4. Ich habe noch nie

Durch die Esspause konnten wir ein wenig entspannen und ich setzte mich, nachdem ich endlich meine Pizza Margherita in den Händen gehalten hatte, wieder zurück auf meinen Platz. Mit überschlagenen Beinen lehnte ich mich zurück und merkte jetzt erst, wie sehr ich Hunger gehabt hatte.

Beth musste sich leider nach Hause verabschieden und sie umarmte mich kurz zum Abschied, bevor sie in die Abenddämmerung verschwand.

Doch Roxanne blieb. Sie saß mir immer noch gegenüber und aß ebenfalls Pizza Margherita.

"Was bist du eigentlich?" Ich musste sie fragen, denn es hatte mir die ganze Zeit schon auf der Zunge gebrannt.

"Pan, aber ich bevorzuge Frauen, und du?" Mein Herz schlug höher und ich konnte gar nicht glauben, was sie gerade gesagt hatte.

"Lesbisch, ich bevorzuge auch Frauen." Oh Gott war das unlustig!

Doch sie lachte. Und das machte mich auch glücklich. Ich musste eigentlich damit aufhören, gefallen an ihr zu finden. Irgendwelche Gefühle oder so etwas in der Art wollte ich definitiv nicht! Auch wenn ich ahnte, dass es dafür schon zu spät war. Dabei kannte ich sie nicht.

"Und, bist du in einer Beziehung?" Ich wusste gar nicht, woher ich den Mut überhaupt nahm, sie danach zu fragen.

"Schon seit zwei Jahren nicht mehr. Nicht so geil, wenn man ständig betrogen wird."

Die Lässigkeit, mit der sie mir antwortete, war beeindruckend. Wäre ich betrogen worden, dann würde ich anders darüber sprechen.

"Ach scheiße. Ich verstehe nicht, warum man das tut. Entweder nur eine Person oder man lässt es einfach." Außerdem, wie konnte man jemanden wie dich nur betrügen?

"Ja, ich verstehe es auch nicht. Und du so?"

"Ich bin auch noch frei. Meine Nägel sprechen eindeutig dafür." Ich zeigte ihr meine langen, schwarz lackierten Nägel, was sie zum Lächeln brachte, bevor sie wieder einen Bissen von ihrer Pizza nahm.

Wir unterhielten uns noch weiterhin ein wenig über ihren Exfreund, der sie mit ihrer, inzwischen ehemaligen, besten Freundin betrogen hatte. Ich wollte gar nicht wissen, wie viel Schmerz sie sonst noch wohl durchlebt hatte. Das hatte sie auf jeden Fall nicht verdient.

Irgendwann arbeiteten wir dann weiter und ich genoss ihre Anwesenheit jeden Moment. Sie war wunderschön, wenn sie konzentriert auf einen Punkt sah und ihr Bestes gab.

Als wir schließlich endlich fertig waren, räumten wir ein wenig zusammen auf. Der Wasserhahn im Bad war in Dauerbenutzung, da jeder seine Pinsel auswaschen wollte. Die Tische mussten ebenfalls geputzt werden, da sie nicht gerade wenig Farbe abbekommen hatten und fast so bunt wie die Banner waren. Diese wiederum sahen unglaublich gut aus und wir waren stolz darauf, was wir heute innerhalb der paar Stunden geleistet hatten.

"Das mit den Farbspritzern war eine super Idee Kitty", lobte ich die junge Frau, die dem Bühnenbanner mit den Farbspritzern den letzten Schliff verpasst hatte.

"Dankeschön, das ist mir einfach so eingefallen", grinste sie.

Nachdem wir aufgeräumt hatten, standen wir alle noch ein wenig tatenlos herum und redeten miteinander, bis plötzlich Sandy, die von allen nur noch bei ihrem Drag-Namen genannt wurde, obwohl ihr echter Name Dave war, mit einem Vorschlag die Gespräche unterbrach.

"Wie wäre es, wenn wir 'Ich habe noch nie' spielen?"

"Ohne Alkohol?", kam es von Lizzy, die gerade einmal erst fünfzehn war und eigentlich noch gar keinen trinken durfte.

"Ich meine, wir haben Wasser", lachte ich und hielt demonstrativ meine noch volle Thermoskanne in die Höhe.

"Okay dann mit Wasser!", strahlte Roxanne und jeder nahm sich seine Flasche oder holte sich eine aus dem Kasten im Flur.

Ein paar Stühle wurden zu einem Kreis, der eher einer Kartoffel glich, geschoben und alle nahmen Platz. Alle bis auf Roxanne.

"Komm her, setz dich auf meinen Schoß", rief Maurice sie zu sich und ich wurde augenblicklich eifersüchtig, weil mir das nicht so schnell eingefallen war.

"Also wer es noch nicht gemacht hat trinkt?", fragte ich unbeholfen, da ich das Spiel noch nie wirklich gespielt hatte.

Vielleicht, weil ich nie auf Partys oder Feiern war.

"Nein, genau andersherum. Der, der es schon mal gemacht hat, muss trinken", erklärte mir Lizzy und ich bedankte mich schnell bei ihr.

Roxanne suchte im Internet nach verschiedenen Aussagen, mit denen wir das Spiel spielen würden. Es sollte eine Mischung aus der Version für Sechzehnjährige und dem für über Achtzehnjährige sein. Schnell wurde die junge Frau fündig und bat um Ruhe.

