Klär mich auf, Blake

„Du bist noch nicht einmal vollständig erwacht und schon verlangst du alles zu wissen. Es wäre besser für dich, du würdest noch eine Weile sorglos durch die Welt rennen und deine Freiheit genießen, solange du sie noch hast." 

Sie fürchtete seinen Zorn, wollte aber nicht nachgeben. „Was soll das heißen? Erklär es mir! Denn falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, es scheint ein Irrer hinter mir her zu sein. Das mit meiner Freiheit hat sich also erledigt. Wer bin ich? Wer waren meine Eltern? Klär mich auf, Blake."

Ein Rudel Leute platzte herein. Sie schienen von einer Party zu kommen und wollten hier augenscheinlich weiter feiern. Ein gebelltes „Raus hier" von Blake durchschnitt das muntere Geplapper und die anderen konnten gar nicht schnell genug verschwinden. Angespannt wandte er sich wieder an Ria. Noch immer wirkte er so ungeheuer angsteinflößend, dass sie am liebsten davongerannt wäre. Allerdings lagen ihre Chancen hier wegzukommen irgendwo zwischen Null und minus Unendlich. Vermutlich eher bei minus Unendlich.

Irgendwie schien er ihre Überlegungen mitbekommen zu haben, denn urplötzlich stand er vor ihr, um sie knurrend aufs Sofa zu stoßen. „Bleib sitzen, dann erzähle ich dir, was du wissen willst."

Neugierig blieb sie, wo sie war. Seine Einwilligung beruhigte und überraschte sie gleichermaßen. Sie war gespannt, was er ihr alles erzählen würde. Bei Zweifeln konnte sie ja immer noch Reece fragen. Beim Gedanken an den charmanten Polizisten wurde ihr ein wenig mulmig zumute. Beinahe hätte sie Blake mit ihm betrogen. Aber war es denn überhaupt Betrug, wenn sie diese Beziehung mit ihrem Boss gar nicht wollte?

„Hier." Er drückte ihr ein Glas Wasser in die Hände und setzte sich anschließend neben sie. „Ich meine mich daran zu erinnern, dass ich dir bereits erzählt habe, dass du mir seit dem Nachtritual gehörst. Du magst es vielleicht veraltet nennen, aber es ist wichtig, dass ein Jäger nicht ohne Meister lebt. Wir sind in so etwas wie Clans organisiert. Das dient unserem Schutz. Die Regeln sind hart, die Bestrafungen für Regelbruch erbarmungslos. Ich denke, du hast mittlerweile einen ganz guten Eindruck davon. Der Meister, in deinem Fall bin das ich, kann nach Belieben über sein Eigentum verfügen. Und das bist du. Meine Frau, mein Eigentum. Du kannst lieben, wen du willst. Wenn ich sage, du schläfst mit mir, dann hast du das zu tun. Dein Vater war ebenfalls ein Clanmeister, deine Mutter eine sehr starke Jägerin. Sie war äußerst beliebt und fast so hübsch wie du. Sie haben sich wirklich geliebt. Deine Geburt grenzte an ein Wunder. Nur wenige von uns werden geboren. Die meisten sind geschaffen worden. Geschaffene Jäger sind wertlos. Sie sind nur geringfügig besser als Menschen, im Kampf gegen uns haben sie keine Chance. Du hingegen bist eine geborene Jägerin. Jeder Jäger, der etwas auf sich hält wird versuchen, sich mit dir zu paaren, wie man so schön sagt. Das ist der Selbsterhaltungstrieb. Außer dir gibt es weltweit noch etwa zwanzig geborene Jägerinnen. Alle äußerst heiß begehrt. Deine Mutter starb, weil sie sich für eine monogame Beziehung entschieden hat. Einer ihrer Verehrer hat es nicht verstanden und sich gerächt. Dein Vater musste sterben, weil er dem Mörder auf die Schliche kam." Es folgte eine kurze, andächtige Stille. „Wir waren sehr enge Freunde. Er wusste, dass er nach ihrem Tod nicht ewig weiterleben würde. Nur deine Existenz hat ihn unter uns gehalten. Er wollte, dass du fernab von alledem aufwächst. Der Mord an ihm hat deutlich gemacht, dass das eine reine Wunschvorstellung war. Wir konnten nur hoffen, dass niemand von dir wusste. Dein Vater und deine Mutter gaben sich alle Mühe, die Schwangerschaft vor allen anderen geheim zu halten." 

