3. Bastelnachmittag
Es war endlich so weit. Der Sonntag, auf den ich mich die letzten fünf Tage gefreut hatte, war endlich da und ich richtete gerade noch ein letztes Mal meinen unordentlichen Dutt und mein Pony mithilfe meiner Handyinnenkamera. Dann ging ich auch schon die letzten Meter zum Büro.
In meinem Kulturbeutel klapperten mehrere Pinsel, ein Wasserglas und ein paar Tuben Acrylfarbe aneinander und zerbröselten dabei zusammen mit meiner Thermoskanne wahrscheinlich die Tüte Chips, die ich beisteuern wollte.
Außer mir waren erst zehn andere da, die schon am Aufbauen waren. Jens hatte zwei Stanzmaschinen für die Buttons mitgebracht und einen Einkaufskorb voll mit Farben und anderen Malutensilien, die ich auf den ersten Blick nicht alle erkennen konnte.
An einem Bürotisch konnte ich Beth stehen sehen, auf die ich sofort zuging.
"Hey." Ich wartete, bis sie sich zu mir umgedreht hatte und umarmte sie dann.
"Auch hey. Willst du eine Malschürze?"
"Damit ich so sexy aussehe wie du? Gerne!"
Sie lachte bloß und reichte mir eine Schürze, die ich mir anzog, um nicht dreckig zu werden. Ich wusste trotzdem genau, dass ich später Farbe an den Ärmeln haben würde. Deshalb hatte ich auch ein altes, ausgeblichenes Shirt mitgebracht, das eigentlich meinem Vater gehörte.
Während wir noch etwas miteinander redeten, bauten wir den Rest auf. Der Bürotisch wurde als Stanzstation missbraucht und sobald die zwei Mädchen mit den Stoffbahnen da waren, wurde das größere der beiden Banner auf dem langen Besprechungstisch ausgebreitet, sodass mehrere Leute von allen Seiten daran arbeiten konnten. Das kleinere für den Truck wurde an der Wand aufgehängt.
Nach und nach wurde es immer voller im Büro, wenn nicht schon fast zu voll. Manche, die keine Aufgabe hatten, da fast alles schon besetzt war, saßen auf dem roten Sofa und unterhielten sich bei einer Tüte Erdnussflips. Jens und Petra streiften zwischen den verschiedenen Grüppchen herum, beobachteten das Geschehen und prüften es auf seine Richtigkeit.
Zusammen mit Beth und Lizzy schnitt ich die Runden Bilder für die Buttons aus. Die zwei Frauen neben uns, die ein wenig kräftiger waren und deshalb die etwas klobigen Stanzmaschinen betätigten, kamen mit ihrer Arbeit gar nicht mehr hinterher.
Amelie konnte heute leider nicht kommen, da ihre Großmutter Geburtstag hatte und sie zusammen mit ihrer Familie feierte. Alex schien ebenfalls etwas vorgehabt zu haben, denn er hatte mir auf meine Frage hin nur ein "Kann heute nicht" geantwortet. Eigentlich war das recht untypisch für ihn, da er ansonsten immer minutenlange Sprachmemos machte, in denen ich dann seinen gesamten Tagesablauf hörte, und den expliziten Grund, warum er nicht kam. Aber für den Moment ließ ich es einfach auf sich beruhen, denn ich wollte ihm nicht auf die Nerven gehen. Wenn er reden wollte, dann meldete er sich bei mir. So war das schon immer gewesen und würde es auch immer sein.
Zwischen dem ganzen Stimmgewirr, der aufgedrehten Musik und dem Klappern von Pinseln konnte ich plötzlich die perfekte Stimme von Roxanne hören. Sie war da!
Ungewollt machte mein Herz einen freudigen Satz in die Höhe und ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich dieses Mädchen etwas mehr als die anderen hier mochte. Aber sie kannte mich nicht und ich sie eigentlich auch nicht, weshalb das zwischen uns nichts werden würde, was ein Grund war, mir eine Beziehung sofort aus dem Kopf zu schlagen.
