20 Verlust.

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S O P H I A




Der körperliche Schmerz war nichts zu dem, was ein Verlust anrichten konnte.

Nur die Medikamente hielten mich ruhig und betäubten den körperlichen Schmerz. Aber ich wollte die Betäubung nicht. Doch nachdem ich die Infusion das erste Mal abgerissen hatte, da drohte mir dieser dumme Arzt damit, dass er andere Maßnahmen ergreifen würde, wenn ich mich nicht beruhigte.

Doch wie sollte ich an etwas anderes denken als daran, dass ich mein Baby verloren hatte?

Sobald ich mich zwang runter zu kommen, dann dachte ich an das Baby, das meines hätte seinen können. Klein, niedlich, ein Bündel voller Liebe.

All dies hatte David mir genommen.

Ich glaubte, dass es nichts Schlimmeres geben könnte, als das, was er mir bereits schon angetan hatte. Nie hätte ich mich größer irren können.

Die Polizei kam vorbei und wollte meine Aussage aufnehmen. Sobald sie durch die Tür traten, wusste ich schon, das die mir ganz sicher nicht helfen würden und ich sollte recht behalten. Natürlich hinterließ David keine Spuren am Tatort und natürlich hatte er ein sicheres, gekauftes Alibi.

All das kannte ich.

Meine Kooperation mit den Gesetzeshüter hielt sich demnach in Grenzen und dieses heuchlerische Getue, sie würden ihr Bestes geben, machte mich unglaublich wütend.

„Mrs Payne", sprach der Größere von Beiden, „Sie müssen uns etwas geben, womit wir arbeiten können. Sind Sie sicher, dass es Mr Grant war, der Sie überfallen hat? Denn wir haben sein Alibi für die Tatzeit überprüft."

Alleine das sagte mir alles. „Bitte gehen Sie." Für mich war die Aussage ab da für beendet. Ganz egal, was ich jetzt auch sagen würde, nichts konnte David schaden. Er kam davon und niemand würde ihm auch nur irgendetwas anhaben können.

Die Polizei ging und ich blieb alleine im Zimmer zurück. Auf dem Tisch standen Blumen von Taylor und Eleanor, aber sie trösteten mich nicht. Ich hasste es, das beide hier waren und mich so sahen. Ich hasste diesen Blick, den beide miteinander austauschten, wenn sie glaubten ich würde es nicht bemerken.

Mein Vater wollte zu mir fliegen, aber ich bat ihn darum es nicht zu tun. Geoff war dafür da gewesen, doch wir wechselten kaum fünf Worte miteinander. Alles, was ich wollte, war alleine zu sein.

Aber die Einsamkeit frönte die Qualen.

Ich wollte aufstehen und mehrere Schritte gehen. Auf meinem Beistelltisch stand das Essen, doch ich ignorierte es. Essen kam mir so furchtbar sinnlos vor. Meine Beine ließen nach als ich sie auf den Boden setzte. Ich stürzte und versuchte mich mit einer Hand am Bett festzuhalten.

Langsam ließ ich mich auf den Boden sinken und dann erfasste mich ein heftiger Heulkrampf. Die Kontrolle glitt mir durch die Finger und ich ließ das zu. Ich wünschte die Schmerzmittel würden endlich nachlassen, aber stattdessen war mein Körper weiter taub.

„Sophia?"

Eleanors Stimme ließ mich nicht einmal aufsehen. Ich blieb wo ich war und meine beste Freundin musterte mich stumm, dann setzte sie sich schweigend neben mich. Sanft griff sie nach meiner gesunden Hand und strich mit den Daumen über meinen Handrücken. Es sollte eine tröstliche Geste sein, aber ich fühlte rein gar nichts.

„Es wird nie aufhören", sprach ich. „Ganz egal wie oft ich neu anfange. David wird mir das immer wieder kaputt machen."

„Lass das nicht zu", beschwor Eleanor. Ich schnaubte: „Ich kann gar nichts! Wenn er mir nicht weh tut, dann findet er einen Weg anderen Schmerzen zu zufügen." Er hatte mir mein Baby genommen, ein Wesen, was unschuldiger nicht hätte sein können.

Statt mir weiter gut zu zureden tat Eleanor das, was nur eine beste Freundin tun konnte. Sie fragte: „Kann ich irgendetwas für dich tun oder besorgen?"

Darüber dachte ich lange nach und gestand schließlich: „Ich möchte nicht mehr ins Penthouse zurück. Nie wieder." Das neue Haus war noch nicht einzugsfertig. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich da wirklich hin wollte.

Eleanor nickte knapp: „Dann werde ich deine Sachen packen, ist das in Ordnung?"

