2. Stoff zum Mittag
Der kleine Laden von Aries war voll mit hölzernen Regalen auf denen sich eingerollte Stoffbahnen stapelten. Daneben gab es Körbe aus Bast in unterschiedlichsten Pflechttechniken hergestellt. In jeder Größe lehnten Stoffe an den Wänden, grober wie feiner von jedem Teil des römischen Reiches. Die edelsten Stoffe jedoch lagen in einem schmalen, dunklen Hinterzimmer, Samt und Seide, eine Bahn mit Goldstickereien aus dem fernen Jerusalem. Zudem hatte Aries Farben in Pulverform in kleinen Flakons, grün und rot, blau und gelb in mehreren Varianten, und sein wohl größter Schatz war ein kleines Fläschchen mit Purpur, gerade genug um damit die samtenen Ränder einer Toga zu färben. Und sündhaft teuer. Sein Vater hatte die Farbe hier schon stehen, als er Aries den Laden vermacht hatte. Als ob morgen der Kaiser persönlich vor der Tür stehen würde, um sich Stoff für eine neue Toga färben zu lassen. Sein Vater hatte nie gezweifelt, dass nicht eine winzig geringe Möglichkeit bestand, dass das wirklich passieren konnte.
Die Verkäufe liefen heute schleppend, bis zum höchsten Stand der Sonne waren gerade mal zwei Kundinnen da. Die beiden Frauen hatten nichts außergewöhnliches gesucht, Bahnen aus blau uns gelb gefärbten Leinen, keine Stickereien, alltagstauglich, unspektakulär. Selbst der hitzige Tratsch über die neue Frisur der Agrippa, die unter den Frauen stolz nachgemacht wurde, waren nur belanglos an Aries vorbei gezogen. Irgendwie wollte der Laden nicht so recht laufen und Aries verstand nicht warum. Was machte er anders als sein Vater, dem man an einigen Tagen der Woche den Laden förmlich eingerannt hatte und der durchaus eine Familie mit dem Einkommen hatte ernähren können. Nun reichte das Geld kaum für Aries selbst aus. Er fühlte sich schon beschämt genug, dass er seinem jüngeren Bruder das Leid seiner Mutter hatte anvertrauen müssen, da er selbst nicht in der Lage war die Miete für eine Wohnung in einer insulae, einer unedlen Mietskaserne mit zu finanzieren. Und das Leben in der engen, lichtlosen Zwischendecke über seinem Laden hatte Aries ihr nun wirklich nicht zumuten wollen.
Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und merkte, wie sich den Rest des höflichen Lächelns, mit dem er die beiden Frauen beraten hatte aus seinen Mundwinkeln verflüchtigte. Aries zog eine nachdenkliche Miene und legte seine Stirn in unordentliche Falten als er zum Eingang hinaus auf die von den Hausüberhängen beschatteten Gehwegen und die fast blendende Straße in dessen Mitte sah. Es war kaum zu übersehen das er Kummer hatte, obwohl das alles andere als einladend auf Kunden wirken musste, kritisierte er für sich. Draußen waren die Straßen gut gefüllt, sie waren durchspült von lachenden und murmelnden Massen. Matronen, die mit Sklaven einen Einkaufsbummel erledigten, Sklaven allein, die für ihren Besitzer das ein oder andere besorgen mussten und Kinder die sich zwischen den Beinen der Erwachsener durchdrängelten. Ein normaler Tag wie viele andere auch. Aries betrachtete neidisch den gegenüberliegenden Laden für Gewürze und Kräuter, an dessen Theke die Menschen Schlange standen. Sie rissen dem Verkäufer die Wahren beinahe schon aus den Händen. Die getrockneten und teilweise zerriebenen, teilweise ganzen Pflanzen erfreuten sich beneidenswerter Beliebtheit. Der Verkäufer war ein alter Kindheitsfreund von Aries, zusammen hatten sie früher die Straßen unsicher gemacht und versucht magische Orte zu entdecken, die den Augen der Erwachsenen verborgen blieben. Was man eben als Kind so tat, wenn man noch sorglos und unbedarft war. Im Gegensatz zu Aries war Manius jedoch zu einem sehr ernsten Mann herangewachsen, der nur noch wenig Ähnlichkeit hatte mit seinem kindlichen Selbst hatte. Schade eigentlich, dachte Aries als er kurz seinen ehemaligen Freund beim Handeln über eine Klingenspitze Muskat zusah.
„Beobachtest du deine Beute?", ertönte da plötzlich eine neue Stimme und riss Aries zusammenzuckend aus seinen Gedanken. Langsam wandte er den Kopf, und sah Decimus mit aufgewecktem Blick neben sich stehen. Aries hatte ihn gar nicht reinkommen sehen. Sein jüngerer Bruder, von seinen Freunden auch gerne Cato genannt, hatte einen Haufen Schriftrollen unter dem Arm und wirkte durchaus entspannt. Aries schüttelte den Kopf. „Ich beobachte die Schatten meiner Erinnerungen und ertappe mich dabei wie sie mir langsam entschwinden. Apropos Entschwinden. Solltest du nicht in der Arena sein und Gladiatoren wieder zusammenflicken?", fragte er Decimus forschend. Dieser zuckte mit den Schultern. „Heute fand kein großer Kampf statt, die wenigen Verletzungen, die beim Training entstehen waren schnell behandelt. Prellungen und Zerrungen, ein ausgekugelter Schwertarm. Mein Mentor hat mir für den Rest des Tages frei gegeben. Er meinte, ich solle die freie Zeit für das Selbststudium verwenden. Als würde ich das nicht sowieso jeden Abend bei dem Schein einer Öllampe tun bevor ich erschöpft ins Bett falle.", erzählte er seufzend und tätschelte die Pergamentrollen. Aries schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. „Aber statt zu lernen hast du dich entschieden in deiner neu erworbenen Freizeit deinen Bruder aufzusuchen.", stellte Aries trocken fest und wischte sich in einer beiläufigen Geste unsichtbare Fussel von seiner Tunika. „Ganz genau! Ich wollte mich von deinem Wohlsein überzeugen. Nicht, dass du hier einsam und von Krankheit geplagt im Bett liegst und niemand kommt, um dir zu helfen. Der Wind kommt in den letzten Tagen von Süden her und bringt Wärme. