7. Pride Parade
Nachdem ich mich von Roxanne verabschiedet hatte, stürmte ich durch die Masse in Richtung der Bühne, neben der die Wägen parkten. Es gab einen Pik-Up-Truck mit einer Stereoanlage hinten auf der Ladefläche. Dieser gehörte aber zu einer anderen Gruppe, was man an dem Logo erkannte.
Ein wenig weiter vorne konnte ich unser Wagenbanner auf einem kleinen LKW erkennen, der hinten eine freie Ladefläche hatte, die als umzäunte Bühne diente, auf der Lautsprecher und ein paar Leute standen. In der Menge erkannte ich dann plötzlich Alex, der ein lila Shirt mit einem Regenbogen darauf trug.
"Gefunden", sagte ich fröhlich, als ich ihm auf die Schulter tippte.
"Da bist du ja", entgegnete er freudig, ehe er sich zu mir umdrehte und mir erzählte, dass Noah bei ein paar Freunden war, die vorne beim Tragen des Frontbanners halfen.
"Ich finde die Musik richtig gut", sagte ich und deutete dabei auf den Wagen vor uns, von dem uns gerade Smells Like Teen Spirit von Nirvana entgegengebrüllt wurde.
"Klar, die haben wir ja auch ausgesucht", lachte er.
"Was läuft eigentlich zwischen dir und Noah?"
Ein paar Sekunden Stille folgten, in denen ich nicht wusste, ob ich es mir jetzt mit ihm verscherzt hatte oder nicht.
"Derzeit nichts, aber er ist noch zu haben und hat nichts dagegen, dass ich seine Hand halte oder ihn ständig umarme", er lächelte leicht und ich freute mich so für ihn, dass ich mich sogar mehr freute, als er gerade im Moment.
"Und bei dir und Roxanne? Ihr scheint ja auch ziemlich voneinander angetan zu sein" erkundigte er sich und sah mich herausfordernd an.
"Also ich von ihr schon, aber ob sie von mir, weiß ich nicht-"
Ich konnte gar nicht weiterreden, schon unterbrach Alex mich und zählte anhand seiner Finger die Indizien dafür auf, dass Roxanne auf mich stand. Er brauchte sogar eine dritte Hand, um es vollständig aufzählen zu können. Meine Chancen standen also sehr gut, gerade zu perfekt.
Doch darüber konnte ich kaum noch nachdenken, denn der Wagen vor uns setzte sich in Bewegung und voller Euphorie bogen wir im Schneckentempo aus dem Platz auf die Straße. Doch wir kamen nicht weit, denn kaum waren wir zehn Meter gegangen, schon hielt der Umzug. Wahrscheinlich musste die Hauptstraße erstmal geleert werden, was dauern konnte, denn sie war ziemlich gut befahren. Doch davon ließ sich die Menge nicht aus der Stimmung bringen, alle tanzten einfach auf der Stelle zur Musik und ich war so glücklich wie noch nie.
Als ich im Frühjahr in München auf dem Christopher Street Day gewesen war, hatte ich mich ein wenig verloren in der großen Masse gefühlt. Dieses Mal war es komplett anders, ich gehörte dazu, lebte es mit jeder Faser meines Körpers und genoss die Musik, die den Beat meines Herzens bestimmte, die Sonne, die auf uns herunterknallte als gäbe es kein Morgen, und die Menschen um mich herum, die alle so viel Liebe und Fröhlichkeit ausstrahlten, dass meine Ängste wegen der Liebe zu Roxanne verschwanden. Ich war frei.
Der Umzug begann plötzlich wieder, sich zu bewegen, wenn auch nur langsam, aber immerhin. Wir tanzten ausgelassen in der Menge, wirbelten herum, sprangen auf und ab, suchten uns auch Tanzpartner aus anderen Grüppchen, die lachend mit uns Spaß hatten. Die Liedtexte brüllten wir schief durch die Straßen der Innenstadt und wollten damit zeigen, dass wir da waren. Die Leute in den Straßencafés sahen entweder verdutzt oder freuten sich, dass wir so viel Spaß hatten, vor allem ältere Leute schienen kein Problem mit der bunten Demonstration zu haben, was mich fröhlich stimmte.
Wir winkten den Menschen zu, die an ihren Balkonen standen und teilweise Regenbogenflaggen schwangen oder am Geländer befestigt hatten. Sogar ein Modeladen, der schon länger existierte als ich, hatte in seinen Schaufenstern Regenbögen aufgehängt.
Mit einem Mal wirkte Ingolstadt nicht mehr klein, trist und verklemmt, sondern offen, bunt und fröhlich. Warum konnte es nicht immer so sein? Warum wurde man als Kampflesbe beschimpft, wenn man sich und seine Freundin vor Beleidigungen verteidigte? Es konnte alles doch so viel schöner sein.
Langsam näherten wir uns dem Rathausplatz, auf dem heute eine Menge los war, denn es war Tag der Offenen Tür im Rathaus.
Die Autos standen still und die Leute, die in den Bussen saßen, die ebenfalls still standen und nun wahrscheinlich wegen uns eine viertel Stunde Verspätung haben würden, winkten uns überrascht zu. Ein paar kleine Kinder standen an den Fenstern, machten große Augen und drückten sich die Nasen an den Scheiben platt, um zu sehen, was draußen vor sich ging.
Langsam steuerten wir auf den Theaterplatz zu, auf dem sich schon viele Leute tummelten. Mit jeder Gruppe die dazukam wurde der Platz immer voller, aber noch lange nicht so dicht wie der Josef-Strobl-Platz. Wenn ich schätzen sollte, würde ich die Anzahl an Leuten auf um die Tausend schätzen. Wir hatten eine Demonstration für dreihundert angemeldet, was mehr als dreimal so wenig war.
Irgendwer, ich tippte auf Jens, begann zu reden und ich sah über die Köpfe hinweg auf die paar Treppenstufen, auf denen er stand. Mit einem Bier in der Hand.
Ich musste mir das Lachen verkneifen und ich trennte mich kurz von Alex, um Roxanne unter den ganzen Leuten zu suchen. Es waren bei weitem noch nicht alle da und die restlichen zwei Wägen brauchten noch ein wenig, bis alle Leute verstanden hatten, dass sie zur Seite mussten, damit die Trucks parken konnten.
Auf meiner Suche nach Roxanne stieß ich auf Maurice, den ich fragte, ob er sie gesehen hatte. Ich wollte zu ihr. Sofort. Doch je länger ich nach ihr suchte, desto hoffnungsloser wurde ich und ich realisierte, dass sie wahrscheinlich bei ihrem Stand geblieben war. Bei den Schuhen konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass sie gerne gelaufen wäre.
Enttäuscht kehrte ich zu Alex zurück, bei dem gerade Noah stand.
"Da bin ich wieder", begrüßte ich beide und ich sah meinen Freund vielsagend an.
"Willst du auch eines?", wurde ich plötzlich von Noah angesprochen, der mir irgendeine Art Mischgetränk mit Bier entgegenhielt.
Ich mochte Bier absolut nicht, aber trotzdem nickte ich. Vielleicht wurde ich durch den Alkohol ein wenig lockerer. Das konnte ich bei Roxanne ganz gut gebrauchen, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass heute irgendetwas Wichtiges passieren würde.
"Komm, ich denke es geht weiter!" Mit diesen Worten sprang Alex vom Boden auf und ich trank schnell die Dose leer. Es hatte gar nicht so schlecht geschmeckt wie erwartet.
Kaum hatte ich mir den Staub von der Kleidung abgeklopft, schon ging die Musik wieder an.
Über die Hauptstraße gingen wir wieder zurück und erneut am Rathausplatz vorbei. Es machte mich glücklich, dass wir uns zeigen konnten so wie wir waren. Doch Roxanne machte mich glücklicher und ich war froh, sie gleich wiederzusehen.
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