„Ja", das klang gut. „Ich weiß nur nicht, wo sie hin sollen."

Meine beste Freundin neigte leicht den Kopf: „Du kannst zu mir, aber ich glaube, das würde Liam nicht gerne sehen und arbeiten sollst du auch nicht. Louis hat bereits gesagt, dass er sich um letzte Details auch alleine kümmern wird."

Das wollte ich nicht und nahm mir vor ihn anzurufen. Die nächste Kollektion war eine gemeinsame Arbeit und ich war sicher, dass Louis entweder überschnappte oder die Leute in seinem Umfeld fressen würde vor lauter Stress und Perfektionismus.

Trotzdem war ich ihn unheimlich dankbar, dass er weiter funktionierte, während ich hier war. Nur dumpf erinnerte ich mich daran, wie er mich fand und das ich noch nie in meinem Leben so froh gewesen war ihn zu sehen.

„Ich will in die Hamptons", sagte ich plötzlich. „Zum Haus am Strand."

„Dann fahren wir da hin", ertönte eine raue Stimme und ich wandte den Kopf. 

Liam hatte das Zimmer betreten und setzte sich aufs Bett. Er sah so schlimm aus, wie ich mich fühlte. Zehn Jahre älter, erschöpft und müde. Seine Haut wirkte grau und angespannt.

Eleanor räusperte sich: „Ich halte das für keine gute Idee, denn das Haus ist doch am Strand, oder? Der Zugang ist noch leichter als ins Penthouse und da dachten wir schon alle, es sei sicher."

Sie hatte recht, denn niemand von uns glaubte, dass David ins Penthouse gelangen würde, ohne, dass man ihn bemerkte. Er hatte das Foyer ausgelassen und musste durch die Garage ins Innere gelangt sein. Aber die Überwachungskameras zeichneten ihn nicht auf.

Alle standen vor einem Rätsel.

Laut seinem Alibi war David in Atlanta City, drei Leute deckten ihn. Sie alle waren Geschäftsmänner und sagten aus, dass sie sich über ein paar Deals beim Billard unterhalten hätten. Ich kannte das. Wahrscheinlich ging es bei den Deals um lukrative Abmachungen, so wie das letzte Mal.

Liams Blick traf meinem, doch ich hielt dem nicht stand. Kurz darauf hörte ich ihn sagen: „Wenn Sophia in das Haus in den Hamptons will, dann werde ich mich darum kümmern." Nach diesen Worten stand er auf und verließ das Krankenzimmer wieder.

Es war, als wäre er nie dagewesen. 

Dabei hatte ich gehofft, er würde bleiben, denn Liam war der Einzige, dessen Anwesenheit erträglich war. Ich bat Eleanor nach fünfzehn Minuten zu gehen und sie tat es, ohne weitere Fragen zu stellen. Vorher half sie mir zurück ins Bett.

Ich ließ die Untersuchungen der Ärzte über mich ergehen und vermied den Blick in den Spiegel, wohl wissen, dass David mir dieses Mal nicht ins Gesicht geschlagen hatte. Doch es gab die Momente, da wünschte ich, er hätte genau das getan. Vielleicht hätte er dann mein Baby verschont.

Dr Rollins erzählte mir, dass die Wunde wegen der Milz gut verheilte und er machte eine Ultraschalluntersuchung, bei der ich nicht auf den Monitor sehen wollte. „Wegen der ausgekugelten Schulter, Sie sollten auf weitere Ruhe setzten und wenn es so weit ist, dann sollten Sie eine physiotherapeutische Nachbehandlung nicht außer acht lassen."

„Wie lange muss ich noch hier bleiben?", fragte ich und er durchsah seine Unterlagen: „Mindestens noch vier Tage und danach kein Stress, keine Hektik und regelmäßige Nachuntersuchungen."

Ab da schaltete ich ab und hörte erst wieder zu, als Dr Rollins einen Psychiater vorschlug: „Dr Cragen ist unser Krankenhauspsychologe, ein Gespräch würde Ihnen vielleicht helfen."

„Nein", diese Nummer hatte ich schon hinter mir. Darauf würde ich verzichten, denn ein Psychiater hatte mir schon beim ersten Angriff nicht geholfen. Ich ging zurück ins Zimmer und wie immer, stand davor einer der Männer, die Geoff angeheuert hatte. Sie grüßten nicht und taten das, was eigentlich die Polizei tun sollte. Doch laut den Beamten gab es keinen Verdacht auf eine weitere Gefährdung, da man den Kreis der Tatverdächtigen nicht eingrenzen konnte.

Wahrscheinlich hielten sie es wegen dem Chaos im Penthouse immer noch für einen missglückten Raubüberfall. Ich wartete auf die Wut, die ich gegen die Polizei spüren würde, doch da kam nichts. Nur Gleichgültigkeit.

