Prolog - Das zweite Leben.

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Paris war mein Glück, meine Chance und mein neues Leben. Ich liebte es hier, die unendlichen Straßen, den Sinn für Mode der Menschen und den Klang der Stadt. Trotz harter unzufriedener Arbeit bei Chanel.

Ich besuchte einmal die Woche das Louvre und obwohl ich mittlerweile sämtliche Kunstwerke auswendig kannte, entdeckte ich doch immer wieder ein neues, wunderschönes Detail. Stundenlang konnte ich durch die Gänge schlendern und mich zwischen Touristen verirren. Zu Beginn hatte ich diesen einen Tag immer mit Louis verbracht.

Mein verschrobener, aber äußerst talentierter Arbeitskollege sah Farben, Muster und Kunst mit anderen Augen. Ich wünschte, ich würde all die Dinge durch Louis' Augen sehen können und hätte sein Genie so viel Wunderbares zu erschaffen.All die Kleinigkeiten.

Ich war eher der Mensch für die schlichten Ideen und manchmal war das okay, auch wenn ich oft genug hoffte, dass es sich irgendwann einmal ändern würde. Meine Entwürfe waren Chanel nie so wichtig, dass sie mir die Anerkennung dafür gaben. Auch, wenn ich bereits mehrmals dezente Kopien meiner Arbeit bei ihnen sah.

Tief atmete ich heute die nasskalte Luft ein und spannte den weißen Schirm auf. Ich trug das rote Etuikleid mit der reizenden Spitze und begann mich seit langer Zeit endlich wieder als Frau zu fühlen.

Es dauerte ewig, bis ich anfing zu begreifen, dass nicht meine Art mich zu kleiden, oder mich zu bewegen David damals dazu brachten mich dermaßen zu misshandeln. Der Fehler lag nicht bei mir, denn das Einzige, was man mir vorwerfen konnte, war dass ich dumm genug gewesen war, mich in einen furchtbaren Mann zu verlieben.

Tänzelnd wich ich den großen Pfützen auf den Bürgersteigen aus und dachte daran, wie sehr mich das Justizsystem im Stich gelassen hatte, da das System sich weigerte ihn zur Verantwortung zu ziehen.

Diese hässliche Zeit hatte hier in Paris ihr Ende gefunden und ich war diesem Leben unglaublich dankbar.

Auf dem Fuß der Treppe zum Musée d'Orsay sah ich auf und strich mir mit nervösen Fingern eine entwischte Haarsträhne zurück in den eleganten Knoten. In langsamen Schritten sah ich meine heutige Verabredung auf mich zu kommen.

Geoff Payne schritt vornehm und leicht humpelnd in einem schlichten grauen Anzug, aus seiner eigenen Kollektion, auf mich zu. Die Falten um seine Mundwinkel waren tief und während er in der einen Hand seinen schwarzen Schirm festhielt, so stütze er sich mit der anderen auf seinem Stock ab.

Ein Lächeln ging über die Lippen dieses mächtigen Mannes und ich erwiderte es. Durch Geoff hatte ich erst meine Liebe zum Design entdeckt. Wegen ihm war ich nicht in einen trockenen Studiengang gegangen, sondern war mutig genug es in eine unsichere Welt zu vagen.

„Sophia", begrüßte er mich und drückte mich kurz. Er roch nach Tabak und teurem Rasierwasser. „Wollen wir zum Café de Flor?", fragte er höflich. Schon gestern hatten wir uns dort zum Kaffee getroffen.

Ich mochte das kleine Etablissement mit dem Mobiliar aus den 60er Jahren. Wir hatten Glück und es waren kaum Gäste vorhanden. Der Besitzer, Florencio, ein Mann im gesetzten Alter, begrüßte uns mit einem Lächeln, nahm unsere Bestellung auf und Geoff suchte nach seiner Zigarre.

Hier durfte man noch rauchen und niemand schien sich um irgendwelche Regeln zu scheren. Kaum stand mein Cappuccino vor mir und ein Teller voller Profiteroles mit Zartbitterschokolade, da schlug Geoff gelassen die Beine übereinander und ich sprach: „Ich habe über das nachgedacht, was du mir gestern erzählt hast."

