Kapitel 8

Ich schrak auf als ich die Glocken einer Uhr hörte. Das Buch fiel polternd von meinem Schoß als ich aufsprang. Zafer sah mich scharf an.

"Was ist?"

Ich blickte durch eins der hohen Fenster nach draußen und sah die Sonne ihre letzten Strahlen durchs Fenster werfen.

"Ich muss los, tut mir leid", erwiederte ich.

Schnell hob ich das Buch auf und legte es auf den Tisch. Zafer war aufgestanden und ging voran. Ich folgte ihm schnell zum Ausgang. Er schien zu spüren, dass ich es mehr als eilig hatte. Er beeilte sich und führte mich durch die Flure auf den Hof. Er lief weiter. Ich folgte ihm. Als er nach dem Verlassen seines Anwesens immer noch an meiner Seite war, sprach ich ihn an.

"Ihr könnt mich nicht begleiten. Sollten meine Eltern wissen, dass ich mich rausgeschlichen habe, solltet ihr besser nicht dabei sein."

Ich sah wie er die Zähne zusammen biss.

"Wie weit ist es vom Markt bis zu euch?", fragte er dann.

"Warum fragt ihr?", wollte ich vorsichtig wissen.

Er deutete auf die Sonne.

"In nicht einmal fünf Minuten wird es dunkel. Ihr solltet dann nicht alleine in den Straßen unterwegs sein."

Mein Misstrauen verschwand.

"Das schaffe ich", versicherte ich ihm.

Er sah mich kurz unüberzeugt an, nickte dann aber. Erleichtert atmete ich auf und beschleunigte meine Schritte. Es wäre äußerst schwierig gewesen ihm erklären zu müssen, dass ich zum Palast musste. Wir gelangten zum Markt, wo deutlich weniger los war als heute Mittag. Ich stoppte und drehte mich zu Zafer. Er hielt mir etwas entgegen.

"Nicht vergessen, am besten zweimal am Tag auf die Hände geben."

Ich nahm die kleine Tube dankbar entgegen und dachte daran wie sanft er mir die Salbe auf den Handflächen verrieben hatte. Ich blickte auf.

"Vielen Dank, dass ich bei euch die Bibliothek nutzen durfte und natürlich auch, dass ihr mir heute geholfen habt. Das werde ich nicht vergessen."

Es war nicht nur ein Versprechen an ihn, sondern auch an mich. Ich wusste nicht, ob ich wiederkommen oder ihn wiedersehen würde, aber ich würde ihn und seine bedingungslose Hilfe immer im Gedächtnis behalten. Er nickte nur. Ich stand noch kurz unschlüssig da. Ich wollte nicht, dass es so zu Ende ging. Dieser Tag, die Erfahrungen und Bekanntschaften, welche ich gemacht hatte. Schließlich drehte ich mich um und ging.

"Mira?"

Ich wandte mich fast zu schnell zu Zafer um.

"Ja?"

Er trat ein paar Schritte zu mir.

"Ich würde mich freuen euch wieder zu sehen."

Seine dunklen Augen funkelten. Mein Herz machte einen Satz. Ich räusperte mich.

"Ich werde versuchen wiederzukommen."

Ihm dann den Rücken zuzudrehen und zu gehen, war das Schwerste, was ich jemals gemacht hatte. Es fühlte sich an als hätte man mir etwas geraubt, als müsste ich zurück in den goldenen Käfig, aus dem ich gerade erst entkommen war. Ich wagte es nicht zurück zu blicken, sondern beschleunigte meine Schritte bis ich fast rannte. Ich hastete durch die staubigen Straßen der Stadt hinaus. Ich stieg den Weg hinauf zum Palast. Es war dunkel geworden als ich die kleine Pforte erreichte, welche hinein führte. Eine Gestalt trat heraus und ich stolperte vor Schreck einige Schritte rückwärts. Panik stieg in mir auf. Es konnte doch nicht sein, dass ich kurz vor dem Ziel erwischt wurde.

"Da seid ihr ja, Herrin. Ich habe mir schon Sorgen gemacht euch sei was passiert."

