Kapitel 14
Das Taj Mahal war atemberaubend schön.
Es spiegelte sich in dem Wassergraben vor dem Gebäude. Die untergehende Sonne tauchte die Fassade in goldenes Licht und schuf somit eine majestätische Atmosphäre.
Andächtig blieb ich vor dem Taj Mahal stehen, um jede einzelne Sekunde dieses Augenblickes in mir aufzusaugen.
Ravi begann wieder damit Fakten über diese märchenhafte Sehenswürdigkeit zu erzählen, zum Beispiel, dass es das erste Hotel in Indien war, das Frauen beschäftigte.
Aber ich wollte mir keine trockenen Fakten anhören, sondern diesen besonderen Moment, diese Atmosphäre genießen. Daher ließ ich mich etwas zurückfallen. Emmett folgte meinem Beispiel und blieb in meiner Nähe.
„Was ist das da eigentlich zwischen dir und Asher?", fragte Emmett irgendwann, als wir weit genug von den anderen entfernt waren.
„Was meinst du?"
„Na dieses offensichtliche Knistern zwischen euch."
„Ist mir nicht aufgefallen", sagte ich so scheinheilig wie möglich und brachte Emmett damit zum Lachen.
„Ja ist klar. Ich bin nicht blind Liv. Auf dem Maskenball wart ihr beide eine Ewigkeit verschwunden und heute werft ihr euch vielsagende Blicke zu. Nicht zu vergessen, dass er dir diese bezaubernde Armreifen geschenkt hat, während er dich verliebt angesehen hat."
„Du interpretierst da zu viel hinein, mein Lieber." Ich tätschelte ihm leicht die Schulter.
„Olivia", sagte er in einem belustigt strengen Tonfall.
„Na schön", gab ich mich geschlagen und konnte mein breites Lächeln nun nicht mehr verbergen.
„Wir haben uns in den letzten Wochen häufig gesehen und er hat mir eine persönliche Nachricht auf der Einladung für den Maskenball hinterlassen. Möglicherweise haben wir uns auf dem Ball geküsst und unter einem romantisch beleuchteten Pavillon getanzt."
Verlegen lächelnd sah ich auf den Boden. „Aber bitte sag es niemand. Ich weiß nicht ob daraus etwas Ernstes wird, es war bis jetzt nur ein Kuss."
Emmett lächelte mich strahlend an. „Das freut mich sehr für dich Liv. Ash ist ein guter Kerl und ich könnte mir keinen besseren Mann für dich vorstellen."
„Hör auf dich wie mein Vater zu benehmen!" Lachend drehte ich mich von ihm weg.
Emmett legte liebevoll einen Arm um meine Schulter und gemeinsam liefen wir langsam zu dem Rest unserer Gruppe. „Ich liebe dich wie eine kleine Schwester und wünsche mir nur das Beste für dich, das weißt du doch."
Bestätigend nickte ich.
„Wie hast du Willow dazu gebracht dich zu mögen?", fragte ich schließlich zaghaft. Emmett blickte wissend auf mich herunter. Dieser Mann durchschaute mich in sekundenschnelle, er wusste ganz genau, um was es mir eigentlich ging.
„Ich schätze ich habe sie einfach wissen lassen, dass ich immer für sie da sein werde, egal was passiert."
Fragend sah ich ihn an.
„Damals kam ich in den Palast, kurz bevor das Casting losging. Ich war sofort verzaubert von deiner Schwester, aber ich musste mich gegen zwanzig andere Konkurrenten durchsetzen. Und ich hatte den entscheidenden Nachteil, dass ich nicht adelig war und für euren Vater absolut nicht in Frage kam."
Emmett ließ seinen Blick über das Taj Mahal schweifen und lächelte, als er mir von seiner und Willows Geschichte erzählte.
„Mir war relativ bald klar, dass ich Gefühle für sie hatte. Aber sie war ziemlich gut darin ihre Gefühle vor anderen zu verstecken. Darin bist du übrigens auch sehr gut."
Gespielt verärgert knuffte ich ihn in die Seite, worauf er lachte.
