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Genervt kaute Constanze an ihrem Kugelschreiber. Sie musste lernen, diese mathematische Formel auswendig auf Probleme anwenden zu können, sonst würde das mit dem Abitur nichts. Aber sie konnte einfach keinen Funken Motivation finden. Es war nicht so, dass sie schlecht in der Schule war oder lernen generell blöd fand. Doch wozu sollte sie sich um einen guten Schulabschluss bemühen, wenn sie sowieso das Familienunternehmen übernehmen würde, sobald ihre Eltern tot oder zu alt geworden waren? Ihre Zukunft war seit ihrer Geburt festgelegt. Jetzt, so kurz vor ihrem Schulabschluss, wurde ihr die Sinnlosigkeit ihrer Bemühungen um gute Noten erst recht bewusst.

Als Kronprinzessin ihres kleinen Landes hatte sie keinerlei Entscheidungen über ihr eigenes Leben zu treffen.

»Eine gute Vorbereitung auf die vielen politischen Entscheidungen, die ich eines Tages werde treffen müssen«, murmelte sie zu sich.

Mit einem weiteren Seufzen legte sie den Stift weg. Es hatte gerade wirklich alles keinen Sinn. Die Lehrer erwarteten von ihr Höchstleistungen, als wäre ihr mit der königlichen Geburt auch irgendwie eine außerordentliche Portion Intelligenz und Talent in die Wiege gelegt worden. Tatsächlich steckte hinter ihren guten Noten nur Fleiß und Interesse.

Ein kurzes Plop lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihr Handy. Grinsend sah sie, dass ihr Freund ihr geschrieben hatte. Er wollte sie erlösen von ihrem Schicksal.

Bin in zwei Minuten unten, tippte sie ein.

Das war tatsächlich das beste daran, auf ein Internat zu gehen. Ihre Eltern wussten zwar, dass sie einen Freund hatte, aber sie kannten ihn noch nicht und damit musste sie sich keine Sorgen um Verurteilung machen. Ein Junge mit langen Haaren und Tattoos wäre das letzte, was sie als zukünftigen König sehen wollten. Doch zum Glück kannten sie ihn noch nicht, und wenn sie sich erst einmal öffentlich verlobt hatten, konnten sie nichts mehr dagegen sagen.

Fröhlich lief sie die Treppe zur Lobby hinunter, welche die Flügel der Mädchen- und Jungsschlafsäle miteinander verband. Dennis wartete bereits, seine Lippen zu einem altbekannten Grinsen verzogen, die Hände tief in den Taschen seiner abgetragen Jeans vergraben.

»Du bist ein Lebensretter«, lachte sie, während sie ihm einen Kuss zur Begrüßung gab.

»Lass mich raten, du hast gerade über Mathe gebrütet?«

»Tu nicht so, als ob du dich nicht auch gerade davor drückst!"

Spielerisch schlug sie ihm gegen die Brust, doch er umfasste ihr Handgelenk sofort und hielt ihre Hand auf seiner Brust gefangen. Ernst legte er seine freie Hand auf ihre Wange und zwang sie so, zu ihm aufzuschauen: »Der Unterschied ist, dass mir Mathe leicht fällt und ich deswegen nicht lernen muss.«

Errötend blickte Constanze zur Seite: »Analytische Geometrie lag mir noch nie. Der Rest ist einfach.«

»Mein Angebot der Nachhilfe steht immer noch.«

Skeptisch zog sie eine Augenbraue hoch: »Genau, weil du mir Nachhilfe in Mathematik geben willst.«

Die Worte Nachhilfe und Mathematik hatte sie mit ihrer freien Hand mit angedeuteten Anführungszeichen versehen. Sie kannte ihren Freund zu gut, um darauf rein zu fallen. Wenn sie alleine in einem geschlossenen Raum waren, gab es eigentlich nur eines, was er wollte.

Nicht, dass sie sich beschwert hätte.

»Na gut, holde Prinzessin, dann lasse mich eben schmoren in meinem Elend.«

Sie konnte nicht anders, als darauf zu lachen: »Elend? Leidest du so sehr unter Sex-Entzug?«

»Du hast ja keine Ahnung!«

Mit Trauermiene zog Dennis sie enger an sich und schlang seine Arme um ihren zierlichen Körper. Immer noch lachend erwiderte sie die Umarmung. Am Anfang hatte sie es gestört, wie viel Sex er wollte, aber seit sie begriffen hatte, dass er kein Problem damit hatte, nur ab und zu mal welchen zu bekommen, hatte sie sich sichtlich entspannt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie vermutlich jeden Tag nur im Bett verbracht. Er ließ sie das stets spüren, doch statt unter Druck zu stehen, genoss sie seine leidenschaftliche Bewunderung. Es fühlte sich gut an, so von einem Jungen begehrt zu werden.

