Pause

„Ria?" Besorgt strich jemand über ihre Stirn. „Ria?"

Gerne hätte sie geantwortet, aber ihre Muskeln versagten ihr jeden Dienst. Alles in ihr schrie nach Erlösung, doch die wollte einfach nicht kommen. Jede Zelle ihres Körpers brannte. Zwar war dieses Gefühl nicht mehr so stechend, wie vor der Schwärze, jedoch immer noch stark genug, um ihr den Verstand zu vernebeln.

„Ria, hier. Ich hoffe, das wird dir helfen."

Etwas Kühles legte sich über ihre brennende Stirn. Kurz darauf spürte sie, wie ihr etwas eingeflößt wurde. Es war kühl und linderte den Schmerz in ihrer Kehle ein wenig. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie zurück in die flauschigen Untiefen eines traumlosen Schlafes fiel.

„Reece, du musst sie ins Krankenhaus bringen." Besorgt strich Lea über Rias schweißnasses Gesicht. „Sie fiebert."

Mit verschränkten Armen lehnte Aleix im Türrahmen. Er ließ sich nicht anmerken, was er über die ganze Situation dachte. „Das würde nichts bringen."

Ungläubig starrte seine Kollegin ihn an. „Reece, sie vergeht fast vor Fieber."

„Es sinkt. Seit Tagen schon."

„Bleibst du deshalb zuhause? Wegen ihr?" Vorsichtig nahm sie den nassen Waschlappen von Rias Stirn und tauchte ihn in das kalte Wasser einer bereitstehenden Schüssel. „Wie schlimm war es?"

Aleix setzte sich ans Fußende des Bettes und betrachtete die noch immer bewusstlose Ria. „Sie ist zusammengebrochen, als sie vom Tod ihres Freundes erfahren hat. Kein Arzt der Welt kann ihr jetzt helfen."

Mit gerunzelter Stirn musterte Lea ihren Vorgesetzten. „Reece, sei doch vernünftig. Wir alle wissen, dass du sie ins Herz geschlossen hast. Das ändert aber nichts daran, dass du sie nicht ewig bei dir halten und dein eigenes Leben vernachlässigen kannst."

„Sie hat keine Familie", erwiderte er in der Hoffnung, dass ihr diese Erklärung ausreichen würde.

Lea seufzte leise. „Du bist unrettbar."

Er rang sich ein gequältes Lächeln ab, bevor er sich erhob und ihr einen Kaffee anbot.

Dankend nahm Lea an. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum Reece dieses Mädchen nicht aus den Augen lassen wollte. „Was hast du nur mit ihm gemacht?", murmelte sie kopfschüttelnd.

In diesem Moment schlug Ria die Augen auf.

Panisch suchte sie mit fiebrig-glasigen Augen ihre Umgebung ab, fand aber nichts Vertrautes.

„Ria, es ist alles in Ordnung." Beruhigend versuchte Lea auf sie einzureden. Es schien jedoch, als würden ihre Worte nicht einmal ansatzweise in das Bewusstsein der jungen Frau zu dringen. „Reece", rief sie, als das Mädchen aus dem Bett sprang und versuchte an ihr vorbeizukommen.

Aleix tauchte gerade rechtzeitig neben ihr auf, um zu verhindern, dass Ria sie ausschaltete. „Raus aus dem Zimmer", wies er seine Mitarbeiterin an. Lea erschrak ob des barschen Tonfalls, befolgte aber seine Anweisung. Sie war sich sicher, dass er wusste, was er tat.

Wie wahnsinnig versuchte Ria sich von den Armen zu lösen, die sie festhielten und daran hinderten, Blake zur Hilfe zu eilen. Immer wieder hieb und trat sie nach Aleix und versuchte, von auswegloser Verzweiflung getrieben, sich sowohl mit lauteren als auch unlauteren Mitteln seinem Griff zu entziehen.

Seufzend wich er ihrem Schlag aus und verdrehte ihre Arme auf dem Rücken. In ihrem geschwächten Zustand stellte sie für ihn keine echte Bedrohung dar. Für jeden anderen Menschen jedoch schon. Deshalb hatte er Lea aus dem Raum geschickt.

„Beruhige dich", raunte er ihr ins Ohr, während er das schwer atmende Mädchen wieder ins Bett verfrachtete.

„Blake", hauchte sie schockiert. Ihr fahriger Blick blieb an ihm hängen und der wirre Ausdruck in ihren Augen klärte sich. Endlich schien sie ihn wahrzunehmen. „Aleix." Zitternd schlang sie die Arme um ihn. „Wo... w-wo ist Blake?"

Besorgt musterte er ihre bleichen Züge. Ihre Frage war überflüssig - sie wollte nur Gewissheit darüber, dass sie sich nicht irrte. „Verstehst du nun, warum ich dich niemals ausgelöst hätte?", fragte er sanft.

Sie nickte - zitternd und den Tränen nahe. Selbst ihre Stimme kündete von den Schrecken, den sie in jeder Faser ihres Wesens spürte. „Ja."

Liebevoll strich er ihr übers Haar und beantwortete schweren Herzens ihre Frage. „Er ist in der Pathologie."

Mit großen Augen starrte sie ihn an. „Er wurde umgebracht?"

Unverwandt blickte er in ihre Augen und suchte nach Anzeichen von aufkeimendem blindem Aktionismus.

In Rias Augen sprach sein Schweigen Bände. Geknickt sackte sie in sich zusammen. „Und ich hatte so gehofft, dass wir zueinanderfinden würden, dass ich ihn doch noch vorbehaltlos lieben könnte." Ihre Stimme troff vor Hoffnungslosigkeit. „Hast du mich hergebracht?"

Er nickte und strich gleichzeitig beruhigend über ihren Handrücken. „Erinnerst du dich?"

Mit geschlossenen Lidern schüttelte sie ihren Kopf. „Nur an das, was vor dem Schmerz kam. Das letzte, an das ich mich erinnere ist, dass Ragna dafür gesorgt hat, dass ich das Bewusstsein verliere."

„Ragna?", fragend sah er sie an.

Ertappt biss sie sich auf die Lippe. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich zu einer Antwort durchringen konnte. „Mein Geist, Gefährte oder wie auch immer du ihn nennen willst."

Ihr den Kopf tätschelnd stand er auf. „Ich habe Lea einen Kaffee versprochen."

Schockiert starrte sie ihn an. „Hat sie ...? Ich meine, ich habe gerade..." Geknickt schüttelte sie ihren Kopf. „Danke."

„Du solltest dich bei ihr bedanken. Sie hat die Tage immer mal wieder nach dir gesehen."

„Tage?"

Aleix schenkte ihr ein beriuhigendes Lächeln. „Deine Katze schläft im Wohnzimmer und deine Sachen liegen im Schrank. Du weißt ja, wo die Dusche ist." Mit einem letzten leicht besorgten Blick auf sie verschwand er aus dem Zimmer.

Zitternd und sich seltsam verlassen fühlend stand Ria auf, nahm sich ein paar Sachen aus dem Schrank und schlüpfte ungesehen ins Badezimmer.

Unterdessen verteilte Aleix den Kaffee auf zwei Tassen und trug sie zu seiner Kollegin ins Wohnzimmer.

„Wie geht es ihr?" Besorgt nahm Lea ihm eine Tasse ab.

Schulterzuckend antwortete er: „Wie soll es ihr schon gehen? Sie hat ihren einzigen Rückhalt verloren." Finster dreinblickend nahm er einen großen Schluck des heißen Gebräus.

„Immerhin ist sie jetzt wach. Hat eine Weile gebraucht, bis sie wusste, wo sie war, oder?"

Aleix schwieg eine ganze Weile. Als seine Kollegin ihren Kaffe ausgetrunken hatte, fragte er: „Soll ich dich nach Hause bringen?"

Lea lehnte entschieden ab. „Danke, aber ich kann auch den Bus nehmen."

„Dann lassen Sie mich Sie nach Hause bringen."

Überrascht sahen beide Erwachsene zu Ria. Sie sah noch immer recht bleich aus, doch die Dusche schien ihr gutgetan zu haben. Mit einer lässigen Kopfbewegung warf sie ihre feuchten, zu einem lockeren Zopf gebunden Haare nach hinten. „Schließlich haben Sie sich um mich gekümmert."

„Oh nein", entgegnete die Kommissarin lachend, „ich kann das auf gar keinen Fall annehmen. Du bist krank und gehörst ins Bett. Außerdem war ich nur hier, um Reece zu überreden, wieder zur Arbeit zu gehen. Immerhin ist das sein Fall."

Es kostete Ria alle Mühe, sich nicht aus Versehen zu verraten. Es bedurfte eines strengen Blickes von Aleix, damit sie sich noch rechtzeitig auf die Zunge biss.

„Ihr habt diesen Zajc also endlich gefunden?"

„Hat Reece es dir noch gar nicht erzählt?"

Ein schmerzverzerrtes Lächeln umspielte ihre blassen Lippen. „Ich bin mir sicher, dass er das hat, nur habe ich nicht allzu viel davon mitbekommen." Mit geheuchelter Neugierde fragte sie ihn: „Und? Wo war er? Ihr habt ihn doch verhaftet, oder?"

Aleix verzog seine Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln. „In einem Vorort. Das Haus war richtig hübsch, ich bin mir sicher, es hätte dir dort gefallen."

„Zweifelsohne", erwiderte sie trocken.

Lea, die den Wortwechsel der beiden interessiert verfolgt hatte, runzelte irritiert die Stirn. „Was auch immer ihr für eine Beziehung habt... Es ist jedenfalls keine Liebschaft, wie Al immer behauptet."

Ria grinste frech. „Ah, natürlich, Reece ist die Liebe meines Lebens. Ohne ihn zu sein zerreißt mir geradezu das Herz."

„Noch ein wenig theatralischer und man könnte dir die Theaterschule tatsächlich abkaufen", stichelte Aleix sarkastisch.

Froh, über das Bisschen Ablenkung sank sie hoch dramatisch vor ihm auf die Knie. „Oh Romeo, verlasst mich nicht."

Leas Kichern beendete die gespielte Schmierenkomödie der beiden. „Nein, wir haben keine Affäre", bemerkte Ria lächelnd.

„Nein", entgegnete die Beamtin nachdenklich, „die habt ihr wirklich nicht."

Mit einem Blick auf die Uhr sprang Ria auf. „Was? Schon so spät? Welcher Tag ist heute?" Aleix hatte ihr vorhin nicht sagen wollen, wie lange sie bewusstlos gewesen war.

„Heute ist Mittwoch, wieso?" Neugierig wartete Lea auf Rias Reaktion.

„Mittwoch? Also war ich gar nicht tagelang bewusstlos." Erleichtert legte sie sich auf den Boden. „Und ich hatte schon befürchtet, irgendwas verpasst zu haben." Wenn sie sich recht entsann, war es Montag oder Dienstag gewesen, als sie ausgezogen waren, um Zajc zu erledigen.

„Du warst eine Woche lang wie weggetreten."

Aleixs Anmerkung ließ ihr Herz gefrieren. „Eine Woche?! Reece, warum hast du mich nicht aufgeweckt, du weißt doch, wie viel ich zu tun habe. Oh Gott, ich muss den ganzen Kram aus der Schule nachholen und... und mich um Blakes Beerdigung kümmern und..."

Ihr versagte die Stimme, als sie in seine dunkelblauen Augen sah.

„Das wollte ich ja, aber du warst nicht ansprechbar. Um den Rest solltest du dir vorerst keine Gedanken machen."

Ohne Vorwarnung sprang sie auf. „Meine Sachen, die sind alle noch im Haus von Blake. Was passiert jetzt damit?"

„Ria." Scharf schnitt seine Stimme durch den Nebel an Tatsachen, deren Konfrontation sie sich momentan nicht gewachsen fühlte. „Hol doch erst einmal Luft und lass dir Zeit, das alles zu verarbeiten."

Lea räusperte sich. Sie gab sich gar nicht erst die Mühe, ihr leichtes Unbehagen zu verbergen. „Ehm, ich denke, ich sollte jetzt gehen. Schön, dass du wieder auf den Beinen bist". Sie schenkte Ria ein freundliches Lächeln. „Reece, wir hoffen, dass du bald wieder deiner Arbeit nachkommst."

Beide schwiegen, bis die Tür ins Schloss gefallen war. Dann fragte Ria neugierig: „Du arbeitest doch hoffentlich weiterhin. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen damit aufhörst."

Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er sie sanft in seine Arme. „Ich bin durchaus in der Lage, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern. Wichtig ist nur, dass du so schnell es geht mit den Geschehnissen abschließt. Die nächste Zeit wird für dich nicht einfach werden."

Es dauerte einen Moment, bis sie zustimmend nickte. „Okay. Aber es gibt da eine Sache, die ich noch klären muss. Ich muss mich um den Verräter kümmern."

Behtusam steckte Aleix eine schon trockene Haarsträhne zurück in Rias nachlässig geflochtene Frisur. „José Chang. Was sagt dir der Name?"

Ihre Augen verfinsterten sich schlagartig. „Kemal." Ihre Stimme klang so kalt, dass er Eisflocken in der Luft zu sehen glaubte. „Sein Kontaktmann in Brasilien hatte diesen Namen. Ob es nun Kemal ist oder sein Kontaktmann... Ich habe da etwas überhört, was man in beide Richtungen deuten kann."

„Das scheint für dich jetzt keine besonders neue Erkenntnis zu sein", stellte er sachlich fest.

„Ich hatte es vorher schon vermutet", gestand sie ihm flüsternd. Schmerz, Wut und Verzweiflung lagen in ihrer Stimme. Sie vernebelten langsam ihre Sinne und versuchten sie zu ersticken. „Wie kann ich je mit alledem leben?"

Aleix konnte förmlich sehen, wie Ria versuchte, die vor Kummer in kleine Teile zerschlagenen Fragmente ihres Selbst so gut es ging wieder zusammenzusetzen. Sie war buchstäblich am Boden zerstört. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. Aber was hatte es für einen Sinn, sie zu belügen? „Gar nicht", antwortete er wahrheitsgemäß. „In stillen Momenten sehe ich immer noch das Bild meiner Schwester vor mir. Wir werden niemals aufhören können, hin und wieder den Spuren zu folgen, die die von uns Gegangenen in unserem Herzen hinterlassen haben. Die Kunst ist, damit umzugehen."

Halt suchend klammerte sie sich an seinen durchtrainierten Körper. Sie fühlte sich noch nicht bereit, alles alleine zu stemmen. Ihr altes Selbst hasste sie dafür. Doch was wollte sie machen? Sie war nicht mehr die Ria von vor alledem. „Das alles hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Gibst du mir Halt, bis ich wieder alleine gehen kann?"

Sie tauschten einen langen, intensiven Blick aus, ehe er ihr voller Wärme versprach: „Ja, ich werde dir Halt geben."

Erleichterung durchströmte Ria so heiß, dass es selbst die seit Langem tiefgefrorenen Ecken ihres Selbst zum tauen brachte. Dieser kleine Satz, sein Versprechen, war ihr kostbarster Besitz. Ihr Anker in einer Zeit, in der alles um sie herum zu zerbrechen drohte.

„Es ist schon spät", durchbrach er schließlich die andächtige Stille. „Setz dich hin und sieh von mir aus ein wenig fern. Ich werde uns etwas kochen."

Ria, der das ausgezerrte Gefühl ihres Körpers seit ihrem Aufwachen zu schaffen machte, nickte müde. „Ja, das wird sicher helfen." Erschöpft ließ sie sich in die weichen Sofakissen sinken.

Nein, dachte Aleix voll Sorge, das wird es nicht. Ein Blick in Kühlschrank und Eisfach verpasste seinem Plan ordentlichen Dämpfer. „Pizza?", fragte er deshalb und griff nach dem Telefon.

Sie schenkte ihm ein wissendes und zugleich mitleidiges Lächeln. „Ging mir genauso, bevor ich zwangsweise umsiedeln musste. Also, ja."

„Zwangsweise umsiedeln?", hakte er interessiert nach, nachdem er den Anruf getätigt und die Bestellung aufgegeben hatte.

Wehmut spiegelte sich in ihren klaren, braunen Augen. „Ja, bevor dieser ganze Mist seinen Lauf genommen hat."