"Wir steigen gut ein mit: Ich hatte noch nie Sex." Roxanne sah sich um, trank einen Schluck und blieb dann bei mir hängen.

Ich war die Einzige, die nicht getrunken hatte, und wurde von Sandy schockiert angesehen. "Das glaube ich dir nicht. Sieh dich doch an, du bist umwerfend hot!"

Beschämt grinste ich und Roxanne machte weiter.

"Ich habe noch nie einen Porno geschaut." Ich merkte jetzt schon, was das für Fragen sein würden und ich wusste nicht, ob ich es interessant oder peinlich finden sollte.

Jeder trank und schnell wurde weitergemacht. Nach ein paar Runden waren die Flaschen schon fast bis zur Hälfte gelehrt und es kam eine Frage, bei der Roxanne sogar schon beim Vorlesen leicht rot wurde.

"Ich wurde noch nie beim Sex erwischt." Sie trank.

Ich sah sie belustigt an und ihr Bruder schaltete sich ein.

"Das war nicht schön! Am Anfang habe ich ja noch nicht mal gewusst, was ihr da gemacht habt, aber dann zu realisieren, dass du mit Handschellen an den Stuhl gefesselt warst, war dann doch zu viel."

Ich brach in Gelächter aus und jeder stimmte mit ein. Oh Gott, ich hätte meiner kleinen Schwester danach nie wieder in die Augen sehen können oder meinen Eltern.

Nachdem wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt war, stöhnte Maurice ein wenig auf. "Kannst du dir bitte jemand anderen suchen, auf dem du sitzen kannst? Meine Beine schlafen langsam ein."

Das war meine Chance.

"Komm zu mir, mir macht es nichts aus", bot ich Roxanne an, bevor sie zu mir ging und sich setzte.

Meine Oberschenkel wurden von ihren gewärmt und mein Herz schlug schneller als ich dachte, dass es überhaupt möglich war. Sie war mir so nah wie noch nie. Und ich mochte es.

Sie fragte noch ein wenig weiter und hin und wieder kamen ein paar spannende Fragen, wie, ob man für Geld Sex haben würde oder Ähnliches. Die Frage, bei der ich aufhorchte, war jedoch etwas pikanter.

"Ich habe noch nie mit jemandem aus dieser Gruppe hier geschlafen."

Roxanne sah vielsagend zu Maurice und Maurice blickte genauso zurück. Beide nahmen einen Schluck. Dabei schien es niemanden außer mir zu interessieren.

Sie hatte Sex mit Maurice.

Ich wurde wütend auf ihn. Nur, weil er mit ihr etwas hatte, wofür weder er noch sie sich schämen mussten. Es war nun mal so. Doch mich störte es. Ich mochte ihn, denn er war nett und sympathisch, was es noch schlimmer machte, denn jetzt wollte ich ihn nicht mehr mögen.

Wir spielten ein wenig weiter, bis ich Roxanne bat die Position zu tauschen, was sie ohne Widerrede tat. Nun saß ich auf ihr und sie legte den rechten Arm, in dessen Hand sie ihr Handy mit den Fragen hielt, um meinen Bauch. Einige Schmetterlinge schienen eine Orgie in ihm zu veranstalten, denn es breitete sich ein wohliges Gefühl in der Gegend aus.

Ich fühlte mich gemocht. Von ihr, die ich mochte.

"Spielst du noch mit? Versuch mir bloß nicht klarzumachen, dass du noch nie Brüste angefasst hast?!", beschwerte Roxanne sich und ich wurde hellhörig.

Ich ließ eine meiner Hände hinter mich fahren und strich für eine Millisekunde über Roxannes große Oberweite.

"Jetzt schon", grinste ich schelmisch und trank einen Schluck.

Ich konnte die belustigten Blicke von Sandy und Maurice deutlich auf mir spüren, weshalb ich nur mit den Schultern zuckte.

"Ich will euch ja nicht den Spaß verderben, aber es ist fast neun Uhr", schaltete sich Jens ein und ich keuchte erschrocken auf.

Ich hatte meiner Mutter nicht Bescheid gegeben, dass ich so lange bleiben würde. Ich hoffte, dass sie sich nicht allzu große Sorgen gemacht hatte. Schnell rutschte ich von Roxannes Schoß und kramte in meiner Jackentasche nach meinem Handy. Jedoch keine Anrufe oder besorgte Nachrichten von meiner Mutter. Erleichterung machte sich in mir breit und ich schrieb ihr, dass ich mich bald auf den Nachhauseweg machen würde.

Langsam nahmen wir unsere restlichen Sachen mit und ich konnte dabei meinen Blick nicht von Roxanne nehmen. Ich war ihr so nah gewesen und konnte nur hoffen, dass sie das noch mal machen würde.

Als wir dann draußen standen, verabschiedeten wir uns voneinander. Nachdem ich jeden umarmt hatte, stand ich vor Roxanne und sah sie abwartend an, bis sie mich in ihre Arme schloss und mich so nah an sie zog, dass ich für einen Moment ihren einzigartigen Duft einatmen konnte. Sie trug kein Parfüm oder irgendetwas anderes. Es war einfach nur ihr Geruch, den ich mit nichts anderem vergleichen konnte.

Bevor sie sich jedoch löste, gab ich ihr einen leichten Kuss auf die Wange, und ging dann mit einem letzten Winken an die Gruppe zu meinem Fahrrad und fuhr los.

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