Er hielt inne und wartete, damit sie die Neuigkeiten verdauen konnte, bevor er ihr noch mehr erzählte. Sie nahm einen tiefen Schluck und ging in Gedanken noch einmal durch, was sie erfahren hatte:

*               Ihre Art war in Clans organisiert. Es gab die Clanmeister, die ihre Leute durch Brandmale an sich banden. Gehörte man erst einmal einem Meister, war man ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert

*               Regelbruch war eine Blutsünde

*               Blake und ihr Vater waren beide sogenannte Clanmeister

*               Ihr Vater und ihre Mutter waren geborene Jäger gewesen

*               Es war möglich Jäger zu schaffen, allerdings waren sie geborenen Jäger unterlegen

*               Jäger waren in der Regel geil auf Fortpflanzung

*               Weibliche Jäger hatten die Arschkarte gezogen, weil alle männlichen wie dämlich hinter ihnen her waren. Natürlich in dem Wunsch, sie zu begatten

*               Ihre Mutter starb, weil sie keine Schlampe sein wollte und ihr Vater vermutlich, weil er ihrem Mörder auf der Spur war

*               Ihre Eltern hatten versucht, sie um ihrer Sicherheit willen vor den anderen zu verstecken

„Wow." Wiederholt nippte sie an ihrem Glas. Was für eine abgefahrene Geschichte. Das richtig zu verarbeiten, würde dauern. „Hast du sie sehr gut gekannt?"

Mit unleserlicher Miene nahm er ihr das Glas aus der Hand und zog sie auf seinen Schoß, wo er sie sanft in seine Arme schloss. „Sie waren die besten Freunde, die ich je hatte. Ich musste ihnen versprechen für dich zu sorgen, kaum dass sie wussten, dass deine Mutter schwanger war."

Rias Zorn war schon vor einigen Minuten verraucht. Zwar war sie von seiner Verschwiegenheit noch immer nicht begeistert, aber sie hatte damit rechnen müssen. Wenn seine Worte stimmten, genoss sie gerade eine Sonderbehandlung. „Blake. Ich weiß nicht, ob ich deine Nähe ertragen kann. Denn ich muss dir vertrauen. Und mein Vertrauen hast du schon oft genug überstrapaziert."

Sogleich verstärkte er seine Umarmung. „Du gehst nirgendwohin. Ich würde sagen, ich beweise dir gerade, dass du mir vertrauen kannst. Das sind Informationen, die niemand sonst bekommt. Dadurch, dass du hier als meine Frau giltst, hast du eine recht hohe Position inne. Gleichzeitig dient es als Tarnung. Je weniger Kontakt du zu den anderen hast, desto weniger fällt auf, wie besonders du bist. Nach wie vor gilt, dass du bei Kemal und mir sicher bist. Er weiß über alles Bescheid. Das hast du dir vermutlich schon denken können."

Sie gab ein langsames Nicken von sich, dann schluckte sie schwer. „Das bedeutet also, dass ich weiterhin mit dir schlafen muss?"

Langsam strich er durch ihr langes schwarzes Haar und über ihre angespannten Muskeln. „Dein Vater war so ganz anders als ich. Er konnte immer gut mit Frauen."

Mit leerem Blick starrte sie auf sein Hemd. Sie wollte sich jetzt nicht auch noch mit ihrer eigenartigen Beziehung auseinandersetzen. Es gab genug andere Dinge, über die sie sich den Kopf zerbrechen musste. „Wie hießen sie? Kannst du mir noch mehr von ihnen erzählen?"

Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. „Willst du nicht zuerst wissen, was du bist? Es sind noch ein paar deiner ersten Fragen offen."

Ein halbherziges Nicken. „Kannst du mir das später erzählen? Ich möchte erst von meinen Eltern hören. Ich kann mich an fast gar nichts erinnern. Bitte erzähl mir von ihnen." Damit sie dem Horror der Gegenwart wenigstens für ein paar Augenblicke entkommen konnte. 

