Chapter 5
Ausgerechnet heute hat die Sonne sich komplett verabschiedet und grauen, tiefhängenden Wolken Platz gemacht.
"Kneifen ist nicht." Mason mustert mich und sofort bereue ich es, den kurzen Tennisrock und das knappe blaue Oberteil gewählt zu haben. Vor einer Stunde kam mir die Wahl noch genau richtig vor. Jetzt eher wahnsinnig.
"Ich denke nicht dran", erwidere ich schnippisch und grinse als ich mich von ihm wegdrehe und den Platz mustere. In einem Artikel über ihn habe ich mal gelesen, dass Tennis der Sport ist, denn er am schlechtesten kann. Hoffentlich stimmt das auch. Schlecht war er damals jedenfalls nicht. Und für einen winzigen Moment erlaube ich mir in die Erinnerung unseres gemeinsam Sommers abzutauchen. Lautes Lachen, geheimes Flüstern und wärmende Sonnenstrahlen.
Er geht auf die andere Seite und ich umfasse den Griff meines Schlägers stärker. Erwartungsvoll warte ich darauf, dass er den ersten Ball schlägt. Nicht blamieren, fleht mein Stolz und ich kann nur hoffen, dass ich die nächste Stunde irgendwie überstehe.
"Du spielst besser als ich erwartet habe", gibt Mason zu, als wir unserer erste Pause einlegen und ich muss aufpassen, dass mein Grinsen mich nicht verrät. "Fast so, als hättest du geübt", fügt er noch hinzu. Ich stemme empört meine Hände in die Hüfte. "Unterstellst du mir hier irgendwas?"
Er verdreht die Augen. "Die Pause ist beendet." Wir wechseln die Seiten und ich habe Aufschlag. So, Spaß beiseite. Bis jetzt hat jeder zwei Spiele gewonnen, das wird sich jetzt ändern.
Ich schlage den Ball und er fliegt perfekt. Entspannt lehne ich mich zurück. Doch dann. Oh scheiße. Er hat ihn. Ich mache noch zwei Schritte in Richtung Ball, bin aber viel zu weit entfernt. Wie hat er den bitte bekommen?
"Zu früh gefreut was, Len?" Er grinst und reckt triumphierend die Faust in die Höhe.
"Das passiert nicht nochmal", grummle ich zähneknirschend und nehme mir vor, mich noch mehr anzustrengen.
"Matchball", freut Mason sich wenige Minuten später und schmettert den Ball direkt vor meine Füße. Ich treffe schlecht, aber er landet noch ganz knapp im Feld.
"Haaaa", kreische ich euphorisch und strecke ihm die Zunge raus.
Sein Blick verändert sich sofort. Ich halte in meiner Bewegung inne und erlaube mir, für einen kurzen Moment, ihn zu betrachten. Seine Haare sind zerzaust, seine Haut glänzt und das Shirt entblößt an den Seiten seine Brustmuskeln. Fuck.
Seine Beinmuskeln sind auch schön zu beobachten, während er Schritt für Schritt auf mich zu kommt. Warte, was? Er macht gerade ganz locker einen Satz über das Netz und nähert sich mir. Scheiße.
Ein schneller Blick zur Seite verrät mir, dass er näher an der Tür ist als ich und außerdem verspürt mein Körper sowieso kein Bedürfnis danach weg zu laufen.
Als er vor mir stehen bleibt, bestehen meine Beine nur noch aus Pudding. Ich versuche vorsichtig und leise zu atmen, damit er nicht mitkriegt, wie viel Einfluss er auf meinem Körper hat.
Seine schwarzen, langen Wimpern senken sich leicht und sein Blick hinterlässt eine warme, prickelnde Spur auf meiner Haut. Täusche ich mich oder geht sein Atem auch unregelmäßig? Mein Blick wandert an seinem kräftigen Kiefer entlang zu seinen funkelnden blauen Augen. Sie sind so schön! Verträumt und wie in Trance nehme ich wahr, wie er sich mir weiter nähert.
Er muss das wilde Schlagen meines Herzens längst bemerkt haben. Die Art, wie er mich mustert, lässt das Blut noch schneller durch meinen Körper rauschen.
Er bückt sich, hebt den Ball auf, der neben meinem Fuß liegt, dreht sich um und geht zurück. Meine Gesichtszüge entgleisen komplett und ich starre ihm fassungslos hinterher. Was zum... War das nicht so ein Moment?
