Kapitel 10

An Mums Todestag herrschte eine bedrückte Stimmung im Palast. Strahlender Sonnenschein schien uns an diesem düsteren Tag verspotten zu wollen. Das Frühstück war so schweigsam wie noch nie ausgefallen und das Personal schien auf Zehnspitzen um uns herum zu schleichen, aus Angst jemand von uns könnte explodieren.

Ich hatte in den letzten Wochen fleißig meine Liste abgearbeitet und mittlerweile fast alle Männer getroffen, sodass ich bald eine engere Auswahl treffen konnte. Meine Deadline rückte auch bedrohlich nahe und in nicht einmal einem Monat, verlangte Dad eine Entscheidung.

Unter den verbliebenen Männern war zum Glück keiner mehr dabei wie Tom Derrington, sondern die meisten von ihnen waren ganz sympathisch. Wirklich überzeugt war ich allerdings nur von William Morris, James Brown, Austin Ward und Theodore Mitchell, die zusammen mit Graham in der Definitiv-Ja-Spalte gelandet waren. Diese fünf waren charmant, zuvorkommend, hatten Humor und waren trotz ihres Reichtums keine arroganten, aufgeblasenen Ärsche. Ich war mir schon fast ziemlich sicher, dass ich sie in die engere Auswahl nehmen würde.

Die anderen waren zwar auch nett, aber ich hatte sie nicht auf Anhieb sympathisch gefunden. Und als Patrick Greenwood mich auf meine schwarze Garderobe ansprach und fragte, ob ich eigentlich vor hätte das jemals zu ändern, hatte er sich selbst aus dem Rennen geschossen.
Im Großen und Ganzen war ich ganz zufrieden damit, wie es in den letzten Monaten gelaufen war. Ich hatte der Presse viel Material geliefert und versucht so freundlich wie möglich zu wirken.

Teilweise hatte es funktioniert. Auf Instagram verfolgte ich manchmal die Kommentare unter den Bildern, die ich zusammen mit Angie hochgeladen hatte. Ich fand einige nette Kommentare wie:

Schön zu sehen, dass Wilhelmina das Dating jetzt doch ernst nimmt.
oder:
Ich hoffe du findest den richtigen Mann und die große Liebe!

Hauptsächlich Frauen konnten es sich natürlich nicht nehmen, das Netz wissen lassen, welchen der Männer sie besonders süß fanden.

Ist Graham nicht total schnuckelig? @grahamlane wenn die Prinzessin dich nicht will, melde dich bei mir.

Geht es eigentlich noch heißer als Austin Ward? #teamaustin

Es wurde eine neue Beschreibung für Adonis festgelegt: Theodore Mitchell.

Aber neben den freundlichen Kommentaren, waren natürlich immer noch weniger nette zu finden. Schlimmste Thronfolgerin ever gehörte noch zu den harmlosen Nachrichten.

Doch all meine kleinen, persönlichen Erfolge schwanden an dem Tag dahin, als sich der Todestag meiner Mum zum ersten Mal jährte. Ich fühlte mich wie betäubt, fast so schlimm wie an ihrem Sterbebett.

Sogar Lucy, die in den letzten Wochen auffällig fröhlich und heiter gewirkt hatte, verhielt sich heute besonders vorsichtig. Sie musterte mich eingehend, so als wolle sie herausfinden wie schlecht es wirklich um mich stand und wie schnell ich heute explodieren würde. Ihre Versuche mich aufzuheitern, scheiterten kläglich bis sie es schließlich aufgab.

Gegen Mittag wollte ich Mums Grab besuchen und war in diesem Vorhaben alleine. Dad war schweigsamer als sonst und stürzte sich in seine Arbeit. Und Olivia war um zwölf Uhr mittags schon so dicht, dass sie kaum noch gerade gehen konnte.

Ich begegnete ihr auf dem Flur, als ich mit Emmett im Schlepptau gerade aufbrachen wollte. Meine Schwester taumelte mit einer Whiskeyflasche in der Hand durch die Gänge, ihre Haare waren zerzaust und das enge Kleid war gefährlich hochgerutscht, doch sie schien es nicht zu bemerken. „Schwesterchen", lallte Olivia, als sie uns entdeckte. „Weis su, man sollte disch in einen Farbtof werfen." Hysterisch lachte sie über ihren eigenen schlechten Witz. „Würde dir jut tun."
Gott sei Dank, war in diesem Moment kein weiteres Personal unterwegs, um sie in diesem Aufzug zu sehen.

„Ist das dein Ernst?", fragte ich fassungslos. „Du bist betrunken? Um diese Uhrzeit?" Desinteressiert führte sie die Flasche zu ihrem Mund und kippte die brennenden Flüssigkeit ihren Rachen hinunter, ohne das Gesicht zu verziehen.