„Deine Mutter hieß Mei. Ursprünglich wollte sie dich Rio nennen, aber dein Vater war dagegen. Er meinte, dass dich dann alle für einen Jungen halten würden. Sie haben lange diskutiert und sich letztendlich auf Ria geeinigt. Dein Vater, Liam, war wirklich bis über beide Ohren in sie verliebt. Er trug sie auf Händen, wann immer sich die Möglichkeit dazu bot. Deine Mutter hat immer gescherzt, dass sie bald das Laufen verlernen würde, wenn das so weiterginge. Sie hatte dunkelbraune Augen und ein Lächeln, das so ziemlich jeden Mann in ihrer Nähe zum Schmelzen bringen konnte. Oft genug musste dein Vater ihre Anbeter vertreiben. Nach einigen blutigen Exempeln hatten die meisten wohl verstanden, dass Mei tabu war." Leicht versonnen lächelnd fuhr er fort: „Sie hatte ein unglaubliches Gesangstalent. Vor und nach deiner Geburt hat sie fast nur noch gesungen. Es war zum Verrücktwerden.

„Ihr Kennenlernen war auch ein Highlight. Vor Mei war Liam ein ziemlicher Schürzenjäger. Könnten Menschen von uns schwanger werden, hättest du bestimmt viele Verwandte. Die Familie deiner Mutter lebte lange Zeit in einem kleinen Dorf irgendwo in Japan. Und dort haben wir sie auch kennengelernt." Gedankenversunken legte er seinen Kopf auf ihrem ab. „Kemal war auf der Suche nach einer Zielperson. Liam und ich haben ihn begleitet. Dein Vater wollte die japanische Frauenwelt erobern. Er hatte nie Probleme, sich ein Mädchen anzulachen – bis wir in das Dorf kamen, in dem deine Mutter lebte. Deine Großeltern versuchten sie im Verborgenen aufzuziehen. So ziemlich aus demselben Grund, aus dem wir versuchen dich abzuschirmen. Im Gegensatz zu dir war deine Mutter damals schon erwacht. Sie wusste also was wir waren. Wie nicht anders zu erwarten, hatte dein Vater natürlich sogleich ein Auge auf diese Dorfschönheit geworfen. Aber Mei ließ ihn abblitzen. Auf einem Dorffest, das nur einen Tag nach unserer Ankunft abgehalten wurde, war dein Vater drauf und dran eine Orgie zu veranstalten. Deine Mutter hat ihn und die drei beteiligten Mädchen in einer Scheune gefunden. Die ganze Nach lang hat sie Liam über die Hügel gejagt. Ich glaube, sie war mit einer Art Mistgabel bewaffnet. Es war ein Bild für die Götter." Leise lachte Blake in sich hinein.

„Drei Jahre später kamen wir erneut in das Dorf. Liam war mittlerweile zum Clanmeister aufgestiegen. Er überredete Mei dazu, mit uns nach Europa zu kommen - dazu band er sie an sich. Von da an machte sie ihm das Leben zur Hölle, wann immer sich ihre Wege kreuzten. Oft genug wusch sie ihm gehörig den Kopf. Es dauerte gut hundert Jahre, bis dein Vater sie vollends zu der Seinen machte. Und dann irgendwann kamst du." Seufzend drückte er sie an sich. „Deine Mutter hat sich nie für das Kämpfen interessiert. Sie dachte, dein Vater würde sie ewig beschützen können. Aber auch wir Meister haben unsere Grenzen. Deshalb war es uns so wichtig, dass du von Kindesbeinen an das Kämpfen lerntest. Mei hätte uns ordentlich die Leviten gelesen, hätte sie gewusst, dass ich deinem Vater versprochen habe, dich so eng wie nur irgend möglich an mich zu binden, sollte die Zeit gekommen sein."

„Ach, und ich soll damit einverstanden sein?", grummelte Ria mürrisch vor sich hin.

Zärtlich strich er ihr eine vorwitzige dunkle Strähne aus der Stirn. „Jeder weiß, dass du mir gehörst. Derjenige, der dich verfolgt, ist schon ziemlich dreist."