Mir bleiben nur noch wenige Sekunden um eine unbeteiligte Miene aufzusetzen und ich behalte sie, so gut es eben geht. Er spielt einfach weiter. Meine Schläge werden kraftvoller, meine Laune schlechter. Ich bin sauer. Er hat mich verarscht.
Wieder zwei unentschiedene Runden. Verdammt.
"Letzter Satz entscheidet." Mason hört sich normal an, er spielt normal und sein Gesicht ist normal. Hat er es nicht bemerkt? Da war doch etwas oder etwa nicht?
Plötzlich landet eine dicker Tropfen auf meiner Nase. Dann einer auf meiner Stirn und der nächste auf meiner Hand. Als ich nach oben schaue, ist der gesamte Himmel dunkel und es schüttet wie aus Eimern.
"Wer zuerst das Feld verlässt, hat verloren", brüllt Mason vom anderen Ende des Platzes, ich nicke nur verbissen und es geht weiter. Meine Kleidung ist jetzt schon vollkommen durchnässt und klebt an meinem Körper. Aber ich sehe es nicht ein, ich werde ihn nicht gewinnen lassen.
Und es zahlt sich tatsächlich aus, er kriegt meinen Ball nicht und ich gewinne. Heilfroh lache ich und von meiner Wut, die ich eben noch empfunden habe, ist nichts mehr da.
"Gut gespielt." Seine Augen funkeln und das Blau ist noch tiefer als sonst. Sein Blick schweift über meinen Körper, doch ich bin fest entschlossen, dass er mich nicht wieder so stehen lässt, wie vorhin.
"Danke", erwidere ich spitz und verlasse den Platz.
***
Ellens wilder Lockenschopf wippt unermüdlich neben mir auf und ab. Wir betreten Teile des Schlosses, die dem Großteil der Bediensteten meistens verschlossen bleiben. Ich bewundere ihre rot braunen Haare und wünsche mir, meine wären nicht so langweilig braun. Züchtig nennt man sowas, würde meine Mutter sagen und mich warnend ansehen.
Prinz James kommt uns entgegen und wir knicksen eilig. Er lächelt kurz und nickt uns beim Vorbeigehen zu.
"Was machen wir hier eigentlich?"
Ellen verdreht die Augen. "Du und deine Fragen." Sie schüttelt den Kopf, während sich ein amüsiertes Lächeln auf ihre Lippen schleicht. Von allen im Schloss habe ich sie am allermeisten in mein Herz geschlossen. Ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie mich nicht auf Mason angesprochen hat. Weder auf den Anruf, noch auf den Ausritt. Das werde ich ihr ewig zu Gute halten.
Wir betreten den blauen Salon, das Schlafzimmer der Königin und ich bleibe erschrocken in der Tür stehen. "Alles gut, wir bleiben nicht lange." Sie packt meinen Arm und setzt mich auf einen der Hocker, die am Rand stehen.
Sie setzt sich neben mich und erst als ich mich in ihren entspannten Gesichtszügen vergewissert habe, dass wir wirklich hier sein dürfen, sehe ich mich um. Das hellblaue, riesige Himmelbett steht rechts im Raum. Links befinden sich über zehn Menschen, jeder von ihnen läuft aufgeregt hin und her. Am Rand steht ein kleiner, dicker Mann mit Brille, der das Treiben unglücklich beobachtet. Ein anderer brüllt herum, daraufhin beeilen sich alle und laufen noch wuseliger umher.
"Was wird das?", frage ich und beobachte, wie eine Frau auf einem Frisiertisch allerlei Kosmetik und Pinseln drapiert. "Queen Beatrice lässt das erste Mal in der Geschichte ein königliches Schlafzimmer ablichten."
"Und deshalb machen die so einen Wirbel?", frage ich zweifelnd und lasse meinen Blick über die Leute schweifen, die von Sekunde zu Sekunde mehr werden. Die Stimmen sind ein einziges Chaos und ich bewundere jeden, der bei diesem Lärm noch mitkriegt, wie seine Anweisung lautet.
Als die Queen in einem schlichten, weißen, geblümten Sommerkleid den Raum betritt, herrscht augenblicklich Stille und ich werde in den Sommer von vor zehn Jahren zurück katapultiert.
