

Emmett griff nach meiner Hand und drückte diese sanft. „Glaubst du nicht, dass du dennoch die Macht besitzt diese Grenzen zu verschieben?"

Hatte ich wirklich diese Macht? Früher fand ich den Gedanken toll, Befehle zu erteilen und alle müssten sich daran halten. Doch mittlerweile hatte ich mich dem gefügt, was mir immer wieder gelehrt wurde: Handle nach den Interessen des Volkes, nicht nach deinen.

Und ich glaubte nicht, dass die zentrale Frage war, ob ich die Macht hatte für mich selbst einzustehen. Die Frage war, ob ich den Mut dazu hatte.

„Lass uns schlafen gehen." Ich stand etwas zu ruckartig auf und entzog Emmett dabei meine Hand. Als ich mit den benutzten Tassen in die Küche ging, hörte ich ihn leise seufzen, doch dann folgte er mir.
„Gib mir die Tassen, ich räume sie ein." Er nahm sie mir ab und verstaute sie in dem Geschirrspüler.

„Danke."

„Schon gut", murmelte Emmett.

„Nein, ich meine Danke für alles."

Er drehte sich etwas verwirrt zu mir um. An die Küchenzeile gelehnt, nestelte ich nervös an den zu langen Ärmeln des Hoodies herum und vermied es Emmett anzusehen.

„Danke für alles was du für mich tust. Dass du mir zuhörst ohne mich zu verurteilen. Dass du mich hier hergebracht hast. Du bist unglaublich aufmerksam und das bedeutet mir viel."

Ich sah ihm direkt in die Augen und in ihnen sah ich all das, was ich die letzten Monate versucht hatte zu verdrängen. Tiefe Zuneigung. In diesem Moment war ich es satt so zu tun, als würde mein Herz nicht jedes Mal schneller schlagen, wenn er den Raum betrat. Ich wollte nicht mehr so tun, als würde ich nicht von ihm angezogen werden. Nur für diesen einen Moment wollte ich nicht mehr so tun, als würde ich Emmett nicht lieben.

Als er auf mich zukam wich ich nicht zurück. Seine Hand umfasste meine Wange, mit der anderen zog er mich an der Hüfte näher an sich heran. Ich war es schließlich, die die letzten Zentimeter überbrückte. Seine Lippen endlich auf meinen zu spüren jagte mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Der erste Kuss war zögerlich, unsicher und so sanft, als würden wir daran kaputt gehen, würden wir den Druck erhöhen. Emmett löste sich als Erster. Unter flackernden Liedern sah er mich an, um sicher zu gehen, dass es auch wirklich das war was ich wollte. Es war definitiv was ichwollte.

Ich umfasste sein Gesicht und zog ihn erneut zu mir herunter. Diesmal küsste ich ihn fordernder, tiefer und Emmett erwiderte es. Er drängte mich nach hinten an die Küchenzeile und dass ich unsanft mit dem Rücken dagegen prallte, war mir völlig egal. Ihn zu küssen, löste Gefühle in mir aus, die ich nie glaubte erfahren zu können.

Nur hatte ich jetzt ein Problem. Wie sollte ich eine arrangierte Ehe eingehen, wenn ich wusste wie sich das hier anfühlte?

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