Trotzdem ließ ich es mir nicht nehmen sie genau zu betrachten. Ihr leuchtend roter Lippenstift, der auf ihre vollen Lippen aufgetragen war, fiel mir sofort ins Auge. Sie trug ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift LILALU. Dazu einen rot-schwarz-karierten Rock, unter dem sich eine dünne, schwarze Nylonstrumpfhose über ihre Beine spannte. Dazu hatte sie schwarze Lederstiefel mit Absatz an. Ihre Haare trug sie offen und ließ sie über ihre Schultern nach vorne Fallen. Kurz gesagt: Sie sah unglaublich gut aus.
Gerade war sie dabei einen jungen Mann, er hatte sich vorher auf meine Nachfrage noch einmal als Maurice vorgestellt, wie selbstverständlich auf die Wange zu küssen. Irgendwas ließ mich wütend werden, obwohl sie ihn doch nur auf ihre Art und Weise begrüßte.
Mein Blick musterte das Szenario noch ein wenig. Er war ungefähr Mitte zwanzig, hatte mittellange, dicke, dunkelbraune Haare, die er immer zu einem kleinen Zopf trug. Ich hatte ihn die letzten zwei Sitzungen nicht ein Mal mit offenen Haaren gesehen. Seine Oberlippe wurde von einem mehr oder weniger dichten Schnauzer verdeckt und an seinem Kinn befand sich das typische Ziegenbärtchen. Er war hochgewachsen und ziemlich schlacksig. Als Gesprächspartner war er perfekt, denn er war wirklich sehr sympathisch und hatte immer einen Witz auf Lager.
"Alles okay bei dir? Du hast aufgehört auszuschneiden", stellte Beth neben mir fest.
"Ah ja. Entschuldigung." Peinlich berührt richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die mir übertragene Aufgabe.
"Ist was mit Roxanne? Du hast sie auch beim ersten Treffen durchgehend angesehen." Ich riss meine Augen weit auf und wollte am liebsten einen Hilferuf absenden.
"Ich finde sie bloß", ich machte eine Pause, um das richtige Wort zu finden, "interessant."
"Okay." Ich konnte das Grinsen aus Beths Antwort heraushören.
Sie beließ das Thema zum Glück dabei und wir arbeiteten schweigend weiter, bis wir irgendwann endlich fertig waren und unsere Hände vom ganzen Ausschneiden schon wehtaten.
Wir teilten uns auf, da an jeder Station maximal noch eine Person gebraucht wurde. Ich ging zum Wagenbanner, wo gerade die Buchstaben weiß grundiert wurden, da die Farben auf einem orangefarbenen Stoff nicht so gut zur Geltung kommen würden. Maurice stand ebenfalls dort und ich gesellte mich zu ihm.
"Hey, habt ihr noch ein Schälchen mit weißer Farbe frei?"
"Natürlich, für dich immer", antwortete er und ich legte eine Hand auf meine Brust.
"Das ist aber lieb von dir." Meine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus als ich die Schale, die sich als Untertasse herausstellte, annahm.
Zu meinem Pech fasste ich genau in die Farbe.
"Ich bin so dumm."
Maurice sah mich verwundert an und kommentierte meine Situation dann mit einem "Oh".
"Ich gehe mal schnell meine Hände waschen, passt bitte auf meine Farbe und den Pinsel auf, danke", verabschiedete ich mich kurz ins Bad, das in einem kleinen engen Gang lag, der in der Küche endete.
Ich sah am Schloss, dass es gerade besetzt war und lehnte mich deshalb an den Türrahmen.
Nach wenigen Minuten hörte ich ein Klicken, stellte mich daraufhin ordentlich hin und die Tür ging auf.
Plötzlich stand mir Roxanne gegenüber.
Sie war durch ihre Schuhe ein Stück größer als ich und nur ein paar Zentimeter trennten uns voneinander.
"Hey", brachte ich gerade so noch heraus.
Ihre dunkelbraunen Augen waren mit ein wenig Pink geschminkt und ein schöner Lidstrich betonte ihre Augenform.
"Hey." Ihre roten Lippen verzogen sich zu einem wunderschönen Lächeln.
Noch einen Augenblick blieb sie stehen, dann endete der Moment auch schon, denn sie ging zu den anderen zurück.
