21 Der zweite Freund.

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H A R R Y




Tragödien passierten.

Zumindest war das immer meine Meinung gewesen. Jetzt fühlte ich mich dumm, kaltherzig und hilflos. Über eine Woche war vergangen seit Niall mich anrief und mir berichtete, was passiert war.

Ich war nicht Liams bester Freund, das wusste ich und es war völlig in Ordnung. Der 'nur' Freund reichte mir völlig aus.

Doch ich war kein guter Freund für ihn.

Liams Verlust überforderte mich, ich wusste nicht, was ich tun sollte, wie ich ihm helfen konnte und was er von mir erwartete. Denn ich hatte keine Ahnung, was ich an seiner Stelle von meinen Freunden erwarteten. Die Vorstellung ging über meinen Horizont hinaus und war zu groß für mich.

So suchte ich Liam auf und brauchte dafür unnormal lange. Das Penthouse war ein einziges Chaos an Kisten, Scherben und dem starken Geruch von Bleichmittel. Ich wollte zuerst bei seinem neuen Haus etwas abseits von New York vorbei schauen, aber Niall gab mir den passenden Hinweis.

Weil ich keine Ahnung hatte, wie ich in den Hamptons auftauchen sollte, packte ich Essen und Bier in den Kofferraum. Das Haus, welches Chet Liam zur Hochzeit schenkte, war großartig. Ich hätte es einige Male gerne gekauft, aber Chet war nicht der Typ, der seine Immobilien leichtfertig aus der Hand gab. Vielleicht, weil die, die er besaß, den Kaufpreis dreifach reingeholt hatten, einfach, weil der Wert angestiegen war.

Die Hamptons leerten sich, es war Zeit zurück in die Stadt zu fahren und ich hielt es nicht für besonders klug, dass er sich ausgerechnet dort aufhielt. Liam wurde schließlich in New York gebraucht.

Das Landhaus war großartig, doch bevor ich meinen Wagen auf das Grundstück lenken konnte, bemerkte ich dass eine Sicherheitsfirma da war. Ich wurde erst reingelassen, als man mit Liam gesprochen hatte.

„Wow, du ziehst alle Register", sprach ich und beobachtete meinen Kumpel dabei, wie er die Arbeiter überwachte, die neue Fensterscheiben einsetzten. Er sah schrecklich aus, angespannt, blass, müde und erschöpft.

„Ich habe keine Zeit für dich, Harry", antwortete er und ich hob die Lebensmitteltüte: „Na ja, vielleicht hast du Zeit für Essen."

Statt ein schiefes Grinsen zu ernten, musterte er mich nur ausdruckslos: „Du bist ein schlechter Koch."

Das war wahr.

„Für Rührei, Speck und Toast wird es reichen", versuchte ich es, aber er drehte sich nur um und sprach mit den Arbeitern. Also suchte ich mir selbst den Weg in die Küche. Meine eigenen Worte hallten in meinem Kopf wieder und ich fragte mich, was Niall gesagt hätte.

Wahrscheinlich genau das Richtige.

Alles, was ich tun konnte, war warten. Nämlich darauf, dass die Arbeiter fertig damit waren die Fenster auszutauschen und sicherte das Haus besser als Fort Knox. Ich kannte das Model der Alarmanlage, meine Eltern besaßen sie ebenfalls und sie war definitiv nicht zu knacken.

Alles lief über den Fingerabdruck. Einziges Problem kam im Winter, wenn die Hände zu kalt waren. Dann konnte es Mal passieren, dass die Tür nicht aufging. Aber diese Fälle waren äußerst selten.

Ich schmierte ziemlich erbärmlich Sandwichs und wartete darauf, dass die Techniker und Arbeiter fertig waren. Am Ende installierte Liam Passwörter und sorgte dafür, dass das System seinen Fingerabdruck kannte.

Als Liam in die Küche kam und mein Festmahl bestaunte, da seufzte er tief und ich nahm zwei kalte Bier aus dem Kühlschrank: „Setzt dich, sonst fängst du noch an das Wohnzimmer zu tapezieren."

„Keine schlechte Idee", Liam rieb sich mit den Händen durch das Gesicht, dann setzte er sich und griff zum ersten, viel zu dick belegten Sandwich. Der Hunger trieb es rein. Ich öffnete die Bierflaschen und ließ mich Liam gegenüber am Tisch nieder.

