5 Mein Verbot.
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Erschöpft und ziemlich fertig schritt ich voll beladen durch den Türrahmen des Büros. Pflichtverteidiger zu sein hatte Vor- und Nachteile. Im Moment sah ich nur die Nachteile und nicht zum ersten Mal fragte ich, ob meine moralischen Bedenken, für eine private Kanzlei zu arbeiten, nicht blödsinnig waren.
Ich wollte schlafen, einfach nur nutzlos auf der Couch liegen, Pizza kommen lassen und die Glotze flimmern zu lassen. Doch stattdessen hatte ich noch jede Menge zu tun.
„Horan, Sie haben Besuch", sprach mein Chef, der aalglatte Bobby Donnell, dann eilte er an mir vorbei, um einen eigenen Fall vor Gericht zu vertreten. Nun waren die Büroräume leer und ich stolperte zu meinem Schreibtisch. Dort ließ ich die Akten fallen und sah auf den eventuellen Mandanten.
Verblüfft blinzelte ich, als ich Liams jüngste Schwester erkannte. Grace lümmelte in dem Stuhl, der vor meinem Schreibtisch stand und tippte auf ihrem Handy herum. Als sie mich bemerkte, da hob sie den Kopf und lächelte.
Irgendetwas war anders an ihr und ich brauchte etwas länger, um zu begreifen, dass Grace die Züge eines Teenagers langsam verlor. Das rotbraune Haar fiel ihr über die Schulter, sie trug ein schlichtes, elegantes Kleid und einen rosa Mantel. Auf ihren Knien lag ihr Rucksack.
Verglich ich Grace mit Eliza, dann war Grace an Schlichtheit nicht zu überbieten. Eliza war Perfektion pur, Grace war das Gegenteil. Unordentliches Haar, Blässe, aber sie wirkte zufrieden und ausgeglichen.
„Hey", sprach ich freundlich. „Das ist aber eine Überraschung." Und was für eine. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich je mit Grace alleine gewesen war. Wenn, dann waren wir uns immer in der Öffentlichkeit oder Anwesenheit eines Dritten begegnet.
„Möchtest du einen Kaffee?", bot ich ihr an, doch sie schüttelte den Kopf: „Nein, aber danke."
Ich ließ mich auf meinem Platz fallen und lockerte die blaue Krawatte, ein Geschenk meiner Mutter zum bestandenen Studium. Sie brachte mir Glück und erinnerte mich daran, was man durch Fleiß alles schaffen konnte.
Nun beugte ich mich vor und musterte sie, ein schwaches und angenehmes Parfüm stieg mir in die Nase: „Warum bist du hier? Möchtest du in Liams Fußstapfen treten, bist halbnackt von einer Brücke ins Wasser gesprungen oder hast dein Auto bei Dior im Schaufenster geparkt?"
Grace lachte: „Nichts von alldem. Ich komme wegen einer Bitte."
Jetzt war ich aber mal gespannt. Sie begann mir von einer Kunstausstellung zu erzählen, die sie vor einigen Monaten in London gehabt hatte. „Ich bin gebeten worden die Ausstellung zu erweitern und mein Agent hat mir geraten neue Werke in Angriff zu nehmen."
Sie hatte einen Agenten?
Irgendwie erschlug mich diese Erkenntnis gerade, denn Liam hatte nie verlauten lassen, dass seine Schwester ein begabtes Künsterkind war. Wobei ich sie nur mit Mühe noch als Kind sehen konnte. Grace nahm elegante und vornehme Züge im Verhalten an.
„Soll ich kontrollieren, ob der Vertrag mit deinem Agenten rechts ist, obwohl du nicht volljährig bist?", fragte ich, doch sie lächelte: „Nein, Leeann weiß Bescheid, sie trifft die Entscheidungen mit mir in Absprache. Ich wollte dich lediglich um etwas Zeit bitten."
Irritiert runzelte ich die Stirn und Grace schien ihre Worte sorgfältig auszuwählen: „Ich würde dich gerne skizzieren."
Regungslos starrte ich sie an, dann musste ich lachen: „W-Wie bitte?"
