achtundvierzigster Brief: Cavendish

"Mein lieber zukünftiger Ehemann, 

Lieber Unbekannter, 

ich hasse Cavendish! Dass er so ein Idiot, Angeber und Geizhals ist, aber er ist viel mehr als das! Jawohl, er ist abscheulich! Ein eifersüchtiger Egozentriker, der wegen jeder Kleinigkeit sofort die Fassung verliert! Ein Widerling, für den Benehmen ein Fremdwort ist, das man nicht zu lernen braucht! Und diesen Mann soll ich heiraten? Leider, so spät kann ich die Hochzeit nicht mehr absagen, Lucy freut sich schon so sehr auf die große Veranstaltung. Was würden nur die Leute von mir denken, wenn ich keinen anderen finde, der mich heiraten will? Mit zweiundzwanzig bin ich schließlich nicht mehr die Jüngste, möchte weder Bauerntrottel noch Millionär heiraten und bin nicht sehr umgänglich. Und für eine Lady meines Ranges ziemt es sich nicht, mit dreißig unverheiratet zu sein. Was soll ich denn nur tun? 

Da fällt mir gerade ein, dass ich dir nicht erzählt habe, was geschehen ist! Nundenn, ich war gerade mit meiner Schulschicht fertig und um Miss Foster nicht über den Weg zu laufen und Lucy zu besuchen, lief ich hinten um den Laden herum. Wohlbemerkt, ich ging auch hinein, nicht, dass ich ein noch für einen Spion gehalten werde. Und sofort lief ich unserer Stadtnervensäge James über den Weg. 

"Und hat der werte Herr schon alle Neuigkeiten verbreitet, oder wartet auf Kunden, denen man damit auf die Nerven gehen kann?" 

"Natürlich, Mylady. Oder war dies nicht ihr Wunsch?" 

Ich seufzte. Auf sein kindisches Verhalten war einfach immer Verlass. "Herzlichen Dank." 

"Nichts zu danken, ich habe es ja nicht einmal getan. Aber ich hätte es wirklich gerne getan, das hätte meine Beliebtheit in dieser schrecklichen Stadt sofort steigen lassen." 

"Du bist wirklich ein Volltrottel." 

"Danke für das Kompliment, das bin ich gerne." 

Seine Augen blitzten schelmisch auf und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Außer Beleidigungen, Ironie und abgedroschenen Formulierungen, die er von einfach jedem übernahm, hatte er zwar nicht viel im Kopf, wie es schien, aber immerhin. 

"Suchst du eigentlich Mutter?" 

"Ja." 

"Sie ist nicht da, musste dringend einkaufen fahren. Man kann Bestellung schließlich nicht den Männern in der Familie überlassen." 

Wieder grinste ich. Das war so typisch für sie. Na gut, ich würde es genauso machen. "Das stimmt auch." 

"Bei mir definitiv. Soll ich dich nachhause bringen? Nichts, dass du es schaffst, dich wieder mit irgendjemandem zu verstreiten, etwas anzustellen oder die Straße niederzuschreien." 

"So laut bin ich gar nicht!" 

"Oh doch. Sehr laut." Und so lief ich mit ihm aus dem Laden und den Weg entlang, bis mich jemand ruckartig am Arm zurück riss. 

Ein brennender Schmerz schoss durch meinen Körper, als sich lange Finger in meinen Arm bohrten. Fast hätte ich vor Schreck geschrien. Beinahe sofort schlug ich mit der freien Hand nach diesem jemand. Erst nachdem sich der Griff gelockert hatte, bemerkte ich, wer es war. Cavendish, mein Verlobter. 

"Was fällt Ihnen ein, Sie Grobian!", schimpfte ich völlig außer mir. Es war zwar durchaus keine gefährliche Situation, dennoch hatte ich einen gehörigen Schrecken bekommen. 

