Kapitel 19
Vorsichtig spähte ich um die Ecke. Der Flur lag verlassen vor mir. Niemand schien in der Nähe zu sein. Auf Zehenspitzen schlich ich weiter.
Mein Ziel war mein ehemaliges Schlafzimmer, in dem ich noch einige Stoffreste gelagert hatte, die ich holen wollte.
Wie ein Ninja bewegte ich mich durch den Palast, darauf bedacht ungesehen hinein und heraus zu kommen. Auf ein Gespräch mit meiner Familie war ich nicht gerade scharf.
Seit den obligatorischen Neujahrswünschen an Silvester hatte ich mit ihnen nicht mehr kommuniziert.
Auf dem Weg zu meinem Schlafzimmer kam ich an dem Arbeitszimmer meiner Schwester vorbei. Die Tür war einen Spalt offen und ich konnte Stimmen wahrnehmen. Gerade als ich leise daran vorbei schleichen wollte, wurde ich stutzig.
„Olivia ist einfach nicht reif genug für so eine Aufgabe", hörte ich Willow sagen.
Ich blieb stehen und drückte mich an die Wand, um von drinnen nicht gesehen zu werden, aber dennoch alles gut verstehen zu können.
„Wir können doch froh sein, dass sie arbeitet und etwas macht, dass ihr Freude bereitet. Ich glaube ihr Modelabel tut ihr gut. Es ist schon eine Weile her, dass fragwürdige Artikel über ihre Partys erschienen sind."
Dad.
„Es gab vielleicht keinen Artikel darüber wie sie einem Mann die Zunge in den Halssteckt, aber dafür hatte sie schwerwiegende Vorwürfe am Hals. Die Kinderarbeitsvorwürfe haben sich als wahr herausgestellt. Dad, du musst doch auch sehen, dass Mode für sie vielleicht ein nettes Hobby ist, aber sie einfach nicht in der Lage ist ein eigenes Unternehmenzu führen. Sie wird sich kaum aufrappeln können und in ein paar Monaten wird sie hinschmeißen."
So viel zu einem Waffenstillstand. Ich biss mir auf die Lippen und verhinderte so den Drang zu weinen. Mein Modelabel war alles was ich hatte. Willow so darüber reden zu hören, verletzte mich.
„Von ihrem Alkoholproblem will ich gar nicht erst anfangen. Aber alleine die Tatsache, dass sie ihre royalen Verpflichtungen abgelehnt hat, zeigt doch schon, dass sie keinerlei Verantwortung besitzt."
Ein paar Sekunde war es still. „Und was gedenkst du zu tun? Du kannst ihr nicht verbieten, ihr Label aufzugeben."
„Das weiß ich auch noch nicht genau", erwiderte Willow. „Aber zuerst müssen wir uns einig sein, dass sie so nicht weiter machen kann. Sie verhält sich absolut daneben, in allem was sie tut. Sich durch die Weltgeschichte zu vögeln, ist doch kein Leben. Wir müssen Olivia in den Griff bekommen, bevor noch schlimmere Geschichten unser Image beschmutzen."
Zu spät bemerkte ich, dass die Tür weiter aufging und Emmett heraus trat. Er zog die Tür hinter sich zu, weshalb ich Dads Antwort nicht mehr hören konnte.
Die Augen meines Schwagers wurden groß, als er mich entdeckte.
„Liv", sagte er behutsam. „Was machst du hier?"
„Ich wollte Stoffreste holen", sagte ich lahm. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Er war bei dieser Unterhaltung dabei gewesen. Auch wenn er nichts gesagt hatte, fühlte es sich wie Verrat für mich an. Emmett war der Einzig, der sich in dieser Familie um mich gesorgt hatte. Und nun schmiedeten sie Pläne, wie sich mich loswerden konnten.
Wortlos drehte ich mich um und wollte so schnell wie möglich hier raus. Genau deswegen war ich aus diesem Palast geflüchtet oder kam so ungern hier her.Weil man hier immer nur auf mir herum trampelte.
„Sie meint es doch nur gut", versuchte Emmett seine Frau zu verteidigen.
„Sie meint es nur gut?", schnaubte ich und wirbelte aufgebracht zu ihm herum. „Sie kann nicht ein einziges Mal etwas Nettes über mich sagen. Ständig hackt sie auf mir herum und zieht meine Arbeit in den Dreck. Das ist alles andere als es gut meinen!"
Die Tür ging erneut auf und Willow kam aus ihrem Arbeitszimmer heraus. Vermutlich hatte sie mich gehört.
„Olivia, es tut mir Leid, wenn du das gehört hast. Aber du musst verstehen, dass deine Lebensweise sich mit unseren Werten schneidet. Auch wenn du dich von uns abgewandt hast, bist du immer noch Teil dieser Familie. Du trägst daher dazu bei, was über uns gesagt wird. Und in den letzten Jahren hast du alles daran gesetzt unser Image zu ruinieren, wenn auch möglicherweise unbeabsichtigt."
„Das ist doch alles was dich interessiert. Dein Image und Ansehen beim Volk", spuckte ich ihr vor die Füße. „Wie es mir dabei geht hat dich doch noch nie interessiert."
„Als Königin habe ich Verpflichtungen, von denen du nichts verstehst. Wir müssen ein gewisses Bild nach außen behalten und du scheinst es mit Füßen zu treten."
„Ja ich war schon immer der Störenfried in dieser Familie." Ich verdrehte die Augen. „Ich habe dein ganzes Leben ruiniert, du nimmst jede Gelegenheit war, mir das klar zu machen."
„Schön, wenn wir schon dabei sind: Während ich von Anfang an darauf gedrillt wurde eine Königin zu werden, hattest du alle Freiheiten. Du konntest machen was du wolltest, ohne Ärger zu bekommen. Ich habe bei jedem kleinsten Fehlverhalten, und wenn ich nur krumm am Tisch saß, eine Strafpredigt erhalten. Aber die kleine, süße Liv durfte alles machen. Du konntest sogar jede Nacht einen anderen Kerl im Bett haben, während es für mich Gesetze gab, wen ich zu heiraten hatte!"
Während Willow zuvor noch eine diplomatische Miene aufgesetzt hatte, wurde sie nun zunehmend wütender.
Emmett zog sich langsam zurück, um uns den Freiraum zu lassen. Wir waren beide geladen, da war es nicht sinnvoll sich in unsere Nähre aufzuhalten.
„Darum geht es dir also? Du fühlst dich ungerecht behandelt? Ich mag vielleicht alle Freiheiten gehabt haben, aber auch nur weil sich Dad kein bisschen für mich interessiert hat! Ich war nicht die Thronfolgerin, also war ich unwichtig. Meine Kindheit habe ich alleine in diesem riesigen Palast verbracht und konnte froh sein, wenn eine der Zofen mit mir Mitleid hatte. Das ist beschissen!"
Willow stockte kurz. „Das habe ich nicht gewusst", sagte sie etwas ruhiger.
„Natürlich nicht. Weil ich für dich genauso Luft war. Wann haben wir denn je etwas miteinander unternommen? Was ich gemacht habe, war für dich genauso wenig von Bedeutung. Außer natürlich ich habe etwas falsch gemacht, dann habe ich für die existiert. Dann konntest du mich nämlich kritisieren, das ist ja deine Lieblingsbeschäftigung."
„Ach hör doch auf. Stell mich jetzt nicht als das einzige Monster dar. Ich war vielleicht streng mit dir, aber nur weil du nie die Ernsthaftigkeit meines Amtes verstehen wolltest. Du warst doch immer eifersüchtig darauf, dass ich die Erstgeborene war. Wenn ich Königin wäre, würdest du nämlich nicht mehr die ganze Aufmerksamkeit erhalten. Und aufmerksamkeitsgeil bist du ja, das wissen wir alle."
„Du glaubst doch nicht ernsthaft, ich wäre eifersüchtig weil ich nicht Königin bin?" Ich wusste nicht, ob ich lachen oder schreien sollte.
„Ist es für euch denn so schwer zu verstehen, dass es nichts gibt, was ich mehr hasse als diesen beschissenen Thron?", brüllte ich meine Schwester an.
