Roter Schnee

 Der Schnee knirscht unter den Sohlen seiner Sneaker, als er sich vorsichtig über den Vorsprung des Daches auf ihre schmale Silhouette zubewegt. Schritt für Schritt arbeitet er sich über das Eis, die Zähne zusammengebissen und die Augen auf seine Schuhe geheftet, um ja nicht zu fallen. Kurz bleibt er stehen und betrachtet ihren schmalen Körper. Manchmal kann er kaum fassen wie wunderschön sie ist. Wahrscheinlich steht er einige Sekunden dort, bis sie sich kaum merklich bewegt und er sich wieder in Bewegung setzt, sie soll nicht wissen, dass er sie angestarrt hat. Er weiß sie hasst das.

Neben ihr angekommen schaut er auf ihr Gesicht herunter und muss schlucken. Wieder einmal ist er geblendet von ihrem Anblick. Es schmerzt beinahe sie anzuschauen und das drückende Gefühl, ein wabbender Kloß aus Zuneigung, Nervösität und Sehnsucht, der sich jedes Mal in seinem Magen bildet wenn sie in der Nähe ist, macht es nicht gerade leichter.

"Ist hier noch frei, schöne Frau?", mit einem schiefen Lächeln lässt er sich neben sie in den Schnee fallen. Kurz zuckt er zusammen, verdammt ist das kalt, wie kann sie derart seelenruhig im Schnee sitzen? Die Hoffnung, das sie ein Zucken nicht bemerkt hat gibt er sofort wieder auf, es gibt nichts was dieses Mädchen nicht bemerkt. Manchmal denkt er das sie ihn an eine Raubkatze erinnert, immer auf der Hut, immer bereit zu rennen. Natürlich sagt sie nichts aber er sieht das Grinsen über ihr Gesicht huschen, was sie in seinen Augen nur noch schöner macht.

Gemeinsam schauen sie den Abhang runter auf die anderen Häuser ihrer kleinen Wohnsiedlung, all die bunten Lichter. Überall unter ihnen scheint es zu leuchten, zu blinken, zu glitzern. Die Welt unter ihnen wirkt wie in ein Lichterkettenmeer getaucht. Ein absolut atemberaubender Anblick, er versteht, wieso sie sich ausgerechnet hierhin verzieht. Tief atmet er die kalte, beißende Winterluft ein. Genießt diesen typischen Geruch. Es riecht nach einer Mischung aus Schnee, Tannen, verbranntem Holz und von überall scheint der Duft verschiedener Festessen die stille Nacht zu bevölkern. Während er dasitzt, sie so nah neben sich, macht er einen besonderen Geruch inmitten all dieses Chaos aus und schließt die Augen. Er kennt diesen Geruch, ein Geruch, der tief verwurzelte Erinnerungen wach rüttelt, Erinnerungen an Weihnachtsabende, an die sich niemand erinnern möchte, Erinnerungen die doch trotzdem immer im Raum stehen....

"Charlie, legst du bitte die Gabel hin, während du sprichst!", streng erklingt die, immer ein wenig keifende Stimme, seiner Nachbarin durch den Raum. Beretene Gesichter und peinlich berührtes Husten erfüllt die Stille am Esstisch, als sich alle Augen auf die Angesprochene richten. Außer seinen Augen, obwohl seine Augen ansonsten immer auf ihr liegen, doch gerade blickt er zu ihrer Mutter. Der Frau zu der die etwas zu schrille, etwas zu keifende, etwas zu krächzende Stimme gehört, die gerade die Gespräche unterbrochen hat. Wie immer wenn er sie ansieht zieht sich in seinem Bauch eine Kugel zusammen, auch heute zucken seine kleinen Hände zu seinem Magen während er in das Gesicht dieser Frau sieht. Jedes Mal wenn er sie anschaut überkommt ihn dieses Gefühl. Später wird er das Gefühl als Hass identifizieren, doch heute versteht er es noch nicht, heute ist es einfach nur ein komisches Gefühl.

Das klirrende Geräusch als besagte Gabel unsanft auf den Teller geschmissen wird, lässt ihn zusammen zucken und seinen Blick wieder nach vorne richten. Vor ihm sitzt nicht nur ein Mädchen, vor ihm sitzt das Mädchen. Charlie. Ben ist erst 10 Jahre alt aber bereits jetzt weiß er das Charlie ein besonderer Mensch ist, sein Mensch, dieses Mädchen wird er irgendwann heiraten, das hat er ihr auch schon gesagt allerdings führte das nur dazu das sie ihm eine Zuckerstange, die zu Weihnachten immer überall in ihrer Wohnung verteilt sind, so heftig auf den Kopf schlug, dass er weinen musste. Bei der Erinnerung daran reibt er sich unwillkürlich über den Kopf, zwar tat es ziemlich weh, als sie ihn gehauen hat aber, als er begann zu weinen hat sie ihn sofort in den Arm genommen. So schnell waren seine Tränen noch nie versiegt. Als er wieder aus seinen Gedanken auftaucht, merkt er, das sie ihn ebenfalls ansieht. In einigen Jahren wird er sich an diesen Weihnachtsabend erinnern, an den Weihnachtsbaum der hinter ihr glitzert, den Geruch von Schnee der durch die Fenster zu kriechen scheint, das Gesteck auf dem Tisch was sie beide trennt, wie eine Mauer aus Tannenzapfen, undurchdringbar und trotzdem wunderschön. Daran wie er damals schon nicht aufhören konnte sie immer wieder anzusehen. Erinnerungen an jede Bewegung, die sie gemacht hat, jedes Lächeln oder Lachen, das sie ihm schenkt. Auch daran wie sie irgendwannnur noch starr auf ihren Teller schaut, die Augen fest auf den Braten gerichtet, als ihre Mutter nach einigen Gläsern Wein beginnt, dauerhaft spitze Kommentare gegen ihre Tochter abzufeuern, wie kleine Gewehrkugeln segeln die Worte ihrer Mutter auf sie herab. Er wird sich an das Gefühl der Hilflosigkeit erinnern, während er nur dasitzen kann und zuhören muss, wie sich seine Fingernägel in seine Handflächen bohren, weil er spürt das es nicht richtig sein kann. Auch die Blicke der Erwachsenen, voller Mitleid für die arme Mutter mit der unsäglichen Tochter, brennen sich in sein Gedächtnis, wie kleine Brandmale...

"Halloohoo? Benilein?", Charlie wedelt mit ihrer schlanken Hand vor seinem Gesicht, was ihn aus seinen Gedanken auftauchen lässt. Mehrmals blinzelt er, versucht diese Erinnerungen abzuschütteln. "Da bist du ja wieder.. Wovon hast du geträumt? Feuchte Träume mit Dylan O'Brian?" Kurz wird Ben rot, er hätte ihr nie davon erzählen dürfen das er einmal einen... besonderen Traum mit einem Schauspieler hatte, seitdem versucht sie verzweifelt herauszufinden mit wem. "Nein, mit deinem Großvater. Diese Falten... dieser lange Bart...", verträumt schaut er in den Himmel und versucht das Kichern eines kleinen Mädchens nachzuahmen: "...und vor allen Dingen sein langer, dicker -" "Stop!", hastig unterbricht Charlie ihn mit wedelnden Armen und imitiert ein Würgen. "Hör auf, sonst kotz ich noch in meinen Garten." "Wäre ja nicht das erste Mal...", die Worte verlassen seinen Mund bevor er darüber nachdenken kann. Sofort verfinstert sich ihre Miene und sie achtet darauf ihn nicht anzuschauen während sie mit zitternden Fingern eine Zigarette aus ihrer Jackentasche fummelt. Ben verflucht sich im stillen für seine verbale Inkontinenz und versucht ihren Blick aufzufangen. Doch als sie ihn, mit der Zigarette im Mundwinkel, kurz anschaut sind ihre Gedanken bereits dabei zu wegdriften. "Stimmt... ich würde nicht das erste Mal in meinen Garten kotzen..."

Wie jedes Jahr steht ihr Weihnachtsbaum ein wenig schief, wie jedes Jahr hat ihre Mutter nichts anderes zu tun, als sich darüber aufzuregen, wie jedes Jahr lässt ihr Stiefvater das Ganze nicht auf sich sitzen. Eigentlich klingt das eher nach einer etwas schrägen aber doch süßen Familientradition, findet Charlie als sie am Tisch ihre Eltern beim Streiten beobachtet. Allerdings nur wenn man die Situation vom Fenster aus betrachtet, als stummer Gast, unschuldiger Zuschauer, als Fremder, als Außenstehender.

Vom Fenster aus würde man in ein Wohnzimmer am Heiligen Abend sehen. Eine dreiköpfige Familie, alle in ihren schicken Sachen, eine großgewachsene schlanke Mutter, in einem langen feierlich anmutendem Kleid, das zufälligerweise farblich genau passend zur Weihnachtsdekoration im Raum ist. Einen muskolösen, breitschultrigen Vater mit nettem Gesicht. Eine etwas zu dünn, etwas zu groß, etwas zu blond geratene 14 Jahre alte Tochter, in einem dunkelrotem Kleid. Von draußen würde man sehen wie die Mutter den Vater anscheinend anschreit und dabei auf den Weihnachtsbaum im Raum zeigt. Eine perfekte, gerade, zwei Meter Hohe dunkle Tanne, übersäht mit Weihnachtsbaumkugeln, Girlanden und Lichterketten und einem goldenen Stern an der Spitze. Der Weihnachtsbaum ähnelt den Bäumen, die man meisten in Filmen sieht, absolut perfekt. Eigentlich. Vielleicht würde man sich fragen was die Mutter an der Tanne zu bemängeln habe, vielleicht würde man aber auch sofort sehen, dass die Tanne einen halben Millimeter zu weit nach links neigt, vielleicht aber auch nicht. Man würde beobachten wie der Vater sich ins Gesicht fasst und in die Diskussion einsteigt. Die Tochter sitzt währenddessen bereits am gedeckten Tisch und versucht niemanden zu direkt anzusehen, gerade ihre Mutter nicht. Irgendwann würde ein Teil der Familie von der Bildfläche verschwinden, weil es vermutlich geklingelt hat, den wenig später führt der Vater lächelnd einige Menschen in den Raum, wahrscheinlich die Eltern des Paares, Nachbarn, Freunde oder Geschwister. Einige Augenblicke danach wäre auch die Mutter wieder im Raum. Lächelnd würde sie die Gäste in Empfang nehmen, später beim Essen würde der Vater die Mutter küssen und auf den Weihnachtsbaum zeigen und den Gästen von seiner perfektionistischen Frau erzählen und alle würden darüber Lachen. Als sich die Gesellschaft zu klären beginnt würde der Vater noch einige Weinflaschen holen und gemeinsam mit ihren Gästen würden sich die Eltern köstlichst amüsieren. Die Tochter ist währenddessen verschwunden, irgendwann war sie zum Gesprächsthema geworden, wahrscheinlich ihre guten Noten, ihr tolles Aussehen oder ihr höfliches Auftretetn, denn was sollte eine derart perfekt wirkende Familie sonst zu berichten haben.. Weit nach Mitternacht wenn die Gespräche allmählich auslaufen, die Kerzen abgebrannt bis auf den Docht und die meisten Lichterketten schon aus wären, würden sich die verbleibenden Gäste mit ihren Kindern auf den Weg machen. Die Vorhänge würden zugezogen werden und das Stück wäre vorbei.

Das ist das was man zu sehen bekommt, das was alle zu sehen bekommen. Doch viel wichtiger ist doch was die Leute nicht zu sehen bekommen, nicht hören oder riechen, vor ihnen verborgen bleibt. Keiner riecht den Atem ihrer Mutter, der verdächtig an Wein erinnert, als diese vor ihrem Ehemann steht und ihn anschreit das er doch lieber den Weihnachtsbaum gerade aufstellen sollte, anstatt seinen Schwanz in irgendeine seiner Kolleginnen zu stecken. Niemand hört wie ihr Stiefvater den Tag ihrer Hochzeit verflucht. Die Fenster lassen die Vorwürfe darüber das ihre Mutter bereits um drei Uhr ihr erstes Glas Wein getrunken hat nicht durchdringen, den Vorwurf das ihre Mutter Wahnvorstellungen habe, die Vorhänge verbergen das Charlie ein Kleid mit langen Ärmeln trägt weil ihre Mutter nicht will, das man ihre blauen Flecken sieht und fragen stellt. Kein stummer Gast wird je mitbekommen wie ihre Mutter ihr die Schuld, an dem jetzt schon verdorbenen Weihnachtsfest gibt, kein Mensch wird je wissen das Charlie einfach nur versucht sich am Tisch zu verstecken, in sich selbst zu verschwinden und bloß nicht aufzufallen, sie versucht klein und unauffällig zu sein. Vor dem Fenster bemerkt niemand, das ihre Mutter fluchend ins Schlafzimmer fluchtet, wo sie versuchen wird ihre Fahne zu verbergen. Das ihr Stiefvater im Flur steht und verzweifelt an die Decke schaut während er die Augen zusammenkneift. Das Charlie nur mit Mühe die Tränen zurückhalten kann, sich wünscht das dieses Leben hier ein Ende hat, betet das irgendetwas sie befreit und sie sich manchmal in ihren stillen Momenten vorstellt wie die Welt ohne sie, ihre Mutter, wäre und dieses Gefühl für eine Mischung aus Scham und Sehnsucht bei ihr sorgt. Die Zuschauer vor den verschneiten Fenstern wissen nicht das ihr Vater gerade rechtzeitig im Flur ist um ihre Familien und ihre Freunde reinzulassen, der Schnee verschluckt draußen jedes Geräusch so das niemand das Schwatzen und Lachen der Leute hört die ihr Haus rasend schnell bevölkern, wie Ameisen einen verlassenen Picknickkorb. Weiß auch niemand das ihr persönlicher Rettungsanker darunter ist, Ben.

Der große etwas zu tollpatschige ein wenig zu brave Nachbarsjunge. Schnell zwängt dieser sich durch die Körper der Erwachsenen zu ihr durch und wie jedes Mal wenn er da ist, verändert er etwas in ihr. Niemand sieht wie ihr Herz sich zu beruhigen beginnt als er sich an den immer gleichen Platz gegenüber von ihr setzt. Sie lächelt ihn an. Er lächelt zurück. Sein Lächeln scheint jeden Sonnenstrahlen, der sich durch den wolkenbedeckten Himmel kämpft eingefangen und verstärkt zu haben, sie liebt sein Lächeln, trotzdem muss sie darauf achten ihn nicht zu sehr anzulächeln, zu lange anzuschauen und vor allen Dingen zu oft. Ben mag sie nämlich, das weiß Charlie, das weiß vermutlich jeder, selbst die Leute vor den Fenstern würden es sofort sehen und Charlie mag auch Ben, das weiß allerdings niemand und das ist auch gut so. Den Ben hat besseres als sie verdient, Charlie ist verkorkst und sie findet es ist ihre Pflicht Niemanden in dieses Leben mit ihrer Mutter zu bringen. Vor allen Dingen Ben nicht, Ben hat ein normales Mädchen, mit normaler Mutter und normaler Familie, ohne Alkoholfahnen, blaue Flecken, Schreie und durchwachte Nächte verdient. Deswegen lächelt Charlie Ben nur kurz an, ehe sie ihren Blick durch den Raum schweifen lässt.

