Kapitel 9

Unser vorübergehendes WG-Leben war chaotisch, aber zählte definitiv zu den besten zwei Wochen meines Lebens.

Mit Maddy hatte man immer etwas zu Lachen, sei es weil sie sich beim Kochen so dämlich anstellte, oder weil sie sarkastische Witze riss, die sich meistens gegen mich richteten. Für jede spaßige Beleidigung gegen mich, bekam sie eine doppelt so heftige Beleidigung zurück.

Ich genoss es, mich mit jemanden nach Lust und Laune beleidigen zu können, ohne dass der andere gleich wütend wurde. Es war einfach nur unsere Art der Wertschätzung für einander.

Daher sah ich auch manchmal großzügig über die Unordnung hinweg, die sie in mein Loft hinterließ.

Zu meiner Enttäuschung war sie nämlich nicht so ein Ordnungsfreak wie ich. Meistens konnte ich es mir aber doch nicht verkneifen sie darauf hin zu weisen ihr Bett zu machen, oder ihre Kosmetikartikel im Bad ordentlich aufzureihen.

Nicht nur ein Mal bekam ich für diese Kommentare die Zunge herausgestreckt. „Du bist ja schlimmer als meine Mutter."

Neben den Witzen, Beleidigungen und dem Lachen bis uns die Bäuche weh taten, kamen wir vor allem aber auch auf ernstere Themen zu sprechen. Das genoss ich besonders. Gerade wenn wir auf Familie und Königshaus zu sprechen kamen, tat es gut zu wissen, dass auch in anderen Familien nicht alles perfekt lief.

Maddy telefonierte außerdem regelmäßig mit ihrer Familie, um sie auf dem neusten Stand zuhalten, begeistert von ihrem Tag zu erzählen und natürlich auch allen zu versichern, dass wir hier zusammen kein Unfug anstellten.

Ich hielt mich allerdings auch strikt an die Abmachung, die ich mit Asher und ihren Eltern getroffen hatte: Solange Maddy bei mir wohnte, würde ich sie nicht in Clubs oder auf obszöne Partys mitnehmen.

Frederic und Anabelle versuchten ständig mich zu überreden mit ihnen feiern zu gehen, aber ich blieb hartnäckig und war sogar fast ein bisschen stolz auf mich.

Mein Vorhaben den Alkoholkonsum zu reduzieren, war für mich schwieriger als erwartet. Jeden Tag kämpfte ich mit dem Verlangen nicht doch ein Schluck Wein zu trinken, was mich in ein nervöses Wesen verwandelte. Oft erwischte ich mich dabei, wie ich unruhig mit den Fingern auf den Tisch klopfte, an meinen Fingernägel knabberte oder stattdessen Unmengen an Kaffee trank wie ein Gilmore Girl.

Aber solange Maddy bei mir wohnte, wollte ich keinen Tropfen Alkohol trinken. Ich hielt durch, indem ich mir versprach zum Essen ein Glas zu genehmigen, sobald ich wieder alleine war.

Maddy blühte in ihrem Praktikum regelrecht auf. Nachdem sie in paar Tage im Verkauf verbracht hatte, begleitete sie Lesly, bevor ich sie unter meine Fittiche nahm. Mit Lesly verstand sie sich ebenfalls hervorragend, weshalb meine Assistentin nicht selten abends noch zu Besuch kam.

Da ich mich dazu entschieden hatte die Winterkollektion doch noch zu bringen, war ich eigentlich die meiste Zeit damit beschäftigt die Kollektion neu aufzurollen. Das Thema Winter Wonderland wollte ich beibehalten. Die Teile die meine Chef-Schneiderin Meredith nicht bemängelt hatten, blieben also in der Kollektion. Dennoch musste ich mehr als die Hälfte neu entwerfen, was mich ganz schön unter Druck setzte. 

Man sah mich daher also fast nicht mehr ohne Stift und Papier, da ich die meiste Zeit des Tages mit skizzieren beschäftigt war.

So auch heute.
Maddy verbrachte den ersten Tag bei mir und nachdem ich ihr ein Crash-Kurs im Skizzen zeichnen gegeben hatte, hatte ich ihr aufgetragen selbst welche zu erstellen.

