24 Stark wie Zwei.

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Der Morgen begann mit einer Last auf der Brust. So wie jeden Tag, seit David eine Grenze überschritten hatte. Doch dieses Mal wachte ich nicht auf und schnappte nach Luft, wie nach einem sehr lebendigen Albtraum.

Nein, dieses Mal umfing mich Wärme und ich roch ein leichtes Parfüm. Schwerfällig wandte ich mich nach links und automatisch hoben sich meine Mundwinkel. Sophia drehte sich Nachts sowieso immer in meine Richtung und jetzt lag sie mit ihrem Kopf auf meiner Brust.

Sanft strich ich mit den Fingern über ihr weiches Haar und betrachtete sie. Die dunklen Schatten unter ihren Augen taten mir weh, genauso die Tatsache, dass sie nur schwer atmete. Ich war nicht da gewesen, als David sie überfiel und dafür hasste ich mich.

Natürlich war mir klar, dass dieser Gedanke dumm war, aber ihr wäre all das nicht passiert, wäre ich bei ihr geblieben und hätte nicht vorschnell geglaubt, dass mein Halbbruder sich von mir etwas sagen ließ. Er war genauso arrogant und selbstherrlich, wie ich.

Und das hätte ich wissen müssen.

Sophia bewegte sich, sie ächzte und mir war klar, dass sie immer noch Schmerzen hatte. Ich wünschte, ich könnte ihr all das nehmen. Wir schwiegen und sie blieb liegen, wie sie war. Das Schlafzimmer wurde schwach erhellt und ab und an hörte man den Wind.

„Was hältst du von Elsie?", warf ich ein. Sophia antwortete nicht sofort, schließlich konnte sie mir folgen, wovon ich sprach: „Nein, das klingt mir zu sehr nach der Eiskönigin."

„Ich finde, Elsa ist ein hübscher Name und Elsie klingt niedlich."

„Was ist mit Winnie?"

Nein, auf gar keinem Fall. Winnie the pooh und ich hätte immer einen gelben Bären vor Augen. Mein Kopf berührte ihren und ich suchte gedanklich weiter: „Myra?"

Sophia dachte nach und zu meiner Verblüffung stimmte sie zu: „Ungewöhnlich, aber er gefällt mir."

Ich hätte nie gedacht, dass ich je für mein erstes Kind einen Namen suchen würde. Aber auch ein Sternenkind verdiente einen Namen.

„Ich wünschte, wir hätten sie verabschieden können", sprach Sophia und mir ging es genauso. Vielleicht würde das den Schmerz ein Bisschen dämpfen und etwas von den Schuldgefühlen nehmen. Ich überlegte: „Vielleicht sollten wir das einfach tun und einen Weg finden, damit wir sie loslassen können."

Nun erhob sich Sophia langsam und ich sah, wie sehr es sie anstrengte. Ihr Blick ging zum Fenster, wo man nur vereinzelte Bäume sah. Denn die Sicht zum Meer war auf der anderen Seite. „Denkst du, man kann sie wirklich irgendwann loslassen?"

„Was anderes bleibt nicht", behauptete ich. „Sonst bleibt alles so, wie es jetzt ist."

„Das wird es sowieso", sprach Sophia und gestand: „Ich habe in Paris schon geglaubt, alles würde sich ändern, wenn man nur richtig abschließt. Du siehst, was raus geworden ist."

Ich begann sie zu verstehen. Denn nicht nur Myra verursachte ihren Schmerz, sondern auch das Wissen, dass der Albtraum um David sie immer verfolgen würde. Ich musste das unbedingt beenden und dafür sorgen, dass er ihr nie wieder näher kam.

Harrys Wink nahm Formen an, aber diese Art der Rache war mir immer noch zu unsicher. So etwas musste genau geplant werden, es durfte keine einzige Lücke geben, sonst waren wir alle dran. Das Gericht zu kaufen und auszutricksen gelang nicht immer, besonders nicht, wenn die Leute auf der Gehaltsliste von Familie Grant standen.