„Ich wollte nie von Geburt an in ein beschissenes Amt gedrängt werden, das mir vorschreibt wie ich mich zu verhalten habe, was ich anzuziehen habe, wen ich heiraten soll, wann ich zu reden habe oder wann ich lächeln darf und wann nicht! Glaubst ernsthaft ich hätte meine royalen Pflichten abgelehnt, um euch zu ärgern? Ich will nichts mit diesem scheiß Königshaus zu tun haben! Ich will auch nichts mit dieser Familie zu tun haben, geht das endlich in dein Kopf rein? Ich will keine Geschichten davon hören, ob Carolina ihren Erbsenbrei ausgespuckt hat, oder ob ihr Stuhlgang die richtige Konsistenz hatte. Ich will sie auch nicht halten oder mit ihr spielen, weil du mich dann gleich zurechtweisen würdest! Ich will nichts mit euch zu tun haben, weil ich mir sofort kritisiert, kaum bin ich durch diese Tür getreten. Ich kann in euren Augen einfach nichts richtig machen. Für euch bin ich nur eine verantwortungslose, alkoholsüchtige Schlampe vielleicht stimmt das auch. Aber das ist noch lange kein Grund, mich ständig fertig zu machen. Jedes Mal wenn ich hier bin, sagst du irgendetwas was mich zutiefst verletzt und dir fällt das nicht mal auf! Ich habe es so satt mich von euch so abwertend behandeln zu lassen. Um kaum habe ich etwas gefunden, was mich wirklich erfüllt, willst du es mir sofort wegnehmen. Ich habe dir schon mal gesagt, lass die Finger von meinem Label!"
Mir ging die Puste aus, durch diesen Vortrag den ich gehalten hatten. Meine Schwester starrte mich entgeistert an.
„Ich will den Thron nicht. Wollte ich nie. Alles was ich wollte, war eine Familie", sagte ich nun ruhiger, nachdem ich Luft geholt hatte. „Aber selbst das ist zu viel verlangt. In dieser Pseudo-Familie wird ja nicht einmal darüber geredet, dass Mum gestorben ist. Überraschung, ich vermisse sie auch. Aber das konntest du ja nicht wissen, weil du nie gefragt hast. Du drehst dich immer nur um dich selbst. Dass andere leiden, nimmst du nicht wahr. Stattdessen trittst du kräftig nach, wenn andere am Boden liegen."
Wütend wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, die ich nun nicht mehr zurückhalten konnte.
„Was Royal Dress angeht, kannst du einfach abwarten bis sich die Sache von selbst erledigt. Meinen Fähigkeiten zu urteilen, fahre ich mein Unternehmen gerade gegen die Wand. Und da ihr vorhin überlegt habt, wie ihr mich loswerden könnt: Ich möchte in Zukunft nichts mehr mit dir zu tun haben. Das sollte in aller Interesse sein."
Willow war sprachlos. Aber es gab auch nichts mehr was sie sagen könnte. Es war alles gesagt und wir beide wussten, sie konnte nichts mehr sagen um irgendetwas zwischen uns zu retten.
Tränen liefen mir in Strömen über das Gesicht, als ich die Treppen hinunter Richtung Ausgang rannte. Mit zitternden Finger zog ich mein Smartphone aus meiner Hosentasche und wählte Ashers Nummer.
Er war momentan mit seinem Vater wegen geschäftlichen Dingen in London. Doch es meldete sich nur die Mailbox. „Ash?", schniefte ich in den Hörer. Meine Stimme zitterte so sehr, ich wusste nicht mal ob man mich überhaupt erstand. „Kannst du zu mir kommen, wenn es nicht zu viel verlangt ist? Es ist etwas passiert und ich...", schluchzend holte ich Luft, „Ich brauche einfach jemand der mich jetzt nicht anschreit."
Obwohl meine Sicht vor lauter Tränen total verschleiert war, startete ich den Motor meines Wagens. Ich hielt keine Sekunde länger auf diesem Grundstück aus.
Auch wenn ich einerseits froh war, endlich Klartext geredet zu haben, fühlte ich mich andererseits so alleine wie nie zuvor.
*****
Hallo ihr Lieben,
nachdem sich bei mir privat eine Katastrophe an die andere reiht, wollte ich mich nun mal den Problemen anderen widmen. Und was eignet sich da besser, als sich bei seinen Figuren zu verkriechen?
Vor Mai wird vermutlich kein neues Kapitel kommen, da ich die Zeit einfach in intensive Prüfungsvorbereitungen stecken muss. Danach werde ich mich aber (versprochen!) dem Endspurt widmen, mit hoffentlich wieder regelmäßigen Updates.
Ich hoffe ihr könnt euch bis dahin gedulden.
Wenn euch das Kapitel gefallen habt, lasst mir doch sehr gerne ein Like oder Kommentar da. Das würde mich riesig freuen!
Debbie x
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