„Du bist peinlich, Olivia. Eine Schande für die Familie", fauchte ich empört. Wie konnte sie diesen Tag nur so beschmutzen? Reichte es nicht, dass das der schlimmste Tag für den Rest meines Lebens sein würde? Ich konnte nur hoffen, dass sie den Palast heute nicht verlassen würde. Für die Presse wäre ihr Zustand mal wieder ein gefundenes Fressen.

In Olivias Augen blitzte Wut auf, als sie mich abschätzig anblickte. „Du bis keine Heilige, Wilhelmina. Auch wenn su sas glaubscht."
Was genau sie damit meinte, verstand ich nicht. Aber das ungute Gefühl überkam mich, dass Betrunkene immer die Wahrheit sagten.

Torkelnd tapste Oliva an uns vorbei und verlor dabei fast das Gleichgewicht. Geistesgegenwärtig stütze Emmett sie, bis sie wieder einigermaßen gerade stehen konnte. „Danke, Hübscher", kicherte sie.

Zwischen meiner Stirn bildete sich eine tiefe Furche und ich konnte über ihr Verhalten nur fassungslos den Kopf schütteln.

Meine Schwester war spätestens dann vergessen, als der Wagen vor den Mauern des Friedhofs hielt. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich musste mich stark zusammenreißen nicht jetzt schon die Kontrolle zu verlieren und zu weinen.

Emmett drückte sanft meine Hand und schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. Es war lieb von ihm, seine Anteilnahme zu zeigen, aber sein Mitleid machte es nicht besser.

Als ich dann schließlich vor dem gepflegten Grab stand, auf dem sich die Blütenköpfe der Sonne entgegenstreckten, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ausnahmsweise gestattete ich mir heute diese Schwäche, es war immerhin ihr Todestag und ich hatte jedes Recht dazu. Zum Glück verbarg eine große Sonnenbrille meine geröteten Augen. So wirkte es nach außen hin zumindest so, als würde einfach nur eine Frau fast regungslos vor einem Grab stehen.

„Ich vermisse dich so", kam es über meine bebenden Lippen. „Ich wünschte du wärst hier und könntest mir helfen. Dad ist strenger als je zuvor und versteckt sich hinter seiner Arbeit. Und Olivia ist völlig außer Kontrolle."

Vorsichtig sah ich mich um, damit auch niemand in der Nähe war, der mich vielleicht hören konnte. Emmett stand am Torbogen des Friedhofes und gab mir somit die nötige Privatsphäre. Trotzdem hatte er mich im Blick und konnte in einem Notfall sofort reagieren. Ansonsten waren nur vereinzelnd Besucher auf dem Friedhof, die von mir aber keine Notiz nahmen.

Mit einem Taschentuch tupfte ich mir die Tränen von den Wangen. Der Schmerz schien mich in diesem Moment zu zerreißen und meine Schultern begannen zu beben. Wie sollte ich das nur ohne Mutter schaffen? Sie hatte mich besser gekannt als alle anderen. Sie hatte immer die richtigen Worte gefunden und mich in liebevoller Strenge zu der Frau geformt, die ich heute war. Daneben war sie eine geschätzte Königin, die das Leid ihrer Untertanen gesehen und sich für die Schwachen eingesetzt hatte.

„Ich weiß nicht was ich tun soll, damit unsere Familie nicht völlig auseinanderbricht. Du könntest mir jetzt sagen, wie ich mich gegenüber Olivia verhalten soll. Oder würdest Dad davon abhalten, mich die ganze Zeit anzuschreien. Ich wünschte ich könnte mit dir über mein Gefühlschaos reden." Zitternd holte ich Luft. Es war so unfair, dass sie so früh hatte sterben müssen.

Ich hörte wie hinter mir der Kies knirschte und drehte mich erschrocken um. „Es tut mir Leid Willow, aber die Paparrazzi versammeln sich vor dem Friedhof. Wir sollten gehen bevor es zu viele werden."

Hastig wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, um sie vor Emmett zu verbergen. Dann räusperte ich meine Stimme, aber sie zitterte dennoch verräterisch. „Ist gut, ich komme gleich."
„Willow, es ist keine Schande Tränen zuzulassen", sagte er leise. Doch ich erwiderte nichts. Ich stand mit dem Rücken zu ihm und stierte starr auf das Grab, darauf wartend, dass er sich wieder entfernte.

Mit aller Macht kämpfte ich die neue aufkeimende Welle an Tränen zurück und wartete noch ein paar Minuten, um sicher zu gehen, dass ich mich im Griff hatte. Die Paparazzi vor dem Friedhof warteten doch nur darauf, mich in meiner Schwäche zu erwischen und diesen Erfolg wollte ich ihnen nicht geben.