Wir schwiegen, ich ließ den Blick schweifen und schließlich fragte ich: „Was willst du nun tun?"

„Ich weiß es nicht", antwortete er. „Ich meine, was sollte ich nun tun?"

Schwerfällig stellte ich die Beine auf einem der Stühle ab: „Keine Ahnung... es gibt kein Handbuch dafür."

Liam gab ein Schnauben von sich, das ein ersticktes Lachen hätte sein können. Ich nippte am Bier: „Soll ich das Penthouse für dich verkaufen? Ich habe ein ziemlich gutes Händchen dafür."

„Mach damit, was du willst, sobald ich die Möbel einlagern gelassen habe, werde ich da eh nie wieder hin zurückkehren", erzählte ich. Knapp nickte ich. Vielleicht sollte er die Möbel gleich mit verkaufen, in das neue Haus am Stadtrand passten sie schließlich nicht.

„Niall sagt, dass Grant seine Finger im Spiel hat", warf ich ein.

„Natürlich hat er das und er kommt davon."

In etwa dasselbe hatte Niall auch gesagt. Wenn Geld auf Recht traf, dann war Gerechtigkeit so weit entfernt, wie das nächste Sonnensystem. Liam griff zum nächsten Sandwich und dann sprach ich, ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben: „Man kann sich nur noch auf sich selbst verlassen."

Wir sahen uns stumm an. Mir kam es vor wie Stunden und ich setzte vorsichtig hinzu: „Nicht, dass wir das je getan hätten."

„Niemals, ich meine, komm schon, ich wüsste nicht einmal wie", behauptete Liam, doch ich wusste ganz genau, dass sowohl Liam und auch ich wüssten, wie wir das anzugehen hatten. Und uns war beiden klar, wie David Grant sein Verbrechen begann.

Mit Geld wurde bestochen, Türen geöffnet und falsche Alibis gekauft.

„Ich kenne auch niemanden, der Ahnung davon hätte, wie das ging", fuhr ich fort und kurz zögerte Liam, was mir zeigte, dass er mich verstand. Er zuckte mit den Schultern: „Ich bin für so eine Rache nicht der Typ."

Oh doch. Genauso wie ich. Aber das hier war ein Gegenspieler mit denselben Ressourcen und mit noch weniger Skrupel. Wenn wir mit ihm abrechnen wollten, dann musste das clever sein, sonst war die Schwester von einem von uns als nächstes dran und dann befanden wir uns in einem nicht endenden Drama.

„Du solltest dir die Haare schneiden lassen", fand Liam plötzlich und ich verstand nicht sofort, was er mir damit sagen wollte.

„Zayn? Das hätte ich nicht von dir erwartet", meinte ich. Denn Zayn und ich gingen zum selben Frisör, einen alten Araber, der Liam nicht ganz geheuer war. Auch Niall meinte, er würde sich von ihm nicht einmal rasieren lassen, aus Angst die Neuauflage von Sweeney Todd zu erleben.

„Der Pisser hat Schwestern und ich denke, er ist genauso scharf darauf, dass die Milchschnitte verschwindet, wie ich."

Da hatte Liam recht und ich begriff. Wir konnten uns hier nicht einfach offensichtlich zu einem Plan verabreden. Es musste vorsichtig geschehen und wenn Liam plötzlich mehrmals mit Zayn gesehen wurde, dann erregte das Verdacht.

„Vielleicht sollten wir mal wieder Poker spielen", schlug ich vor. „Ich will Honey zurück."

Liams Mundwinkel zuckten. „Dein dummes Boot."

„Es ist nicht dumm, es ist eine kleine Schönheit", korrigierte ich ihn. Doch mein Kumpel erwiderte: „Ja, eine Schönheit mit zwei Ruder."

Ich lenkte Liam etwas ab, wir durften nicht weiter über das reden, was uns eigentlich beschäftigte. Dafür hatten wir Niall zu sehr zugehört, als dieser noch Jura studierte und davon erzählte, wie verkorkst das Rechtssystem war.

Am späten Abend ging ich, aber noch bevor ich zur Tür raus war, drehte ich mich noch einmal um: „Wenn ich zu Zayn gehe, dann können wir das nicht mehr rückgängig machen."