Es lief genauso, wie in London damals. Wahrscheinlich machte die Polizei ihre Arbeit nur halb so gut, wie sie es sonst getan hätten. Der Einfluss der Familie Payne änderte daran nichts. Vielleicht lag es jedoch auch daran, dass ihnen die Abgeklärtheit fehlte.

Meine Ruhe bekam ich nicht. In meinem Zimmer wartete mein Vater auf mich. Er umarmte mich und schien nicht recht zu wissen, was er sagen sollte. Die tiefen Kummerfalten in seinem Gesicht zeigten mir, wie mitgenommen er war. 

Im Endeffekt saß er schweigend bei mir am Bett, drückte meine Hand, bis ich ihn bat: „Es ist sinnlos, dass du hier bist." Ich hatte ihn nicht hier haben wollen. Er wirkte gekränkt, doch schließlich nickte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

„Wenn du irgendetwas brauchst, dann bitte, melde dich und lass es mich wissen."

Was sollte ich schon brauchen?

Ich wollte nichts und das, was ich gewollt hatte, hatte man mir genommen. Die Vorfreude auf all das, was hätte kommen sollen und jede kleine Veränderung war weg.

Wie betäubt überlebte ich die folgenden vier Tage. Doch vorher wollte ich noch eines Wissen. Nur widerwillig verriet mir Dr Rollins, dass mein Baby ein kleines süßes Mädchen geworden wäre. Ich hätte sie beschützen müssen, aber stattdessen war es mir kaum gelungen bis ins Bad zu flüchten.

Das ewige Warum beherrschte meine Gedanken. Warum hatte ich es nicht geschafft David einmal quer durchs Gesicht zu kratzen? Warum hatte ich nicht besser gehandelt?

Jetzt wurden die Gedanken von einem kleinen Mädchen verdrängt. Sie bekam noch nicht einmal einen Namen. Konnte ich das einfach so ändern? Hatte die Entscheidung überhaupt einen Sinn?

Am vierten Tag durfte ich das Krankenhaus verlassen. Eine Schwester half mir dabei mich anzuziehen und die kleine Tasche zu packen. Die ganzen Blumen, die ich in der kurzen Zeit bekam, ließ ich alle im Krankenhaus. Alles andere brachte Unglück.

„Das ist alles?", fragte Liam mit Blick auf mein Gepäck und ich nickte: „Ja. Mehr habe ich nicht gebraucht."

„Okay", er griff nach meiner Tasche und sah mich an: „Wenn du hier bleiben willst, dann ist das in Ordnung."

Bloß nicht. Vorsichtig stand ich auf und dachte an die Medikamente, die man mir für Zuhause gab. Umständlich kletterte ich in den schwarzen Range Rover, der sich im Parkhaus des Krankenhauses befand und Liam half mir dabei. Ich hasste das. Doch ich zwang mich nicht wütend wegen so einer Kleinigkeit an die Decke zu gehen.

„Wo fahren wir hin?", wollte ich wissen und er startete den Wagen: „Da, wo du hin wolltest. In die Hamptons. Ich habe ein paar Vorkehrungen getroffen, sodass du in diesem Haus keine Angst haben musst."

Ich blinzelte: „Was heißt das?"

„Das die Alarmanlage nicht einmal vom Stromnetz gekappt werden kann. Außerdem ist das Glas der Fenster bruchsicher", zählte er auf. „Die meisten Leute verlassen nun die Hamptons, weil der Sommer vorbei ist. Es wird also nicht viel los sein."

Hauptsache ich hatte meine Ruhe. 

Eleanor hielt ihr Wort, denn mein Gepäck befand sich schon im Range Rover, genauso hatte sie eine ganze Kiste mit Arbeitsmaterial eingepackt. Die Landschaft begann sich zu verändern und aus irgendeinem Grund wurde es leichter als New York im Nacken verschwand.

Liam sprach nicht während der Fahrt und ich tat es ihm gleich. Lediglich Musik war zu hören. Nach einiger Zeit erschien das Ortsschild von Montauk Beach und ich hatte ein Déjà-vu als Liam an einer kleinen Station hielt und mit einem Wachmann sprach.

Die Hamptons wirkten wie ein Paradies, weit weg von allem, unter einer sicheren Kuppel. Ich erblickte unser Haus im klassischen Landhausstil und Liam lenkte den Wagen vor das Tor. Dort befand sich ein neues Sicherheitssystem, welches nur mit seinem Fingerabdruck funktionierte. Erst dann fuhren wir auf den Innenhof.

Ich liebte das Landhaus mit der langen Veranda und den weißen Fensterrahmen. Und als ich ausstieg, da atmete ich zum ersten Mal frei und tief durch. Die Luft war kühler geworden, doch noch immer war alles um uns herum grün. Ich roch das Meer und hörte das Rauschen der Wellen.

„Nicht festwachsen, Sweets", fand Liam und lud das Auto wieder aus. Mir fiel auf, dass sich auch das System an der Haustür verändert hatte.

„Wann hast du das alles gemacht?", wollte ich wissen, er zuckte mit den Schultern: „Ich arbeite nicht und ohne dich ist es zu Hause langweilig."

Meine Mundwinkel zuckten kaum merklich und ich stellte fest, wie fremd es sich anfühlte zu lächeln. Während Liam unser Gepäck nach oben brachte, schlüpfte ich aus meinen Schuhen und ging langsam durch das Haus.

In der Küche waren bereits Lebensmittel und ich sah, dass Liam einige Bilder im Haus abgenommen hatte. Nämlich die Großen von einem japanischen Künstler, Toshiya Sato. Sein Stil erinnerte an Vincent van Gogh. Stattdessen standen andere Leinwände sicher verpackt an der Wand, bereit um ausgepackt zu werden. Im Wohnzimmer stapelten sich Kisten mit Schallplatten und ein paar Büchern.

Ich ging ins Wohnzimmer und blickte an die Fensterfront. Die Scheiben waren ausgetauscht worden und ich erkannte das neue Sicherheitssystem. Auch dort wurde der Fingerabdruck gebraucht. Die Türen ließen sich von innen nicht öffnen und waren von außen hoffentlich nicht zu knacken.

Langsam ließ ich mich auf den Boden sinken, ignorierte die große Veranda, den Jacuzzi und die Dünen. Stattdessen sah ich auf das Meer, welches fast mit dem Himmel ineinander griff. Der Kloß in meinem Hals wurde größer. Bis er schließlich platzte. Obwohl ich in dem Haus war, das für mich das wohl größte Zuhause war, fühlte ich mich unglaublich verloren.

Ich wollte nicht weinen, aber Tränen ließen sich selten etwas vorschreiben. 



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Hallo ihr Lieben :)

Dieses Mal ein etwas längeres Nachwort ;) weil: In der Kürze liegt die Würze - bei euch nicht so angekommen ist xD  Danke für all die Kommentare und Votes <3 

Viele halten es vielleicht nicht für realistisch, aber in unserer Welt regiert das Geld. Gerechtigkeit durch das Gesetz ist nicht immer möglich und Fälle wie die von David gibt es nur zu genügend. 

Wenn ein Verbrechen in diesen Kreisen wirklich vor Gericht landet, dann entscheidet zum größten Teil die Fähigkeit des Anwalts. Jemand, der einen Mord begannen hat, ist besonders in Amerika bei einer Jury, nicht immer schuldig.

Auch Ermittlungen laufen nicht immer sauber ab. Das beste Beispiel ist zur Zeit die Anwältin Seda Basay-Yildiz. Sie erstattete wegen rechter Hetzte Anzeige bei der Polizei und zuerst wurden überhaupt keine Ermittlungen aufgenommen. Warum? Weil die Hetzte von rechten Polizisten ausgegangen ist. 

Jetzt ist die Polizei natürlich nicht zu einer Stellungnahme bereit und geht wenn davon aus, dass es sich nur um einen kleinen Kreis von Tätern handelt. Aber es zeigt, dass ein kleiner Kreis bereits ausreicht, damit die Gerechtigkeit nicht mehr gewährleistet ist.

Echte Gerechtigkeit existiert nur sehr selten. Ich musste das einfach erwähnen. (Und nein, es geht mir nicht darum die Polizei schlecht zu machen, im Gegenteil, sie ist doch eigentlich Freund und Helfer.)

Was soll ich sagen?

Im Moment haben Sophiam eine wirklich, wirklich schwere Zeit vor sich. Sie waren gerade dabei sich an ein Leben mit Kind zu gewöhnen und waren bereit diese Herausforderung gemeinsam anzugehen und dann wird das Glück einfach genommen :(

Fehlgeburten und Totgeburten sind etwas Furchtbares und man wünscht es keiner Frau. Was für ein Verlust das ist, habe ich damals, als ich 18 war, nicht verstanden, erst sehr viel später. Eine meiner besten Freundinnen hatte eine und alles, an das ich denken konnte war, dass ich niemals das Richtige zu ihr hätte sagen können. Und im nachhinein tut mir das unglaublich leid. 

Ich glaube, manchmal bleibt einem nichts anderes, als einfach nichts zu sagen, weil jedes Wort falsch oder zu viel wäre.  

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