Hocherhobenen Hauptes lief ich über die kleinen Kieswege zum Eingang zurück, wo Emmett auf mich wartete. Schon von Weitem konnte ich die Menge an Reportern sehen und war geschockt, dass es doch so viele waren. Sie ergötzten sich an meinem Leid, das trieb mir fast die Galle hoch.

„Bereit?", fragte Emmett, als ich bei ihm ankam. Ich nickte bloß. Dann legte er seine Hand auf meinen Rücken und dirigierte mich sanft, aber bestimmt durch die Reporter hindurch. Das Blitzlichtgewitter ging augenblicklich los, als wir in ihrem Blickfeld erschienen, doch dank meiner Sonnenbrille, blendete es diesmal nicht so extrem.

Gefühlt hunderte Reporter hatten sich zwischen uns und der Limousine positioniert und stürzten sich auf mich wie Geier auf Aas. Es vergingen keine zwei Sekunden, da belagerten sie uns von allen Seiten. Ich fühlte mich eingeengt, so als würde man mir die Luft zum Atmen nehmen. Klaustrophobie war bei mir nicht besonders stark ausgeprägt, aber in Momenten wie diesen, spürte ich wie sich mein Puls ungesund beschleunigte. Die Belagerung der Reporter, die Enge in die sich mich trieben, ließ Panik in mir hoch keimen. Ich konnte ja noch nicht einmal meinen Arm ausstrecken, ohne schon einen von diesen Aasgeiern zu berühren.

„Prinzessin Wilhelmina! Wollen Sie ein Statement zum ersten Todestag ihrer Mutter geben?"

„Eure Hoheit, sie verbringen viel Zeit mit Graham Lane. Haben Sie sich schon auf ihn festgelegt?"

„Viele ihrer Bekanntschaften haben uns in Interviews verraten, dass Sie sehr distanziert und unfreundlich bei ihren Dates waren. Können Sie dazu etwas sagen?"

Fragen über Fragen riefen sie durcheinander, der Eine lauter als der Andere, um möglichst meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich hielt den Kopf gesenkt und reagierte auf keine ihrer Fragen. Unverschämt genug, dass sie am Todestag meiner Mutter mit dieser belanglosen Männer Sache anfingen.

Emmetts Hand lag nach wie vor auf meinem Rücken. Mit der anderen schob er immer wieder Reporter zur Seite, um uns den Weg frei zu bahnen. Er übte gerade so viel Druck aus, dass er mich mit seiner Hand vorwärts schob, aber nicht zu viel um mir wehzutun. Damit sorgte er dafür, dass er mir alleine mit dieser Geste Sicherheit vermittelte.

„Königin Carolina mag zwar vom Volk vergöttert worden sein, aber nichtsdestotrotz war sie eine unfähige Frau, die es nicht verdient hat, dass sie so eine Tragödie um ihren Tod veranstalten."

Ich versteifte mich augenblicklich. Emmett versuchte mich weiterzuschieben, aber diesmal weigerte ich mich. Die klaustrophobische Panik wich unbändigem Ärger. Wutentbrannt wirbelte ich herum, um denjenigen auszumachen, der diesen Unsinn von sich gegeben hatte. Es war auch nicht schwer, denn besagter Reporter lächelte selbstgefällig.

Normalerweise verhielt ich mich so nicht, vor allem nicht in der Öffentlichkeit. Aber diese Unverschämtheit ließ bei mir die Sicherung durchbrennen. Ich holte aus und schlug dem Reporter mit Schwung die Kamera aus der Hand, die krachend auf den Boden fiel. Das Objektiv zerbrach in seine Einzelteile.

Ein allgemeines Raunen ging durch die Menge. Sofort verdoppelte sich das schnelle Klicken der Auslöser, von all den umstehenden Reportern, die diesen Moment unbedingt festhalten wollten. Natürlich provozierte die Presse einen, sie wollten es herauskitzeln, dass wir die Nerven verloren. Und heute hatte ich sie verloren.

„Sagen Sie über mich was Sie wollen! Werfen Sie mir vor, ich sei eine undankbare, verwöhnte, arrogante Prinzessin, die absolut unfähig ist den Thron zu besteigen. Schreiben Sie von mir aus tausend Artikel darüber wie kalt und unnahbar ich bin", fauchte ich. „Aber verlieren Sie nie wieder solche Worte über meine Mutter! Sie war eine unglaubliche Frau und verdient es, dass die ganze Welt um sie trauert!"

