Blake
Tags darauf trommelte Ria wie besessen mit den Fäusten auf den Boxsack vor sich ein. Wie so oft trainierte sie in der Kampfsportschule ihres sogenannten Gelegenheitsbosses. Es half ihr, ihren Kopf frei zu bekommen und sich fit zu halten. Als sie eine Bewegung hinter sich registrierte zögerte sie nicht, das Ziel zu wechseln. Es folgte ein rasanter Schlagabtausch, an dessen Ende sie keuchend mit dem Rücken auf der Matratze lag. „Guten Abend, Ria." Schadenfroh lächelte Blake auf die unter ihm liegende junge Frau hinab.
Nach Leibeskräften versuchte sie ihn abzuschütteln, aber sie blieben, wie sie waren. Blakes andauerndes Lachen reizte sie unheimlich. Doch so sehr sie sich auch wehrte - gegen ihren Mentor war sie machtlos. „Gib auf, Süße."
Er quittierte ihren Todesblick mit einem nichtssagenden Lächeln. Erst als sie ganz ruhig dalag, ließ er von ihr ab. „Braves Mädchen." Lässig schlug er ihre Faust beiseite. „Denkst du wirklich, du könntest mich übertreffen?"
„Du wirst älter", stellte Ria trocken fest. „Natürlich werde ich dich irgendwann übertreffen."
Zufrieden betrachtete er ihre schlanke, durchtrainierte Figur. „Wir müssen reden." In einer fließenden Bewegung sprang er auf die Beine und zog sie gleich mit sich. „Aber nicht, während du so verschwitzt unter mir liegst. Sonst könnten die Anderen hier noch auf Ideen kommen."
Ria verwünschte ihren Ausbilder und sein hinterlistiges Grinsen. „Was willst du, Blake? Nachdem du mich so oft versetzt hast, kann ich nicht glauben, dass du mir wirklich etwas zu sagen hast."
Blake fuhr sich durch die langen braunen Haare. Er hatte schöne Haare, fast so schön und voll wie die einer Frau. Er war zwar muskulös, aber nicht so schlimm wie ein Bodybuilder. Seine Muskeln spielten verführerisch unter der Haut, als er sich seine obligatorische Sonnenbrille auf die feine Nase setzte. Abgesehen von seinem markanten Kinn hatte er eigentlich sehr weiche Züge. Um dem entgegenzuwirken, zog er die meiste Zeit über ein Gesicht wie nach sieben Tagen Regenwetter.
„Ich kann deine Abfuhr ja kaum auf mir sitzen lassen."
Von seiner spärlichen Bekleidung unbeeindruckt - er trug lediglich eine Sporthose, die seinen durchtrainierten Körper gekonnt in Szene setzte - schnappte Ria sich ihre am Rand stehende Flasche und trank sie in wenigen tiefen Zügen aus. „Worüber willst du mit mir reden?"
Blake deutete auf die Tür zu seinem Privatbereich. „Über Dinge, die niemandem außer uns etwas angehen." Unwillkürlich musste sie an eine in Samt gehüllte Klinge denken, die ihr jemand an den Hals drückte. Dieser jemand stand momentan in Form von Blake vor ihr.
Nichts Gutes ahnend folgte sie ihrem Gelegenheitsboss in dessen geräumiges Wohnzimmer. Eine von Blakes Haussklaven - anders konnte man diese armen Leute, die hier angestellt waren wirklich nicht bezeichnen - hatte dafür gesorgt, dass kühle Getränke bereitstanden. Sie machte sich nicht erst die Mühe, sich hinzusetzen. „Also?" Mit vor der Brust verschränkten Armen starrte sie ihn abwartend an.
Ganz so, als hätte er alle Zeit der Welt, trank er langsam aus seinem Glas, bevor er es mehr als gemächlich vor sich abstellte. Wie aufs Stichwort drang in diesem Augenblick ein klägliches Maunzen aus dem Nebenraum zu ihnen herüber. In Nullkommanichts war Ria bei der Tür und öffnete sie. Ihr brach das Herz, als sie Cora hier entdeckte. Gleichzeitig war sie froh, die Katze wohlauf zu sehen - fürs erste. Sie wusste, dass sich das schneller ändern konnte, als ihnen beiden lieb sein mochte.
„So ein rührendes Kätzchen", kam es gedehnt vom Sofa.
Cora an ihre Brust drückend wirbelte sie zu ihm herum. „Warum tust du das?", fauchte sie wütend. „Und warum zur Hölle nochmal hast du mich von Harriot beschatten lassen?" Dieser Trampel war ihr seit jener Nacht fast nicht mehr von der Seite gewichen - ein weiterer Grund, weshalb sie sich voller Inbrunst auf den armen Boxsack gestürzt hatte.
„Um herauszufinden, ob es einen Freund gibt, den ich zuerst aus dem Weg schaffen muss, damit du mein wirst."
Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Und noch einen. Kurz darauf stand sie mit dem Rücken an der Wand, Blake nur Zentimeter von ihr entfernt. Dabei raste ihr Puls mit dem ihrer Katze um die Wette. Eiskalt lächelnd legte er eine Hand um ihren Hals. „Meine liebe Ria. Wenn du nicht möchtest, dass ich deiner kleinen Katze - die du zweifelsohne sehr lieb gewonnen hast - etwas antue, bleibst du bei mir. Ich werde dich nicht einsperren, keine Angst. Aber solltest du nach einem Auftrag einmal nicht zu mir zurückkehren, wird dein Kätzchen nicht mehr lange unter uns weilen."
Sein Atem auf ihrer Wange fühlte sich an wie ein Todeskuss. Mit niedergeschlagenen Augen nickte sie. Innerlich kochte sie jedoch vor Wut. Wollte man überleben, widersprach man Blake nicht. So einfach und gleichzeitig unumstößlich war das.
Das zufriedene Lächeln auf seinen Lippen erinnerte an ein Raubtier, das soeben erfolgreich seine Beute erlegt hat. „Du bist so ein braves Mädchen. Du kannst dein Kätzchen laufen lassen. Solange du bei mir bleibst, ist es sicher. Von nun an wird dir niemand mehr folgen. Also, was möchtest du heute Abend essen? Zur Feier des Tages, versteht sich."
Ihr war ganz und gar nicht nach essen zumute. Sie wusste ganz genau, warum Blake sie hier gefangen hielt. Er hatte ihr einst von seiner ‚Frau' erzählt. Ein junges Ding, das versucht hatte zu fliehen. Er hatte sie zuerst gefoltert und dann ihre Familie vor ihren Augen umgebracht, bevor er sie in die ewigen Jagdgründe geschickt hatte. „Ich will sichergehen, dass sie alles hat." Ihre Stimme klang ungewöhnlich heiser und piepsig. Angesichts der sadistischen Bestie vor ihr war das auch kein Wunder.
Keinen Augenblick lang ließ er aus den Augen, als sie das angrenzende Zimmer betrat, das von nun an einen Teil ihres kleinen Gefängnisses darstellte. Obwohl er behauptet hatte, sie nicht einzusperren, hatte er im Grunde genommen genau das getan.
Sorgfältig schloss Ria die Tür hinter sich. Nachdem sie Cora vorerst in Sicherheit und gut versorgt wusste, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich dem Teufel persönlich zu stellen. Schwer schluckend blickte sie in Blakes sturmgraue Adleraugen. „Was willst du von mir, Blake?" Normalerweise blieb sie in Gegenwart von Männern gelassen. Aber nur weil sie wusste, wer am Ende des Abends noch leben würde, käme es zu einer Auseinandersetzung. Jetzt war es etwas vollkommen anderes. Wie Blake ihr vorhin noch eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte, konnte er sie mühelos in die Knie zwingen.
„Ist das wirklich so schwer zu erraten, Darling? Was will ein Mann wohl von seiner Freundin?" Er warf ihr mehr als eindeutige Blicke zu.
In dieser Nacht suchte Ria ganz bewusst eine Straßengang auf. Sie musste sich schlagen, all den Frust loswerden und versuchen, ihre Ohnmacht zu bekämpfen. Um den Kampf nicht allzu unfair zu gestalten, ließ sie ihre Messer wo sie waren. Schließlich schätzte sie halbwegs ausgeglichene Kämpfe.
Eine Stunde später hatte sie alle Mitglieder entweder umgebracht oder krankenhausreif geschlagen. Dinge, die sie sehr gerne mit Blake angestellt hätte.
Wie versprochen - schließlich hing sie am Leben ihrer Katze - kehrte sie wieder zu Blakes Haus zurück. Doch anstatt in die Wohnung zu gehen, machte sie sich in den Übungsräumen zu schaffen. Sie schnappte sich eines der stumpfen Übungsschwerter und Drosch damit so lange auf den zu Übungszwecken aufgestellten Holzstamm ein, bis dieser in der Mitte abzuknicken drohte. „Verfluchter Blake." Wütend nahm sie Schwung und trat zielsicher gegen den oberen Teil des Baumstammes, der sich daraufhin mit einem lauten Knacken von seiner unteren Hälfte verabschiedete.
„Da bin ich ja richtig froh, dass ich dich in die Tasche stecke." Sie war zu erschöpft, um sich gegen Blake zu wehren, der ihr das Schwert aus der Hand nahm und sie erbarmungslos in seine Wohnung schleifte. „Du erwartest doch nicht, dass ich dir erlaube die ganze Nacht außer Haus zu bleiben?" Er platzierte sie neben sich auf dem Sofa und bellte dann Befehle in sein Telefon. Anscheinend hatte Roko sich mal wieder nicht ganz an die Anweisungen gehalten. Wenn er so weiter machte, würde er bald nicht mehr aufwachen.
„Ria." Die beinahe zärtlich klingende Stimme Blakes erschreckte sie mehr, als all seine begangenen Grausamkeiten zusammengezählt. Stahlharte Arme drückten sie in die Polster. „Beruhig dich." Sein barscher Tonfall beruhigte sie tatsächlich. Das klang wesentlich mehr nach Blake.
„Was willst du", brachte sie zwischen mühsam zusammengepressten Lippen hervor.
„Dir sagen, dass du in einer Woche deinen nächsten Auftrag zu erledigen hast. Die Zielperson wird dann in erreichbarer Nähe sein. Genauere Informationen gibt es wie immer kurz vorm Einsatz."
Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. „Wenn das so ist, kannst du mich bis dahin schlafen lassen. Vielleicht wache ich ja auf und stelle fest, dass das hier alles bloß ein dummer Traum ist."
„Ein sehr schöner Traum?", fragte er schelmisch grinsend.
„Albtraum", lautete die prompte Antwort. Sein selbstzufriedenes Lachen folgte ihr bis in ihre Träume.
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