Kapitel 20
Langsam hatte ich die Hoffnung auf ein Happy End gänzlich aufgegeben. So tiefer ich in den Fall eintauchte, so stärker hatte ich das Gefühl zu ertrinken und von schwarzen Händen nach unten gezogen zu werden. Wie viel würde noch ans Licht kommen? Und wie viel konnte ich davon noch ertragen?
,,Mrs. Royal...was machen sie denn hier?", fragte Mr Montgomery überrascht, als er in mein Büro trat, um wie jeden Morgen das Licht und die Heizung anzuschalten, sowie mir die neusten Zeitungen auf den Schreibtisch zu legen.
Ich fuhr mir mit meiner Hand über mein Gesicht und richtete mich auf. Mein Rücken schmerzte von der Nacht auf dem Sofa. Vermutlich sah ich schrecklich aus, zerzauste Haare, Augenringe...für einen Moment sah ich genauso aus, wie ich mich fühlte. Verloren.
Gerade als ich mit einer schlechten Notlüge beginnen wollte, trat Mr Montgomery in das Büro und schloss die Tür hinter sich. ,,Ich lasse Ihnen frische Klamotten bringen. Soll ich Ihnen etwas zum Frühstück bestellen? Ihr nächster Termin ist erst um zehn, bis dahin bringen wir sie erstmal wieder auf die Beine", erklärte er und lächelte mich aufmunternd an.
Daraufhin öffnete er den kleinen Getränke Kühlschrank und reichte mir eine Wasserflasche. ,,Danke...wirklich", sagte ich und nahm ihm etwas peinlich berührt die Flasche ab. Seit klein auf hatte ich es mir antrainiert nie jemand Fremden Schwäche zu zeigen, und jetzt saß ich hier. Übermüdet auf meinem Sofa in meinem Büro, wo ich das ganze Wochenende verbracht hatte. Neben meinem Mülleimer stapelten sich die Verpackungen von dem bestellten Essen.
Wie tief war ich gesunken? So tief, dass ich niemanden mehr aus meiner Familie traute. Was wurde mir noch verschwiegen?
,,Soll ich ihre Termine absagen?", fragte Mr Montgomery, welcher besorgt zu mir herab sah. Ich schüttelte den Kopf und holte tief Luft.
,,Wäre es verwerflich, wenn ich sie wieder um einen Gefallen bitte, der nicht zu ihrem Aufgabenbereich zählt?", hinterfragte ich und lehnte mich zurück, sodass ich ihm in die Augen sehen konnte. Einem mir eigentlich wildfremden Mann, der jedoch die letzten Wochen immer da war...wie mein Schatten. Er wusste mehr über mich als mir lieb war...aber wen konnte ich überhaupt noch vertrauen, wenn nicht mal meiner Familie?
***
,,Ich kann euch da rein bringen, aber wenn ihr erwischt werdet, dann kann ich euch nicht helfen", meinte Elijah, während er Fynn skeptisch musterte. Das tat er schon seitdem wir beide vor seiner Wohnungstür gestanden haben. Wobei ich nicht wusste, was mir dieser Blick sagen sollte. Vertraute er ihm nicht, oder war er eifersüchtig?
,,Das wissen wir...allein, dass du uns ins Archiv bringst, gefährdet deinen Job", begann ich und legte meine Hand an Elijahs Oberarm, sodass er seinen Blick von Fynn abwendete und mich ansah. ,,Danke, dass du das für mich machst...das bedeutet mir viel", fuhr ich fort und lächelte ihn an. Elijahs Züge wurden weich, bevor er seufzte und einen Schritt zurück ging.
,,Wir müssen uns beeilen. Sonst wird die Uni abgeschlossen und ihr kommt die ganze Nacht nicht mehr heraus", meinte Elijah, bevor er uns eine Treppe herunter führte.
,,Das war also ihre Montagsbeschäftigung?",fragte Fynn mit einem anzüglichen Lächeln, als wir einige Schritte hinter Elijah herliefen. ,,Kaum vorzustellen, aber ich hab auch ein Privatleben", entgegnete ich und stieß ihn mit meinem Ellenbogen in die Seite, sodass sein Lächeln noch eine Spur breiter wurde.
,,Und da dachte ich, dass sie wären die Vernünftige von den Royals", fuhr er fort und erntete einen wütenden Seitenblick.
Danach liefen wir schweigend den hellen Flur entlang, der uns ins innere der Kellergewölbe der Universität brachte. Hier unten befand sich das Archiv, was unser Ziel war. Eigentlich wäre ich gern mit einen meiner Brüder hier unten gewesen, aber irgendwie hatten die Bilder, die ich am Freitag gesehen hatte, einen Wunde aufgerissen. Diese Wunde war so tief, dass ich benebelt von den Schmerzen war, die sie hervorrief.
