2. Überstunden
Die Woche zog sich wie ein alter Kaugummi und ich machte Luftsprünge, als es endlich wieder Montag war. Wobei der erste Tag der Woche nicht wirklich mein Lieblingstag war, denn es hieß, dass ich fünf Tage arbeiten musste, bevor ich wieder ausschlafen konnte. Doch die Vorfreude begleitete mich durch die Arbeit, bis hin zum Abend, als ich endlich vor der Tür des Parteibüros der Linken stand.
Wir hatten das Treffen diesmal hierher verlegt, da im Café letztes Mal jeder einzelne Stuhl besetzt gewesen war. Außerdem stand uns hier eine Kaffeemaschine, eine kleine Küche und eine Toilette zur Verfügung, die nicht in einem gruseligen, dunklen Treppenhaus lag.
Als ich in die Straße einbog, konnte ich aus der Ferne schon Beth zusammen mit Lizzy vor der Tür stehen sehen. Neben ihnen befand sich noch Oliver und ein Mann dessen Namen mir auf die Schnelle nicht einfiel.
"Hey Violetta", wurde ich von den zwei Mädchen begrüßt und wir umarmten uns nacheinander.
Während unseres Gesprächs kamen immer mehr Leute dazu und wir beschlossen nach einiger Zeit, nach drinnen zu gehen, da es draußen langsam kühl wurde und wir schon vor ein paar Minuten hätten anfangen sollen.
Ein paar neue Gesichter waren unter den ganzen Leuten und wir machten noch eine Vorstellungsrunde, bei der mir die meisten Namen wieder einfielen. Ich hoffte, dass ich sie nicht hoch einmal vergaß, denn es war mir immer unangenehm, jemanden nach seinem Namen zu fragen, obwohl es eigentlich gar kein Problem war.
Was mir aber noch auffiel war, dass Roxanne nicht da war. Ihr Bruder dafür schon, der sich schon nach einer dreiviertel Stunde die erste Zigarette drehte und nach draußen verschwand. Zuerst wollte ich ihm folgen, aber es wäre seltsam gewesen, wenn ich eine Raucherpause machen würde, obwohl ich nicht mal rauchte. Außerdem fände er es sicher auffällig, wenn ich ihn nach seiner Schwester fragen würde, obwohl ich noch kein Wort mit ihr oder ihm gewechselt hatte.
Ich musste wohl oder übel bis auf die Zwischenpause warten, die sicher erst in einer halben Stunde war. Aber immerhin gab es ein Gespräch, dem ich eigentlich zuhören sollte. Diesmal ging es um die Route, den Platz, auf dem wir die Bühne und Stände aufbauen wollten, und das Anmelden der Veranstaltung. Das meiste war jedoch recht trocken und ich langweilte mich ein wenig, da ich mich nicht wirklich beteiligen konnte, weil ich überhaupt keine Ahnung hatte, wie man eine Demonstration anmeldete.
Als schon wieder drei Leute zum Rauchen verschwanden, erkannten auch die, die heute am meisten redeten, dass wir alle mal eine kurze Pause brauchten. Die Stühle waren schnell leer und alle standen plötzlich draußen und begannen ihre Privatgespräche. Ich sah raus und erkannte, dass John alleine an einer Ecke stand und seine dritte Zigarette rauchte.
Ich ergriff sofort meine Chance, schnappte meine braune Strickjacke, die ich mir augenblicklich anzog, und ging zu ihm.
"Hey John, wo hast du denn deine Schwester gelassen?", fragte ich ihn und versuchte, nicht allzu interessiert zu klingen, was mir offenbar gelang, denn seine Antwort klang ein wenig lieblos.
"Überstunden." Er sah mich mit einem Schulterzucken an.
"Ach mies", kommentierte ich seine Antwort nur und machte mich auf den Weg zu Alex, der inzwischen wieder drinnen saß und auf seinem Handy herumtippte.
"Hey, wem schreibst du?", wollte ich wissen und er sah erschrocken zu mir auf.
"Nur Noah." Er versuchte ein Lächeln zu unterdrücken.
