14 Voluptas.

  ♚ ♔ ♚  


❰ NIALL 




Mein Tag war verdammt lang. Ich hatte Harry und Zayn einen Schnüffler für die inoffiziellen Dinge oder deren Neugier besorgt, musste aber mit ihm wegen dem Auftrag verhandeln. Saubere Schnüffler waren leicht zu engagieren. Doch die für illegale Durchsuchungen wollten sich zuerst absichern, damit sie nicht im Knast landeten, wenn etwas schief ging.

Und bei diesem Auftrat bezüglich David Grant schien es, als würde jeder Zeit das gesamte Kartenhaus explodieren und wir mitten drin. Fingerspitzengefühl und saubere Arbeit um die Ecke waren wichtig.

Danach hing ich schließlich ewig im Gericht fest und kam den Rest des Tages dort auch nicht mehr raus. Zahlreiche Anhörungen, Kautionen und Besprechungen folgten. Am Ende, als ich nur noch eben fix meine Unterlagen im Büro abgeben wollte, kam mein Chef mit schwerem Whisky um die Ecke, weil die Kanzlei heute einen starken Vergleich aushandelte und wir alle einen Bonus ausbezahlt bekamen.

Mir wurde immer wieder das Glas mit Whisky gefüllt und schließlich stahl ich mich unter Musik und Gelächter ganz unauffällig davon. Ich war nicht nur erledigt, sondern für den heutigen Tag auch noch nicht fertig.

„Wo willst du jetzt wieder hin, Horan!", dröhnte mein Chef hinter mir her, wurde aber zum Glück von unserem Telefonisten singend abgefangen: „Einer geht noch, einer geht noch rein. Zwei wären besser, am Besten wären drei!" 

Sollten sie ruhig ohne mich weiter trinken, mich zog es nach Manhattan.

In den letzten zwei Wochen war Grace mehrmals bei mir auf der Arbeit aufgetaucht. Sie brachte Frühstück mit und machte sich die nächsten Stunden nicht mehr bemerkbar. Stattdessen setzte sie sich ans Fenster, schlug die Beine übereinander und zog ihren Block hervor.

Der Bleistift kratze immer wieder über das dicke Papier und ganz, wie Grace es versprach, störte sie niemanden. Sie machte sich buchstäblich unsichtbar. Meine Kollegen vergaßen ab und an sogar, dass sie da war.

Ich jedoch vergaß es nicht eine einzige Minute.

Sie streifte jedes Mal meinen Blick, wenn ich von meinem Schreibtisch aufsah. Was mir auffiel, gefiel mir nicht und gleichzeitig auch doch. In meinem Kopf war sie die kleine Göre, die sowohl Liam als auch Eliza regelmäßig auf die Nerven ging.

Neugierig steckte sie überall die Nase rein, wollte ständig, dass jemand mit ihr spielte, aber keiner hatte sich Zeit für eine Teestunde mit den Puppen genommen. Ich erinnerte mich, dass wir sie nicht mitnahmen, wenn wir auf dem großen Grundstück der Paynes Blödsinn trieben. Einfach, weil wir Grace als störend empfanden.

Natürlich war sie viel jünger, langsamer und für viele Dinge einfach zu klein. Sie konnte nicht auf Bäume klettern, bekam schnell Angst und petzte unerlaubte Sachen kindlich aufrichtig ihren Eltern, sodass wir häufig Ärger bekamen.

Ohne, dass ich es in all der Zeit wahrgenommen hatte, veränderte sich etwas.

Sie veränderte sich. 

Neben Eliza fiel Grace nicht ins Gewicht und jetzt stellte ich mir die verdammte Frage, wieso es so war.

Wenn sie am Fenster im Büro saß, die schlanken Beine übereinander geschlagen und sich versuchte unsichtbar zu machen, war sie für mich jedoch sichtbarer denn je. 

Das kastanienbraune lange Haar war am Ende gelockt, ihre grünen Augen selten geschminkt und trotzdem konnte ich den Blick immer nur schwer von den dichten Wimpern abwenden. Obwohl es Hochsommers war, war Grace nicht gebräunt, sondern wirkte wie jemand, der sich viel im Haus aufhielt.

Während sie als Kind durch die Gegend grölte, war sie nun ruhig, ausgeglichen und schlagfertig. Nicht schlagfertig in Form von ungehobelten Äußerungen, viel eher humorvoll und sarkastisch. Und da unterschied sie sich sehr von Liam und Eliza. Beide sprachen direkt, manchmal derb oder manipulativ aus, was sie dachten und wollten.

Grace gab nichts auf Derbheit.

Jetzt nahm ich ein Taxi nach Manhattan und lockerte die dunkelgraue Krawatte. Dies war das Beste an meinem Abend - endlich lockerer zu werden. Draußen wurde es mittlerweile dunkel und zum ersten Mal an diesem Tag entspannte ich mich.

Mein Magen knurrte und ich sehnte mich nach einer heißen Dusche. Doch zuerst würde ich den Besuch bei Grace hinter mich bringen. Sie belagerte das Atelier von Liams Patenonkel, dem Exzentriker Chet Rutherford.