Ich ging ins Bad und schloss die Tür hinter mir ab. Was war das gerade? Von der einen auf die andere Sekunde war ich ihr unglaublich nahe gewesen und ich hatte wirklich nichts dagegen gehabt, obwohl es mir bei anderen Menschen fast immer unangenehm war. Ich wollte nicht so auf sie reagieren, aber trotzdem tat ich es unterbewusst.
Kurze Zeit später hatte ich meine Gedanken wieder einigermaßen sortiert und meine Hände waren wieder sauber, weshalb ich zu Maurice zurückkehrte. Die kleine Gruppe war fast fertig, die Buchstaben in Weiß zu grundieren. Dieses "fast fertig" führte jedoch dazu, dass das CSD eher wie ein CSU aussah, worauf ich den jungen Mann ansprach.
"Leute ihr solltet euch mal beeilen, das Ganze sieht nämlich eher wie die Abkürzung einer Partei aus, von der ihr nicht so die Fans seid", lachte ich und die anderen sahen mich zuerst ein wenig fragend an, bevor sie ebenfalls lachten.
Mit einem dicken Pinsel zog Lizzy, die inzwischen ebenfalls Teil der Gruppe war, einen Verbindungsstrich zwischen den bereits gemalten Teilen des Ds.
Wir hatten eine Menge Spaß beim Bemalen und das Bühnenbanner auf dem Nebentisch wurde mit verschiedenen Farbspritzern verziert. Nun wirkte es schon viel ansprechender. Die Buttons waren ebenfalls schon alle fertig und der längliche Bürotisch war somit frei geworden.
Die Sonne verschwand langsam hinter den Häusern der Altstadt und wir mussten das Licht anschalten, damit man ordentlich arbeiten konnte. Woran man auch bemerkte, dass es spät wurde, war, dass wir nur noch ungefähr zehn Leute waren, die vereinzelt an den Bannern arbeiteten. Die Stimmung war trotzdem noch super und die Musik von Kraftklub lief im Hintergrund.
Plötzlich schlug Maurice gegen ein Glas. "Wie würdet ihr es finden, wenn wir Pizza bestellen? Die Snacks sind aus und es wird wahrscheinlich noch ein bisschen dauern, bis wir fertig sind."
Sofort erhielt er großen Zuspruch von allen und man hörte sofort, wie einige auf ihn einredeten.
Innerhalb von fünf Minuten hatten wir eine Bestellung aufgegeben und John, Roxannes Bruder, rief beim Pizzadienst an. Er und Maurice wollten die Pizzen abholen gehen und so machten sie sich mit dem Geld, das wir ihnen gegeben hatten, auf den Weg.
Zusammen mit Beth und Lizzy setzte ich mich an den Bürotisch, auf dem jetzt das Wagenbanner lag, um die Buchstaben bunt anzumalen. Ein paar Minuten lang ging es gut voran und wir hatten kein Problem dabei, die Farbwahl zu bestimmen.
Doch dann setzte sich plötzlich Roxanne mir gegenüber.
Mein Herz blieb kurz stehen und ich sah sie an.
Und sie mich.
Ich konzentrierte mich sofort wieder auf das Malen, denn sie brachte mich mit ihren Blicken total durcheinander.
"Du bist doch Violetta, oder?"
Und weg war meine Konzentration. Ich malte über die Linie, aber versuchte, mir meine Verärgerung nicht anmerken zu lassen.
"Äh, ja. Und du bist Roxanne", stellte ich fest.
Mein Name hörte sich aus ihrem Mund so unglaublich schön an.
"Ich mag deinen Namen. Violett, eher gesagt lila, ist meine Lieblingsfarbe."
"Meine auch. Mein Zimmer ist Fliederfarben gestrichen." Ich sah sie an und sie lächelte mir zu.
Ich setzte meine Arbeit fort und wir arbeiteten schweigend an dem Banner weiter, bis plötzlich die Tür sich öffnete.
"So jetzt legen wir mal alle die Malsachen weg, es gibt Pizza!", verkündete Maurice und mit einem Klappern wurden die Pinsel weggelegt.
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