Das Wohnzimmer sieht aus wie jedes Jahr, wunderbar festlich geschmückt, überall auf den Ablageflächen ist künstlicher Schnee zu sehen, kleine Schneemänner aus Watte bevölkern die Ecken und Lichterketten hüllen den Raum in ein gemütliches Licht. Charlie atmet tief durch, dieses Weihnachten würde wie immer werden, sie würden essen, reden, lachen und irgendwann wäre ihre Mutter betrunken genug, natürlich erst nachdem Charlies Großeltern, Tanten und Onkeln weg waren, um damit anzufangen sich über ihre Tochter aufzuregen. Ebenfalls eine Tradition, vielleicht keine nette aber eine Tradition. Charlie wird das Ganze über sich ergehen lassen und irgendwann würde sie und Ben verschwinden, sich in ihrem Zimmer verkriechen und über alles reden außer ihre Mutter, ihre Arme die sie stets vor ihm versteckt, darüber das sie ein Schloss an ihrer Tür hat, über alles nur nicht darüber. Früher oder später wird Bens Mutter am Fußende der Treppe stehen und ihren Sohn rufen, Ben würde gehen und all das Glück was sie in dieser kurzen Zeit immer fühlen konnte, all das Licht, das er in ihre Welt brachte mitnehmen und ein dunkles Meer hinterlassen.