Da ich früher bereits ein paar Mal dort gewesen war, wusste ich genau, wo ich hin musste. Knapp bezahlte ich den Taxifahrer und betrat das riesige Gebäude, welches typisch für New York war. Chet besaß die oberen beiden Etagen und ich fragte mich, ob er immer noch so verrückte Partys feierte, wie zu meiner Studienzeit.

Damals war ich mir sicher in ein Moulin Rouge gestolpert zu sein. Auffällige Leute, viel Schischi und Tamtam, dazu Exotik, so heftig, dass es mir vorkam, wie das Tor in eine andere Welt.

Jetzt, als Erwachsener, zählte ich im Fahrstuhl rückwärts und atmete tief durch, als ich Chets erste Etage betrat. Dort empfing mich nur das Hausmädchen und ich versuchte mich nicht von diesem orientalischen Stil der Einrichtung erschrecken zu lassen. Es änderte jedoch nichts daran, dass ich mich trotzdem fasziniert umsah.

Die Decke war ein Meer aus Tüchern, riesige, bemalte Vasen säumten den Weg und ich fühlte mich, wie im Ausland. Meine Schritte wurden verschluckt und freier fühlte ich mich, als ich die elegante Vintage-Wendetreppe hochstieg und die Wände kahler wurden. Hier und da lehnten Leinwände, manche bemalt, manche nicht.

Radio war zu hören und schließlich betrat ich das eigentliche Atelier. Es sah anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Früher war es ein halbes Museum gewesen, jetzt war es für eine Erschaffung eingerichtet.

Eine breite Couch stand in der Mitte, mehrere Staffeleien trugen Bilder, Farbtöpfe bildeten einen buntes Muster auf dem Boden, lange Tische bogen sich unter Zeichenpapier und ein paar riesige Mappen waren gefüllt.

Außerdem erkannte ich Airbrush und zahlreiche Spritzpistolen auf dem Boden.

Obwohl die Decke aus Glas war, fiel gemütliches Licht von oben. Ich roch das Essen, welches sich auf dem Beistellwagen neben der Couch befand und mir lief das Wasser im Mund zusammen.

Beinahe hätte ich Grace übersehen als ich den Blick schweifen ließ. Sie stand vor einer sehr hohen Leinwand, trug ein Jeanshemd, dessen Ärmel sie gekrempelt hatte und hielt eine Malpalette in der Hand.

Ihr Haar war zu einem losen Knoten gebunden, einige Strähnen lösten sich bereits und kringelten sich in ihrem Nacken. Mein Blick fiel auf ihre nackten Beine. Trug sie überhaupt so etwas, wie Shorts?

Leicht bewegte Grace sich zu der Musik im Radio und hob den Arm. Ihre Pinselführung war absolut ruhig. Das Motiv jagte mir jedoch einen Schauer über den Rücken. Ein Skelett in einem Ballettkostüm stellte eine Ballerina dar, welche tanzend von der Bühne in den Tod schlitterte.

Sie malte mit düsteren Ölfarben, lediglich das Kostüm leuchtete und das Weiß der Knochen. Als ich genauer hinsah, da bemerkte ich Details. So zum Beispiel die Zuschauer. Sie alle waren fettleibig dargestellt worden.

„Ich bin überrascht, dass du doch noch gekommen bist", Grace hatte sich umgedreht und musterte mich und stellte fest: „Du warst noch gar nicht zu Hause."

„Nein", gab ich zu. „Hat länger im Büro gedauert." Dann wechselte ich das Thema. „Das ist also deine Arbeit, ja?"

Vorsichtig legte Grace ihre Malpalette ab und säuberte sich die Hände. „Nicht meine Beste, ich habe erst gemerkt, wie wenig mir das Motiv gefällt, als ich schon zur Hälfte fast fertig war. Jetzt muss ich es allerdings auch beenden. Mit Airbrush kann ich irgendwie besser umgehen, als mit Öl."

„Wieso gefällt es dir nicht? Zu düster?"

Grace lachte und ich verspürte einen Knoten im Magen. Ihr Lachen war nicht aufgekratzt, sondern hell und angenehm. „Ich mag düster und ein bisschen Horror."

Das bisschen Horror war untertrieben. Ihr Stil war provozierend und fragwürdig. Aber selbst eine Null in Kunst, wie ich, erkannte ihre Detailliebe und saubere Arbeit. Von Liam wusste ich, dass Grace ihre Ausstellung bereits gehabt hatte – ausgerechnet in London.

Ich begann mich zu fragen, ob sie nach der Schule überhaupt aufs College gehen würde, immerhin war sie die Payne mit den super Noten gewesen. Die letzte Hoffnung, dass zumindest eine die Universität besuchte.

Wenn ich mich allerdings so umsah, dann war das College vielleicht viel eher verschwendete Zeit. Die kreative Ader der Paynes setzte sich voll durch. Nur nicht so, wie Geoff es sich erhoffte.

