Hot Dogs

Am nächsten Morgen schlich Ria sich verstohlen zu ihrem Kleiderschrank. Sie konnte ja schlecht barfuß und in Carmens Kleidern an einem Tatort erscheinen. Zumal der Stil von Reece's verstorbener Schwester wesentlich femininer gewesen war als der ihre.

Es war das erste Mal überhaupt, dass sie sich eine ihrer langen Jeans aussuchte und passend dazu eine schwarze Tunika mit Strass-Totenkopf. Dazu zog sie ihre hohen roten Schuhe an. Geschickt verbarg sie ihre Waffen in dem überflüssigen hellblauen Kurzmantel. Eigentlich war es heute zu warm für einen Mantel, aber was wollte sie machen.

Genauso unbemerkt wie sie in ihr Schlafzimmer gekommen war, schaffte sie es wieder zurück zu Reece.

Al staunte nicht schlecht, als er die beiden zusammen ins Büro kommen sah. Reece wirkte zwar unverändert, aber mit Ria schien seit dem Kampf zwischen ihnen etwas passiert zu sein. Sie wirkte ungewöhnlich gut gelaunt.

„Dunn. Der Bericht vom Leichenfundort gestern Abend." Sein neugieriger Blick auf Ria handelte ihm einen bösen von Reece ein. Sein Boss war von Anfang an definitiv zu misstrauisch, was sein Interesse an der jungen Frau betraf.

„Etwas Neues? Oder wieder nichts?"

Bevor Al antworten konnte, hatte Ria sich die Akte geschnappt. Sie schnaubte. „Ihr werdet Spuren finden. Das ist nicht die Handschrift eures Filetier-Mörders. Wenn mich meine Vorahnung nicht trügt, werdet ihr Zajcs Spuren finden. Der tötet ziemlich stümperhaft."

Verwirrt sah der Kommissar sie an. „Die Opfer wurden genau gleich vorgefunden, wie kannst du nur sagen, dass das nicht der gleiche Mörder war?"

„Weil ein Detail fehlt." Al starrte Reece an. Der deutete auf den rechten Oberschenkel des Opfers. „An dieser Stelle hier hatten alle vorherigen Opfer ein Zeichen." Zur Sicherheit überflog er den pathologischen Bericht. „Hier gibt es keines."

Ria deutete auf die Schnitte. „Wenn du den Bericht noch einmal durchgehst, würde ich sagen, da steht drin, dass die Schnitte mit anderen Messern ausgeführt worden sind. Genau kann ich das aber nicht sagen, weil ich die Leichen nicht gesehen habe."

Al staunte nicht schlecht. „Und das sagt dir alles ein Blick?" Er sah zu seinem Vorgesetzten auf. „Und ich dachte nur du hättest so ein Talent, das alles wahrzunehmen, Dunn."

Energisch schloss Reece die Akte. „Warten wir auf die Ergebnisse der Spurensicherung."

Den Großteil des Arbeitstages verbrachten die Kommissare und Ria damit zu versuchen herauszufinden, wo man weiter nach Zajc fahnden konnte. Das erschreckende Ergebnis war, dass seine Leute in einem erschreckend engen Radius um Ria zu agieren schienen. Das bedeutete leider nicht, dass er sich in der Nähe aufhielt. Vielleicht war er noch immer in Belgien. Vielleicht befand er sich aber auch in der Wohnung direkt nebenan. Er war wie ein Gespenst.

Es fiel Ria schwer, sich am Abend von Reece zu trennen. Für einen Augenblick war ihre Welt schön gewesen, vollkommen. Aber die Tatsache, dass sie aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen zu Blake gehörte, holte sie viel zu schnell wieder ein. Um das unangenehme Aufeinandertreffen hinauszuzögern, entschloss sie sich für einen Abstecher zur Kampfschule. Vielleicht war Demo ja heute anwesend.

Demo war anwesend. Allerdings unterhielt er sich mit einem braunhaarigen Spanier mittleren Alters und durchschnittlicher Statur. Ruhig wartete Ria an der Hallentür.

Als der Mann sie nach seinem Gespräch mit dem Karatelehrer entdeckte, lief er aufgeregt auf sie zu. „Sie sind eine der beiden Kämpfer! Ich muss sagen, ich war beeindruckt. Das Video ist im Internet sehr beliebt. Gestatten Sie? Juan Rodriguez Martinez. Ich bin Sportreporter." Er schüttelte Rias Hand ein wenig zu fest. „Ich bin begeistert, Sie hier anzutreffen. Wären Sie zu einem Interview bereit?"