"Ich würde gerne mit Ihnen reden." Eiskalte blaue Augen durchbohrten mich. Es mag vielleicht kindisch wirken, aber ich fürchtete mich urplötzlich ein wenig vor ihm. Doch ich wäre keine Lady Sky gewesen, wenn ich nicht augenblicklich seine Hand vollends zur Seite gestoßen hätte und ihn genauso eiskalt angestarrt hätte. 

"Sie können mir nichts befehlen." 

"Miss, ich hoffe, Sie haben die baldige Hochzeit nicht vergessen." 

"Das habe ich nicht, Sir. Wenn ich nicht allerdings etwas mit Ihnen zu besprechen hätte, dann würde ich gar nicht auf ihren Wunsch eingehen. Noch bin ich eine freie Frau und auch später lasse ich mir von niemandem, ich wiederhole niemandem, etwas befehligen. Ich lasse es nicht zu, dass jemand über mich bestimmt. Haben Sie das verstanden?" Meine Stimme war hart wie Stein, wie ich es von Mutter gelernt hatte. Nichts an meiner Haltung ließ andeuten, dass ich mich in irgendeiner Form fürchtete, darauf achtete ich. Und ja, ich hätte ihm tatsächlich ins Gesicht geschlagen, wenn es nötig gewesen wäre. 

"Natürlich habe ich es verstanden, meine Liebste", meinte er mit einem zuckersüßen Unterton, der mich noch argwöhnischer machte, als ich ohnehin war, "Dennoch würde ich gerne mit Ihnen alleine reden, wenn Sie gestatten, meine Teuerste." 

"Sicherlich. James, wenn du möchtest, kannst du ruhig auch nachhause gehen. Richte Lucy aus, ich werde wie immer zum Abendbrot erscheinen." 

Erst musterte er Cavendish auf eine aggressive Art und Weise, dann verschwand er jedoch um die Ecke. Ich hörte zwar keine Schritte, die sich entfernten, aber eigentlich war es mir auch recht, schließlich hatte er wenigstens schlechten Charakter, mein Verlobter hingegen keinen. 

"Nun gut. Was haben Sie vorgehabt zu verkünden, Mister Cavendish?" 

"Ich würde ihren Bekanntenkreis gerne auf die Damen der Elite beschränken. Gegen Ihre Freundschaft mit Misses Alden habe ich nichts einzuwenden, allerdings sollten Sie sich weder mit den Bauern noch mit diesem abscheulichen James abgeben. Finden Sie nicht?" 

"Nein, das finde ich nicht! Ich suche mir meine Freunde aus! Ich und sonst niemand. Sie bestimmen nicht über mich. Niemand sagt mir, was ich tun und was ich lassen soll. Ich würde Ihnen wirklich ungern drohen, da ich glaube, eine Warnung genügt. Ich bin nicht irgendjemand, mit dem Sie sich anlegen und meinen Feinden geht es niemals gut." 

"Wagen Sie es, noch ein Wort gegen mich zu sagen und Sie werden es büßen, Miss." Wieder packte er mich am Arm und wollte mich hinterher zerren. Noch bevor ich die Situation überhaupt richtig verstanden hatte, wurde er schon zurück gerissen und ich löste mich aus seiner Hand. 

Klatschend landete James Faust in Cavendishs Gesicht. brechen konnte er definitiv keine Knochen, dafür war er nun auch wieder zu schwach, aber für einen Moment der Verwirrung sorgte es bei diesem Widerling. 

Ich lächelte James noch kurz zu, dann verschwand ich aber. Auf weitere Streitereien hatte ich wirklich keine Lust und war auch schon den Tränen nahe. Worauf habe ich mich mit dieser Verlobung bloß eingelassen? 

Deine 

Elisabeth" 

Sie legte den Brief nieder und wandte sich der Wand zu, die Tränen so gut wie möglich unterdrückend. Was hatte sie sich bloß gedacht? Und würde der Verstand, der ihr zu dieser Hochzeit riet, oder ihr Herz, das niemals zugestimmt hatte, gewinnen? 

Denn schlechte Zeiten lassen in manchen Menschen schnell erscheinen schlechte Seiten ihrer selbst--- 

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