Sophia kletterte langsam aus dem Bett und ich hörte ihre Schritte im Haus. Ich machte ihr Frühstück und sah, dass sie sich bemühte zu Essen. Ihr Kaffee war schnell leer, aber gesunde Nahrung war ein Kampf. Sie nahm die Schmerzmedikamente und rollte sich dann auf der Couch zusammen.

Ich glaubte nicht, dass sie wirklich aufnahm, was im Fernseher lief, aber zumindest saß sie nicht mehr auf dem Boden und regte sich überhaupt nicht mehr. Stattdessen zapfte sie von einem Programm unruhig zum anderen.

Reden wollte sie nicht mehr, also vertrieb ich mir den Tag auf meine Weise. Zuerst ging ich laufen, dann überlegte ich mir, was ich ihr als nächstes zu essen vorsetzte und schließlich packte ich die Kisten aus England aus, die ich von meiner anderen Großmutter zugeschickt bekommen hatte.

Beim Joggen war mir wieder eingefallen, wie versessen David auf die Schallplatten gewesen war. Im Zimmer, das eigentlich für ein Kind gedacht war, stand nun ein Billardtisch und eben jene Kisten. Dort setzte ich mich auf den Boden und sah dieses merkwürdige Erbe durch.

Die Bücher waren Klassiker, allerdings eher für Kinder. Trotzdem blätterte ich sie durch. Alice im Wunderland, Peter Pan, der geheime Garten. Ich hatte sie von Eliza vorgelesen bekommen und bei der Erinnerung wurde mir bewusst, dass ich schon so lange ohne meine ältere Schwester war, dass ich sie nicht mehr so viel vermisste, wie früher.

Trotzdem fragte ich mich, was sie gerade tat. „Überhaupt, wie hält sie sich nur über Wasser?", sprach ich zu mir selbst. Am Besten, ich spendete die Bücher. Vorher blätterte ich sie durch, nur für den Fall der Fälle. Aber zwischen den Seiten steckte nichts.

Dann griff ich nach den Schallplatten und zog das Vinyl heraus. Schade, dass ich keinen Plattenspieler hier hatte. Ich würde einen bestellen müssen. Bei der Platte Double-Fantasy von Mark Chapman hielt ich inne.

So weit ich mich erinnerte, war sie einst für 155.000 Dollar ersteigert worden von einem anonymen Bieter. Sah aus, als wäre das damals mein Großvater gewesen. Kenneth Grant war ein jähzorniger Mann, man hörte zu seiner Lebenszeit nicht viel Gutes von ihm.

Vorsichtig zog ich die Platte aus dem Albumcover und hielt inne. Denn dazwischen steckten Papiere, die in extra Folie gepackt worden waren. Irritiert packte ich die Unterlagen aus und las die ersten Zeilen.

„Scheiße", entwich es mir je mehr ich verstand und schließlich huschten meine Augen zum Stempel des Notars. Das hier war ein originales Testament mit der Unterschrift und Beglaubigung von Kenneth Grant. Er hatte es zwei Tage vor seinem Tod aufgesetzt.

Ich musste sofort mit den Anwälten von Henry & Payne telefonieren. Denn was hier echt und vor allem das letzte Testament war, dann gehörte mir 52 Prozent von GCooper. Mein Magen flatterte und mein Puls ging durch die Decke.

David gehörte zerstört und genau dies würde ich tun. Mit allen Mitteln die ich finden konnte. Innerlich brannte ich darauf. Ich konnte das, was mein Halbbruder getan hatte, nicht auf sich beruhen lassen. Doch ich wusste auch, dass Rache eine Gegenreaktion provozieren würde.

Dem musste ich zuvor kommen.

Ich faxte eine Kopie des Testaments an die Anwälte, dann rief ich Harry an. Zu meiner Überraschung hatte er Neuigkeiten für mich.

»Du musst allerdings zurück in die Stadt kommen. Für mindestens drei Tage. Sonst wird das nichts«, behauptete Harry. Doch ich runzelte die Stirn: „Wir müssen darüber noch einmal reden, denn uns fehlt das Geld. Ohne Geld, das man nicht zurückverfolgen kann, sind wir eh dran."

Ich hörte Harry kurz lachen: »Darüber mach dir keine Sorgen, wir kennen da jemanden, der uns das zur Verfügung stellt und auf amerikanischen Boden nicht belangt wird, geschweige denn ausgeliefert. Das ist alles in trockenen Tüchern.«

„Ich weiß nicht, ob ich jetzt Schiss haben soll oder am Besten applaudiere", gab ich zu. Aber Harry wehrte ab: »Noch tust du gar nichts. Sorge nur dafür, dass du übermorgen hier her kommen kannst.«

Prompt spannte ich mich an: „Ich kann Sophia hier nicht alleine lassen."

»Dann lass dir etwas einfallen, aber deine Frau braucht auf jeden Fall ein unauffälliges Alibi. Sonst drehen wir uns im Kreis.«

Ich verstand ihn sofort und kurz nachdem ich das Gespräch mit Harry beendete, da rief ich die Frau an, die ganz sicher nur darauf wartete den Titel als beste Freundin zu verteidigen. Eleanor ließ mich kaum aussprechen und versprach mir, sie würde alles tun, damit Sophia Trost, Ablenkung und drei hellere Tage verbrachte. Sie horchte, ob sie eventuell Taylor mitbringen könnte und da sagte ich nicht nein.

Es wurde ernst.

Im Wohnzimmer zappte Sophia immer noch träge vor sich hin und ich ging vor ihr in die Hocke. Sie hob die Augenbrauen: „Es ist noch zu früh für Mittagessen."

„Ich habe noch gar nicht angefangen zu kochen. Eigentlich wollte ich dir sagen, dass übermorgen Eleanor vorbei kommt und Taylor wohl auch."

Sie seufzte schwer. „Na toll." Begeisterung klang anders.

„Ich muss für drei Tage nach New York und will nicht, dass du hier alleine bleibst", gestand ich. Sophia fragte nicht nach dem Warum und das mochte ich so an ihr. Ich strich ihr über die Wange: „Willst du den ganzen Tag hier liegen bleiben?"

„Ja", war ihre knappe Antwort. Das gefiel mir nicht und ich spielte nachdenklich mit eine ihrer Haarsträhnen: „Könntest du vielleicht schauen, wie wir Myra verabschieden könnten?"

Es war eine große Bitte, aber ich musste etwas finden, damit Sophia etwas tat. Sie durfte hier nicht nur in Gedanken versinken. Also reichte ich ihr das Tablet und forderte sie auf sich zu bewegen. Ich setzte hinzu: „Und versuch Eleanor und Taylor nicht vor den Kopf zu stoßen. Sie sind nicht-"

„Die Bösen?", unterbrach sie mich. „Ja, ich weiß."

„Gut", war alles, was ich dazu sagen konnte. Während sich Sophia mit dem Abschied von Myra auseinandersetze und schließlich etwas bestellte, versuchte ich sie aufzupäppeln und abzulenken. Aber ich war schlecht darin.

Sie aß weiter nur mäßig. Wollte keine Spaziergänge machen, nicht essen gehen oder auch nur irgendetwas anderes machen als die Zeit an sich vorbeifließen zu lassen. Ich wollte wieder Wortgefechte mit ihr, ich vermisste ihr Lächeln, die Art und Weise, wie sie mich ansah und die kleinen und großen Verrücktheiten, die sie mit mir machte.

Abends öffnete Sophia die Terrassentür und lauschte dem Rauschen der Wellen. Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und sah hinaus. Noch war die Luft warm und als ich neben sie trat, da sprach ich: „Wenn ich zurück aus der Stadt bin, dann muss sich etwas ändern."

„Und was?", kam es trocken von ihr. Ich tastete nach ihrer Hand, meine Finger umschlossen ihre und zum ersten Mal seit dem Verlust fühlte es sich nicht mehr an, als würde ich Sophia verlieren und sie mir entgleiten.