Verwirrt schüttelte sie ihren Kopf. „Ich gebe keine Interviews. Ehrlich gesagt, kämpfe ich gar nicht mehr. Das war eine Ausnahme. Wenn Sie jetzt bitte gehen würden."

Juan machte ein enttäuschtes Gesicht. „Würden Sie wenigstens inoffiziell mit mir sprechen? Ich muss einfach wissen, wie Sie das gemacht haben." Hoffnungsvoll zückte er seinen Block.

Sie schenkte ihm ein kaltes Lächeln. Herrje, verstand der Kerl das Wort Nein nicht? „Bedaure, ich gehe nicht mit Fans aus. Wenn Sie ein Autogramm wollen, wenden Sie sich bitte an mein Management."

Juan setzte seinen Stift auf das Blatt. „Ihr Name?"

Bevor dieser Kerl wusste, wie ihm geschah, hatte Ria ihm bereits einen rechten Haken verpasst. Mit blutiger Nase taumelte er zurück. Zumindest tat er das in ihrer Vorstellung. In der Realität verzog sie nur widerwillig den Mund. „Laura Maria Costello." Das war der Deckname, unter dem sie schon seit Jahren lebte. Genau genommen seit Brasilien. „Und jetzt gehen Sie, bevor Sie eine Anzeige wegen Belästigung kassieren."

Nicht gerade leise vor sich hin murrend, verschwand Juan durch die Tür. Ria warf Demo einen prüfenden Blick zu. „Was genau wollte er?"

Der griechische Hüne zog sie erst einmal freundschaftlich in die Arme. „Schön, dich wieder zu sehen, Süße." Bevor er ihr antwortete, musste er sich einfach vergewissern, dass es ihr gut ging. „Der wollte etwas über dich herausfinden. Wer dein geheimnisvoller Partner war, schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren. Nimm dich vor ihm in Acht."

Verächtlich schnaufte sie. „Ich habe nicht vor, ihn jemals wiederzusehen. Wie geht es dir?"

Er zuckte mit den Schultern. „Wir vermissen dich. Du warst unser kleines Sternchen. Ich hab jetzt 'ne Stunde lang frei. Hast du Lust, spazieren zu gehen? Du hast bestimmt noch nichts gegessen. Im Park gibt es einen super Hotdog-Stand."

„Gern." Begeistert hakte sie sich bei ihm unter. Mit Freunden in den Park zu gehen war etwas, das sie noch nie zuvor getan hatte. Daher genoss sie das entspannte Schlendern durch das ruhige Grün in vollen Zügen. Entspannt liefen sie einen verschlungenen Pfad am Fluss entlang. Währenddessen unterhielt er sie mit lustigen Geschichten aus seinen Unterrichtsstunden. Ria lachte so herzlich, dass sie sich auf den Boden setzen musste, um nicht umzufallen.

„Süße, wenn wir noch etwas essen wollen bevor wir zurück müssen, würde ich vorschlagen, wir gehen weiter." Grinsend wischte Demo sich die Lachtränen aus den Augen und half ihr hoch.

Sie kopierte seine Geste und wischte sich ebenfalls die Tränen aus dem Gesicht. Zusätzlich klopfte sie auch noch den Staub von ihrer Hose. „Entschuldige."

Er schenkte ihr ein freundliches Lächeln. „Du bist immer so ernst, Ria. Es war schön, dich lachen zu sehen. In einer Welt wie der unseren kommen solche Gelegenheiten nur allzu selten vor. Bewahre dieses Glück in deinem Herzen."

Es dauerte einige Augenblicke, bis sie ihre Rührung im Griff hatte. Was für herzerweichende Worte.  „Na komm", freundschaftlich schlug sie ihrem griechischen Freund auf die Schulter, „du wolltest doch noch etwas essen, bevor du dir wieder den Allerwertesten aufreißen lässt."

„Süße, du bist die einzige, die das hinbekommt. Meine Schüler haben noch immer einen gehörigen Respekt vor mir."