Ihr Blick huschte zu ihrer Katze, die seelenruhig auf einem der Sofakissen schlief. „Vor etwa zwei Jahren bin ich hergezogen. Nach Europa. Ich hatte eine niedliche kleine Wohnung, vollgestopft mit allem möglichen Kram. Bücher, Filme, CDs... die üblichen Verdächtigen eben. Ich wusste zuerst gar nicht, wo ich den Katzenkram packen sollte. Immerhin platzte meine Wohnung schon aus allen Nähten." Lächelnd schwelgte sie in Erinnerungen. „Ich habe Cora getroffen, als ich draußen unterwegs war. Sie war verletzt und dem Verhungern nahe. Kein Wunder, mit der Beinverletzung, die sie hatte." Unsicher lächelte sie ihn an. „Ich konnte nicht anders, als sie mitzunehmen. Sie hatte den Tod nicht verdient."

Fürsorglich zog er sie an sich. Er konnte nicht anders, wenn sie ihn so verletzlich ansah. „Du verhältst dich ziemlich widersprüchlich, meinst du nicht auch?"

Ungehalten zog sie seine Hand aus ihrem Haar und funkelte ihn fragend an.

„Nun ja", erklärte er schmunzelnd, „auf der einen Seite bedeutet dir ein Menschenleben gar nichts und auf der anderen Seite rettest du ein verletztes Kätzchen vor dem Hungertod."

„Das ist ja wohl etwas vollkommen anderes", beharrte sie stur. „Tiere können allgemeinhin nichts für das, was die Menschen ihnen antun. Sie sind ebenso unschuldig wie Kinder. Erwachsene andererseits können sehr wohl zwischen Recht und Unrecht unterscheiden und wissen, was sie tun."

Die Tiefsinnigkeit hinter ihrer Einstellung überraschte ihn. Damit hatte er nicht gerechnet. „Da ist was Wahres dran."

Ohne Vorwarnung sprang Ria auf. „Ich föhne mir kurz die Haare." Irritiert sah Aleix ihr hinterher. Hatte er etwas Essentielles verpasst?

Als sie wieder aus dem Bad kam, standen zwei Schachteln mit dampfenden Pizzen auf dem Tisch und der Fernseher lief. Eingeschaltet war irgendein Nachrichtenprogramm. „Das ging aber schnell."

Aleix drückte ihr ein Messer in die Hand. „Zum Essen", erinnerte er sie mit einer gehörigen Portion trockenen Humors.

Die Augen verdrehend streckte sie ihm die Zunge entgegen. „Denkst du wirklich ich wüsste nicht, wofür die Dinger gut sind?"

„Nicht, dass du sofort zur Tür hinaus marschierst und ein Blutbad anrichtest", entgegnete er schulterzuckend und widmete sich seinem Abendbrot.

„Ehrlich gesagt, fühle ich mich noch nicht dazu in der Lage, wieder unter die Leute zu gehen."

Es war nur ganz kurz, dass sie ihren inneren Schild fallen ließ und ihm einen Einblick in ihre Gefühlswelt erlaubte.

„Du kannst dir Zeit lassen."

„Und wie lange?", fragte sie bitter. „Ich bin nicht doof, Aleix. Du hast mir selbst gesagt, ich bin die Erbin meines Vaters."

Seufzend durchtrennte er den Teig seiner Pizza. „Gönnst du dir eigentlich auch einmal fünf Minuten Ruhe?"

Ihr vernichtender Blick sprach Bände. „Es muss doch irgendwo alles geregelt werden, oder?"

„Halt den Mund und iss. Danach kann ich dir immer noch erklären, was auf dich zukommt."

Seine klare Ansage brachte Ria tatsächlich zum Verstummen. Von einer inneren Unruhe erfasst, starrte sie die Nachrichtensprecherin an und knabberte an ihrer Pizza.

„Okay." Gesättigt schob er seinen leeren Pizzakarton von sich. „Du kümmerst dich um die Beerdigung und danach verrate ich es dir."

Ungehalten starrte sie ihn an. „Spinnst du? Du hast gesagt, du verrätst es mir jetzt."

Er verharrte ebenso stur auf seinem Standpunkt, wie sie auf ihrem.

„Na gut", gab sie sich schließlich geschlagen. „Aber du versprichst, es mir zu sagen?"

Unnachgiebig hielt er ihrem Blick stand. „Wenn ich mir sicher bin, dass du dich nicht verlierst. Versprochen."