„Wenn mir deine Ideen gefallen, können wir darüber reden, ob wir sie in der Winterkollektion umsetzten."

„Meinst du das ernst?" Maddys Augen wurden riesig, das aufgeregte Funkeln war daher kaum zu übersehen.

„Ich bin verzweifelt, weil ich mit der Kollektion hinterher hänge und keine vernünftigen neue Entwürfe hinbekomme. Daher nehme ich momentan alles was ich kriegen kann. Wenn du mir also etwas vernünftiges lieferst, meine ich das todernst."

Das bewirkte bei meiner Praktikantin, dass sie sich überaus motiviert über ihren Block stürzte.

Eine ganze Weile arbeiteten wir schweigend nebeneinander her, aber bei mir war irgendwie der Wurm drinnen. Ich wusste nicht, ob es an dem enormen Druck lag, auf die Schnelle etwas ordentliches zuentwerfen, oder möglicherweise daran, dass Maddys Anwesenheit mich irgendwie blockierte. Sie redete zwar nicht, aber ich hörte sie immer wieder genervt seufzen oder aggressiv mit dem Bleistift über das Papier kratzen. Bei ihr lief es wohl auch nicht so besonders gut.

Mit diesen Hintergrundgeräuschen konnte ich dennoch nicht arbeiten, weshalb ich kurzerhand einenEntschluss fasste.

„Pack deine Stifte und den Block ein, wir machen einen Ausflug."
Überrascht sah Maddy mich an. „Jetzt? Aber du musst doch arbeiten."
„Tue ich ja auch. Wir wechseln nur die Location."

Noch nicht ganz überzeugt vonmeiner Aufforderung, packte Maddy trotzdem gehorsam ihre Unterlagen zusammen.

„Werden wir nicht auffallen, wo auch immer wir hingehen?"

Ein breites Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. „Nicht wenn wir...", ich öffnete die Tür von einem der Schränke in meinem Büro, „..die hier zur Hilfe nehmen."

„Ist nicht dein Ernst." Begeistert lachte Maddy auf und inspizierte den Inhalt. Mehrere Perücken, unauffällige Hosen und Oberteile füllten den Innenraum.

„Mein Starter-Pack um ungesehen die Stadt zu besichtigen", erklärte ich stolz. „Daher bediene dich ruhig. Wir werden sie brauchen."

Während Maddy eine braune Perücke mit rotstich wählte, verwandelte ich mich in eine Brünette. In Jeans und Kapuzenpullover wagten wir uns schließlich auf die Straße. Nicht ohne vorher ein Selfie an Asher zu schicken, der unsere Aktion mit einigen lachenden Emojis kommentierte.

„Das ist so cool", flüsterte Maddy, als wir die Rolltreppe zur U-Bahn herunter fuhren.

Am Picidilly Circus holten wir uns einen Kaffee und liefen dann Richtung Harrow Park. Dort setzten wir uns auf eine Bank.

„Und was hat das jetzt alles mit unserer Arbeit zu tun?"

„Sei doch nicht so ungeduldig." Liebevoll knuffte ich Maddy in den Arm. „Wir sind hergekommen um zu beobachten. Das heißt, die Übung besteht darin dir alle vorübergehenden Menschen genau anzuschauen. Was für Kleidung tragen sie, welchen Schmuck haben sie dazu kombiniert, welche Frisur gewählt? Wie ist ihr Gang, die Haltung und was würdest du daran ändern? Es geht darum für jeden beliebigen Mensch das perfekte Outfit in deinem Kopf zu gestalten. Am besten ist, wenn du dabei sogenau wie möglich wirst. Welche Farben passen zu der Haarfarbe und dem Hautton? Und während du das machst, fallen dir hoffentlich Ideen für deine Skizzen ein."

Maddy nickte konzentriert. „Machst du das öfter? Undercover in die Stadt gehen und Menschen beobachten?"

„Hauptsächlich wenn ich mit meinen Entwürfen gerade nicht weiterkomme. Andere Menschen zu beobachten, Kaffee oder Tee und frische Luft helfen mir am meisten um Inspiration zu finden. Natürlich kann es sein, dass es bei dir nicht so funktioniert wie bei mir und du deine eigene Methode entwickeln musst. Aber versuche es einfach mal und dann sehen wir, wie gut es klappt."