Gut gelaunt traten sie an einen kleinen Imbissstand. Hier duftete es herrlich nach Bockwürstchen und frischen Brötchen. Ria entschied sich für einen einfachen Hotdog mit Ketchup. Demo hingegen häufte sich gleich Tonnen an Gemüse drauf, nur um dann alles in einer Senfsoße zu ertränken. Mit verständnislosem Kopfschütteln deutete sie auf sein Essen. „Beschwer dich nicht, wenn du dir gleich zu schwerfällig vorkommst, um zu unterrichten. Allein vom Anblick deines Kunstwerkes bin ich satt." Dennoch biss sie herzhaft in ihre eigene Kreation. 


Skeptisch beobachtete Blake, wie Ria gemeinsam mit Demostenes die Stunde beendete. Es überraschte ihn, dass sie nicht über und über nach dem Polizisten roch. Das hob seine Laune ungemein.

Ria gefror, als sie Blake in einer Ecke entdeckte. Demo folgte ihrem Blick und zog sich dann schleunigst zurück. Anstatt etwas zu sagen, wartete Blake, bis sie sich wieder gefasst hatte. „Du warst heute Morgen gar nicht da." Es war ein, wie sie hoffte, unverfängliches Thema.

„Ich dachte mir, du brauchst ein wenig Zeit für dich." Das war eine ganz und gar untypische Antwort für ihn. „Willst du mit nach Hause kommen? Deine kleine Cora vermisst dich schon."

Misstrauisch beäugte sie ihn. „Was genau willst du, Blake?"

Seufzend deutete er auf den Ausgang. „Wir gehen nach Hause. Ich dachte mir, du hättest vielleicht ein paar Fragen. Wenn du nicht willst, ist das auch okay. Ich kann dich schließlich nicht dazu zwingen."

Aber zu allem anderen, fügte sie in Gedanken bitter hinzu. Sie hätte Reece anrufen und ihn fragen können, ob er sie abholen würde. Allerdings konnte sie Blake nicht ewig meiden. Früher oder später würde er sowieso auftauchen und sie nach Hause schleifen. „Sagst du mir, was deinen Sinneswandel ausgelöst hat? Du hast noch nie gerne Informationen preisgegeben."

Ruhig folgte er ihr ins Auto und nach einer kurzen Fahrt auch ins Haus. Mit verschränkten Armen setzte sie sich aufs Sofa. Überraschend abgeklärt sah sie ihn an. Er hatte den Eindruck, als wolle sie ihn provozieren. Mit hochgezogener Augenbraue blickte er auf sie hinab. „Also?"

Betont langsam zog sie eines ihrer Messer aus der Jackentasche und begann damit herumzuspielen. „Also. Ich kann mich ja irgendwie damit abfinden, dass meine Eltern beide umgebracht wurden. Dass mein Vater meine Mutter nicht umgebracht hat, werde ich auch noch verkraften. Und dass jemand hinter mir her ist, weiß ich ja längst. Dank dir und Kemal bin ich bestens darauf vorbereitet, mich selbst zu verteidigen. Hinzu kommt, dass du mich rund um die Uhr bewachen lässt. Was ich nicht verstehe ist, warum du mir verheimlicht hast, was ich bin." Wütend legte sie das Messer auf den Glastisch. „Klar, bislang war ich wie ein Mensch, aber du musst mitbekommen haben, wie ich mich verändert habe und du hast nichts gesagt. Selbst, als es offensichtlich wurde. Du hast mich mit nichts weiter als Andeutungen abgespeist. Glaubst du wirklich, dass ich dir blind vertraue, wenn ich weiß, dass du mir wichtige Informationen vorenthältst?"

„Du gehörst mir, Ria. Ich kann tun und lassen, was ich will."

Wütend sprang sie vom Sofa auf. „Ich gehöre überhaupt nicht dir, Blake. Ich bin immer noch meine eigene Herrin! Du hast mir nichts vorzuschreiben."

Blake bewegte sich schneller, als jeder Mensch es gekonnt hätte. Mit bedrohlich funkelnden dunkelgrauen Augen beugte er sich zu ihr hinab. „Oh, ich kann sehr wohl über dich bestimmen, Ria. Was denkst du wäre los, wenn die Menschen wüssten, dass es einige wenige Wesen unter ihnen gibt, die ihnen überlegen sind? Das Mal auf deiner Haut macht dich zu der meinen."

Erschrocken wich sie vor seinem Zorn zurück. Anscheinend hatte sie den Bogen eindeutig überspannt.

„Du bist noch nicht einmal vollständig erwacht und schon verlangst du alles zu wissen. Es wäre besser für dich, du würdest noch eine Weile sorglos durch die Welt rennen und deine Freiheit genießen, solange du sie noch hast." 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top