Freundlich musterte er mich und ich rügte: „Ein bisschen ist dein Angebot ja schon, als würde ich mich verkaufen. Und ich bin mir sicher, dass Zweckehen auch in Amerika verboten sind."

„Nun, wir müssten es ja niemanden auf die Nase binden", antwortete Geoff amüsiert und ließ den Blick durch das Café schweifen. Obwohl er ein Mann im fortschrittlichen Alter war, wunderte es mich überhaupt nicht, dass seine zweite Ehefrau um so vieles jünger war, als er. Seine Eleganz und sein selbstsicheres Auftreten machten ihn zweifelsohne attraktiv.

Und vielleicht auch all das Geld.

Ich beugte mich vor: „Fünf Jahre und Henry & Payne würde mir gehören?"

„Nicht gänzlich, du weißt, dass es nicht möglich ist, aber die Mehrheit kann ich dir anbieten", gab er zu.

Das klang regelrecht nach einem Schnäppchen. Fünf Jahre Ehe und ich war steinreich, besaß ein Label und könnte endlich Entwürfe unter die Menschen bringen. Niemand würde meine Idee für seine ausgeben und... ich dachte automatisch an Louis.

„Es ist viel verlangt und der Preis nicht ohne", gab Geoff zu und musterte mich. „Die Regeln sind fest, ich möchte keine Fehltritte in den Klatschzeitungen lesen, wenn du mit meinem Sohn verheiratet bist."

„Und du möchtest Einsicht in die Entwürfe, so lange es geht", schob ich hinterher. „Genauso, dass du dir wünschst, dass ich, wenn du nicht mehr da bist, Joseph Payne zur Rate ziehe."

„Er will gebraucht werden, sonst geht seine Laune in den Keller und er wird unausstehlich", verriet Geoff mir. Darüber musste ich schmunzeln, denn auch mein Vater würde da landen sobald er in Rente ging. Sein Vorteil war jedoch, dass er zwei Enkelkinder hatte, die ihn auf Trapp halten würden.

„Gestern habe ich mir mal angesehen, was das Netz so über Liam schreibt", gab ich zu. „Ganz ehrlich, er ist Meilen weit davon entfernt mich auch nur in irgendeiner Weise anzusprechen."

„Das macht den Deal für dich doch bombensicher", Geoff zwinkerte. „Sicher, mein Sohn ist kein Sechser in Lotto-"

„-noch nicht einmal der Trostpreis", unterbrach ich ihn.

„-aber er wird meinen Deal brauchen, um überhaupt dreißig zu werden", beendete er seinen Satz.

Da war etwas dran, denn Liam Payne lebte, heftig, wild und absolut unkontrolliert. Der Sinn hinter Geoffs ausgeklügelten Plan war zweifelsohne stark. Ich nippte an meiner Tasse und erklärte: „Ich will eine Zusatzklausel im Vertrag."

„Lass hören", forderte er mich auf.

Hart schluckte ich. „Wenn Liam... mich einmal falsch anfasst... dann gehören mir die Firmenanteile, egal welche Dauer der Vertrag noch hätte. Die übrige Zeit ist dann hinfällig." Das Bild von Liam Payne in meinem Kopf war klar und fünf Jahre seine Frau spielen zu müssen, ohne Ausstiegsklausel war mir zu riskant.

Geoff musterte mich ernst, er atmete schwer aus: „Liam ist nicht wie David Grant."

„Ich hätte auch nie gedacht, dass David je im Stande wäre, so etwas zu tun", hielt ich dagegen. „Aber du siehst, so schnell kann man sich irren."

Nie wieder würde ich zulassen, dass ich noch einmal in solch eine Situation geriet. Ich wünschte keiner Frau auf der Welt, dass sich ein Mann das Recht herausnahm und sie schändete. Nur, weil sie nicht tat, was er verlangte und er ihr anders nicht seinen Willen aufzwingen konnte.

„Außerdem würde eine Heirat mit Liam durch die Presse gehen und David weiß sofort wo ich bin", argumentierte ich rational.