„Du siehst aus, als könntest du etwas zu Essen vertragen", sprach Grace und nickte auf die Couch. „Bediene dich. Ich mache in der Zeit das Bild fertig und dann zeige ich dir die ersten Entwürfe. Bevor ich sie auf Leinwand bringe, möchte ich vorher erst dein Okay. Immerhin warst du das Vorbild."

Da mein Magen knurrte und auf mich zu Hause niemand wartete, ließ ich mich schwerfällig auf der Couch nieder, beinahe fiel ich hinten rüber, weil sie so breit war. „Danke für das Angebot. Bist du schon fertig mit Essen?"

„Ja", Grace nickte. „Ich bin nicht so der Fan vom chinesischen Essen. Es ist also noch jede Menge da."

Sie hatte nicht gelogen, die Gyoza - gefüllte Teigtaschen, die scharfe süßsauer Suppe und das Chicken Lo Mein waren noch warm. Mir lief das Wasser im Mund zusammen und ich fing mit der Suppe an. Lecker, frisch und ich leerte die Schüssel ziemlich schnell.

Sofort fühlte ich mich besser. Erleichterung durchflutete mich und ich bemerkte, dass Grace mich beobachtete. Sie grinste, dann wandte sie sich wieder der Leinwand zu. 

Während ich aß, sah ich Grace dabei zu, wie sie malte. Immer wieder blieb mein Blick an ihren Beinen hängen. Sie trug tatsächlich keine Shorts, denn ab und an blitze der schwarze Slip auf. An den Knien und Oberschenkel waren Farbkleckse.

Was zur Hölle tat ich hier?

Mir den Bauch vollschlagen und dabei die jüngste Schwester meines besten Freundes begaffen?

Sie war siebzehn, wie tief war ich gesunken, dass es mich anmachte, sie nur zu betrachten?

Wirklich erbärmlich. Ich sollte mehr schlafen und mir einen Ausgleich zum fehlenden Sexleben suchen. Irgendwie ironisch, dass ich jedes Mal von eine Payne-Schwester in so ekelhafte Ecken meines Unterbewusstseins gelockt wurde.

Ich hatte Eliza seit Wochen nicht mehr gesehen und war froh drüber. Bei Eliza hatte mich die Perfektion angezogen und vielleicht auch dieser Duft des Verbotenen. Knapp schüttelte ich den Kopf und ignorierte, dass es mir mit Grace nun genauso ging. 

Nur, dass sie nicht perfekt war.

Dafür war Grace auf eine andere Art und Weise anziehend.

Die gefüllten Teigtaschen schaffte ich nicht komplett zu vernichten. Ziemlich satt lehnte ich mich auf der breiten Couch zurück. Nur kurz wollte ich verschnaufen und dann dafür sorgen, dass ich die Skizzen sah und mich vom Acker machen.

Alles, ohne auch nur in die Nähe von Schwierigkeiten zu kommen.

Das Problem an meinem Plan war, dass ich im bequemen Polster einschlief. Ich war ausgeknipst wie eine Lampe und selbst das laufende Radio störte mich nicht. Mein Kopf knickte zur Seite, ich verschränkte die Arme vor der Brust und hatte die Beine ausgestreckt.

Schwärze zog mich mit sich.

Was mich schließlich aus der Schwärze holte?

Ein sanfter Duft, vermischt mit Ölfarbe.

Schwerfällig öffnete ich die Augen und spürte zeitgleich zarte Finger, die mein Haar berührten und es mir aus der Stirn strich. Meine Haut prickelte als ein warmer Atem meine Wange streifte. Regungslos ließ ich all das geschehen und wusste im ersten Augenblick nicht, wo ich war.

Doch dann musterten mich grüne klare Augen. Grace beugte sich über mich, ich hätte sie sofort abwehren müssen, doch stattdessen tat ich rein gar nichts.

Außer sie anzusehen.

Da waren Sommersprossen auf ihrer Nase, der dichte Wimpernkranz ihrer Augen ließ mich fast die Luft anhalten und all die kleinen Dinge, die von Grace ausgingen, ihr Duft, die zärtliche Geste ihrer Finger, die Art, wie sie sich bewegte, das Lächeln... mein Hirn war hoffnungslos vernebelt.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken", sprach sie belegt. Doch statt sich zurückzulehnen, blieb sie wo sie war. 

Zu nahe.

Ich dachte nicht mehr nach und handelte einfach. Es war so unglaublich dumm von mir. Automatisch hob ich die rechte Hand und strich ihr eine der entwischten Haarsträhnen hinter das Ohr. Es fühlte sich so verführerisch weich zwischen meinen Fingern an.

Dies alleine reichte Grace für die Überschreitung der Grenze und ich trug genauso viel Schuld daran, wie sie. Ihre Lippen trafen auf meine. Sie schmeckte so unschuldig, dass es mich sofort süchtig machte. Schon lange hatte ich niemanden mehr geküsst und es jetzt zu tun, war, wie in einen Strudel aus warmen, berauschenden Gefühlen zu springen.

Ich zog sie auf meinen Schoß und damit war ich hoffnungslos verloren.

Verdammte Scheiße!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top