Doch heute ist etwas anders, ihre Mutter schimpft, zetert und meckert über sie, wie jedes Jahr. Charlie und Ben verschwinden als die dritte Flasche Wein entkorkt wird, wie jedes Jahr. Oben in ihrem Zimmer sprechen sie über alles außer das Unaussprechliche, wie jedes Jahr. Allerdings hören sie dieses Jahr auf einmal dumpfe Schreie aus dem Wohnzimmer kommen, lautes Türengeknalle und hektisches Stimmengewirr. Verwundert blicken die Beiden auf, zuerst blicken sie einander in die Augen dann auf die Tür. Keiner bewegt sich, schon als Kind spürt man instinktiv wenn man etwas nicht sehen sollte, etwas nicht erfahren sollte, aber die Frage nach dem Was schwebt wie ein großer roter Ballon zwischen ihnen. Charlie weiß, dass einer von ihnen diesen Ballon zum platzen bringen muss und weil sie auch weiß das was auch immer passiert ist, nicht ist was mit Ben zu tun hat, steht Charlie auf und geht zur Tür. Legt ihre Hand auf ihre Türklinke und schaut Ben an, Ben steht zwar direkt hinter ihr doch sie hat das Gefühl, das sie gerade meilenweit von ihm entfernt ist. Mit einem Ruck öffnet sie die Tür, sticht die Nadel in den großen roten Ballon und huscht leise die Treppe runter. Wenn Charlie eines beherrscht dann das Schleichen, immerhin wird keine Mutter aus ihrem Rauschschlaf geweckt, das hat sie schnell und hart lernen müssen. Still wie ein Indianer läuft sie also die Treppe runter und als sie unten ankommt weiß sie zunächst nicht was sich vor ihren Augen abspielt. Ihr Stiefvater kniet mit blassem Gesicht vor der großen Fensterfront ihres Wohnzimmer, die nach hinten zum Garten des Hauses führt, bei ihm Bens Mutter, die ihm beruhigend den Rücken streichelt und ein anderer Nachbar legt ihm gerade eine Decke um die Schultern. Bei dem Anblick ihres Stiefvaters überzieht Charlie eine Gänsehaut.. irgendetwas läuft hier definitv falsch. Gerade als sie sich zu Ben umdrehen will, wo sie bemerken würde das er immer noch im Schatten der Treppe steht und die Szenerie gespannt beobachtet, bemerkt sie das die Terassentür aufsteht. Als würde ihr Körper erst mit dem visuellen Beweis die Temperatur bemerken verstärkt sich ihr Unwohlsein und sie beginnt leicht zu zittern. Niemand der Erwachsenen, Bens Vater steht mit ebenfalls blassem Gesicht mit dem Rücken zur Fensterfront, im Raum und telefoniert, während ihre anderen Nachbarn aufgeregt miteinander reden und ebenfalls immer darauf bedacht sind mit dem Rücken zum Fenster zu stehen. Endlich kann Charlie sich aus ihrer Starre lösen und bewegt sich auf die Terrassentür zu, sie will zwar herausfinden was hier los ist, muss deswegen aber keine Lungenentzündung bekommen, sie will eigentlich nur die Tür verschließen. Eigentlich will sie wirklich nur die Tür schließen und dann einen der Erwachsenen fragen was hier los ist. Eigentlich will sie nicht mehr tun, doch an der Terrassentür angekommen passieren mehrere Dinge gleichzeitig: Bens Mutter bemerkt Charlies Anwesenheit und ruft hektisch ihren Namen während sich die anderen Erwachsenen nach ihr umdrehen, aufgeschreckt durch den Ruf von Bens Mutter und ihr vereinzelt ebenfalls etwas zu rufen, jedoch hört Charlie sie schon nicht mehr, denn als sie dort an der Terrassentür steht und endlich durch die Spiegelung ihres Wohnzimmers sehen kann erblickt sie eine liegende Gestalt im Schnee. In einem Sekundenbruchteil erkennt Charlie das rote Kleid und ohne darüber nachzudenken, öffnet sie die Tür weiter und schlüpft raus in den Schnee. Während sie auf die Gestalt zu läuft, registriert sie das es schneit und eigentlich müsste ihr kalt sein aber Charlie ist nicht kalt, während sie ohne Schuhe durch den Schnee stapft. So näher sie der Gestalt kommt desto mehr rückt alles andere in den Hintergrund, wieso machen alle so einen Aufstand.. ihre Mutter schläft nicht zum ersten Mal an einem unüblichen Ort ihren Rausch aus... mit jedem Schritt aber wächst ihre Gewissheit, das hier etwas nicht stimmt, ihre Mutter liegt seltsam verdreht dar als wären sie eine Art Schlangenmensch dabei weiß doch jeder das ihre Mutter ungelenkiger war als jeder Steifteddy* ... ist.. ihre Mutter ungelenkiger ist. Wieso denkt sie in der Vergangenheit an ihre Mutter, dabei liegt sie doch direkt vor ihr und sie muss sie nur wachrütteln. Gerade als Charlie die Hand ausstreckt um ihre Mutter an der Schulter zu berühren, reißt sie ein starker Männerarm nach hinten aber nicht rechtzeitig. Trotzdem hat Charlie den roten Schnee gesehen, die kleinen rosafarbenen Stücke überall um den roten Schnee verteilt, den merkwürdig verdrehten Hals ihrer Mutter und ihr Gesicht. Das tote Gesicht ihrer Mutter. Charlie windet sich aus den Armen des Mannes, der sie wegzerren will und übergibt sich. Hier in den Schnee, direkt neben die Leiche ihrer Mutter, am Weihnachtsabend.

Ein sanftes Stupsen holt sie aus ihrer Erinnerung zurück, ihre Zigarette ist in der Zeit völlig abgebrannt und eine kalte kleine Träne liegt auf ihrer Wange. Schnell wischt sie diese weg. Sie schaut auf das Lichterkettenmeer vor Ihnen, schaut auf ihre Hand, ihre bläulichen Knöchel, ihre Beine, auf Bens Hand, die so nah neben ihrer liegt, auf seine Beine, in sein Gesicht. Zärtlich legt er einen Arm um sie, Ben wusste schon immer was sie wann braucht. Sie rückt näher an ihn heran und nimmt seine Hand. In Bens Armen löst sie sich förmlich auf während er sie hält, ihr Sicherheit gibt. Sie weint um eine Mutter die sie nie geliebt hat aber die sie trotzdem vermisst, um eine Kindheit die sie nie gehabt hat, um jedes Weihnachtsfest das ungefeiert blieb, um jede Erinnerung die nie passiert ist, um sich selbst.  

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