Mir fiel ein Stein vom Herzen.

"Du bist es nur, Djana. Es tut mir leid. Ich habe die Zeit vergessen", flüsterte ich zurück.

Sie winkte ab und ich folgte ihr als sie in den Palast ging. Niemand beachtete uns auf unserem Weg zu meinem Schlafgemach. Ich entspannte mich sobald Djana die Tür hinter uns schloss.

"Tut mir wirklich leid, Djana. Ich war so abgelenkt. Es war unglaublich. Ich habe so viel gesehen und erfahren. Ich habe gar nicht bemerkt wie schnell die Zeit vergangen ist", entschuldigte ich mich nochmal.

Djana drehte sich zu mir um und auch ihre Schultern sackten erleichtert nach unten.

"Es ist ja alles gut gegangen. Niemand hat etwas bemerkt. Wir müssen uns nur beeilen euch für das Abendessen herzurichten."

Ich nickte. Dann legte ich die Salbe, welche ich fest in der Hand gehalten hatte auf meinen Nachttisch und begann mich auszuziehen. Das Kleid war so geschnitten, dass ich keine Hilfe brauchte. Ich liebte es für diese Freiheit. Djana ging zu meinem Kleiderschrank.

"Bitte such mir ein Kleid raus, zu dem Handschuhe passen."

Bei meiner ungewöhnlichen Bitte sah Djana stirnrunzelnd auf. Ich hob als Erklärung eine Hand. Sie keuchte auf als sie die gerötete Handfläche sah.

"Es geht schon wieder", versicherte ich ihr und tatsächlich brannten meine Handflächen nur noch ein wenig.

"Wie ist das passiert?", fragte sie und kam mit einem azurblauen Kleid wieder.

In den Händen hielt sie die passenden Handschuhe. Ich zögerte kurz, wusste nicht wie viel ich ihr erzählen konnte und wollte.

"Ich bin in Schwierigkeiten geraten, bei meiner Flucht habe ich nicht auf meine Handflächen geachtet."

Djana ließ nicht erkennen ob ihr die Antwort genügte. Aber sie sah von weiteren Fragen ab und half mir ins Kleid. Als sie fertig war, ergriff ich ihre Hand.

"Djana, ich weiß, dass du viel für mich riskiert hast und ich danke dir dafür. Es war mit einer der schönsten Tage meines Lebens."

Ich zögerte kurz und gab mir dann einen Ruck.

"Ich würde gerne nochmal in die Stadt gehen."

Über Djanas Gesicht huschten verschiedene Gefühle, zum einen Verlegenheit und Stolz, zum anderen Zweifel und Angst. Ich ließ ihre Hand los, denn ich wollte sie nicht zu irgendwas drängen.

"Warum wollt ihr unbedingt nochmal in die Stadt?", fragte sie dann leise.

Ich dachte gut über die Frage nach. Zum einen war da Zafer, der mich auf seltsame Art und Weise faszinierte. Aber er war nicht der einzige Grund. Ich sah den kleinen Jungen vor mir, der gestohlen hatte, um essen zu können. Und ich dachte an das verschwenderische Abendmahl, welches ich bekommen würde. Dann erinnerte ich mich an das Armenviertel und sah im Vergleich die golden geschmückten Wände des Palastes. Ich fühlte mich verantwortlich für das Elend in der Stadt, welches nur ein Bruchteil dessen war, welches im Land herrschen musste.

"Vielleicht, weil mich erschreckt hat, was ich gesehen habe. Es ist wie bei einem schlimmen Unglück. Ich sehe es und kann nicht wegschauen. Ich fühle mich hilflos obwohl ich so gerne etwas tun möchte."

Meine Antwort schien sie zu überzeugen.

"In Ordnung, ich helfe euch. Aber zu oft dürfen wir das nicht machen, sonst ist es zu auffällig."

Ich nickte und strahlte sie an.

"Vielen vielen Dank, Djana. Sollte es irgendwas geben womit ich mich revanchieren kann, sagt es mir ohne zu zögern."

Sie lächelte leicht zurück.

"Ich werde es mir merken."

Damit war es abgemacht.

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