Maddy war ein lernfreudige Schülerin. Sie meckerte nicht, sondern probierte alles aus was man ihr sagte.

Mir half der Ausflug enorm, daher hatte ich nach einer Stunde mehrere Teile entworfen, die Potenzial hatten, in der endgültigen Kollektion zu landen.

„Und?", fragte ich meine Schülerin, nachdem ich von Maddy eine ganze Weile nichts mehr gehört hatte.

„Deine Übung war nicht schlecht. Aber ich bin mit den Skizzen noch nicht so zufrieden, dass ich sie dir zeigen möchte."

Ich nickte verständlich. „Dann lass und wieder zurückgehen. Meine Schwester erwartet uns zum Essen und sie wird ungemütlich, wenn wir mit Unpünktlichkeit glänzen."


„Ihr seid zu spät." Willow begrüßte uns mit einem verkniffenen Lächeln.

Wäre ich alleine gekommen, hätte ich mir sicherlich eine Strafpredigt anhören müssen.

Maddy wurde von meiner Familie herzlich begrüßt. Häufig vergaß ich, dass Emmett sie recht gut kannte. Immerhin hatte er einige Monate am dänischen Königshof als Asher's Bodyguard gearbeitet.

„Vielen Dank für die Einladung", bemerkte Maddy, nachdem die Begrüßungen endlich vorbei waren.

Immer wenn Maddy an einen neuen Ort kam, fühlte sie sich gleich wie zu Hause. Das merkte man auch jetzt, als sie mit Emmett Witze riss, oder Carolina auf den Arm nahm, ganz begeistert von dem kleinen Zwerg. Sie hatte diese unkomplizierte Art, die sie mit allen Menschen auskommen ließ, egal wo sie war.

Ich beneidete sie immer mehr darum.

Während Maddy meine Nichte in den Speisesaal trug und ihr dabei in kindlicher Stimme alle möglichen Geschichten erzählte, fing ich mir von Willow einen vorwurfsvollen Blick ein.

„Das ist die Art wie du mit deiner Nichte umgehen solltest", wollte sie mir damit sagen, aber ich ignorierte sie mit voller Absicht.

Ich konnte einfach nicht mit Kindern. Was nicht bedeutete, dass ich niemals selbst Kinder haben wollte. Nur eben noch nicht jetzt. Irgendwie wartete ich darauf noch erwachsen zu werden, um so eine Verantwortung zu übernehmen.

Manchmal hatte ich das Gefühl ich könne mich nicht mal selbst versorgen, wie sollte ich das also mit einem kleinen unfähigen Wesen bewerkstelligen?

„Mathilde, wie geht es deinen Eltern?", war das Erste, was Dad fragte, nachdem wir uns alle an den Tisch gesetzt hatten und die Vorspeise aufgetragen wurde. „Ich habe Albert und Victoria schon lange nicht mehr gesehen."

„Ihnen geht es gut, sie lassen euch herzlich grüßen. Momentan sind sie voll und ganz mit den Vorbereitungen des Maskenballs beschäftigt."

„Ach ja der Maskenball. Die Einladungen sind diese Woche angekommen. Vielen Dank dafür, wir kommen gerne", sagte meine Schwester in ihrer üblich diplomatischen Stimme.

„Bin ich die Einzige, die keine Ahnung hat um welchen Maskenball es sich handelt?" Verwirrt blickte ich in die Runde. So wie es aussah, war ich wirklich die Einzige die nicht wusste um was es ging.

„Wir hatten noch keine Gelegenheit dir die Einladung zukommen zu lassen." Willow lächelte ich mitleidig an. Was sie eigentlich meinte war: „Wenn du dich nicht vor deinen Pflichten gedrückt hättest und noch im Palast wohnen würdest, würdest du wissen um was es geht."

„Wir veranstalten einen Maskenball am einunddreißigsten Oktober", klärte mich Maddy gütigerweise auf.

„Soll das so etwas wie eine Halloween Party sein?"

„So in etwa. Wir dachten uns, warum Halloween nicht in etwas Sinnvolles verwandeln? Daher haben wir Bekannte aus dem dänischen und britischen Adel eingeladen und euch natürlich. Während des Abends werden wir Spenden sammeln, die dann an das Waisenhaus gespendet werden, das Leonora mit ihrer Wohltätigskeitsarbeit unterstützt. Außerdem sollen die Gäste sich kreative Kostüme überlegen und natürlich eine Maske tragen. So wird das Ganze etwas lustiger."

