12 Was wir sind.
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❰ SOPHIA ❱
Erschrocken sah ich Liam an. Mit ihm hatte ich so gar nicht gerechnet und die Tatsache, dass Max ihn einfach so in mein Büro gelassen hatte, behagte mir nicht. Mir wurde klar, dass ich mit meinem Assistenten darüber sprechen musste.
Unwillkürlich jagte eine Gänsehaut über meinen Rücken. Denn was war, wenn er David Grant genauso leichtfertig hereinlassen würde?
„Der Nicht-Deal ist vom Tisch", sprach Liam und ich musterte ihn. Er sah keinen Deut besser aus als ich mich fühlte. Die morgendliche Übelkeit machte mir enorm zu schaffen und ich hoffte, dass es ganz bald vorbei war.
Tief atmete ich durch und trat auf ihn zu. Laut ließ ich die Akten auf den Schreibtisch fallen und setzte mich. Schweigend sah ich ihn an und weigerte mich, ihm bei diesem Gespräch auch nur irgendwie entgegenzukommen.
Liam begriff dies und nahm die Füße vom Tisch: „Sorry, dass ich mich aufgeführt habe, wie ein Vollidiot."
„Du bist einer", konterte ich trocken und er musterte mich mit unbewegter Miene, doch statt sich provozieren zu lassen, fuhr er fort: „Lass uns einen Mittelweg finden. Weil so, wie du dir das gedacht hast, wird das nicht funktionieren."
„So wie du dir das vorstellst, allerdings auch nicht", meinte ich und lehnte mich zurück. Kurz presste er die Kiefer aufeinander, dann lenkte Liam ein: „Das habe ich verstanden und akzeptiert."
Jetzt starrte ich ihn völlig verdattert an. „Ich... wie zur Hölle-"
„Das Wie ist nicht wichtig", behauptete Liam und trommelte mit den Fingern auf die Tischkante. Schließlich sprach er: „Was muss passieren, damit das hier funktioniert?" Er zeigte knapp auf uns. „Ich will nicht die nächsten Jahre nur auf Abruf bereit stehen müssen und ständig in zwei Wohnungen hin und her pendeln. Das ist scheiße."
Er verlangte also, dass wir weiter zusammenwohnten. Nun, die nächsten vier Jahre würde das sicher kein Problem sein, allerdings nur mit neuen Regeln. Aber auf die schien er ja sowieso schon scharf zu sein. Wir würden das gemeinsam durchziehen müssen und wenn der Vertrag auslief, dann mussten wir zu einer Lösung kommen, die uns beiden gefiel.
Ein bitterer Beigeschmack breitete sich auf meiner Zunge aus. Würde ich das je können? Liam nach den fünf auslaufenden Jahren gerecht gegenüber zu sein? Was, wenn er eine Frau fand, mit der er wirklich sein Leben verbringen wollte?
Dann war ich die böse Ex, die er nie loswerden würde, weil wir ein Kind zusammen haben würden.
„Wir haben als Team immer funktioniert", fasste er zusammen. „Ich möchte, dass das so bleibt, aber dafür müssen wir ehrlich sein."
Als Team...
„Und das aus deinem Mund", stellte ich trocken fest und wusste immer noch nicht, was ich von diesem Auftritt hier halten sollte. Zu meiner Überraschung lächelte er schwach: „Ja, ich kann's selbst noch kaum glauben. Doch wenn wir es von der realistischen Seite betrachten, dann wäre es die beste Entscheidung. Wir können natürlich wieder irgend so einen Vertrag aufsetzten, aber-", er machte eine unwirsche Handbewegung und ich verstand.
Eigentlich sollten wir in der Lage sein, sachliche Entscheidungen zu treffen und einen gemeinsamen Mittelweg zu finden. Aber sachlich sein zu wollen und tatsächlich sachlich zu handeln waren zwei verschiedene Dinge. Erneut holte ich tief Luft und bemerkte, dass Liam sich aufrichtete.
„Gib mir die Chance meiner Familie selbst zu sagen, dass Nachwuchs ansteht und sag mir Bescheid, wenn es dir nicht gut geht oder wenn es etwas im Bezug auf...", kurz zögerte er, „... auf das Baby etwas Neues gibt."
Mein Hals fühlte sich unheimlich trocken an und ich schluckte hart. „Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass es existiert."
„Das erwarte ich nicht", stellte er klar, „aber ich möchte, dass du mich mit einbeziehst. Das ist nicht nur mehr deine Sache, sondern unsere."
Im Leben hätte ich niemals geglaubt, dies von Liam zu hören.
Mein Herz schlug schneller und ich musterte ihn. Sein Gesicht war mir nun so vertraut wie mein eigenes. Und ohne zu zögern konnte ich jede einzelne Vertiefung beschreiben. Die Kummerfalte, die Lachfalte und den Ausdruck von tiefer Zufriedenheit.
Ich kannte seine schlechten Eigenschaften, allerdings auch seine Guten, die er so penibel zu verstecken versuchte. Aber genau die Tatsache, dass er nicht jeden hinter seine Fassade blicken ließ... rührte mich.
