Chapter 3
"Dasselbe wie immer?"
Ich nicke und schließe die Augen. Meine Mutter hat, wie jeden Monat, unsere Friseurin ins Haus geholt und ich lasse meine Farbe auffrischen. Normalerweise sind meine Haare hellblond, aber meine Mutter ist der Meinung, dass sähe billig und unnatürlich aus und aus diesem Grund trage ich sie seit meinem dreizehnten Lebensjahr hellbraun.
Jegliche Diskussion mit ihr ist aussichtslos. Sie ist eine Meisterin darin, deine Argumente zu widerlegen und dich am Ende dazu zu bringen, deine Existenz zu hinterfragen. In manchen Hinsichten ist sie einfach unerbittlich.
Zwei Stunden später spaziere ich durch den St. James's Park und telefoniere mit Zack.
"Du bist gerade in Italien?"
"Ja, und morgen geht's nach Mailand."
"Wie cool!" quietsche ich und spüre den Neid, der unter der Oberfläche brodelt, nur allzu deutlich.
"El, du kannst immer noch nach kommen!" Seine Stimme hat dieselbe beruhigende Wirkung auf mich wie immer. Als würden wir nebeneinander auf seiner Couch sitzen.
Ich seufze enttäuscht auf. "Du weißt, dass das nicht geht. Ich habe einen Job. Außerdem glaube ich, dass meine Mutter mich bis ans Ende der Welt verfolgen würde, wenn ich jetzt abhaue."
"Du hast wahrscheinlich recht. Und Florence würde es schaffen, uns jeden einzelnen Tag zu versauen. Aber vielleicht kannst du mich besuchen? In drei Tagen sind wir in Portugal."
"Du weißt gar nicht, wie sehr ich mir das wünsche." Ich reibe frustriert über die Stirn. Die Sonnenstrahlen sind Anfang April noch zu schwach um gegen das raue englische Klima anzukommen, aber sie lassen den ganzen Park in einem märchenhaften Grün erleuchten.
Zack erzählt von einer Französin, die er in Paris kennen gelernt hat und ich lausche gespannt seinen Erzählungen. Er hat die Gabe, jede Kleinigkeiten so zu formulieren, als wäre sie das tollste auf der Welt. Dementsprechend interessant sind seine Geschichten. Wir telefonieren noch eine weitere Stunde und verabschieden uns dann. Wie immer fällt es mir sehr schwer und als Trost hole ich mir eine große, heiße Schokolade mit Sahne.
Ich setze mich gerade auf eine der Parkbanken, als mein Handy klingelt. Zuerst denke ich an Zack, aber als Ellens Namen auf dem Display einleuchtet, halte ich alarmiert den Atem an.
"Hallo, was ist los?", begrüße ich sie und erst im Nachhinein fällt mir auf, wie unhöflich das klingt und das meine Mutter mich dafür ordentlich lynchen würde.
"Eleonore. Gott sei Dank. Weißt du, wo Prinz Mason ist?" Im Hintergrund höre ich verschiedene Stimmen und bilde mir ein, dass auch die des Königs dabei ist.
"Nein, natürlich weiß ich nicht, wo er ist", antworte ich und bin ratlos, wieso sie ausgerechnet mich danach fragt. "Ich habe ihn gestern mit Celia gesehen. Ist etwas passiert?"
"Er muss dringend hier her kommen. Hast du eine Idee, wo er sein könnte?"
"Nein, leider nicht." Ich gehe alle Möglichkeiten durch, aber keine ist realistisch.
"Okay, schade. Falls du was von ihm hörst, ruf mich sofort an. Und du musst morgen zwei Stunden eher hier sein. Wir haben Arbeit vor uns."
"Werde ich. Aber jetzt braucht ihr mich nicht?" So nervös wie sie klingt, würde ich ihr gerne helfen.
"Nein, wir bereiten nur alles für morgen vor. Bis dann." Sie legt auf und ich spüre sofort, wie ihre Unruhe auf mich übergegangen ist. Ellen ist normalerweise immer ruhig und gelassen, genau deshalb ist sie, obwohl sie erst 22 ist, so gut in ihrem Job.