Mein elfter Geburtstag war gerade erst wenige Tage her und meine Mutter hatte mir verkündet, dass wir die Sommerferien nicht zuhause verbringen. Ich war überhaupt nicht begeistert, hatte mich geweigert, meine Koffer zu packen und ins Auto einzusteigen.
Ich hatte Angst, ich hasste es, irgendwo neu zu sein, ich hasste es, aus meiner bekannten Umgebung gerissen zu werden. Ich wollte meine Wohlfühlzone nicht verlassen.
Doch als ich im Auto aufwachte, weil meine Mutter aufgeregt meinen Namen rief, war das erste, was ich sah, ein kleiner Junge mit blonden Haaren und einem unwiderstehlichen Grinsen im Gesicht. Ab dem Moment wusste ich, dass der Sommer schön werden würde. Neben ihm stand eine Frau, die der jetzt verblüffend ähnlich sah und erst jetzt begreife ich, dass ich mit elf Jahren das erste Mal die Queen von England gesehen habe.
Und genau das eben beschriebene Grinsen weht vom anderen Ende des imposanten Raumes zu mir rüber. Mason beobachtet mich aufmerksam, während ich nervös an dem hellblauen Bleistiftrock und der weißen spitzenbesetzten Bluse zupple. Ich spüre seinen Blick auf mir, während die Queen posiert und alle, mich eingeschlossen, den Atem anhalten.
Niemand wagt es zu reden und mein Hals ist so trocken, dass ich es auch nicht könnte, wenn ich müsste. Diese Tortur dauert fast eine Stunde und als wir dann entlassen werden, könnte ich nicht erleichterter sein. Endlich kann ich wieder atmen, aber mein Herzschlag scheint sich noch lange nicht beruhigt zu haben.
Sein Blick hat sich so in meine Haut gebrannt, dass ich meine, ihn noch immer zu spüren. Mein Nacken kribbelt und ich streiche mir nervös eine Strähne von der Stirn. Ellen kommt mit zwei Wassergläsern wieder und ich bedanke mich bei ihr. Dann trinke ich das Glas in einem Zug aus. Dabei werden meine Gedanken nur von einer Empfindung beherrscht. Ich brauche etwas Stärkeres.
Kurze Zeit später sitze ich mit Ellen in meinem Büro. Da es Freitagabend ist, sind kaum noch Angestellte hier und die, die es sind, befinden sich nicht in diesem Teil des Schlosses. Wehmütig betrachte ich die Bilder, die Zack mir aus Portugal geschickt hat. Das türkisfarbene Wasser, die steinigen Klippen und ein strahlend blauer Himmel, den man in England so gut wie nie zu Gesicht bekommt.
"Lenny?" Ellen schaut mich an und ich kräusle die Nase, weil ich nicht weiß, ob ich diesen Spitznamen mag oder nicht.
"Hm?", brumme ich, während ich die rote Flüssigkeit in meinem Glas hin und her schaukle. "Woher hast du eigentlich den Wein?", versuche ich abzulenken, doch sie geht nicht darauf ein.
Sie zuckt nur mit den Schultern. "Darf ich dich was fragen?" Sie rutscht etwas näher zu mir. Wir lehnen mit dem Rücken an der Wand neben meinem Schreibtisch und ich leere mein Glas bevor ich antworte.
Sei jeden Tag ein Stück mutiger, als den Tag davor, schießt es mir durch den Kopf also gebe ich mir einen Ruck und nicke.
"Mason...", beginnt sie und unterbricht sich sogleich. "Magst du ihn?"
Ich schlucke und schenke uns schnell nach, ohne ihr in die Augen zu sehen.
"Er ist ein Prinz", sage ich mit möglichst neutraler Stimme und hoffe, das Thema ist damit erledigt. Ist es nicht.
"Das ist keine Antwort auf meine Frage."
Ich schüttle frustriert den Kopf. Ich will nicht darüber reden. Am liebsten würde ich sie anschreien, aber ich halte mich zurück. "Wieso interessiert es dich so?"
"Tut es nicht", erwidert sie schulterzuckend und ihr Blick wandert zur Tür.
"Mich aber." Masons stechend blaue Augen jagen mir kleine Schauer über den Körper und ich starre ihn einfach unverhohlen an. Er trägt Jeans und T-Shirt, was selten der Fall ist, und es sollte, verdammt nochmal, nicht so verteufelt gut aussehen.
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