30. Dreißig
Grayson
Kaias Abwesenheit raubte mir, seit der Stunde, in der sie zusammen mit Matthew den Hof verließ, wortwörtlich die Nerven. Es war wie ein Fluch, dass es mir beinahe unmöglich schien sie auch nur für ein paar Minuten aus meinem Kopf zu bekommen. Noch dazu schien Ronan mich für so untauglich einzuschätzen, dass er mir die würdige Aufgabe erteilte auf die beinahe leerstehende Eingangshalle aufzupassen.
Mit den Händen hinter meinem Rücken gefaltet, versuchte ich nicht ein weiteres Mal im Stehen in meiner Müdigkeit und in den Gedanken, an die blonde Prinzessin, zu versinken. Selbst wenn Noah in ihrer Nähe war, verbreitete sich in meinem Körper Unbehagen, wenn ich daran dachte, dass sie auch nur eine Sekunde mit dem Kronprinzen allein verbringen musste.
Ich glaubte keines Falls, dass sie zu schwach sei um sich gegen Männer zu behaupten. Aber Matthew konnte man schon fast zu einer neuen Spezies zählen. Er wusste, wie man eine gewisse weibliche Naivität zu seinen Gunsten nutzen konnte, was für mich natürlich auch nicht fremd war, doch besaß ich noch immer an mehr Anstand als Matthew.
Nachdem ich jeden Tag auf die Prinzessin aufpassen musste, war die Aufgabe, die Eingangshalle zu bewachen, viel zu lächerlich und einschläfernd. Bei meiner eigentlichen Verpflichtung stand ich zwar meistens auch nur am selben Fleck, wenigstens war es aber irgendwie unterhaltend Kaia bei ihrer Freizeit zu beobachten, ihrem Geplapper zuzuhören. Wobei dieses Geplapper meistens sogar sehr tiefgründig war.
Meine Meinung zu ihr nahm, in den letzten paar Monaten, eine drastische Kehrtwende.
Zuerst war ich der Überzeugung, dass sie eine verwöhnte, naive Adelige sei, deren Freizeit nur aus Kleidung, Prinzen und Klatsch verbreiten bestand.
Aber je näher ich sie kennen lernte, desto mehr lernte ich ihre Art zu schätzen.
Sie war weltgewandt, intelligent und ambitioniert.
Sie war stets höflich und sog jedes Wort, das man sagte, in sich auf. Manchmal machte mir ihre Fürsorglichkeit Angst, da sie mir endlich das Gefühl gab, wirklich geliebt zu werden.
Sie war ohne Zweifel eine starke Persönlichkeit, doch hatte ich etwas Angst, dass sie innerlich viel zu zerbrechlich war und ich mit einem Moment alles zerstören konnte, da sie mir viel zu viel von ihrem Vertrauen schenkte.
Mein selbsterbautes Luftschloss erreichte schon eine unglaubliche Größe, sodass ich fast einen weiteren Bodyguard, der an mir vorbei wollte, übersah. Aufgrund seiner Kleidung fiel mir sofort auf, dass es sich um einen Leibwächter von Matthew handelte. Mein Befehl war es jeden aufzuhalten, der ins Schloss wollte, und seine Personalien zu kontrollieren.
Zuerst war ich der vollen Überzeugung, meinem Gegenüber nie begegnet zu sein. Doch je näher er kam, desto mehr drehte sich mein Magen um und mein Körper versetzte sich wieder in einen komplett fremden Zustand.
„Ich müsste bitte Ihren Personalausweis kontrollieren“, sagte ich monoton, und stellte mich Matthews Bodyguard gegenüber. Kurz musste ich schlucken, da mich seine grauen Augen wie Pfeile durchbohrten. Nachdem einige Sekunden Blickkontakt, aber komplette Stille, zwischen uns herrschten, bildete sich ein spöttisches Grinsen auf seinem Gesicht.
„Oh…Grayson. Ich denke du weißt sowieso wer ich bin.“
„Theo. Matthew müsste schon längst in England sein, was machst du noch hier?“, zischte ich und baute mich vor ihm auf, was ohnehin schon schwer war, da wir auf einer Augenhöhe waren.
Theo war die einzige Person, von der ich mir sagen traute, dass sie mindestens genauso stark war wie ich.
Neben Reed natürlich.
Matthews Anhängsel konnte einen ohne Mühe in Sekundenschnelle umlegen. Ohne Zweifel hatte ich das in meiner Vergangenheit oft genug zu spüren bekommen. Meine eigene, kleine Rebellion, die ich gegen den Kronprinzen von England führte, war eben nicht ganz so gut durchdacht wie die Pläne, die ich in der gegenwärtigen Zeit durchführe.
„Matthew braucht ja wohl niemanden bei sich, der auf ihn aufpasst. Außerdem würde ich nur ihn und die Prinzessin stören“, grinste er mir entgegen.
Er wusste von dem Abend im Hotel Bescheid.
Natürlich wusste er Bescheid, er wusste alle von Matthews Machenschaften.
Wenn er nicht sogar manchmal seine Finger im Spiel mit dabei hatte.
„Sag sowas nicht“, murmelte ich gereizt und starrte ihm in seine eiskalten Augen.
Sie ließen mich nicht einmal annähernd ahnen, was er als Nächstes tun würde, so sehr hatte er sich unter Kontrolle. Aber anstatt Abstand zu nehmen, näherte er sich mir um noch einen Schritt und ich konnte nun wieder die unzähligen Narben in seinem Gesicht begutachten.
Theo hatte schon immer eine kräftige und furchteinflößende Präsenz. Nicht umsonst pflegte Matthew seine Anwesenheit. Er würde im Notfall sogar eine Kugel für seinen Befehlshaber einkassieren.
„Was willst du tun, Hübschling? Deine Prinzessin ist sowieso nichtmehr zu retten. So wie die arme Quinn eben“, knurrte er bedrohlich wobei sich sein Gesicht gefährlich verzog. Sobald er ihren Namen erwähnt hatte, spannte sich jeder Muskel in meinem Leib an und in Sekundenschnelle packte ich ihn am Kragen seines Hemds und drückte ihn mit aller Kraft gegen die Wand, an der ich vor einigen Momenten noch stand.
Doch nicht einmal nach Luft schnappen musste er.
Er starrte mir noch immer mit dem selben gelassenen und gelangweilten Blick mitten ins Gesicht.
„Du bist stärker geworden. Aber wir beide wissen, dass ein Kampf zwecklos wäre, Kleiner“, lachte er und verdrehte genervt seine Augen.
Mein Körper zwang mich jedoch sein Hemd noch fester zu packen.
Vor meinem inneren Auge spielte sich immer wieder dieselbe Szene ab.
Quinns blonder Schopf wird von einer Kugel durchbohrt und ihr Kopf sinkt leblos in den Nacken. Tiefrotes Blut trieft zwischen ihren aufgerissenen Augen hinab und tropft in gleichmäßigen Abständen auf den nackten Betonboden.
Mein Atem wurde plötzlich flach und ich schleuderte Theo erneut gegen die harten Marmorplatten, womit er wohl nicht rechnete, da sein Hinterkopf schwer gegen die Wand prallte und er zischend Luft einsog.
„Gut. Du willst es also so“, knurrte er erneut und befreite sich ohne Aufwand aus meinem Griff, drehte mich gegen die Wand und umfasste meine Kehle mit seiner übergroßen Hand.
„Ich gebe dir noch eine Chance und du lässt mich einfach gehen. “
Er übte leichten Druck aus und ich schnappte hilflos nach Luft.
So einfach war ich nicht unterzukriegen und bevor er überhaupt den nächsten Atemzug machen konnte, packte ich seinen Daumen und drehte ihn mit aller Kraft in eine viel zu unnatürliche Richtung. Die Stille im Eingangsbereich wurde von einem Knacksen und lauten Flüchen unterbrochen.
Vor mir sackte Theo nun am Boden zusammen.
„Komm schon, Theo. Es ist doch nur dein Daumen“, lachte ich hämisch und umfasste seinen muskulösen Oberarm. Mit einem Ruck zog ich ihn wieder auf die Beine.
Sein ausgekugelter Daumen hing nur noch schlaff an seiner Hand.
Da ich wusste, dass ich nicht genug Zeit hatte um zu zögern, holte ich bereits zum nächsten Schlag aus, doch mein Gegner kam mir zuvor und so landete, seine noch funktionierende Faust, mitten in meinem Gesicht.
Schmerz durchzuckte meine rechte Gesichtshälfte.
Ich taumelte einige Schritte zurück, bevor ich mich wieder sammelte und aufraffte.
Doch ehe ich ein weiteres Mal einen Angriff wagen konnte, erschien eine Pistole an der Schläfe meines Gegenübers.
„Ihr könnt euch gern wo anders die Schädeldecken einschlagen, aber nicht in einem verdammten Schloss. “
Diese Stimme würde ich selbst im Schlaf erkennen.
Reeds Zeigefinger lag schussbereit am Abzug und Theo wollte bereits nach der Waffe greifen, da kam ihm mein Bruder zuvor und verpasste ihm mit dem Griff seiner Waffe einen kräftigen Stoß gegen die Schläfe.
Ich konnte nur noch mitansehen wie Theo vor mir zu Boden sank, nachdem mein älterer Bruder ihm einen weiteren Schlag verabreichte.
Reed hockte sich neben ihn hin und fühlte seinen Puls.
„Er ist nur bewusstlos“, sagte er dann mit so einer Gelassenheit, dass es mir schon Angst machte.
Ich hätte dafür noch mindestens fünf Anläufe gebraucht und Reed schaffte es in zwei, Theo auf die Knie zu zwingen.
Nicht einmal ein gekrümmtes Haar.
„Was starrst du so? Hilf mir ihn hier rauszubringen“, lachte er mir entgegen als er nach Theos Handgelenken griff. Er hätte es ohne Zweifel auch ohne meine Hilfe geschafft, Matthews Bodyguard durchs ganze Schloss zu tragen. Aber da ich mich darüber freute, dass er einmal meine Hilfe annahm, umfasste ich seine Beine.
„Überleg vielleicht zuerst mit wem du dich anlegst. Aber denke nicht, ich würde daran zweifeln, dass du ihn erledigt hättest“, lachte Reed wieder, als wir gemeinsam Theos bewusstlosen Körper so unauffällig wie möglich zu einem der unbenutzten Dienstbotengänge trugen.
Reed wusste natürlich wer Theo war, und was wir für eine gemeinsame Vergangenheit hatten.
Ebenso wusste er, dass meine Selbstbeherrschung so gut wie nichtmehr existent war, wenn es um Quinn ging.
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written by artisticwinchestxr
Kurzes sorry dass so lange nichts kam. Schule wird von Jahr zu Jahr stressiger -. -
Grayson und Reed sind einfach ein unschlagbares Team. I love them.
Wird Grayson ohne Kaia wohl für Ärger sorgen am Hof?
Reed oder Grayson? ^^
Meinungen zum Kapitel?
Kritik und andere Anmerkungen sind immer erwünscht!
♡
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