Unsanft wurde ich von Emmett am Arm gepackt und die restlichen Meter zum Auto gezerrt. Mein Fahrer hatte schon die Tür geöffnet und Emmett verfrachtete mich eilig im Inneren des Wagens, damit ich nicht noch mehr Schaden anrichten konnte.

„Das wird ein Nachspiel haben, du verwöhnte Ziege!", brüllte der Reporter, bevor die Tür zugeschlagen wurde und der Wagen sich in Bewegung setzte.

Das Adrenalin, das ich gerade eben noch empfunden hatte verschwand, stattdessen brach pure Verzweiflung über mich ein. Ich hatte mich bedrängt gefühlt, schamlos ausgeliefert, als hätte man mich nackt vor alle Menschen dieser Welt gestellt, weil diese Leute durch meine Trauer Geld verdienen wollten. Man hätte mich genauso gut mit Essensresten bewerfen können, es hätte den gleichen Effekt gehabt wie die Worte, die sie auf mich abgeschossen hatten.

Und dann hatte ich auch noch die Kontrolle verloren. Etwas was mir niemals passieren durfte. Nicht umsonst versteckte ich mich hinter einer Maske. Mein Vater würde ausrasten.

„Oh Gott", panische schnappte ich nach Luft. Viel zu schnell atmete ich ein, bekam das aber nicht mehr unter Kontrolle. „Willow, hey, sieh mich an." Emmett hatte sich besorgt zu mir herüber gebeugt. „Hyperventilier' mir hier jetzt nicht. Alles wird wieder gut, okay? Sieh mich an und dann atmen wir ganz ruhig zusammen ein und aus, in Ordnung?"

Ich zwang mich dazu meinen Kopf zu drehen, damit ich ihm in die Augen sehen konnte. „Sehr gut und jetzt atme genau wie ich. Tief ein", er atmete durch die Nase ein. „Und durch den Mund ausatmen. Einatmen. Und ausatmen."

Während ich meine Atmung an seine anglich, konzentrierte ich mich auf seine Augen um mich zu beruhigen. Ich studierte ganz genau den dunkelblauen Kreis, der sein Iris umgab. Das hellere blau das seine Iris ausfüllte und die winzigen braun-grünen Sprenkel an seiner Pupille, die man nur entdeckte, wenn man ganz genau hinsah.

Auch wenn ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, traten mir Tränen in die Augen. Ich fühlte mich schmutzig, verletzt und nicht zu vergessen: ich hatte heute auf ganzer Linie versagt. Um mich vor Emmett nicht noch mehr bloßzustellen, indem ich ihm meine Schwäche zeigte, blinzelte ich die Tränen weg.

„Es ist völlig in Ordnung zu weinen, Willow", sagte er sanft und griff nach meiner Hand, während sein Daumen kleine Kreise auf meinen Handrücken zeichnete. „Bitte verschließ dich nicht vor mir. Du brauchst vor mir nicht so zu tun, als hättest du alles unter Kontrolle."

Seine Worte brachten mich nur noch mehr zum weinen. Ein leises Schluchzen entfuhr mir, woraufhin Emmett mich in eine Umarmung zog. Mein Kopf an seiner Brust gelehnt und sein Kinn auf meinem Scheitel abgestützt, verbrachten wir den restlichen Heimweg.

Doch kaum fuhr der Wagen auf das Palastgelände, rutschte ich ein großes Stück von ihm weg. Ich wollte nicht, dass irgendwelche Angestellten uns sahen und Gerüchte in die Welt setzten. Notdürftig fuhr ich über meine Augen, um die Tränen wegzuwischen, aber ich war mir sicher, dass sie sowieso gerötet und von der Mascara ganz verschmiert waren.

Trotzdem würde ich so anmutig wie möglich auf mein Zimmer schreiten, nur um dann in meinem Bett wieder weinend zusammenzubrechen. Aber was hinter geschlossenen Türen passierte, blieb hinter geschlossenen Türen.

*****

Das Kapitel war bis jetzt mit Abstand das schwerste zu schreiben, weil es einfach nicht so wollte wie ich. Als dann auch noch mehrere Abschnitte trotz speichern verloren gingen war ich nah dran das Update heute ausfallen zu lassen. Naja wie man sieht haben wir uns doch noch zusammengerauft.

Wir gehen mit großen Schritten in die richtige Richtung und ich freue mich schon sehr!
Da Olivia jetzt auch immer öfters auftritt, würde mich dringend interessieren was ihr von ihr haltet. Findet ihr sie einfach nur unmöglich oder glaubt ihr sie trauert einfach auf ihre Art?

Wenn euch das Kapitel gefallen hat lasst doch gerne ein Like oder Kommentar da.

Debbie xx

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