"Der, mit dem du letztes Mal geflirtet hast? Der schien auch ziemlich an dir interessiert zu sein, so wie er auf deine Versuche eingegangen ist", lachte ich und er sah mich schockiert an.
"Wir haben nicht geflirtet!" Sein Versuch, den Fakt abzustreiten, dass er Gefallen an besagtem Jungen gefunden hatte, scheiterte kläglich.
"Komm schon. Erzähl mir was über ihn", forderte ich ihn auf und er gab seufzend nach, bevor er loslegte und wie ein Wasserfall über seinen neuen Schwarm erzählte.
Sie schrieben sich seit letztem Montag anscheinend durchgehend und hatten schon ein paar Herzen ausgetauscht. Noah schien nicht abgeneigt von Alex zu sein, denn er war derjenige, der nach seiner Nummer gefragt hatte, was ich definitiv als ein "in die Offensive gehen" einstufte. Noah war laut Alex' Aussagen ein hoffnungsloser Romantiker, was wirklich perfekt zu ihm passte, denn er war auch so ein Mensch, der ständig von der perfekten Beziehung schwärmte. Ich freute mich total für ihn, denn er war schon seit längerer Zeit auf der Suche, seitdem das mit seinem Exfreund nicht geklappt hatte.
"Und was läuft bei dir so in Sachen Liebe? Du hast seit Längerem nichts mehr über dein Gefühlsleben erzählt. Warum hast du eigentlich mit dem Typen da draußen geredet? Ich dachte du stehst nur auf Frauen?"
Zuerst überforderten mich seine Fragen und ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte.
Ich stand schon seit einiger Zeit auf keine Frau mehr. Es hatte mich ständig nur verletzt und ich wollte das einfach nicht noch einmal durchmachen müssen. Deshalb gefiel es mir nicht, dass meine Gedanken immer wieder zu Roxanne wanderten. Einerseits mochte ich es, an sie zu denken, aber andererseits wusste ich, dass sie sicher auch kein Interesse an mir haben würde. So wie jede.
"Ja, ich bin immer noch lesbisch und in meinem Liebesleben ist immer noch nichts. Ich habe John bloß nach Roxanne gefragt, weil mir aufgefallen ist, dass sie fehlt." Erst nachdem diese Worte meinen Mund verlassen hatten, realisierte ich, dass ich damit genau das Gegenteil gemacht hatte.
"Das hört sich nicht nach nichts an." Sein Blick drückte mehr aus, als dass er es jemals hätte sagen können. "Roxanne also."
"Nein mit ihr ist nichts. Schlag dir das sofort für immer aus dem Kopf Alex!", versuchte ich ihm klarzumachen, dass ich nichts von ihr wollte, zumindest dachte ich das.
Sein skeptischer Blick drückte sehr deutlich aus, dass er mir nicht glaubte. Aber was sollte ich ihm denn sagen, wenn ich es selbst nicht wusste? Ich wollte nichts von ihr wollen. Er beließ es zum Glück dabei und ich war froh, dass er keine hitzige Diskussion über meine Gefühle begann, denn die hätte jeder mitbekommen, da sich der Raum mit einem Mal wieder füllte.
Im nächsten Block ging es um die Deko von der Parade. Na ja Deko konnte man es schlecht nennen, denn es waren eigentlich nur die zwei Banner, von denen das eine als Front- und das andere als Wagenbanner benutzt werden sollte. Was noch dazukam waren die Buttons, die man sich am CSD kaufen konnte. Wir mussten sie alle selbst machen, da es einfach zu teuer war, sie herstellen zu lassen.
Aus diesem Grund wurde am Sonntag dieser Woche ein Bastelnachmittag veranstaltet. Hier im Büro der Linken. Jeder sollte etwas mitbringen: Pinsel, Farben, Snacks, alles wurde dankend angenommen. Zwei Mädchen wurden für das Kaufen des Stoffs beauftragt und schließlich hatten Oliver und eine ältere Frau es geschafft, den Abend mit einer noch nie dagewesenen Euphorie enden zu lassen.
Ich konnte den Sonntag gar nicht abwarten und versprach Beth, Lizzy und Amelie, dass ich kommen würde. Unterbewusst hoffte ich auch, dass Roxanne da sein würde.
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