Liam zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Ich weiß nicht, wovon du redest."

„Okay", ich würde versuchen eine Pokerrunde auf die Beine stellen. Denn ich war mir ziemlich sicher, dass Zayn mit einstieg. Wir brauchten ihn, David bekamen wir nicht strümpelhaft dorthin, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte.

Im Wagen schickte ich Zayn eine Nachricht und machte zwei Termine bei Abdul. Ein neuer Haarschnitt wäre vielleicht wirklich einmal an der Zeit. Veränderungen waren gut. Zayn sagte zu und am nächsten Tag betrat ich Abduls Salon. Er befand sich weit oben in einem Gebäudekomplex und wirkte, als wäre er in den 20er Jahren einfach vergessen worden.

Doch genau das mochte ich am Laden. Viel Holz, man durfte Zigarren rauchen und es ging nicht nur um eine neue Rasur oder einem neuen Haarschnitt. Abdul selbst war ergraut, hatte einen Vollbart und einen Bauch, der immer von einer altmodischen Weste umspannt wurde. Er hatte nicht viele Angestellte, nur seine Empfangsdame und zwei weitere Barbiere. Dazu zwei ältere Damen, die sich um die Maniküre und Pediküre kümmerten.

Letztes war noch immer irgendwie verpönt, dabei hatten auch Männer das Recht auf gepflegte Hände. Ich mochte die Zeit bei Abdul, sie entspannte mich und ich war ein wenig froh, dass zumindest ein harter Kerl das auch so sah.

Zayn hatte schon einmal über das Fußbad mit Fischen gelästert, aber ich vermutete, dass er es nur ausprobieren wollte und es aus Imagegründen nicht tat. Während sich Abdul an meinen Haaren zu schaffen machte und meine lange Mähne Vergangenheit wurde, erschien Zayn endlich.

„Mach nie wieder Termine vor 12 Uhr", beschwerte er sich direkt und ließ sich auf einen der Sitze fallen. Dazu bekam er einen Kaffee und wollte eine Rasur. Ich grinste unweigerlich und dann begann hier und da Smalltalk. Im Endeffekt sagten wir rein gar nichts.

Erst als wir fertig waren und ich ausgiebig die kurzen Haare zwischen meinen Fingern bewundert hatte, schlenderten wir in eine Sitznische um unseren Kaffee in Ruhe auszutrinken. Abdul vermerkte die Dienstleistung elektronisch und ich ließ meinen Blick über den Hudson River gleiten.

Zayn nippte an seinem Kaffee, gähnte und sprach: „Was ist so dringend, dass du mich mitten in der Nacht weckst?"

„Rein hypothetisch", begann ich und Zayn atmete tief durch und unterbrach mich. Rüde hob er die Hand: „Okay, ich bin im Bilde, überspring den Anfang. Rein hypothetisch geht es um den Frauenschläger. Ich habe das mit Paynes Frau gehört."

Ich nickte: „Unschöne Sache."

Wir schwiegen kurz, dann meinte Zayn: „Eigentlich dachte ich immer, du wüsstest, wie man jemanden so einschüchtert, dass er sich nicht mehr in die Nähe wagt."

„Normalerweise ist so etwas leicht, aber wenn der andere die Regeln versteht, ist der Vorteil weg", außerdem hatte Grant Geld und Kontakte. Genauso wie wir. Es wirkte, als würde Zayn meine Gedanken lesen. Im Sessel lehnte er sich zurück: „Das ist keine Aktion, die du spontan abziehen könntest, auch mit peinlich Payne zusammen wird das nicht reichen."

Ähnliches wusste ich ebenfalls.

Zayn neigte den Kopf: „Ich bin kein Experte dafür, aber um jemanden wie Grant – rein hypothetisch – dran zu kriegen, brauchst du das volle Programm."

„Was ist das volle Programm?"

„Ein Alibi, das im Falle eines Falles standhaft bleibt. Drei Leute wären wichtig, einen Sauberen, einen der keinen Nutzen daraus zieht ein Alibi zu geben und einen Glaubhaften", zählte Zayn auf. Ich hörte aufmerksam zu und er schob hinterher: „Der Rest ist reine Formsache. Kommt eben drauf an, wie sehr Payne abrechnen will und wie teuer das wird. Die Mittäter müssen bezahlt werden und ein paar Leute geschmiert. Nur damit sich kleine Räder drehen und so."