Frustriert sprang sie auf. Dieser Kerl war unmöglich. Sie würde daran schon nicht zugrunde gehen. Blöder Sturkopf. „Ich geh schlafen."

Keine zehn Minuten später fing Aleix sie unten an der Haustür ab. Seine starre Miene und die funkelnden Augen verrieten, dass er ganz und gar nicht begeistert war. „WAS soll das bitte werden?"

„Was denkst du denn?", fauchte sie ungehalten und versuchte, sich an ihm vorbei zu mogeln.

Viel zu schnell wurde jedoch klar, dass sie es noch nicht mit dem erfahrenen Jäger vor ihr aufnehmen konnte. Soll ich dir beiseite stehen? Wie immer, wenn Ragnarök Kontakt zu ihr Aufnahm, erkannte sie einen leichten schwarzen Schatten am Rande ihres Sichtfelds.

Ergeben schüttelte Ria ihren Kopf. „Okay, gut. Dein Glück, dass Kemal keinen Schimmer hat, dass mir dieser Name bekannt ist." An ihren Schattendrachen schickte sie: Schon gut, er will mir ja nichts Böses.

Verständnis strömte ihr entgegen. Ruh dich aus, Kleine. Du musst zu Kräften kommen. Sonst kann es passieren, dass du in eine Falle rennst.

Während sie sich von Aleix nach oben in die Wohnung führen ließ, unterhielt sie sich weiterhin unbemerkt mit ihrem treuen Gefährten. Meinst du es stimmt, was Zajc gesagt hat und Kemal will mich?

Rangaröks tiefes Seufzen in ihrem Kopf machte die Sache nicht unbedingt besser. Deine Gedanken waren mir so lange Zeit verschlossen, dass ich es dir nicht sagen kann. Wenn ich jedoch eines mit Sicherheit weiß, dann, dass dein Aleix dir bestimmt antworten kann.

Verdrossen starrte sie auf dessen Rücken. Du spinnst, der sagt mir nichts. Kein Wort wird der mir erzählen, solange er der Meinung ist, meine Trauer würde mich zerfressen.

Vielleicht hat er damit gar nicht so Unrecht. Hör mal, du hast Blakes Tod kaum körperlich verwunden. Glaubst du wirklich, dass du seelisch schon drüber hinweg bist? Du neigst dazu, deine Gefühle von dir wegzuschieben. Irgendwann geht das nach hinten los.

Trauern kann ich nachher immer noch, fuhr sie ihn patzig an. Es passte ihr gar nicht, dass er ihr mit Vernunft beizukommen versuchte. Sie hatte ja auch nur aufgegeben, weil sie das untrügliche Gefühl hatte, dass nicht einmal Ragnarök ihr gegen Aleix helfen konnte. Soweit sie ihn bislang kennengelernt hatte, war er ein ganz anderes Kaliber als Blake.

Natürlich. Ich will nur, dass du dich ausruhst. Immerhin kann ich nicht an deiner Stelle kämpfen. Erhole dich körperlich und wir können wir alles tun, wonach uns beliebt. Ich werde mir zwar über dein Seelenheil den Kopf zerbrechen, aber du willst es ja anscheinend nicht anders. Kopfschüttelnd zog er sich langsam zurück.

Schnaubend trat Ria in die Wohnung. „Ja, sicher", brummte sie mürrisch vor sich hin.

„Hast du was gesagt?" Fragend sah Aleix sie an.

„Nicht zu dir", brummte sie entnervt und betrat seine Wohnung. „Ich habe nicht mit dir gesprochen."

Kopfschüttelnd sah er ihr hinterher. So abrupt, wie ihre Stimmungswechsel waren, musste er jetzt nicht unbedingt versuchen weiter in sie zu dringen. „Morgen bringe ich dich zu Blake, wenn du ihn noch einmal sehen möchtest."

Ria hielt inne und drehte sich langsam zu ihm um. „Das wäre sehr nett von dir." Ihre vorsichtigen Worte wurden von einem vagen Lächeln begleitet. „Danke."

Verblüfft folgte er ihren Schritten. Das war ja überraschend einfach. Dennoch, oder gerade deshalb traute er dem Frieden nicht so ganz. Dieser plötzliche Sinneswandel passte überhaupt nicht zu ihr. Er fragte sich, was sie wohl vorhaben mochte.

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