Spielerisch biss sie ihm in die empfindliche Haut am Halsansatz.

»Nehmt euch ein Zimmer!«, tönte da die tiefe Stimme von Johnny, dem besten Freund von Dennis, die Treppe hinunter.

Kichernd löste Constanze sich von ihrem Freund: »Du bist nur eifersüchtig, gib's zu!«

Mit toternster Miene entgegnete Johnny, während er die Treppe runterkam: »Wenn du wüsstest, was bei uns nachts im Zimmer abgeht, wärst du eifersüchtig!«

Schockiert drehte Dennis sich um: »Mensch, das sollte doch ein Geheimnis bleiben! Wie kannst du nur?«

Mit zuckenden Mundwinkeln, die deutlich zeigten, wie schwer es ihm fiel, ernst zu bleiben, entgegnete Johnny: »Sorry, Alter. Irgendwann hätte sie es eh erfahren.«

Amüsiert beobachtete Constanze, wie die beiden Jungs anfingen, sich gegenseitig aufzuziehen, doch schon wurde ihre Aufmerksamkeit von ihrem Handy abgelenkt. Stirnrunzelnd sah sie, dass ihr Vater ihr geschrieben hatte.

Bankett dieses Wochenende. Ich erwarte, dass du teilnimmst.

Jegliche gute Laune verflog. Constanze wusste ganz genau, was diese Nachricht zu bedeuten hatte. Ihre Eltern hatten ihr schon mehrmals gesagt, dass sie langsam in ein Alter kam, wo sie potentielle Heiratskandidaten kennenlernen könnte. Nicht, dass erwartet wurde, dass sie mit achtzehn heiratete. Aber eine Beziehung für vielleicht zwei Jahre, dann medienwirksam die Verlobung und mit einundzwanzig heiraten, das stellten sie sich vor. Immerhin war es bei ihnen genauso verlaufen.

Mit grimmigen Miene blickte sie zu ihrem Freund: »Meine Eltern machen ernst.«

Augenblicklich ließ Dennis von seinem Kumpel ab: »Shit. Die schmeißen ernsthaft einen Ball für dich, um dich zu verkuppeln?«

Erschlagen ließ sie sich auf die unterste Stufe der Treppe sinken: »Sie nennen es Bankett und natürlich spricht keiner davon, dass ich verkuppelt werden soll, aber... Ja, das dürfte die Intention sein.«

»Da müsste ihr wohl eure Heiratspläne ein wenig beschleunigen, was?«, meinte Johnny, der sich zusammen mit Dennis zu ihr auf die Treppe setzte.

»Ich bin vor einem Monat achtzehn geworden. Findet ihr das nicht auch ein bisschen pervers von meinen Eltern?«

Mit einer Entschlossenheit in den Augen, die Constanze so gar nicht von ihm kannte, legte Dennis ihr beide Hände auf die Schultern: »Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Deine Eltern können dir keine Ehe aufzwingen. Es gibt keine Standesunterschiede mehr, die eine Ehe zwischen uns verhindern könnte. Wir schaffen das. Gemeinsam.«

Mit Tränen in den Augen lehnte Constanze sich an ihn. Sie wünschte, er hätte recht. Sie wünschte, seine naive Weltanschauung wäre real. Doch im Gegensatz zu ihm kannte sie die Kreise, in denen ihre Familie verkehrte. Und jene Menschen waren einfach so weit von den normalen Bürgern entfernt, dass kein formelle Standesunterschied nötig war, um die Verschiedenheit deutlich zu machen. Sie besuchte ein normales Internat, gewiss. Trotzdem lernte sie, seit sie denken konnte, was es hieß, Königin des Landes zu sein. Die Männer, die ihre Eltern für sie in Aussicht hatten, waren alle Sprösslinge bedeutender Unternehmer, die auf ihre Weise ebenfalls wussten, was es hieß, für Tausende Menschen verantwortlich zu sein.

Konnte sie sich wirklich dem Willen ihrer Eltern entziehen?

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