„Nichts und was, es ist in Ordnung, wenn du Zeit brauchst", wandte ich mich. Ihre Finger verstärkten den Druck mit meinen: „Liam, David ist da draußen und kann manchen was er will. Mal wieder! Was bringt es, wenn ich aufstehe und neu etwas aufbaue, wenn er eh eines Tages kommt und es wieder zerstört?"

Darauf hatte ich keine Antwort.

„Du musst nicht alles alleine aufbauen", sprach ich, noch bevor ich richtig darüber nachgedacht hatte. Sophia sah mich an, studierte meine Reaktion und holte tief Luft: „Doch. Du vergisst, dass wir nur noch vier Jahre vor uns haben und dann geht jeder seinen eigenen Weg."

So lange lief der Vertrag, der uns erst zusammen brachte.

Ich blickte auf das Meer, meine Hand hielt Sophias fest und prompt zog sich mein Magen zusammen. Denn sie hatte recht. Letztes Jahr hatte ich es gar nicht abwarten können, dass die fünf Jahre endlich herum waren. Jetzt rückte das Ende mit jeden Tag näher.

„Vier Jahre sind eine lange Zeit, da kann sich noch viel ändern", behauptete ich. Doch ich sah Sophia an, dass sie anderer Meinung war. Sie wollte ihre Hand aus meiner lösen, doch das ließ ich nicht zu.

Ich wollte nicht, dass sie so dachte. „Denkst du echt, dass wir uns nach vier Jahren umdrehen und jeder sein Ding machen wird?"

„Es ist doch das, was du willst", behauptete sie nüchtern. Das machte mich wütend: „Du hast überhaupt keine Ahnung von dem, was ich will!" Ich reagierte heftiger, als ich es eigentlich wollte und bereute es sofort. Deshalb schob ich hinterher: „Ich will, dass wir das was wir haben, uns nicht von David kaputt machen lassen."

Statt etwas zu sagen, schwieg Sophia und sah weiter aufs Meer. Zum ersten Mal trieb mich dieses Schweigen in echte Verzweiflung, denn es bedeutete nur, dass sie in eine andere Richtung dachte. Meine Wut und der Hass auf David wurde immer und immer größer. Wenn ich wegen ihm Sophia verlieren würde, dann... hatte ich keine Ahnung, was ich tun würde.

Ich wollte die Zeit zurückdrehen und alles so haben, wie es vorher war. Im Endeffekt hatte ich alles gehabt und nun alles verloren. Zumindest das, was mir immer wichtiger geworden war.

Als Eleanor schließlich mit Taylor Tage später eintraf, da hoffte ich inständig, dass Sophia nicht vollständig ausflippte und sie Ablenkung bekam. Taylor schob eine Kiste Wein ins Haus und sah sich sofort staunend um. „Ist das schön hier!"

Eleanor ließ sich da weniger schnell beeindrucken und während Bleichgesicht ins Wohnzimmer schritt und meine Frau herzlich mit einer dicken Umarmung begrüßte. 

Ich war kein Typ für Abschiedsworte und schulterte die Tasche, die ich zurück mit in die Stadt nahm, aber noch bevor ich durch die Tür gehen konnte, hielt Eleanor mich auf.

„Einen Moment, Harold Styles hat mir etwas für dich mitgegeben", sprach sie und zog einen Großbriefumschlag aus ihrer großen Handtasche. „Ich habe das Ding nie gesehen." Mehr sagte sie nicht, sondern drehte sich um und zog ihren Koffer weiter ins Haus.

Ich schloss die Haustür hinter mir und öffnete den Umschlag. Harry hatte jemanden überprüfen lassen und als ich las, was er erfuhr, da beschloss ich, dass ich in der Stadt einen kleinen Umweg in Kauf nahm.

Langsam ließ ich die Papiere sinken. An Sophias Goldjungen war etwas faul und ich wusste nun ganz genau, was es war.

Es wurde Zeit Louis Tomlinson auf den Zahn zu fühlen.

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