6 Die Rückkehr.

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❰  S O P H I A 




Es ging mir nicht sonderlich gut. Ich vertrug Essen nicht mehr wahllos und musste morgens als erstes den Gang zum Klo antreten. Nicht, weil ich das morgendliche Geschäft vor mir hatte, sondern eher um zu kotzen. Es nahm kein Ende und bislang hatte ich einfach Glück, dass Liam davon nichts mitbekam.

Noch immer war ich mir nicht sicher, was ich nun tun sollte. 

Fakt war: Mir rannte die Zeit davon. Ich musste mich entscheiden und mit jeden weiteren vergangenen Tag wurde mir deutlicher, ich würde dieses Kind nicht behalten können. Es war dumm diese Option auch nur in Erwähnung zu ziehen, denn alleine, wenn ich an Plan B dachte, dann brach eine Welle an Chaos auf mich herein.

Wie sollte ich ein Kind jetzt wuppen? 

Und dann auch noch mit einem Vater, der überhaupt kein Vater werden wollte? 

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich auf wundersamer Weise plötzlich an Liams Einstellung etwas ändern würde. Er hatte unmissverständlich klar gemacht, dass er keine Kinder wollte und es gab keinen Grund, dass er seine Meinung änderte.

Außerdem hatte ich auch so schon genug Angst vor seiner Reaktion. Also schwieg ich weiter und versuchte mich auf einem Tag nach dem Anderen zu konzentrieren. So wie heute.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stand nun wieder ein gemeinsamer Auftritt an. Liam und ich trafen uns im Foyer des Gebäudes, wo Bill de Blasio und seine Frau Chirlane McCray ihr Apartment hatten. Automatisch hatte ich ein Déjà-vu, denn beim Bürgermeister traten Liam und ich damals zum ersten Mal als offizielles Paar auf.

Die erste Feuerprobe blieb seltsam lebendig in meinen Erinnerungen.

Damals hätte ich nicht geglaubt, dass es einmal zur Gewohnheit werden würde mit Liam solche Einladungen anzunehmen.

In einen passenden dunkelblauen Anzug und einem weißen Hemd vertrödelte sich Liam genervt die Zeit und ich zupfte nervös an meinem blassgelben Etuikleid. Ich hatte auf den schmalen schwarzen Gürtel verzichtet und als Louis dies sah, da hörte ich nur ein 'tz' von ihm. Natürlich fielen ihm solche Kleinigkeiten sofort auf, denn der Gürtel war unter Fachleuten, wie uns, ein Must-have.

Doch den Gästen sollte das heute nicht auffallen.

„Na endlich, Sweets", begrüßte mich Liam und ich bemerkte, dass sich seine Laune änderte. In den letzten Tagen war er viel unterwegs gewesen und dezentes Stalking auf Instagram ließ mich wissen, dass er einen guten Job machte. Mr Dominiko war zufrieden und ich war mir sicher, dass er Liam ganz bald noch zusätzliche Aufgaben aufdrücken würde.

Zum Beispiel eine hübsche Herbst-Kampagne für Henry & Payne. Vielleicht würde er die Marke irgendwann verdient vertreten.

„Hattest du Zeitdruck?", fragte er und ich nahm die schwarze schlichte Clutch von einer Hand in die andere: „Wieso?"

„Weil du dein Haar offen trägst und du das eher selten tust", stellte er fest und ich ließ zu, dass er es mir der Hand berührte. Ich bekam alleine von dieser kleinen Geste eine Gänsehaut und ignorierte die warmen Gefühle, die Liam damit auslöste.

„Müssen wir lange bleiben?", wollte ich wissen. „Denn ich habe ziemlich viel zu tun und muss morgen früh raus."

„Leider ja", antwortete mein Mann und drückte den Knopf für den Fahrstuhl. Dieser kam und wir stiegen ein. „Wahlen stehen an und Bill ist dabei Spenden zu sammeln. Nach dem Essen müssen wir mindestens zwei Stunden durchhalten und irgendwelchen Blödsinn quatschen."

Also gingen gute vier Stunden nur für die Anwesenheitspflicht drauf. Jetzt wurde die gesellschaftliche Pflicht mehr als nur eine Last. Doch es blieb nur Augen zu und durch.

„Glaub mir, ich kann mir auch Besseres vorstellen", gab Liam zu und sah noch einmal auf mein Kleid. Seine Lippen zeichnete ein Schmunzeln nach. Sofort begriff ich, was er meinte. Gelassen und nicht ernst gemeint sprach ich: „Zu schade, dass mir heute mehr danach ist mich mit Leuten zu unterhalten, als jemanden an meine Wäsche zu lassen."

„Ach, das sagst du jetzt noch", behauptete er zuversichtlich. „Wenn du erst einmal zwei, drei Gläser Wein getrunken hast, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus."

