Kapitel 8

Schon den ganzen Tag rannte ich nervös durch meine Wohnung.

Ich hatte sie einmal komplett auf den Kopf gestellt und sie ordentlich geputzt, da ich hohen Besuch erwartete. Kein einziger Staubkorn war von mir verschont geblieben. Obwohl ich an sich eine ordentliche Person war und regelmäßig penibel alles putzte, war ich mir ziemlich sicher, dass meine Wohnung noch nie so geglänzt hatte.

Mit einem Blick auf die Uhr, räumte ich noch eilig Zeitschriften zusammen, die quer auf meinem Wohnzimmertisch verteilt waren. Dann klingelte es auch schon an der Tür.

Der Bildschirm neben dem Eingang, zeigte Asher und Maddy auf der Straße. Albert und Victoria hatten Maddy ein Praktikum bei mir schließlich doch erlaubt, worüber ich mich wahnsinnig gefreut hatte.

Ich war mir ziemlich sicher, dass Maddy mit der Gabe der Manipulation des jüngsten Geschwisterteil erfolgreich gewesen war. Da ich selbst die Jüngere war, kannte ich mich damit auch gut aus. Aber egal wie sie ihre Eltern dazu gebracht hatte, uns standen jetzt aufregende zwei Wochen bevor, in denen Maddy bei mir wohnen würde.

Ich drückte den Türöffner und hörte sie kurz darauf das Treppenhaus hoch kommen. Ein letztes Mal fuhr ich mir durch die Haare und überprüfte meine Wohnung auf Sauberkeit.

„Jane Smith als Deckname auf dem Klingelschild. Sehr originell", kommentierte Maddy, nachdem wir uns begrüßt hatten.

„Der Name ist unauffällig, weil es ihn wie Sand am mehr gibt. Aber hauptsächlich habe ich ihn wegen dem Film Mr & Mrs Smith ausgewählt. Da stand auf dem Klingelschild von Janes Firma auch was viel harmloseres und dabei war sie Auftragskillerin. Irgendwie gibt mir das das Gefühl, als würde ich hier meine geheime Zentrale haben."

Ich gab Asher und Maddy eine Führung durch meinen Loft, nachdem ich ihnen etwas zu trinken angeboten hatte. „Es tut mir leid, ich habe leider kein Gästezimmer. Aber du kannst gerne mein Schlafzimmer für die Zeit haben."

„Du spinnst ja", protestierte Maddy sofort. „Du bist schon so freundlich mir ein Praktikum zu verschaffen und lässt mich bei dir wohnen. Mir macht es absolut nichts aus auf dem Sofa zu schlafen. Abgesehen davon sieht es super bequem aus."

Die junge Prinzessin war von ihrem Vorhaben nicht abzubringen, weswegen ich schlussendlich kapitulieren musste. Maddy begann sofort damit auszupacken und sich einzurichten.

Asher und ich waren daher plötzlich alleine, was eine peinlich berührte Stille auslöste. Wir hatten in den letzten Wochen viel geschrieben und teilweise sogar telefoniert, als wir abgemacht hatten, wann Maddy kommen sollte. Ich war mir ziemlich sicher, dass er in den meisten Nachrichten mit mir geflirtet hatte und ich war darauf eingegangen. Doch jetzt wusste keiner von uns so genau was er sagen sollte.

„Hast du hier auch Arbeiten von dir oder fertigst du die Sachen nur in deinem Büro an?", unterbrach Asher schließlich die Stille.

„Ich habe hier ein Haufen Entwürfe. Daheim probiere ich gerne aus, da ich das Gefühl habe hier mehr Freiheit zu haben und nichts perfekt sein muss, weil es nicht in den Verkauf geht."

„Darf ich diese Entwürfe mal sehen?", fragte er und lächelte verschmitzt. Bei diesem Blick konnte ich ihm ja wohl kaum etwas ausschlagen. Also zeigte ich ihm mein Arbeitszimmer.

„Bitte ignoriere das Chaos da drin. Die meisten Entwürfe sind nur Hirngespinste und absolut furchtbar."

Mein Arbeitszimmer war mein Heiligtum. Hier arbeitete ich an Kleidungsstücken, die nur für den privaten Gebrauch gedacht waren. Ich entwarf hier Teile, die ich nicht in Kollektionen aufnahm, weil sie entweder nur Versuche waren, oder meine ganz besonderen Schätze.