Mein kreatives Herz sprudelte bei Maddys Erklärung sofort über vor lauter Ideen für ein Kostüm.

„Ich habe deine Einladung hier." Dad zog aus seiner Jackett Innentasche einen edlen, schwarzen Umschlag heraus, auf dem mit goldenen, geschwungenen Lettern mein Name geschrieben war.

Fast schon ein wenig ehrfürchtig, fuhr ich über die Buchstaben, bevor ich den Umschlag öffnete und die Einladung las. Sofort stich mir die handschriftliche Notiz am Ende der Einladung ins Auge.

Du schuldest mir noch einen weiteren Tanz!

                                      Ash x

Ich biss mir auf die Lippen um mein breites Grinsen zu verbergen, aber ich konnte meine Gesichtszüge nicht völlig kontrollieren. Sobald Ashers Name fiel, hatte ich gar nichts mehr unter Kontrolle. Weder meine Gedanken, noch meine Gesichtszüge, noch mein Herz, noch sonst irgendwas. Vermutlich saß ich da und grinste wie der letzte Depp.

Meine Gedanken rasten voll Vorfreude auf den Maskenball, auch wenn es bis dahin noch einige Wochen waren. Die Tatsache dass Asher mir eine ganz persönliche Nachricht hinterlassen hatte, wollte mich vor Freude jauchzen lassen.

Er wollte an diesem Abend mit mir tanzen und verdammt, das würde ich machen. Ich würde mit ihm tanzen, bis meine Füße wund waren.

Eilig schob ich die Einladung zurück in den Umschlag, bevor noch jemand die zusätzliche Nachricht entdeckte.

Vorsichtig hob ich meinen Blick, um mich zu vergewissern, dass die anderen mich nicht beobachten. Aber meine Sorge war unbegründet, da sie sich angeregt unterhielten und auf mich gar nicht achten.

Doch dann blieb mein Blick an Emmett hängen, der mich ganz genau im Auge hatte. Er zog fragend eine Augenbraue nach oben und hatte dabei sein typisches Grinsen aufgesetzt. Ihm war also nicht entgangen, dass die Einladung mich zum Lächeln gebracht hatte. So wie ich Emmett kannte, hatte er bestimmt durchschaut, dass auf der Karte etwas stand, was auf den anderen nicht zu finden war.

Ich zuckte nur unbeteiligt mit den Schultern und tat so, als würde ich voll und ganz das Gespräch verfolgen. Maddy erzählte gerade von ihren Geschwistern, von Leonora's Arbeit, den Reden die sie schrieb und bei politischen oder wohltätigen Veranstaltungen hielt. Sie hatte durch und durch eine rhetorische Begabung.

Ich hatte mir ein paar ihrer Reden auf YouTube angesehen und war fasziniert von der Art wie sie Leute in ihren Bann ziehen konnte. Den Rest an ihr fand ich leider noch nicht so wirklich sympathisch.

Auch Asher erwähnte sie kurz.
Willow interessierte sich aber hauptsächlich nur für die Themen die mit seinem Unterricht über die Thronfolge zu tun hatte.

Gerade als Willow eine weitere Frage zu der dänischen Thronfolge stellen wollte, gab mein Smartphone mehrere Töne von sich. Meine Schwester bedachte mich mit einem strafenden Blick, der mich eine halbherzige Entschuldigung nuscheln ließ.

Ich holte das Smartphone aus der Tasche um es eigentlich auszuschalten, aber es hörte fast gar nicht mehr auf Töne zu machen. Scheinbar wurde ich gerade mit hunderten von Nachrichten bombardiert und in unzähligen Beiträgen auf Instagram und Twitter markiert.

Neugierig was da los war, öffnete ich die Nachrichten von Lesly, die mich ganz aufgeregt darum bat, mir unbedingt den angehängten Link anzusehen.

Ohne groß darüber nachzudenken, öffnete ich den Link und landete bei einem Artikel eines Online Magazins. Der Titel ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. 

Mode Skandal: Prinzessin Olivia Henstridge beutet Kinder in Indien aus!

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