Ich würde heute überhaupt nichts trinken und es schon feiern, wenn ich das Abendessen bei mir behielt. Doch statt es offen auszusprechen, schwieg ich.

Wie beim letzten Mal empfing mich Chirlane äußerst herzlich und freundlich. Sie umarmte mich, quasselte auf mich ein und behandelte Liam wie einen kleinen Jungen: „Nicht einmal eine Postkarte aus deinen Flitterwochen haben wir bekommen!"

„Das hole ich nach", ärgerte er sie. „Ihr bekommt einfach eine Karte aus New York."

„Am besten kaufe ich mir die auch noch selbst, oder wie?", zänkerte sie liebevoll und kniff ihm in die Wange. Dann führte sie uns in die bekannten Räume. Sie hatte eine Gruppe von gemischten Gästen, ich erkannte einige Gesichter wieder, so wie unsere Nachbarin aus den Hamptons, April Brooks, aber auch den alten Dirigenten Ronan Kassler.

Beide begrüßten uns und zu meinen Missmut gab sich auch der angebliche Ehefrauenmörder Colin Sweeting die Ehre. Während ich mit April sprach, tauschte sich Liam mit den dicken Stadionsprecher der New York Knicks, James Dolan, aus.

Der Salon und das Wohnzimmer war gemütlich hergerichtet, es gab leichte Drinks und ich bat um einen Ginger Ale. Zu meiner Freude war auch Liams Patenonkel Chet anwesend und ich bedankte mich noch einmal, dass er uns so großzügig sein Haus in Europa zur Verfügung gestellt hatte.

„Nicht doch", wehrte der exzentrische Geschäftsmann ab. „Ihr habt mein Haus wahrscheinlich sauberer verlassen, als ich beim letzten Mal."

Am liebsten wäre ich den restlichen Abend bei Chet geblieben und hätte ihm zugehört. Er schwärmte von Taylor, die er in der letzten Woche erst in einer kleinen Runde getroffen hatte und ich mochte es, wie er meine blonde Freundin sah.

„Schlicht, blass, aber sie hat etwas. Zwischen all diesen bunten Vögel ist sie sehr erfrischend und elegant", brachte er es auf den Punkt. Schien so, als würde Taylors zurückhaltendes und schüchternes Gemüt Anklang finden.

Ich schob mich weiter durch die Räume, begrüßte die Leute und hoffte, dass Chirlane möglichst bald das Essen auftischte, denn die Tafel war bereits festlich gedeckt. Ich betrat den Salon und stellte fest, dass Liam sich mit Bill unterhielt und einem weiteren Opfer, das wahrscheinlich zu einer Wahlkampfspende genötigt wurde.

Einmal mehr genoss ich Liams Anblick und lächelte. Seit ich mir eingestanden hatte, dass ich Gefühle für ihn hatte, war es viel leichter zu akzeptieren, wie ich ihn sah. Ich wünschte nur, er würde öfters durchblitzen lassen, wie viel Verstand er wirklich hatte. Aber scheinbar liebte er sein Image als oberflächlicher und dämlicher Playboy.

Mehr als schade.

Ich trat zu ihm und begrüßte den Bürgermeister von New York. Dabei fiel mein Blick auf den Dritten im Bunde. Es dauerte zwei Herzschläge lang und mir war, als würde sich unter meinen Füßen die Erde auftun.

Groß, aalglatt und als wäre er ein absoluter Gentleman, stand mir David Grant gegenüber.

Die Luft im Raum wurde merklich dünner. Prompt schmeckte ich mein eigenes Blut auf meinen Lippen und spürte jede einzelne Wunde, die er mir zugefügt hatte.

Keine einzige Sekunde Zeit lag zwischen jetzt und unserer letzten Begegnung.

De Hauch eine Herzschlages war ich wieder dort, wo er mich zurückgelassen hatte. 

Misshandelt, zerpflückt, geschändet. Und mit all dem war er davon gekommen. Mein Puls raste, eine ekelhafte Kälte breitete sich in mir aus. Da war sie wieder, diese Hilflosigkeit und Ohnmacht.

Abgebrüht reichte David mir die Hand, er lächelte und seine blauen Augen waren durch und durch berechnend. Ich spürte den Blick von Bill und Liam auf mir als David heuchlerisch sprach: „Sie müssen die Dame sein, die mutig genug war sich mit Liam einzulassen."

Nur mit sehr viel Überwindung gelang es mir die Hand anzunehmen und obwohl er sie innerhalb von wenigen Augenblicken auch wieder los ließ, so war mir als hätte man kochendes Wasser über meine Hand gegossen.

„Scheint so", antwortete ich gezwungen freundlich und dann stellte Bill uns überflüssigerweise vor. 