So, wie Blake sich ausdrückte, musste er wohl eine große Nummer sein. Vielleicht konnte Reece ihr mehr darüber sagen. Auf einmal kam sie sich so schrecklich falsch vor. Sie empfand etwas für Reece und doch lag sie hier in Blakes Armen. Und nicht nur das. Der beinahe liebevolle Ton, in dem er von ihren Eltern gesprochen hatte und die beschützende und zugleich seltsam tröstende Art der Umarmung... Das wurde ihr ein wenig zu viel. „Ich bin müde. Darf ich schlafen gehen?"

„Du brauchst nicht zu fragen." Fürsorglich strich er ihr erneut übers Haar.

Sie focht einen hartnäckigen inneren Kampf, bevor sie es endlich über sich brachte zu fragen: „Erzählst du mir oben weiter Geschichten von meinen Eltern? Ich möchte alles wissen, an das du dich erinnerst."

Er würde ihr nicht von jeder einzelnen Sekunde berichten, denn dafür hatten sie einfach viel zu viel Zeit miteinander verbracht. Dennoch willigte er ein, ihr ein wenig mehr zu erzählen. „Betrüge mich nicht ohne meine Erlaubnis mit deinem Polizisten, Ria. Das ist eine Blutsünde." Er flüsterte ihr diese beunruhigenden Worte in Ohr, während er sie nach oben trug. Bevor sie etwas erwidern konnte, fuhr er fort, ihr Geschichten aus längst vergangenen Zeiten zu erzählen. 

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Auf das drängende Klopfen hin schlug Reece seine Decke zurück und stand verärgert auf. Wer war denn bitte so dreist, ihn mitten in der Nacht zu stören?

Juans wallnussbraune Augen blickten ihn durch den Türspion hindurch an. Die Ungeduld stand ihm nur so ins Gesicht geschrieben. „Laura Maria Costello", verkündete er triumphierend und marschierte in die Wohnung, kaum dass Reece die Tür auch nur einen kleinen Spalt breit geöffnet hatte.

Verwirrt sah er auf den kleinen Spanier hinab. „Was ist mit dem Namen?"

Sein ungebetener Gast warf ihm einen tadelnden Blick zu. „So heißt deine kleine Freundin, Reece. Ich habe sie gefragt. Euer Video ist der Renner."

Reece runzelte ungehalten die Stirn. „Das war erst gestern Abend. Das Internet ist zwar schnell, Juan, aber so schnell nun auch schon wieder nicht. Warum folgst du mir?"

Wieder machte Juan eine tadelnde Geste. „Na na, mein Guter. Unsere Kleine war doch Zeugin bei einem äußerst ungewöhnlichen Mordfall. Hat sie sich an den Mörder von damals erinnern können?"

„Das ist nicht mein Fall", entgegnete Reece knapp.

Sein Ex-Schwager musterte ihn scharf. „Du verheimlichst mir doch nichts, oder?"

In dem Moment platzte Reece der Kragen. Mit dem Unterarm drückte er Juans Nacken an die Wand. Dabei quetschte er ihm ein wenig die Kehle. Er würde es überleben. „Vergiss nie, wer ich bin. Du magst dich für einflussreich halten, aber das bist du nur begrenzt. Deine Mittel sind versiegt. All die Jahre habe ich mich von dir wie einen Untergebenen behandeln lassen, weil Carmen wollte, dass wir gut miteinander auskommen. Das ist vorbei, Juan. Halte dich von dem Mädchen fern. Du würdest es nicht überleben. Folgst du mir oder ihr noch ein einziges Mal, bist du dran. Ich finde dich und werde dich töten."

Der Spanier sah ihn ernst an. „Reece. Du bist ein Niemand. Deine Schwester war ein Stern. Aber du? Ich bitte dich. Deine Drohung hat weder Hand noch Fuß. Ich bin dir wie immer zehnfach überlegen."

„Raus hier", zischte der Kommissar. „Und wehe ich nehme deinen Geruch auch nur ein einziges Mal in ihrer Nähe wahr."

Es war offensichtlich, dass Juan ihm nicht glaubte. 

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