Der Raum war gefüllt von Kleiderpuppen, Stoffbahnen, Skizzen und Nähmaschinen. Manche Puppen trugen Kleider, andere waren kahl. Neugierig blätterte Asher durch meine Skizzen, betrachtete die Kleidungsstücke und fuhr bedacht über den Stoff.

„Es ist beneidenswert wie talentiert du bist", sagte er leise und rau. Während er das sagte, trat er nahe vor mich und strich mir zart eine Strähne hinters Ohr. Seine Hand verweilte danach auf meinem Hals. 

Ich musste mich schwer zurückhalten, die letzten Zentimeter zu überbrücken, die uns noch trennten, um ihn zu küssen. Sein intensiver Blick durchbohrte mich, trieb meinen Puls in die Höhe. Blut rauschte mir in den Ohren und ich konnte nichts anderes mehr wahrnehmen, als seine grauen Augen und die Hand an meinem Hals. Alles andere um uns herum rückte in den Hintergrund. Meine Atmung beschleunigte sich und meine Lippen öffneten sich leicht. Heilige Scheiße, die Stimmung in diesem Raum knisterte gewaltig.

„Hey wo seid ihr denn?" Maddys laute Stimme ließ uns auseinander fahren und ich brachte sofort einen Sicherheitsabstand zwischen uns, um wieder klar denken zu können. Ich meinte Asher leise aufseufzen zu hören, so als sei er enttäuscht gestört worden zu sein.

„Wir sind im Arbeitszimmer."

Asher blieb noch zum Essen, bis er sich auf den Heimweg machte. Das Essen an sich war fast schon ein wenig unangenehm. Ich traute mich kaum ihn anzusehen, denn nachdem was vorhin passiert war, konnte ihm kaum entgangen sein, wie mein Körper auf ihn reagiert hatte. Immerhin lag seine Hand an meinem Hals, er musste also meinen rasenden Puls gespürt haben.

Maddy schien von der elektrischen Spannung nichts mitzubekommen. Sie führte wie immer fröhlich das Gespräch.

Asher verabschiedete sich schließlich endgültig und zog Maddy in eine feste Umarmung. „Sei brav", nuschelte er in ihre Haare. „Mach Liv nicht so viel Arbeit und hör auf sie. Zumindest was das mit der Mode angeht."

„Hey", beschwerte ich mich, woraufhin Maddy kicherte.

„Ich werde mich benehmen, versprochen. Danke, dass du mich hergebracht hast."

„Keine Ursache. Und meldet euch oft. Ich werde mich über Liv auf dem Laufenden halten, was ihr so treibt."

Den liebevollen Umgang, den die beiden miteinander pflegten, versetzte mir einen schmerzhaften Stich. Ich war tatsächlich ein wenig eifersüchtig auf diese geschwisterliche Liebe. Das hatte ich mir auch immer gewünscht, stattdessen wurde ich von meiner Schwester immer nur heruntergemacht.

Asher zog auch mich in eine Umarmung, die etwas länger andauerte als sonst. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein. Er sah  mich an unschlüssig, was er sagen oder tun sollte und warf daher einen kurzen Blick auf Maddy. Ich verstand und lächelte. Solange sie anwesend war, würde er nicht darauf zu sprechen kommen, was vorhin passiert war. Aber vielleichthatten wir die Möglichkeit irgendwann in einer ruhigen Minute darüber zu reden.


„Ist ja abgefahren".

Ich hatte aufgehört mitzuzählen, wie oft Maddy schon diese Aussage gemacht hatte, aber es war sehr häufig an diesem Morgen.

Es war ihr erster Tag in der Firma und ich gab ihr zuerst eine Führung. Wir hatten die Stockwerke für den Verkauf angesehen, wo ich ihr gezeigt hatte wie und wo wir die Maße von den Kunden nahmen und sie war ganz begeistert von der Einrichtung und Dekoration der Boutique gewesen. Neugierig hatte sie schließlich den Schneiderinnen über die Schulter geschaut und stand nun staunend in meinem Büro.

„Ich hatte mir gedacht, du schnupperst einfach in alle Bereich hinein. Ein paar Tage im Verkauf, da kannst du dich darin üben Kunden zu beraten. Dann kannst du mir beim erstellen von Ideen und Skizzen über die Schulter schauen, Lesly in der Organisation unterstützen und dich natürlich selbst an der Nähmaschine versuchen."

Maddy nickte begeistert. „Das klingt toll."

„Gut, dann schlage ich vor du fängst im Verkauf an. Wir haben nachher ein Meeting wegen der anstehenden Winterkollektion. Da würde ich dich dazu holen."

