Ninja & Kate Yanai
Ein leises Zischen in der Luft warnte Ria nur Sekunden, bevor das Messer sich in die harte Erde neben sie bohrte. Als sie es sah, verdrehte sie genervt ihre Augen. Es war eines dieser dummen Wurfmesser. Noch so ein Möchtegern-Ninja. Geschickt ließ sie das Messer in ihrer Hosentasche verschwinden und verließ den spärlich beleuchteten Weg, um im Dunkel einer Seitengasse unterzutauchen. Wenn ihr Angreifer spielen wollte, sollte er sein Versteckspiel haben. Sie war sich sicher, dass ihr Verfolger sie vermutlich noch beobachtete. Also zeigte sie sich zwischenzeitlich unter den schwach leuchtenden Straßenlaternen.
Auf diese Weise sammelte sie noch drei weitere Wurfmesser ein, bis sie eine relativ genaue Vorstellung davon hatte, in welchem Radius sich ihr Verfolger bewegte. Inständig hoffend, dass die Zielperson auf den Rhythmus, in dem sie bei ihrem Ortungszug die Straße entlang gefallen war, weiterhin folgen würde, drückte sie sich an die dunkle Mauer. Angespannt verharrte sie im Schatten. Würde ihr Verfolger wirklich so dumm sein?
Anscheinend war er das. Jemand sprang von der Mauer neben ihr. Vorsichtig schätzte sie ab, wie sich ihr Griff um das Messer durch ihre dünnen Handschuhe veränderte.
Nun schien auch ihrem Verfolger aufgefallen zu sein, dass er ihr nicht mehr folgte. Suchend sah er sich um, dann erstarrte er plötzlich. Seine Augen weiteten sich, als er die junge Schwarzhaarige hinter sich erblickte. Mit seinem eigenen Messer in der Schläfe sank Rias Verfolger zu Boden, gleichzeitig verschmolz sie wieder mit der Dunkelheit. Sie musste sichergehen, dass dies die einzige Person war, die sie verfolgte.
Eine ereignislose Viertelstunde später kam sie wieder aus ihrem Versteck hervor und betrachtete den Attentäter. Sie konnte ihr verächtliches Schnauben nicht verbergen. Schon wieder ein Ninja. Dabei hatte sie nicht ernstlich angenommen, dass es wirklich noch eine Person gab, die in einem so albernen Kostüm durch die Gegend lief. Lächerlich.
Plötzlich hallte Gelächter durch die dunkle Nacht. Wenn sie keine Zeugen wollte, musste sie verschwinden. Und zwar pronto. Ohne Umschweife rannte sie nach Hause. Blake war nicht da, also schnappte sie sich ihre Ausrüstung. Von ihrem Ausflug nach Brüssel war ihr Mantel noch mit all ihren Waffen bestückt. Eilig band sie sich ihr Schwert um und schlüpfte in ihren Mantel. Die restlichen drei Wurfmesser des Ninja hinterließ sie in Blakes Holzsäule. Irgendwie fand sie das besser, als die Teile bloß auf den Tisch zu legen. Vielleicht, ja vielleicht war die Luft sogar so rein, dass sie und Cora un... Sie wagte es gar nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Besser, sie machte sich keine allzu großen Hoffnungen. Zunächst galt es nämlich das Haus zu sichern.
Leise schloss sie die Wohnungstür. Sie wollte durch den Garten das Gelände verlassen, da ließ ein Geräusch in den Übungsräumen sie aufhorchen. So ein verfluchter Mist! Da war jemand im Gebäude. Innerlich fluchend betrat sie die Kampfschule durch einen versteckten Seiteneingang. Eng an die Wand gedrückt versuchte sie sich an den Gebäudeplan zu erinnern. Sie befand sich im Karate-Raum. Der Raum dahinter war der für moderne Kampfsportarten. Links neben ihr ging es in den Flur. Die auf der anderen Seite angrenzenden Räume wurden als Trainingsräume für alles Mögliche genutzt. Im hinteren lagerten die Übungsschwerter. Und in diesem Raum befand sich der Eindringling. Den Geräuschen zufolge waren dort drinnen mehr als nur eine Person.
Lautlos schlich sie in den ersten Raum und verriegelte die Zwischentür so leise wie möglich. Ein Glück, dass Blake die altmodischen Schiebetüren mit ihren Riegeln nicht hatte abreißen lassen. Das würde die Flucht der ungebetenen Gäste aufhalten, denn jetzt blieb ihnen nur noch ein Ausweg – und der führte an ihr vorbei. Anschließend schlich sie zurück in den Flur. Was machten diese Leute bloß da drinnen? Hoffentlich hielten sie keine allnächtlichen Ninja-Rituale ab. Das wäre eindeutig zu viel für sie. Mit der Hand am Schwergriff betrat sie den Raum.
Als Blake eine halbe Stunde später wiederkam, dachte er, eine Bombe wäre eingeschlagen. Überall herrschte Chaos, eine Fensterscheibe war sogar eingeschlagen worden. Er rannte in seine Wohnung um zu überprüfen, ob Ria wieder da war. Ihr durfte nichts passieren. Bis auf die drei Andenken im Holz fand er jedoch keine Spur von ihr. Aufgebracht stürmte er in ihr Zimmer. Es war nach wie vor leer. Verflucht, wo konnte sie nur sein? Die Kleine durfte ihm auf gar keinen Fall entwischen. Was ihm zu denken gab, war die Tatsache, dass sie ihre komplette Ausrüstung mitgenommen hatte. Hatte sie etwa die Gunst der Stunde genutzt und war abgehauen? Nein, ihre Katze war noch da. Sie hockte am anderen Ende des Raumes und knurrte ihn böse an. Schräge Geräusche aus den Übungsräumen veranlassten ihn dazu, sich dort umzusehen. Im Flur herrschte eine gähnende schwarze Leere. Die Hallentür hinten links war einen Spalt breit geöffnet. Gedämpftes Licht sickerte hindurch und erhellte das undurchdringliche Dunkel des Ganges. Jetzt erkannte Blake auch, was diese komische Mischung von Klängen darstellen sollte. Jemand hörte Summer Dreamin von Kate Yanai. Ein schreckliches Lied. Ihm schwante, wer das war.
Entspannt lehnte er sich an den Türrahmen. So wie es aussah, war Ria gerade dabei ein etwas unschönes Chaos zu beseitigen. Wahrscheinlich war sie sicher gegangen, dass sich niemand mehr im Gebäude aufhielt, bevor sie ihre Putzaktion gestartet hatte, aber dennoch... Als sie nun auch noch anfing, mit ihren Hüften zum Takt der Musik zu wackeln, reichte es ihm. Prompt entledigte er sich seines Hemdes, um es zu einem Seil zu schwingen und es ihr anschließend um den Hals zu legen.
Ria reagierte schnell, aber nicht schnell genug. In Nullkommanichts hatte er sie überwältigt und auf dem Boden festgenagelt.
„Blake", fauchte sie ihn ungehalten an. „Was soll das?"
Er machte keine Anstalten, sich von ihr runter zu bewegen. „Die Musik hat dich abgelenkt. Wäre ich ein Attentäter, wärst du jetzt tot."
Ihm eine Grimasse schneidend versuchte sie unter ihm weg zu krabbeln. „Ein Attentäter trampelt auch wie ein Elefant, wenn er in seine Wohnung rennt und sie hektisch durchsucht." Mit der Hand deutete sie nachlässig auf eine kleine Ansammlung von Leichen. „Sie waren hier, als ich wieder kam. Die beiden, die überlebt haben wollten nicht reden."
Nun stand er doch auf, um sich die leblosen Körper anzusehen. „Und das werden sie wohl auch nicht mehr können. Ich sollte dir beibringen, wie man verhört, ohne dass die Betroffenen dabei sterben." Ungerührt trat er mit dem Fuß nach der Hand eines der Toten. „Drei. Lass mich raten: du wolltest sie alle am leben lassen, damit du jeden einzeln befragen konntest."
Schuldbewusst drehte sie die Musik leiser. „Ja, leider ist der eine sofort gestorben. Es liegt mir wohl einfach nicht, Leute einmal nicht gleich umzubringen."
Die Frustration in ihrer Stimme amüsierte ihn. Lachend zog er sie an sich. „Das macht doch nichts. Hauptsache du bist am Leben."
Seufzend wand sie sich aus seinen Armen. „Genau darüber muss ich mit dir reden. Ich habe auf dem Rückweg einen Umweg gemacht. Dabei bin ich angegriffen worden. Von einem Ninja. Man, dieses Kostüm ist echt zum kotzen! Auf jeden Fall solltest du die drei Souvenirs, die er mir überlassen hat, bereits bemerkt haben."
Blakes Mundwinkel zuckte. „Du weißt, dass der Holzbalken eine stützende Funktion hat? Wenn du weiterhin deine Messer darin zu parken gedenkst, sollte dir bewusst sein, dass er irgendwann abknickt." Mit einem desinteressierten Schulterzucken wandte sie sich wieder dem Aufräumen zu.
Um das genaue Ausmaß ihrer Verteidigungsaktion zu erfahren, machte er sich fachmännisch daran, die Flecken auf dem Boden zu untersuchen. Sie hatte sauber gearbeitet - lediglich eine Tatami musste ausgewechselt werden. Die Leichen von hier verschwinden zu lassen war schon schwieriger. „Ruf Dimitrios an", wies er sie scharf an. „Sag ihm dass er drei Leichen in den Keller schaffen und morgen zum Krematorium fahren muss."
Widerspruchslos folgte sie seiner Anweisung. Danach zog sie sich zurück, die Musik weiterhin laufen lassend. Draußen fuhr ein Auto vor. „Ich geh einmal nachsehen", sagte sie stirnrunzelnd zu Blake und verschwand.
Auf dem Weg zur Tür positionierte sie ihre Waffen neu. Das Auto stand auf dem Schulparkplatz. „Was machen Sie hier?" Verblüfft stellte Ria ihr Schwert im Eingangsbereich ab. „Ich dachte, Sie benötigen meine Dienste nicht mehr."
Rasch schloss Reece seine Autotür und hob kapitulierend die Hände. „Ich hatte den Eindruck, dass der Anblick der Leiche dich ein wenig aus der Fassung gebracht hat."
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Und da kommen Sie mitten in der Nacht vorbei?"
Reece ahmte ihre Pose nach und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. „Sie wissen, wer es war. Diese Art zu morden ist einzigartig."
Ria schnaubte verächtlich. „Glauben Sie wirklich, dass ich meine frühesten Albträume wieder ausgrabe? Mein Vater ist tot! Machen Sie Ihre Arbeit und lassen mich damit in Frieden."
In diesem Augenblick raste Dimitrios auf den Hof. In höchster Alarmbereitschaft sprang er aus dem Auto. Seine Miene wanderte besorgt von Ria zu Reece und wieder zurück. „Drinnen, hinten links. Wie es aussieht, müsst ihr die Matten auswechseln. Morgen rufe ich einen Klempner. Seht erst einmal zu, dass ihr Schlimmeres verhindern könnt", klärte sie den Griechen auf und ließ ihn eintreten.
„Was ist passiert?", erkundigte Reece sich neugierig.
Ria zuckte mit den Schultern. „Ein Rohrbruch, wie es aussieht. War es das? Soll ich morgen noch einmal vorbeikommen und mir weitere Bilder ansehen?"
Der Kriminalbeamte nickte knapp. „Morgen, gleiche Zeit. Pass auf dich auf, Ria. Ich habe das Gefühl, dass deine ruhigen Zeiten vorbei sind."
Wenn der wüsste, dachte sie kopfschüttelnd. Er hatte ja keine Ahnung.
Als Ria wenig später zu Blake ins Bett kletterte, grübelte sie noch immer über die Worte des Polizisten nach.
„Was bedrückt dich?" Ihr Angetrauter drehte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf auf dem Handballen ab. Aus seinen dunklen, sturmgrauen Augen musterte er sie aufmerksam.
Sie schüttelte bloß ihren Kopf. „Warum hast du Kit so hingerichtet, wie er meine Mutter damals?" Nie würde sie den Anblick der Leiche ihrer Mutter vergessen.
„Meine Leute und Feinde sollen wissen, dass man mich nicht herausfordert."
Ria schlug die Hand beiseite, die Blake ihr entgegenstreckte. „Hör auf so scheinheilig zu tun. Ich habe die Fotos von Kits Leiche gesehen. Sag mir, hast du auch eine Nagelschere genommen, um ihm die Brustwarzen abzuschneiden?"
Blake hatte genug gehört. Mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete er von oben herab, wie ihr Brustkorb sich mit jedem Atemzug hob und senkte. „Nein, keine Nagelschere. Ein Skalpell, wenn du es genau wissen möchtest. Es war nicht meine Absicht, dich damit zu verletzen. Du hättest die Bilder nie sehen sollen." Langsam strich er über ihren Oberschenkel, schob ihr schwarzes Nachthemd weiter nach oben. Ria versuchte sich zu wehren, doch plötzlich war sie mit den Händen ans Bett gefesselt. „Du bleibst hier, bis du dich wieder eingekriegt hast. Solange wird der Polizist seine Arbeit ohne deine Hilfe verrichten müssen."
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So, heute ein neues Kapitelchen für euch :) Hoffe, ihr habt euren Spaß daran gehabt.
Würd mich freuen von euch zu hören, was ihr zu den Charakteren sagt. Bislang irgendwelche Lieblinge oder Hassobjekte?
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