Geoff nickte: „Das ist wahr, aber andererseits bringt dir der Name Payne Schutz. Wir sind reich, angesehen und eine solch korrupte Untersuchung würde es nicht geben. Nicht so, wie in London."

„Das heißt also durch die Blume, ihr würdet die Justiz besser schmieren?", fragte ich unverblümt und Geoff lächelte: „So ist es."

Irgendwie sehr bitter, aber in gewisser Weise hatte er auch recht. Als Teil von Henry & Payne würden mir unglaublich viele Möglichkeiten offen stehen. Trotzdem beharrte ich: „Ich möchte die zusätzliche Klausel."

„Und dann... willigst du ein?", horchte er. Unsere Blicke trafen sich und ruhig sprach ich: „Ja. Fünf Jahre, keine Skandale von meiner Seite aus und ich werde die Entwürfe vorlegen, sowie mit Joseph Payne arbeiten, wenn du nicht mehr da bist."

Ich würde mich verkaufen, das konnte ich nicht leugnen, aber es würde alles verändern und manchmal musste genau dieser Preis auch sein. Die Zeit mit Liam würde ich begrenzt halten, ich wollte ihn nicht zu mein neues Rettungsprojekt machen. 

Im Gegenteil, er hatte nichts mit meinen Träumen zu tun - und die würde ich mir erfüllen.

Er blieb dabei einfach ein lästiges Übel, das ich in spätestens fünf Jahren los sein würde.

„Ich werde den Vertrag ändern lassen", bestätigte Geoff und dann, als hätten wir zuvor über das Wetter gesprochen, da wechselte er völlig gleichgültig das Thema. Er fragte mich nach der neuen Kollektion von Armani und was ich davon halten würde. Das Gespräch nahm eine völlig andere Richtung an.

Genau zehn Tage später saß ich auf dem Boden meiner 1-Zimmerwohnung, umgeben von Kisten und stellte ein Glas Rotwein zur Seite. Vorgestern hatte Chanel mir mitgeteilt, dass Henry & Payne mich freigekauft hätten.

Danach bat mich Geoff nur noch darum schnellst möglich zu packen, denn er würde in New York jemanden engagieren, der mir die Gepflogenheiten der High Society näher brachte. Stilvolles Auftreten wollte gelernt sein und ich ihn nicht blamieren.

Vor mir lag der Umschlag mit dem Vertrag und ich setzte mich in den Schneidersitz, um mir die Zeilen noch einmal durchzulesen. Ganz, wie Geoff versprochen hatte, fand sich die zusätzliche Klausel dort.

Mein Blick ging zum großen Fenster, ich konnte den beleuchteten nächtlichen Eiffelturm sehen. Paris zu verlassen machte mich ein wenig wehmütig, immerhin hatte ich mich hier wieder gefunden und war Schritt für Schritt aus dem Schatten der Angst getreten.

Ein Schatten, den David auf mich warf.

Wäre ich eine Payne, würde er es nicht wagen je wieder meinen Weg zu kreuzen. Eine Ehe sollte aus Liebe zur Stande kommen, das war mir klar. Aber nüchtern betrachtet war die Liebe für mich kein Thema mehr. Nie wieder.

Ich hatte am eigenen Leib erfahren, was die Liebe mit einem machte. Sie brach einem nicht nur das Herz, sondern auch Knochen und Selbstachtung. Sie zerstörte jeden Funken Selbstbewusstsein und Sicherheit.

Liebe war nur etwas für bestimmte Menschen und ich gehörte da nicht zu und ganz ehrlich gesagt, ich wollte auch nie wieder dazu gehören. Demnach war die arrangierte und unechte Ehe für mich kein hoher Preis.

Sie hatte nichts mehr mit meinen Wertevorstellungen zu tun.

Ich griff zum Kugelschreiber und setzte meine Unterschrift an die gewünschte Stelle. Dann packte ich den Vertrag wieder weg und leerte das Glas Rotwein.

Es war die richtige Entscheidung. Rational betrachtet.

Ganz sicher. 

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