Ich schickte Maddy also wieder nach unten. Wie ich hörte schlug sie sich dabei auch ganz gut. Sie arbeitete fleißig und saugte alles auf, was man ihr sagte. Auch bei dem Meeting machte sie sich eifrig Notizen.

Kurz vor Ladenschluss sah ich mir Maddy in Aktion an, da ich den ganzen Tag oben in meinem Büro verbracht hatte und mir selbst ein Bild von ihr machen wollte. Als ich runter kam, war Maddy gerade mit einer Kundin beschäftigt.

Sie wirkte voll in ihrem Element, führte die Dame an den Ständen vorbei, zeigte ihr Kleidungsstücke und beriet sie. Während sie mit der Frau sprach, hatte sie stets ein Lächeln auf den Lippen und war sehr zuvorkommend. Nachdem die Frau ein passendes Kleid gefunden und den Laden zufrieden verlassen hatte, kam Maddy strahlend auf mich zu.

„Es macht so viel Spaß die Menschen zu beraten!"

Ich klopfte ihr lächelnd auf die Schulter. „Wie ich so gehört und gesehen haben, hast du dich heute sehr gut geschlagen. Was hältst du davon, wenn wir jetzt nach Hause gehen und uns was Ordentliches kochen?"

„Oh ja, ich bin am verhungern", seufzte Maddy.

Ich musste allerdings feststellen, dass Maddy in der Küche keine große Hilfe war. Selbst beim Gemüse schneiden war sie eine absolute Katastrophe und nachdem sie sich beim Zwiebeln zerkleinern, fast ihrer Fingerkuppe entledigt hatte, jagte ich sie aus der Küche.

„Geh und ruf deine Familie an. Erzähl ihnen von deinem Tag, da läufst du zumindest nicht Gefahr dich zu verletzten", kicherte ich.

Bevor ich ausgezogen war, konnte ich auch nicht kochen. Wozu auch, wir hatten dafür ja Personal. Aber als ich dann alleine wohnte, wollte ich mich auch selbst versorgen können. Mit Kochbüchern bewaffnet hatte ich mich an die Herausforderung gewagt und nach tränenreichen Aktionen, sowie Unmengen verbrannte Lebensmittel, waren meine Gerichte tatsächlich essbar.

„Ash lässt dich grüßen", ließ Maddy mich wissen, als sie wieder in die Küche kam.
Schmetterlinge vollführten einen Tanz in meinem Bauch, als sie seinen Namen erwähnte.

Nach dem Abendessen kam Lesly vollbeladen mit Skizzen vorbei. Sie war eine der wenigen, die einen Schlüssel zu meiner Wohnung besaßen.

Mit einem Ächzten ließ sie die Skizzen auf meinen Wohnzimmertisch fallen. „Ich war bei Meredith in der Schneiderei wegen der Winterkollektion", sagte sie außer Atem. „Und ich komme mit schlechten Nachrichten."

Ich stöhnte auf. „Will ich sie dann überhaupt hören?"
„Ich schätze das musst du."

Wenig begeistert setzte ich mich zu ihr auf's Sofa und hörte mir an, was sie zu sagen hatte.

„Meredith meint, die Hälfte der Teile sind nicht umsetzbar. Ich war so frei und habe die betroffenen Skizzen mit einem x markiert."

Ich ging meine Skizzen noch einmal durch und musste feststellen, dass die meisten Teile markiert worden waren.

„Die Schnitte seien zu kompliziert. Wie beispielsweise dieses Kleid." Lesly zeigte auf ein eisblaues Kleid, das eines meiner Lieblingsentwürfe gewesen war. „Oder die Reißverschlüsse an den Röcken und besonders an der beigen Lederhose."

„Aber die sind doch nur zur Zierde."

„Ja, aber Meredtih meint, wenn sie die Reißverschlüsse annähen, können sie die Taschen nicht so umsetzen wie du es dir vorgestellt hast. Das sei zu kompliziert. Sie findet deine Entwürfe toll, aber zu ausgefallen um sie wirklich umzusetzen."

„Kompliziert heißt aber nicht unmöglich", warf ich ein. „Das heißt es gibt Schneiderinnen, die das hinbekommen?"

„Vermutlich ja, aber die verlangen dann ein abnormal hohes Honorar und das können wir uns nicht leisten. Die Herbstkollektion kam zwar gut an, aber mit den Einnahmen decken wir immer noch die Kosten für die Produktion. Wir haben noch keinen Gewinn eingenommen."