Er hatte zugelassen, dass diese Mauer verschwand und ich sah, dass er mehr zu bieten hatte, als nur ein verschwenderischer, dummer Playboy zu sein.
„Lass... uns das zusammen machen", sprach Liam langsam und in diesem Augenblick wusste ich wieder, wie es passieren konnte, dass ich mich in ihn verliebte. Er war niemand, der sich etwas vorschreiben ließ, die Dinge am liebsten immer selbst entschied und das Leben bislang auf der Überholspur geliebt hatte. Doch Liam war auch auf eine gewisse Art und Weise anständig.
Seine Lebenseinstellung war so ganz anders, als meine, aber... ich mochte die Denkweise, dass man genau das tun sollte, was man wollte, auch, wenn es Konsequenzen mit sich zog. Nur würde ich wohl nie so mutig sein und es so extrem wagen, wie Liam. Trotzdem war es aufregend sich ab und an von ihm mitziehen zu lassen.
Liam war kein dunkler Mensch, auch, wenn er das mit all seinen Exzessen versuchte zu verkaufen. Wenn ich ihm zuhörte, er über Kunst, Reisen, Abenteuer und gutem Essen redete, dann war da Wärme, Helligkeit und dem Verlangen das Leben vollkommen auszukosten.
Aber noch viel wichtiger war, dass ich Liam doch eigentlich vertraute. Er gab Fehler zu, log mich nicht an und hatte dafür gesorgt, dass ich mich wieder ganz und gar wie eine Frau fühlte. Sinnlich und irgendwie sexy.
„Bist du dir sicher, dass das Zusammen funktioniert?", fragte ich direkt. „Wir haben auch so schon genug verschiedene Meinungen."
„Trotz der verschiedenen Meinungen sind wir die letzten Monate gut miteinander ausgekommen", behauptete Liam und da hatte er recht. „Fehler werden wir sowieso machen, niemand ist perfekt."
Ich seufzte schwer, dann sprach ich: „Das Zusammen wird nicht ohne Regeln funktionieren. Wir müssen ein paar aufstellen."
Er nickte: „Das stimmt, aber im Endeffekt habe ich nur eine."
Aufmerksam sah ich ihn an.
„Ich will Ehrlichkeit. Diese Heimlichtuerei ist einfach nicht meins und nervt mich. Wenn es ein Problem gibt, dann sollten wir das sofort ansprechen und lösen. Fertig", fasste er sich kurz. Da hatte Liam recht, denn die meisten Schwierigkeiten gab es bei uns eigentlich immer nur dadurch, dass wir die wichtigen Dinge nicht sofort ansprachen.
In meinem Nacken prickelte es. Ich hatte das dumpfe Gefühl, als würden sich zwei Hände um meine Kehle legen und zudrücken. Langsam und dann immer stärker. Mit den Fingerspitzen berührte ich meinen Hals und zwang mich zu atmen.
Liam sah mich an und ohne mich unter Druck zu setzten meinte er: „Ich weiß nicht, was los ist, Sweets, aber jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um mir zu sagen, weshalb du Panik schiebst."
Unrecht hatte er nicht und ich faltete die kalten Hände im Schoss. Statt direkt mit allem rauszurücken, wollte ich erst wissen: „David Grant und du, wie gut kennst ihr euch? Ich meine, ich habe dich vorher noch nie irgendwo mit deinem Halbbruder gesehen."
„Kennen ist auch zu viel gesagt", gestand Liam prompt und runzelte die Stirn. „Ich bin ihm, als wir in England waren, zum ersten Mal begegnet. Hatte nie groß Interesse daran ihn kennenzulernen, aber seine Meinung hat sich scheinbar nun geändert. Wir waren was trinken, doch das war nicht der Rede wert. Sein plötzliches Interesse ist irritierend, ich weiß nicht, was ich davon halten soll."
Und ich konnte mir sofort vorstellen, woran das lag. Der Albtraum würde hier weiter gehen. David wusste, wie er mir das Leben zur Hölle machen konnte und seine Drohung im Central Park sollte mich daran erinnern.
New York war nun mein Zuhause und ich wollte hier leben, ohne Angst zu haben.
Innerlich zählte ich von 10 rückwärts runter, meine Finger verkrampften im Schoß und schließlich fragte ich: „Weißt du noch, was ich dir in den Hamptons erzählt habe, als wir am zweiten Tag dort waren? Als ich glaubte jemanden zu kennen und ich tat es nicht?"
Liam beugte sich vor, sein Gesicht war ausdruckslos: „Du redest von den achtzehn Stunden?"
„Ja", gab ich zu. Achtzehn Stunden, in denen ich nicht glaubte, dass ich je wieder die vier Wände verlassen würde oder es einen weiteren Tag ohne Schmerzen gäbe. Ich sah noch immer David vor mir, so, wie er damals war. „Er war smart, erfolgreich, aalglatt und nach außen perfekt. In Wirklichkeit war es nur eine Fassade für Eifersucht und Brutalität."