„Du würdest mich kaum bemerken, ich würde mich einfach nur mit meinem Block in die Ecke setzten und dir ein, zwei Tage bei der Arbeit zusehen. Wahlweise könnte ich das auch im Gericht, aber ich weiß nicht, ob es da erlaubt ist", erzählte sie mir als würde sie sich gerade von mir fünf Dollar leihen.
Skeptisch verzog ich das Gesicht: „Du willst mich malen?"
„Nein, skizzieren", korrigierte sie mich. „Das sind verschiedene Dinge. Ich würde die meine Entwürfe natürlich zeigen, bevor ich sie realisiere und umsetze. Nichts geschieht ohne Einwilligung."
„Warum, ich meine, du hast doch sicher genug Motivauswahl", fand ich und wieder lächelte Grace lediglich und strich sich das lange Haar über die Schulter: „Abwechslung belebt das Geschäft."
Ja, natürlich und wir waren hier bei der Pate und bei Don Corleone zum Diner. Grace musterte mich immer noch freundlich und mir wurde klar, dass sie auf meine Antwort wartete.
„Na schön, wenn ich nichts machen muss und du so gut wie unsichtbar bist, warum nicht", knickte ich ein. Was konnte das schon schaden?
Grace zog ihr Handy hervor: „An welchem Tag passt es dir?"
Da ich Dienstags die ganze Zeit am Gericht war, wäre der Donnerstag oder Freitag vielleicht passender, doch Grace erwähnte noch einmal, dass es ihr nichts ausmachte in seinem Gerichtssaal zu sitzen.
Doch ich wollte nicht unbedingt, dass sie sah, wie ich Gang-Mitglieder gegen Sozialstunden oder Bewährung frei bekam. Ab und an wanderte einer in den Knast, aber meistens kamen sie wegen Überfüllung nach einigen Monaten wieder raus.
Elegant erhob sich Grace und schulterte ihre Tasche: „Gut, ich bin dann am Donnerstag hier, wie früh beginnst du deine Arbeit?"
„Um neun", informierte ich sie und sie nahm es nickend zur Kenntnis: „Ich bringe Frühstück mit."
Überfordert sah ich ihr nach und dabei bemerkte ich, dass ich wirklich aufhören sollte Grace als kleines Mädchen zu sehen. Sie würde erwachsen werden und ich... irgendwie alt. Für mich war Grace immer noch jenes Mädchen, das sich mit Wasserbomben aus Luftballons kreischend verjagen ließ, das in den Hamptons Sandburgen wie Kunstwerke baute und nur die roten Weingummis aß.
Ich schüttelte den Kopf, um jeglichen Gedanken an längst Vergangenes loszuwerden und widmete mich der Arbeit. Sie dauerte lange und ich las mich so lange durch Akten, dass es schon finster draußen war.
Erst das Klingeln meines Handys holte mich zurück in die Gegenwart. Irritiert nahm ich den Anruf an und sprach: „Abend Harry, was gibt es so spät noch?" Mit der freien Hand rieb ich mir über das Gesicht und unterdrückte ein Gähnen. Feierabend für heute, unterwegs holte ich mir was zu futtern und zu Hause verschwand ich in mein Bett.
Blieb zu hoffen, dass Eliza nicht da war. Sie hatte mich in Ruhe gelassen, seit sie auf Liam getroffen war und für ordentliches Durcheinander hinterlassen hatte. Sie brachte nur Stress mit sich und ich war es leid.
»Hey Nialler, bist du noch unterwegs?«
„Nein, ich wollte mich jetzt auf dem Weg nach Hause machen", gab ich zu und begann meine Tasche zu packen. Dieses Mal nahm ich keine Arbeit mit nach Hause.
»Also bist du noch im Büro bei Donnell?«
„Ja", ich schob die Schubladen zu und schlüpfte in mein Jackett. „Wieso, muss ich dich aus dem Knast holen und eine Kaution hinterlegen?"
Harry lachte angespannt: »Nein. Ich schicke dir einen Wagen, er wird dich abholen.«
Innerlich wurde ich noch müder und wehrte ab, er sollte sich keine Umstände machen und mir war nicht nach einem Drink. Ich wollte wirklich nur noch nach Hause und schlafen. Alles Weitere musste bis zum nächsten Tag warten. Doch warten war nicht Harrys Stärke.