*
Obwohl sie mir gesagt hat, dass ich nicht helfen kann, fällt mir dann doch etwas ein. Es ist so gut wie unmöglich, trotzdem habe ich das Gefühl, etwas tun zu müssen. Zuhause ziehe ich mich schnell um und fahre dann fünfundvierzig Minuten mit dem Bus zum Schloss. Bei den Stallungen angekommen, sehe ich mein Lieblingspony von damals. Eine kleine Schimmelstute, die mich wiehernd begrüßt. Carl, der Stallbursche hat mir beim rein gehen gesagt, dass ich reiten könnte, wen ich will.
Am liebsten würde ich sie nehmen, aber ich kann ihr mein Gewicht, jetzt wo ich kein Kind mehr bin, wohl kaum zumuten. Ich gehe weiter und entdecke einen schwarzen großen Wallach, der mich misstrauisch mustert. Bis vor zwei Jahren bin ich fast täglich geritten, doch dann ist mein Pferd verstorben und ich war nicht bereit, wenn anders zu reiten.
Doc Higgins steht an der Boxentür. Dieser hübsche Kerl lächelt mich förmlich an. Ich putze ihn schnell und suche seinen Sattel und das Zaumzeug. Er lässt es sich problemlos anlegen. Ich sage Carl Bescheid, dass ich ausreiten gehe und führe Doc nach draußen.
Ich steige an einem Baumstamm auf und lenke ihn in die Richtung, in der ich den See vermute. Mein Unterbewusstsein sagt mir, dass ich mich lächerlich mache und er mit Celia in irgendeinem Hotel abgetaucht ist, aber ich reite weiter.
Bis auf einen kleinen Zwischenfall mit einem Reh, vor dem er sich erschreckt und einen Satz zur Seite macht, benimmt er sich tadellos. Ich treibe ihn ein bisschen an und wir galoppieren bis zum Ende der Wiese. Ich habe ganz vergessen, wie schön es sich anfühlt. Wie frei man ist, wenn einem der Wind um die Ohren weht und man nur die donnernden Hufe des Pferdes auf dem weichen Boden hört.
Nach einiger Zeit gerate ich langsam ins Grübeln. Damals kam mit der Weg irgendwie nicht so lange vor, denke ich gerade als ich an einem Wäldchen vorbei reite. Absolut nichts kommt mir bekannt vor und ich fühle mich gerade ziemlich idiotisch, weil ich einfach drauf los geritten bin. Der königliche Wald und die dazu gehörigen Wiesen sind ziemlich weitläufig.
Panisch werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr, es ist über eine Stunden her, seit ich das Schloss verlassen habe. Ich schaue auf mein Handy, aber das gibt gerade den Geist auf. Typisch, immer dann wenn man es braucht. Doc trabt fröhlich weiter, während ich mich hoffnungslos zu allen Seiten umdrehe. Kein See.
Nach weiteren zwanzig Minuten drehe ich um und erblicke nach kurzer Zeit das Schloss. Ich bin im Kreis geritten. Kein Wunder, dass ich den See nicht gefunden habe. Dabei habe ich mir immer eingeredet, dass ich einen guten Orientierungssinn hätte. Was hiermit widerlegt ist.
Das schwarze Pferd ist inzwischen durch geschwitzt und die Reitkappe, die ich vorhin in der Sattelkammer gefunden habe, wackelt unruhig hin und her. Sie ist zu groß und meine Muskeln beschweren sich schmerzlich über die ungewohnte Aktivität.
Die Hufe klappern auf dem Weg, als ich auf die Stallungen zu reite. Ich steige ab und bringe das Sattelzeug weg.
"Was denkst du dir eigentlich?"
Oh nein. Die kreischende Stimme meiner Mutter sorgt sofort dafür, dass mein Kopf augenblicklich anfängt unangenehm zu pochen. Sie hat sich neben dem Pferd aufgebaut und ihre Hände empört in die Hüften gestemmt.
"Was ist denn, Mutter?", frage ich bemüht freundlich und beginne Doc trocken zu reiben.