Ich wusste nicht, wie ich es schaffte neben Liam stehen zu bleiben, den Männern zu zuhören und festzustellen, dass David und Liam sich durchaus verstanden. Sie schienen denselben sarkastischen Humor zu haben und mir war das nie in dieser Form aufgefallen. 

Es war erschreckend.

Ich kam mir vor, wie in einem anderem, falschen Universum.

„Offiziell darf ich dich nicht mit Spenden unterstützen", sprach Liam zu Bill. „Meine Familie wählt seit Generationen die Republikaner."

„Als wenn du dich daran halten würdest und dein Kreuz noch nicht an einer anderen Stelle gemacht hättest", widersprach Bill ihm und er wandte sich an David. Doch dieser nippte gelassen an seinem Scotch und erklärte: „Ich denke nicht, dass ich mich in amerikanischer Politik einmischen sollte, wir Grants sind Briten."

Das sah Bill nicht als Hindernis, im Gegenteil: „Ein weiterer Grund, seinen Horizont zu erweitern."

„Was sagen Sie, Mrs Payne?", sprach David mich direkt an und es wirkte, als würde er die Aufmerksamkeit von sich lenken wollen. 

Mein Herz pumpte heftig vor Angst. Stumm versuchte ich mich daran festzuhalten, dass sich zahlreiche andere Leute in der großen Wohnung befanden und ich es absolut vermeiden konnte mit David alleine zu sein. Doch das beruhigte mich kein Bisschen.

„Ich halte mich aus Politik raus", dabei war mir Politik eigentlich nur furchtbar egal. Unter Davids Blick fühlte ich mich wieder, wie das Opfer, das ich einst gewesen war und mir schnürte das Gefühl mehr und mehr die Luft ab.

Stattdessen glaubte ich aus weiter Ferne erneut seine raue und ekelhafte Stimme zu hören.

»Hast du wirklich geglaubt, du könntest einfach so gehen?«

So, wie er mich ansah, hatte sich absolut nichts geändert.

„Bitte entschuldigen Sie mich", rang ich mich durch und lächelte verkrampft. Hier konnte und wollte ich nicht bleiben. Ich wandte mich ab und spürte im Nacken weiterhin Davids Anwesenheit.

»Niemand geht, wenn ich es nicht will. Auch du nicht.«

Doch! 

Und wie ich das tat! 

Ich konnte nicht anders. Dieser Ort würde mich erdrücken und ich brauchte Luft. Ganz viel Luft.

 Ohne mich von irgendjemanden zu verabschieden, stellte ich im Flur mein Glas Ginger Ale ab. Chirlane klatschte irgendwo in die Hände und bat ins Esszimmer.

Das war meine einzige Chance, ich verschwand in den Fahrstuhl, der direkt ins Apartment fuhr. Quälend langsam schloss sich die Tür und erst, als ich spürte, dass der Kasten sich bewegte, da stieß ich schwer den Atem aus.

Aber das half mir nicht.

»Du gehörst mir. Nur mir und niemanden sonst!«

Kalter Schweiß lief mir über den Rücken, die Wände des Fahrstuhls rückten näher. Wie hypnotisiert sah ich auf die Anzeige, die Stockwerke stellten ein plötzlich episches Hindernis dar.

Sechs... fünf... vier...

Gleich ging die Tür auf. Nur noch ein Bisschen durchhalten.

»Du tust was ich will und wenn du dich widersetzt, dann werde ich dich erziehen müssen.«

In meinen Ohren rauschte es und sobald die Tür des Aufzuges auf glitt, da stolperte ich ins Foyer und zwang mich ruhiger zu werden. Jeder Meter Abstand brachte mich weiter von David Grant weg. Ich war in der Öffentlichkeit, er konnte mir hier gar nichts.

Er würde mir nie wieder auch nur irgendetwas antun!

»Ich muss gehen, Liebling, aber in ein paar Stunden bin ich wieder da und dann genießen wir zwei ein bisschen Zärtlichkeit.«

Seine Stimme schien sich fest in mein Gehirn gefressen haben. Ich roch sein schweres Aftershave und mir war, als wäre ich wieder in der Vergangenheit. Dabei dachte ich, dass ich genau die endlich hinter mir gelassen hätte.

Erst, als ich draußen an der kühlen Abendluft war, da nahm die Panik ab. Der Geschmack in meinem Mund wurde weniger metallisch. Lärm drang zu mir durch, doch trotzdem hörte ich David so klar, als würde er direkt neben mir stehen.

Dieses eine Versprechen, wie hätte ich es nur vergessen können?

»Warte auf mich, Liebling. Ich komme ganz bestimmt wieder.«

Auf grausamer Art und Weise hatte er Wort gehalten. 

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