Innerlich raste mein Puls, wenn ich nur daran dachte, wie hilflos ich gegen die Übermacht von Familie Grant angerannt war. Nie hätte ich in London die Gerechtigkeit bekommen, die ich verdiente. Und auch jetzt noch versuchte David mir zu nehmen, wofür ich hart gearbeitet hatte. Nämlich ein Stück Normalität.
„Hör auf dich mit David Grant zu treffen", sprach ich ruhig. „Er ist nicht der, für den du ihn hältst."
„Oh ich weiß ziemlich genau, wer er ist", behauptete Liam und lächelte spöttisch. „Der typische Good Boy und-"
Aber bevor er etwas hinzusetzten konnte, unterbrach ich ihn und sah ihn fest an: „Nein. Das weißt du nicht."
Er runzelte die Stirn, öffnete den Mund und dann sah ich buchstäblich die Erkenntnis bei ihm ankommen. Es war ein langer, zäher und qualvoller Augenblick. Liam erhob sich aus dem Sessel, im ersten Moment glaubte ich, dass er das Ganze für einen schlechten Witz halten würde. Überfordert rieb er sich mit der Hand durch das Gesicht und mir wurde klar, was für harten Tobak ich die letzten Tage auf ihn zuballerte.
„Ich wusste nicht, dass ihr verwandt seid", begann ich, um mich irgendwie zu erklären, doch davon wollte er nichts hören, denn er unterbrach mich unwirsch. Stattdessen wollte Liam wissen: „Ist etwas vorgefallen?"
„W-Was?"
„Hier in New York, hat er irgendetwas gemacht?", wiederholte er sich und ich zögerte, doch schließlich erzählte ich ihm von diesem zufälligen Treffen im Park. Liams Miene veränderte sich, er wurde wütend, doch zu meiner Verblüffung war er es nicht auf mich, sondern auf sich selbst.
Unruhig schritt er im Büro auf und ab, schließlich blieb Liam stehen. „Okay... für's Erste will ich, dass du draußen nicht mehr ohne Begleitung herumläufst. Vielleicht können wir jemanden verpflichten der-"
„-rund um die Uhr um mich herum schwirrt?", warf ich ein und fühlte mich merkwürdig bei diesem Gedanken, aber es würde mir David sicher vom Hals halten. Mein Blick blieb an Liam haften und ich gestand: „Ich habe damit gerechnet, dass du an die Decke gehst und nicht, dass du dir direkt überlegst, was sich ändern muss."
Liam lächelte grimmig: „Glaub mir Sweets, ich gehe an die Decke, aber nicht hier. Zuerst will ich mir etwas einfallen lassen, wo ich diesen Psychopathen die Haut abziehe und ihn dann in kleine Stücke an Metzgereien verscherbeln kann. Ich bräuchte allerdings ein Alibi und-"
Ich hörte ihm nicht mehr zu, stattdessen breitete sich eine warme Flut in meinem Magen aus und ich fand einen weiteren der gefühlten 100 Gründe, warum ich mich in Liam verliebt hatte. Er zahlte mir Vertrauen und Mut im selben Augenblick zurück, wenn ich es ihm gab.
„Was ist los, du siehst aus, als würdest du gleich anfangen zu heulen", bemerkte Liam irritiert und er trat zu mir. Ich griff nach seiner Hand, meine Finger umschlossen die seine und just in diesem Augenblick kullerte tatsächlich die erste Träne über meine Wange. Sein Körper versteifte sich und ich wusste, dass er plärrende Frauen hasste.
Schnell wischte ich mir mit der anderen Hand die Tränen beiseite, doch es kam eine nach der anderen. Ich konnte das nicht aufhalten, denn die Erleichterung schien mich nur so mit sich zu reißen.
Tief und frustriert seufzte Liam, doch er war geduldig und setzte sich schließlich einfach auf den Boden. Es war so albern, dass ich nur lachte und weiter weinte. Doch er ließ meine Hand nicht los und dieser Halt war etwas, was ich enorm gebrauchen konnte.
Sanft und tröstlich strich er mit den Daumen über meinen Handrücken. Schweigend saßen wir dar und irgendwann ging Liam dreist an meine Handtasche und zog ein Taschentuch dort heraus. Dies sorgte nur dafür, dass ein weiterer Wasserfall den Damm brach.
Vor ein paar Monaten hätte ich noch gedacht, dass er eiskalt den Abgang machte, aber er bleib und ertrug mich in dieser jämmerlichen Verfassung. Das änderte sich auch nicht, als Liam meinte: „Wir kümmern uns um eines nach dem anderen. Irgendwie kriegen wir das schon hin und hey, wen interessiert es, was andere Leute denken werden?"
„J-Ja, wen interessiert es", stimmte ich ihm zu und das tat ich wirklich. Ich glaubte ihm, wenn er der Meinung war, dass wir einen Weg fanden. So waren wir halt, chaotisch, nicht normal und unlogisch.
Doch das Beste daran war, wir waren all dies zusammen.
Und das machte mein Herz frei und schwerelos.
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