Vielleicht war es auch ein Fehler gewesen Fynn mit hierunter zu nehmen, aber alleine würde ich es nicht in kurzer Zeit schaffen, das zu finden, was ich suchte und da Fynn nur das Nötigste wusste, würde er vielleicht nicht alles zusammensetzen können, um die wahren Absichten zu verstehen.
,,Okay, hier sind wir", erklärte Elijah, als wir vor einer Tür stehen blieben, die mit einem Schloss versehen war, das nur mit einer Schlüsselkarte geöffnet werden konnte.
,,Ich geb euch eine Schlüsselkarte, die normalerweise nur studentische Mitarbeiter der Uni bekommen, so kann es nicht zu mir zurückverfolgt werden...haltet euch da nicht länger als eine Stunde auf", fuhr er fort und überreichte mir die unscheinbare weiße Karte.
,,Schreib mir bitte eine Nachricht, wenn du da raus bist...du weißt, dass du zur Zeit nicht den besten Ruf an der Uni hast", Ich nickte und wendete meinen Blick ab. Seit mehreren Wochen hatte ich die Uni nicht betreten, nicht nur, weil man mich hier anscheinend nicht mehr wollte, sondern auch, weil ich mir selbst nicht erlaubte, für einen Moment ich selbst zu sein, in einer Welt, die brannte.
Elijah nickte Fynn nochmals kurz zu und verschwand dann wieder in Richtung Erdgeschoss.
,,Ihr seid an dieser Uni angeschrieben?", fragte Fynn als ich den Lichtschalter betätigte und die Halle mit Dutzenden Regalen mit einem kühlen Licht geflutet wurde.
,,Ja, das war eine gute Ablenkung zu meinem Berufsalltag", antwortete ich knapp, während ich mein Handy entsperrte, um den Archivplan, den mir Elijah geschickt hatte zu öffnen.
,,Was studierst du?", ließ Fynn nicht locker und ließ seine Hände in die Tasche seiner dunklen Jeans gleiten. Es war das erste Mal, dass ich ihn so leger sah. Er trug eine dunkle ausgewaschene Jeans und ein dunkelroten Pulli darüber. Seine dunklen Locken waren zerzaust und unterstrichen den Kontrast, den Fynn zu Mr. Mongomery darstellte, der immer perfekt gestylte Haare und teure Hemden trug.
,,Kunstwissenschaften", meinte ich, bevor ich loslief, um das richtige Regal zu suchen. Unsere Schritte halten von den Wänden wieder, während mir eine Gänsehaut über den Rücken lief. Hier unten war es extrem kalt, aber naja so schneller wir die richtigen Akten fanden, so schneller waren wir hier wieder raus.
,,Was suchen wir eigentlich?", hinterfragte Fynn, der neben mir lief und seinen Blick durch den Raum schweifen ließ. ,,Wir suchen Zeitungsartikel von den Jahren 1997 / 1998. Um genau zusagen suchen wir nach einem Mann namens Frederik Geller", erläuterte ich und blieb vor einer Regalwand stehen, die gefüllt war mit hellbraunen Kartons, die mit einer winzigen Schrift beschriftet waren.
,,Und googeln war zu einfach, oder wie?", Fynn zog seine dunklen Augenbrauen hoch und musterte mich skeptisch. ,,Entweder du hilfst mir jetzt oder du verpisst dich", seufzte ich genervt, bevor ich mich an die Arbeit machte, um systematisch einen Karton aus dem Regal zu ziehen und die Zeitungen durchzusehen.
Nach einer Weile, wo nur das Rascheln des Papiers und das Geräusch, was die Kartons machten, wenn wir sie wieder in die Regale schoben machte, ergriff Fynn wieder das Wort. ,,Wieso Kunstwissenschaften?", fragte er als einen weiteren Karton aus dem Regal zog.
,,Vor einer geraumen Zeit habe ich regelmäßig gezeichnet. Ich war sogar kurz davor meine Werke auszustellen...", erklärte ich und musste kurz schlucken, weil ich an mein Atelier dachte, was ich schon seit Wochen nicht betreten hatte.
,,Aber dazu ist es nicht gekommen und das ist vollkommen okay. Es gibt wichtigeres", fügte ich rasch hinzu, wobei ich Fynn keine Möglichkeit gab, weiter nach zu fragen. Darüber wollte ich nicht reden. Nicht hier und nicht mit Fynn.
,,Ich hab etwas", meinte Fynn und ich drehte mich zu ihm, sodass ich auf den Zeitungsartikel schauen konnte.
22.März 1998
,,Mit Freuden geben wir bekannt, dass das erste Flugzeug von der Ingenieur-Gruppe rund um Callum McKeanzie, Frederik Geller und Nikolaj Royal den Flugplatz verlassen hat und von niemanden geringerem als dem Senator Virginias gekauft wurde. Somit ist der Grundstein einer neuen Firma gelegt...", las Fynn vor, während ich auf das gleiche Bild sah, was ich im Büro meines Vaters gefunden hatte.
,,Also hat mein Vater die Firma nicht allein gegründet...", dachte ich laut, als Fynn die Zeitung durchblätterte in Hoffnung, weitere Artikel zu finden. ,,Hat er das jemals so behauptet?", hinterfragte Fynn und ich überlegte, während ich langsam mit dem Kopf nickte.
,,Wir hatten vor ein paar Wochen Jubiläum, weder der Name Callum McKeanzie, noch Frederik Geller ist gefallen", erklärte ich etwas irritiert und machte mir ein Foto von dem Artikel, bevor die Zeitung wieder zurück in ihrem Karton wanderte. Dieses pikante Detail wurde also die ganzen Jahre unter den Tisch gekehrt...wieso?
Nach weitere Suche, stießen wir auf einen Artikel, der vielleicht alles erklärte.
12. November 1998
,,Frederik Geller verunglückte bei einem Testflug des neuen Flugzeugmodells, welches in einigen Wochen auf den Markt kommen sollte. Dabei sollen, laut Mediensprecher, die Triebwerke ausgefallen sein aufgrund eines technischen Fehlers. Dabei wurde betont, dass es sich um einen Unfall handelte...", ich schluckte, während ich den Artikel an Fynn weiterreichte, damit er selbst drüber lesen konnte.
,,Und lass mich raten, dass hat ihr Vater auch nie erwähnt oder..?", fragte er und ich schüttelte abermals den Kopf.
Wir fanden noch weitere Artikel, die beschrieben, dass durch den Unfall von Geller die Freundschaft zwischen meinem Vater und McKeanzie zerbrach...laut Medienberichten ging sie sogar im Streit auseinander, da sie sich gegenseitig die Schuld zuwiesen.
Mein Vater übernahm die Firma, taufte sie Royal Industries und über den Unfall wurde Todschweigen bewahrt. ,,Man findet nichts darüber im Internet...so als wäre es nie passiert", meinte ich resigniert und schob den letzten Karton an seinen Platz.
,,Anscheinend haben die Anwälte und Medienbeauftragten alles in ihrer Machtstehende getan, um ihren Vater den Weg zu diesem Ruhm zu ebnen", entgegnete Fynn, wobei in seiner Stimme ein bitterer Nachgeschmack mitschwang...war es ein Hauch von Wut?
Aber zum Nachfragen kam ich nicht, weil plötzlich hörten wir schwere Schritte, die auf uns zukamen und Rufe: ,,Ist hier jemand?!"
,,Fuck! Das Wachpersonal!", fluchte ich und zuckte zusammen. Wie erklärte man jemanden, dass man sich unbefugten Zugang an einem Montagabend im Universitätarchiv verschafft hat.
Fynn trat auf mich zu und legte seine Hand auf meine Schulter. ,,Vertraust du mir?", wisperte er und sah mich energisch an. Meine Augen wanderten zu seinem Gesicht und trafen die seinen. Das Nein, was ich eigentlich aussprechen wollte, blieb mir im Hals stecken, als ich bemerkte wie bestimmt er mich an sah...so als würde er keine Widerrede dulden.
Ohne Vorwarnung presste er seine Lippen auf meine und drängte sich an mich, sodass ich mit meinem Rücken gegen das Regal stieß. Ein erschrockenes Keuchen drang über meine Lippen, was Fynn schmunzeln ließ. Ich erwiderte den Kuss, da ich wusste, wieso er das tat und für einen kurzen Moment, genoss ich ihn.
Ich genoss, wie Fynn schmeckte, nach Kaffee und Pfefferminze, während seine rechte Hand sich an meine Wange legte und seine Finger über meine Haut strichen. Jede Berührung kribbelte auf meiner Haut. Wahrscheinlich war es da Adrenalin, was durch meine Adern gepumpt wurde...zumindest versuchte ich es mir so zu erklären, was dieser Mann in mir auslöste.
,,Was zum Teufel tuen sie da?!", brüllte uns ein Mann an, wobei dieser kurze Moment zwischen mir und Fynn zerplatze. Er lehnte sich etwas zurück, während er den Blickkontakt zwischen uns beiden nicht unterbrach, sondern mich sogar noch frech anlächelte.
,,Ich glaube sie sehen es ziemlich deutlich, was wir hier tuen", erklärte Fynn selbstbewusst, so als wäre nicht er hier fehl am Platz, sondern der Wachmann. Fynn beugte sich kurz wieder vor zu mir, um mir einen Kuss auf die Lippen zu hauchen, so als wären nur wir zwei hier, bevor er sich von dem Regal abstieß und mich die Kälte dieses Raumes wieder erfasste.
Er strich sich mit seinen Händen durch das braune Haar, bevor er sich wieder an den Wachmann wendete.
Vergiss das ☆ nicht, wenn es dir gefallen hat
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