„Und wenn ich es selbst probiere, ob ich die Schnitte hinbekomme?"

Lesly schüttelte den Kopf. „Das sind viel zu viele Teile die du nähen müsstest. Selbst wenn du das so hinbekommst, wie du es willst, schaffst du das niemals bis zum Launch."

Tief seufzte ich auf und fuhr mir mit den Händen durch die Haare. Das waren absolut beschissene Nachrichten.

„Und was heißt das jetzt?", fragte Maddy vorsichtig. Dass sie zugehörte hatte ich ganz vergessen.

„Das heißt ich werde die Kollektion ändern müssen. Also ganz neue Teile die realistisch sind. Und da die Kollektion Anfang Dezember erscheinen soll und wir eigentlich längst mit der Produktion und dem Marketing anfangen sollten, werden das entweder die stressigsten Monate des Jahres mit einem Haufen Überstunden."

„Oder wir müssen die Winterkollektion ausfallen lassen und bringen erst im Frühling eine neue", ergänzte Lesly.

„Das ist scheiße."

„Ja, Maddy, das hast du Recht. Das ist scheiße."

Lesly strich mir mitleidig über den Rücken. „Heute Abend kannst du nichts mehr ändern. Daher schlage ich vor, du schläfst eine Nacht darüber und entscheidest morgen, was wir machen."

„Lesly hat recht", stimmte Maddy ihr zu. „Am besten wir lenken dich heute Abend ein bisschen ab und morgen kannst du eine vernünftige Entscheidung treffen. Ein Filmabend mit ganz viel Süßigkeiten, ist die beste Medizin."

Ich lachte über ihren Eifer. „Na schön, ihr habt mich überstimmt."

Maddy jubelte. „Ich kümmere mich um die Snacks und ihr sucht den Film aus!"

Wir einigten uns schließlich auf The Lucky One, da Maddy eine Schwäche für Zac Efron hatte.

„Ich finde es Zac Efron spielt immer nur dumme Rollen. Er kann eigentlich nichts Ernstes spielen."

Für diese Meinung erhielt ich von Maddy einen Schlag auf den Hinterkopf.
„Au!", lachend hielt ich mir den Kopf. „Das ist ein freies Land, ich darf meine Meinung kundtun."

„Ja aber behalte deine Meinung für dich. Vielleicht sind nicht alle Filme von ihm toll, aber dafür sieht er wahnsinnig gut aus."

„Er hat eine Meisterleistung in Extremley Wicked, Shockingly Evil And Vile hingelegt als er Ted Bundy gespielt hat. Also finde ich hat er durchaus Talent was die Schauspielerei angeht", mischte sich nun auch Lesly ein.

„Wer ist Ted Bundy?", fragte ich verwirrt.

„Einer der berühmtesten Serienmörder Amerikas."

„Du siehst dir Filme über Serienmörder an?" Entgeistert sah ich meine Freundin an.

„Ich mag True Crime", meinte diese nur schulterzuckend und schob sich eine handvoll Popcorn in denMund.

„Wir haben ein Kind bei uns, würdest du sie also bitte nicht auf falsche Gedanken bringen, bevor mich ihre Eltern aufhängen, weil sie in den zwei Wochen bei mir verdorben wurde?", zischte ich halb ernst, halb amüsiert.

„Ich bin achtzehn und damit kein Kind mehr", korrigierte Maddy mich seelenruhig. „Und du brauchst dir keine Sorgen machen, ich bin der größte Angsthase auf der Welt. Ich werde mich also nicht einmal in die Nähe von True Crime Themen begeben."

„Ihr beide macht mich irre", seufzte ich. „Ihr seid schuld, wenn ich mit meinen jungen vierundzwanzig Jahren schon graue Haare bekomme."


*****

Na, weilen True Crime Fans unter uns? Ich bekenne mich schuldig im Sinne der Anklage.
Ich habe mich dazu entschlossen, solange es für mich möglich ist, wieder jeden Sonntag ein Kapitel hochzuladen. Momentan habe ich relativ gut vorgeschrieben und ich hoffe natürlich, ich kann diesen Rhythmus beibehalten.

HINWEIS: Die Erwähnung von Ted Bundy hat lediglich mit Leslys Interesse an True Crime zu tun, als eine ihrer Charaktereigenschaften. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich mit Ted Bundy selbst und seinen grausamen Taten NICHT sympathisiere und das hier keinesfalls respektlos gegenüber seinen Opfern und dessen Angehörige wirken soll.

In diesem Sinne bleibt gesund.

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