»Nimm den Wagen, bitte. Ich habe ein paar wichtige Fragen an dich.«
Schwerfällig ließ ich die Schultern sinken, seufzte überarbeitet und knickte ein: „Na schön, aber ich will was zu Essen, wenn ich bei dir bin."
»Kriegst du.«
Damit legte Harry auf und ich schüttelte den Kopf. Manchmal fragte ich mich, was in den Köpfen dieser verwöhnten Leute los war? Ihnen würde richtige Arbeit für einen Monat enorm den Charakter bilden, aber gleichzeitig musste ich zugeben, dass Harry sich die meiste Zeit im griff hatte und charakterlich in Ordnung war.
Meine Schritte hallten in dem dunklen Flur wieder nachdem ich das Büro der Pflichtverteidiger abgeschlossen hatte. Knapp wünschte ich der Reinigungskraft eine gute Nacht und meldete mich beim Wachmann ab.
„Wieder ne' lange Nacht?" - „Nein, heute hält es sich in Grenzen." Zumindest hoffte ich das.
Harry hatte entweder schon damit gerechnet, dass ich noch im Büro gewesen war oder sein Fahrer war nur so über die Straßen geflogen. Der schwarze Wagen stand bereits auf dem Parkplatz und der Chauffeur rauchte und wartete auf mich.
„Mr Horan?"
Ich nickte und setzte mich auf den Rücksitz. Während der Fahrt fielen mir mehrmals die Augen zu und ich nickerte weg. So wäre es auch geblieben, wenn dieser übellaunige Chauffeur nicht plötzlich die Tür aufgerissen hätte. Meine Güte, Freundlichkeit wurde heute auch überbewertet.
Ich schleppte mich raus, schnappte mir meine Tasche und erkannte, dass man mich vor Harrys Apartment am Hudson River. Keine Ahnung, warum er sich zahlreiche Immobilien kaufte, er konnte schließlich nur in einer Bude wohnen. Aber ihn schien es Spaß zu machen Häuser und Wohnblocks zu renovieren und sie dann zu vermieten.
Wer hätte gedacht, dass Harry Planung tatsächlich lag?
Im Foyer musste ich mich anmelden, erst dann durfte ich den Fahrstuhl nutzen. Alles roch nach frischer Farbe und während der Fahrstuhl nach oben surrte, zählte ich von 30 rückwärts. Ich hasste diese beweglichen Kästen. Wenn ich nicht in den zwölften Stock gemusst hätte, würde ich die Treppen nehmen.
Aber ich musste vor Sonnenaufgang bei Harry ankommen. Der Fahrstuhl öffnete seine Türen und ich betrat direkt das renovierte Apartment. Dunkles Marmor erstreckte sich unter meinen Füßen und standen im Kontrast zu den hellen Wänden. Es gab nicht viele Möbel, eher wirkte alles sehr sporadisch, lediglich die riesige griechische Skulptur aus Bronze schien gewollt hier zu stehen.
„Harry?", rief ich und er machte sich am anderen Ende des Apartments bemerkbar. „Also, weshalb sollte ich so dringend hier her kom-" Mir blieben die Worte im Hals stecken, denn Harry war nicht alleine.
Gelassen saß Zayn Malik in einem wuchtigen Sessel und nippte an einem Glas Wodka. Vor ihm auf einem Wohnzimmertisch standen Tüten vom Restaurant Buloshnaya. Ich war nicht unbedingt ein Fan vom Russischen Essen, aber ich hatte Kohldampf. Deshalb war mir die nächtliche Aussicht hinter Malik auf dem Hudson auch egal.
„Setzt dich", sprach Harry und ich musste blinzeln, um ihn zu erkennen. Statt Extravaganz trug er unscheinbare dunkle Klamotten. Ich runzelte die Stirn und blieb stehen: „Okay, was ist hier los?"
„Setzt dich", forderte nun auch Zayn auf und ich öffnete den Knopf meines Jacketts, um es auszuziehen und mich gemütlich auf die Couch zu setzten. Das hier würde definitiv länger dauern. Man goss mir ein Glas Wodka ein und belustigt sprach ich: „Ich fühle mich wie der Pate, nur auf russischen Boden."