„Ich habe ihr einfach irgendwann klar gemacht, dass ich sie liebe. Es war natürlich nicht besonders toll ihr dabei zuzusehen, wie sie sich einen anderen Mann sucht. Aber mir war klar, ich würde sie nicht zwingen können sich für mich zu entscheiden. Also habe ich einfach gehofft sie würde genug für mich empfinden und ihr gezeigt, dass ich sie immer unterstützen würde, egal wie ihre Entscheidung im Endeffekt ausfällt."
„Sie hat dich doch weggeschickt. Warst du da nicht wütend auf sie?"
Emmett nickte. Willow hätte sich damals beinahe gegen Emmett entschieden und einen anderen geheiratet. Dafür hatte sie Emmett sogar gefeuert und ihm eine Arbeitsstelle im dänischen Königshaus als Ashers Bodyguard besorgt.
„Ich glaube ich war mehr enttäuscht als wütend, als Willow mich nach Dänemark geschickt hat. Aber ich liebe Willow und gerade weil ich sie liebte, wollte ich, dass sie glücklich ist. Auch wenn das mich in ihr Leben nicht mit einschließt. Du kannst niemanden zwingen dich zu lieben. Und wenn du jemanden wirklich liebst, dann kannst du auch akzeptieren, dass derjenige mit jemand anderem glücklich wird."
Er folgte meinem Blick zu Asher und drückte mich dann an sich. „So wie ich das sehe, musst du ihn nicht dazu bringen dich zu lieben. Der Junge ist dir hoffnungslos verfallen."
***
Am nächsten Morgen stand endlich die Besichtigung der Textilfabrik auf dem Plan.
Ravi holte uns wie versprochen ab und machte mit uns keine Städtetour, sondern brachte uns diesmal wirklich zur Fabrik.
Da diese etwas außerhalb von Mumbai lag, mussten wir eine Weile fahren, bis wir unser Ziel erreichten. Die Hitze im Auto war unerträglich. Zu unserem Unglück besaß es nämlich keine Klimaanlage, weshalb mir mein T-Shirt schon nach wenigen Minuten an der Haut klebte. Das ungewohnt feuchte Klima setzte mir ganz schön zu.
Ravi hielt nach einer guten Stunde schrecklicher Autofahrt schließlich vor einer großen Fabrik. Das Gebäude war grau, dreckig und versprühte absolut nicht die fröhlichen Farben, wie das in Mumbai der Fall war.
„Ich bin so froh, wenn wir endlich wieder in zivilisiertem Verkehr sind", raunt Maddy mir zu, als wir zum Eingang liefen. Ihr wurde bei Ravis Fahrkünsten regelmäßig schlecht. Wenigstens hatte sie es geschafft, sich noch nicht zu übergeben.
Unser Guide und Taxifahrer öffnete für uns die schäbige Eingangstür und winkte uns fröhlich hinein.
Wir standen direkt in einer riesigen Halle, mit unzählbaren Webmaschinen, die laut ratterten. Vor jeder dieser Maschine stand eine Frau, die sie bediente.
Vereinzelt wurden uns neugierige Blicke zugeworfen, aber die meisten Frauen sahen betreten auf die Fäden und Maschinen.
„Willkommen in meiner Fabrik!"
Mit ausgebreiteten Armen kam ein anzugstragender Mann Mitte dreißig auf uns zu.
„Ich bin Jaspal. Namaste."
Wie es in Indien üblich war, verneigte er sich mit gefalteten Händen vor uns und wir erwiderten diese Geste.
„Namaste."
Man musste sich hier gegenseitig anschreien, um gegen den Lärm der Maschinen anzukommen.
„Wer von euch bezaubernden Damen ist Prinzessin Olivia?" Mit einem schleimigen Lächeln sah er in die Runde. Seine anzüglichen Blicke versetzten mir ein ungutes Gefühl. In diesem Moment war ich wirklich froh, dass Emmett, Asher und fünf Bodyguards uns begleiteten. Alleine als Frau wollte ich diesem Mann nicht begegnen.
Ich spürte Asher's Gegenwart deutlich in meinem Rücken. Es schien, als sei er bei Jaspals Worten und Blicken näher an mich herangerückt.
„Ich bin Prinzessin Olivia", sagte ich und trat mit hocherhobenen Hauptes ein Stück nach vorne. „Danke, dass Sie uns nun endlich in ihrer Fabrik empfangen. Ich war etwas verwundert, da wir uns eigentlich für gestern Nachmittag verabredet haben."