Obwohl Zayn wage blieb, war mir klar, worum es ging. Wir konnten uns Grant nicht einfach so auf offener Straße schnappen. Noch dazu konnte niemand von uns einfach so einen großen Betrag an Geld abheben, ohne, dass es verdächtig wirkte.

„Ich bin gerne bereit den Platz einzunehmen, der keinen Nutzen raus zieht", sprach Zayn, „es ist schließlich kein Geheimnis, dass Payne und ich uns nicht grün sind. Man würde eher annehmen, dass ich ihn in die Falle haue."

„Wer sagt, dass du das nicht tust?", warf ich ein.

Einen Augenblick lang schwieg Zayn, dann antwortete er: „Ich habe zwei Schwestern, Harry. Glaubst du, ich will, dass eine von ihnen neben Grant sehen? Auf ein Déjà-vu dieser Art bin ich echt nicht scharf. Und das was Grant getan hat, gehört endlich bezahlt."

Er stand nun auf. „Finde die anderen zwei und sag Payne, er soll gescheit planen, du weißt schon-", wieder wedelte er mit der Hand und ich warf ein: „Hypothetisch. Unser neues Lieblingswort."

„So sieht es aus."

Damit war das Gespräch beendet. Ich wusste jetzt schon, das Liam die Abrechnung nicht auf sich sitzen ließ, aber trotzdem durfte er nicht einfach so loswütten. Wir mussten vorsichtig sein, doch mit Vorsicht war Liam nicht sonderlich geschickt und ich auch nicht.

Ich dachte gründlich über alles nach, was Zayn mir durchsickern ließ und machte mir im Kopf mehrfach Notizen. Das größte Problem blieb das Geld. Wie kam ich da ran? Ich hörte, dass Liam Sophia aus dem Krankenhaus holte und sie verschwanden.

Natürlich war mir klar, dass sie in den Hamptons waren. Hoffentlich ließ man sie dort in Ruhe.

Um nicht in Versuchung zu geraten einen Krimi mit was-wäre-wenn-Szenarien zu schreiben, sagte ich Gemma zu, sie auf eine Vernissage in Brooklyn zu begleiten. Sie witzelte: „Man erkennt dich gar nicht mehr richtig mit dieser Frisur!"

„Ach, es wurde Zeit für eine Veränderung", meinte ich und verschwieg, dass kurze Haare durchaus ihren Vorteil hatten. Ich blieb nicht mehr ständig irgendwo mit den Zotteln hängen, brauchte nur noch wenig Shampoo und meine Haare waren nach der Dusche ruckzuck trocken. Ein, zwei Handgriffe und ich war fertig.

Die Vernissage war nicht übermäßig besucht, es gab Fotografien, die ich nicht als Besonders empfand, eher als langweilig. Tiere in der Natur mit starken Farben. Für mich war das nichts. Doch Gemma fühlte sich in diesem Altbau wohl und schnappte sich ein Glas Wein und schnatterte mit anderen Künstlern.

Ich schlenderte an den Bildern vorbei und langweilte mich. So lange, bis ich am Ende der Galerie eine junge Frau erblickte. Ihr blondes Haar war zu einem Bob geföhnt und sie trug ein geblümtes mädchenhaftes Kleid mit Strickjacke. Ziemlich altbacken. Aber die Klamotten verhüllten nicht ihre hübschen langen Beine. In der Hand hielt sie ein Glas Rotwein und neigte leicht den Kopf, um ein Kätzchenbild zu betrachten.

Hart schluckte ich. Denn ich hatte Taylor ein paar Wochen nicht mehr gesehen und jegliches Werben eingestellt. Nicht aus mangelnden Interesse.

Sondern aus Taktik.

Dumm, dass die Taktik nicht aufging.



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Hello ihr Lieben :)

Ich wünsche euch schöne Weihnachtsfeiertage!

Danke für die epischen Kommentare von denen, die sich gemeldet haben <3 Ihr habt mich sehr motiviert und mir einen sehr schlechten Tag gerettet <3 Eure Antworten sind in Arbeit, fühlt euch ganz fest gedrückt.

Was sagt ihr zu den Gesprächen?

So rein hypothetisch?

;)

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