So daneben lag ich damit nicht. Im Nachhinein bitter. Die Tüten wurden geöffnet, mir lief das Wasser im Mund zusammen und sofort schnappte ich mir die Grillspieße, Schaschlik spendete Trost. Doch so richtig genießen konnte ich mein Essen nicht, denn wieder Harry noch Zayn schlugen zu.
„Die Pelmeni sehen gut aus, Malik und Borschtsch mit Hochrippe und Speck wird hier kein anderer von uns essen, Harry", wies ich sie darauf hin. Meine Konzentration kam zurück und das Loch in meinem Magen hörte auf mich anzubrüllen. Da sowohl Harry, als auch Zayn schwiegen, seufzte ich tief: „Spukt es einfach aus, was ist passiert?"
Harry war der erste, der sich in seinem Ohrensessel bewegte und sprach: „Wir sprechen hier rein hypothetisch."
Jetzt war ich hellwach, denn hypothetisch bedeutete, dass dieses Gespräch nie stattgefunden hatte. Das klang ernst und Zayn fuhr fort: „Rein hypothetisch hält sich jemand in New York auf, der nicht ganz koscher ist. Er hat Dreck am stecken, wir wissen nicht was, aber es wird da so einiges gemunkelt."
„Da ihr selbst nicht gerade eine reine Weste habt, sollte es euch doch egal sein", meinte ich gelassen und griff nach den Pelmeni, anscheinend wollte niemand die russischen Tortellini essen.
Harry räusperte sich und füllte sein Glas neu auf: „Was, wenn wir hier von einer wirklich, wirklich dunklen Weste reden, so rein hypothetisch?"
„Jungs, das wird langsam albern", fand ich und dann ließ Zayn die Bombe platzen: „Wir müssen jemanden überprüfen lassen, unauffällig und gründlich. Allerdings können wir das nicht durch unsere üblichen Leute machen lassen. Wir wissen nicht, was gefunden wird und je nachdem was ans Licht kommt, kümmert sich in der Regel einer von uns drum."
Schwach erinnerte ich an einem Vorfall vor drei Jahren, da gab es mal einen zwielichtigen Typen im oberen Kreis der New Yorker Upper East Side, der sich einmal zu viel aufdringlich an Gemma ran machte. Harry erklärte, er würde ein ernstes Gespräch unter Männern mit ihm führen und seit dem hatte ich ihn nie wieder gesehen und auch nie in Frage gestellt, was aus ihm geworden war.
„Kennst du jemanden, der diskret und fähig ist?", fragte Harry. Ich dachte nach: „So was wie einen Privatdetektiven?"
„Wahlweise auch einen Hacker, der an geschlossenen Akten ran kommt", warf Zayn ein und ich begann zu verstehen, wieso das ganze hier offiziell niemals stattfand. Mit einer gründlichen Überprüfung meinten beide Alles.
Jede Akte, jeden schwarzen Flecken, jeden Strafzettel. Wahrscheinlich auch über den vereinigten Staaten hinaus. Langsam ließ ich mein Essen sinken und Harry fuhr fort: „Der Preis ist egal, wir brauchen nur jemanden, der sich geschickt anstellt und es mit den Gesetz zur Privatsphäre nicht so genau nimmt."
„Ich weiß nicht, was ich schlimmer finden soll, dass ihr mich tatsächlich danach fragt-", empörte ich mich, aber Zayn grinste schief: „- oder dass du wirklich so jemanden kennst?"
Ich ließ beide zappeln, schwieg und musterte sie. Deshalb fügte Harry hinzu: „Wenn Zayn und ich uns irren, dann ist doch alles easy. Niemand weiß, was eine gründliche Überprüfung ausspuckt."
Klang nur logisch. Ich hielt Harry mein Glas hin und deutete ihm an, dass ich einen Schuss Wodka mehr haben wollte. „In Ordnung. Ich kontaktiere morgen jemanden, der ab und an für meinen Boss Arbeit erledigt." Der Wodka floss und ich fragte: „Wen wollt ihr durchleuchten lassen?"
Harry versuchte neutral zu gucken, doch seine Pokerface war schon immer eine Katastrophe und Sekunden später hing der Name bedeutungsschwer in der Luft.
„David Grant."
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