"Du kannst doch nicht einfach abhauen. Das ist verantwortungslos und dann auch noch mit so etwas." Angewidert deutet sie auf das bildschöne Pferd und ich schüttle nur verständnislos den Kopf.
"Ich bin erwachsen", brumme ich nur und hoffe, dass niemand dieses Theater hier mitbekommt. Es ist einfach nur peinlich. Sie antwortet nicht und ich hebe argwöhnisch den Blick. Sie ist ein paar Schritte weg gegangen und hält sich das Telefon ans Ohr.
Ich bin gerade dabei, die Hufe auszukratzen, als sich eilige Schritte nähern. Als ich hoch schaue, wünsche ich mir, dass ich es nicht getan hätte. Mason mustert mich amüsiert und ich verdrehe nur die Augen.
"Wo warst du?" Sein Blick wandert misstrauisch von Doc zu mir, ehe ich genervt die Stirn in Falten.
"Die eigentliche Frage ist: Wo warst DU?" Ich klinge gereizt und das gefällt mir überhaupt nicht.
"Hier, und du?" Genervt über dieses Frage-Antwort-Spiel drehe ich ihm den Rücken zu und gebe Doc ein Leckerli.
"Wolltest du mit dem raus? Das kannste vergessen."
Ein spitzbübisches Lächeln huscht über mein Gesicht. "Wieso wollte? Wir waren gerade zwei Stunden ausreiten."
"Niemals."
"Oh doch", mischt meine Mutter sich ein. "Nicht zu fassen, oder?"
Ein undeutbarer Ausdruck huscht über Masons Gesicht. Man könnte meinen, es sei Sorge.
"Du wirst ihn nicht nochmal reiten." Sein plötzlicher Befehlston lässt mich innehalten und abrupt umherfahren. "Und wieso bitte nicht?"
"Er ist unkontrollierbar", sagt er knapp und wendet sich ab.
"Was hat es dich zu interessieren?", murmle ich wütend und er bleibt ruckartig stehen.
Meine Mutter schüttelt fassungslos den Kopf und geht dann Richtung Schloss. Endlich. Wahrscheinlich überlegt sie sich, wie sie mir klar macht, dass man mit einem Prinzen nicht so redet. Es muss ihr echt peinlich sein, mich als Tochter zu haben.
"Was wolltest du eigentlich im Gelände?" Er baut sich vor mir und Doc auf und mustert mich unverhohlen.
"Ich wollte einfach mal wieder ausreiten." Ich zucke mit den Schultern und führe Doc in seine Box zurück, dabei hoffe ich, dass er weg ist, wenn ich mich umdrehe. Aber wie so oft ist das Glück nicht auf meiner Seite.
"Blödsinn", stellt er grinsend fest. "Du hast mich gesucht."
"Wieso sollte ich dich suchen?", erwidere ich zähneknirschend und senke ertappt den Blick.
"Ellen ruft dich an und du beschließt, mir nichts dir nichts, auszureiten? Und das obwohl du seit über einem Jahr nicht geritten bist?"
"Woher?", frage ich entgeistert und er beißt sich auf die Lippe, so als hätte er etwas gesagt, was er nicht sagen wollte. "Mason, woher weißt du das?" Er zuckt mit den Schultern und wendet sich zum Gehen. War klar, dass er jetzt geht, wo es interessant wird.
"Und du hattest übrigens Recht." Er dreht sich um und ich kneife fragend die Augen zusammen. "Ich war bei unserem See. Und morgen reiten wir gemeinsam hin." Mit diesen Worten geht er zurück ins Schloss und lässt mich völlig verdattert stehen.
Wir gehen morgen ausreiten? Zusammen?
*
Ich werfe einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Meine helle Reithose und das blaue Poloshirt sitzen und ich mache mich auf den Weg zu den Stallungen. Der Tag ist ereignislos verlaufen, aber die Vorfreude ist mit jeder Stunde gewachsen.
Mason steht neben einem braunen Wallach und einer Schimmelstute. Die beiden sind gesattelt und gezäumt.
"Kann es losgehen?"
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