Jaspals schleimiges Grinsen verrückte keinen Zentimeter. „Nun, wir in Indien sehen Termine nicht als strenge Verpflichtungen. Daher sagen wir Verabredungen auch spontan ab."
„Wir Briten sehen Termine durchaus als Verpflichtung und es ist äußerst unhöflich sie einfach kurzfristig zu verschieben. Vor allem wenn es sich um den Besuch eines Mitglieds der Königsfamilie handelt." Mein Lächeln hingegen war so falsch wie die Taschen von angeblichen Luxusmarken, die auf Mumbais Straßen verkauft wurden. Jaspal sollte von Anfang an merken, dass er mich nicht einfach so an der Nase herumführen konnte, wie ihm das passte.
Der Fabrikbesitzer ließ sich allerdings überhaupt nicht aus der Ruhe bringen.
„Jetzt sind Sie ja da. Wollen wir mit unserer Tour beginnen, Olivia?"
„Es heißt Eure königliche Hoheit wenn ich bitten darf." Ich stolzierte an Jaspal vorbei und konnte meine Begleiter im Hintergrund verhalten Lachen hören.
„Das ist übrigens meine Assistentin Lesly, mein Schwager Prinz Emmett und gute Freunde aus Dänemark: Prinz Asher und seine Schwester Prinzessin Mathilde, die in meinem Unternehmen ein Praktikum absolviert hat."
Jaspal wandte sich mit übertrieben Floskeln der Gastfreundschaft an seine anderen Gäste.
Irgendetwas an diesem Jaspal störte mich gewaltig. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass hier irgendetwas nicht stimmte.
Von Jaspal ließ ich mir alles genau erklären. Wie viele Maschinen er besaß, wie viele Mitarbeiter er hatte und für welche Unternehmen er arbeitet. Ich fragte ihn Löcher in den Bauch und bestand darauf, mir jeden Raum in der Fabrik genaustens anzusehen, und wenn es nur ein Lagerraum war.
„Ich wurde von ihrem Lieferant Peter beauftragt, die Stoffe für ihr Mode-Label zu entwerfen. Peter und ich kennen uns schon ewig, wir sind gute Freunde. Selbstverständlich, wollte ich ihm diesen Gefallen nicht ausschlagen, und es ist uns eine große Ehre für die britische Prinzessin arbeiten zu dürfen."
Nur mit Mühe konnte ich mir ein Augenverdrehen verkneifen. Jaspal lobte mich und meine Arbeit in den Himmel. Offensichtlich wollte er mir Honig um's Maul schmieren.
„Ich würde gerne sehen, wie ihre Mitarbeiterinnen an den Webmaschinen arbeiten."
„Selbstverständlich." Jaspal führte uns zu der nächsten Webmaschine. Die Arbeiterin, schien sich ein wenig zu ducken, als wir kamen. Unsere Anwesenheit war ihr unangenehm, das konnte ich spüren. Man könnte beinahe sagen sie hätte Angst.
„Ich habe nur die besten Arbeiterinnen eingestellt. Sie werden fair bezahlt und ich achte auf sichere Arbeitsbedingungen. Außerdem habe ich ihnen eine Unterkunft zu Verfügung gestellt, damit sie keinen langen Arbeitsweg haben. Viele von ihnen kommen aus ganz anderen Teilen Indiens, deswegen bietet es sich an, wenn sie Wohnungen hier auf dem Gelände haben."
„Kann ich diese Unterkünfte sehen?"
„Tut mir leid, Olivia. Ich meine Eure königliche Hoheit. Aber das würde die Privatsphäre meiner Arbeiterinnen verletzen und die Einhaltung ist mir sehr wichtig. Außerdem sehe ich die Notwendigkeit darin nicht. Ich dachte Sie wollen sich ansehen, wie ihre Stoffe hergestellt werden und nicht die Unterkünfte von meinen Arbeiterinnen."
„Es wird mir aber vorgeworfen Kinderarbeit zu betreiben. Daher bin ich hier, um alles genau unter die Lupe zu nehmen, auch unter welchen Bedingungen die Arbeiterinnen hier leben und arbeiten."
„Wie Sie sehen können betreibe ich ebenfalls keine Kinderarbeit. Ich beschäftige nur erwachsene Frauen."
„Entschuldigen Sie", ich wandte mich freundlich an die Frau, die an der Webmaschine arbeitete, an der wir noch immer standen. „Wären Sie bereit mir ein paar Fragen zu ihrer Arbeit zu beantworten?"
Die junge Frau sah mich mit großen Augen entsetzt an.
„Wenn ich bitten darf, würde ich es begrüßen nicht mit meinen Arbeiterinnen zu sprechen. Ich lege großen Wert auf effiziente Arbeit und bis zum Abend sollte ein gewisses Pensum erreicht werden. Daher sollen meine Angestellten nicht unterbrochen werden. Für alle ihre Fragen stehe ich Ihnen zur Verfügung."
Mit einem barschen Ton wandte er sich an die Arbeiterin, die zitternd ihre Arbeit wieder aufnahm. Dann wandte er sich mit seinem schleimigen Lächeln wieder an uns.
„Nun, sie haben die ganze Fabrik gesehen und offensichtlich ist hier keine Kinderarbeit zu finden. Das Foto von dem Sie sprachen muss also ein Fotoshop sein. Sie wissen doch, heutzutage ist alles möglich. Darf ich sie nun noch zu einem Tee einladen?"
Ich lehnte sein Angebot dankend ab.
„Ich danke Ihnen Jaspal, dass Sie uns in ihrer Fabrik empfangen und herumgeführt haben. Wir würden aber nun gerne zurück in unser Hotel."
„Ihr Besuch war mir eine Ehre."
Als wir wieder draußen auf dem Hof standen, blieb ich stehen und betrachtete die Fabrik mit zusammengezogenen Augenbrauen. Im Innern der Fabrik war es auch nicht kühler gewesen als hier, es hatte nämlich keine Klimaanlage gegeben. Jaspal hatte behauptet, sie sei kaputt und würde momentan repariert werden. Dem Anzugträger mit schmierigem Grinsen glaubte ich kein Wort.
„Hier stimmt etwas nicht", sagte ich zu meinen Freunden, die mir ebenfalls ein ungutes Gefühl bestätigten.
„Es hat schon damit angefangen, dass wir so lange um einen Termin verhandeln mussten. Dann hat er ihn um einen Tag verschoben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er uns solange hingehalten hat, damit er verstecken kann, was er da drin eigentlich treibt."
„Der Kerl war so eklig, ich habe dem kein einziges Wort abgekauft", brummte Lesly neben mir.
„Aber wir haben keinerlei Beweise", warf Emmett ein. „Wir können ihm absolut nichts vorwerfen. Seine Arbeit scheint vorschriftsgemäß zu sein."
„Ja, weil er uns nur das gezeigt hat, was er uns auch zeigen will. Aber ich bin mir sicher, dass da noch viel mehr dahinter steckt."
„Und wie er seine Angestellte angefahren hat, das kam mir auch spanisch vor", warf nun auch Maddy ein.
„Ich geh da jetzt wieder rein und mach dem Ekelpaket die Hölle heiß!" Entschlossen stapfte ich auf den Eingang zu, aber Asher hielt mich am Arm zurück.
„Das bringt doch nichts, Liv. Wenn du herumschnüffelst, kann er dich wegen Hausfriedensbruch oder Einbruch verhaften lassen. Momentan sind wir machtlos. Nur weil wir ein ungutes Gefühl haben, beweist das gar nichts."
„Und jetzt soll ich einfach nach Hause fliegen und das alles vergessen? Wenn ich meinen Lieferanten wechsle und meine Stoffe in Europa produzieren lasse, sind die Probleme hier gegessen oder was?"
„Nein natürlich nicht. Wir überlegen uns was wir jetzt machen. Aber mit den Informationen die wir jetzt haben, kannst du Jaspal nichts vorwerfen."
Lesly zuckte mitleidig mit den Schultern. „Ich hasse diese Machtlosigkeit genauso wie du, aber gerade können wir einfach nichts machen."
Ich hasste dieses Gefühl. Es war, als wäre die schreckliche Tatsache, dass hier Kinder unter grausamen Bedingungen meine Stoffe herstellten, direkt vor meiner Nase. Aber ich hatte nichts. Keinen einzigen verdammten Beweis.
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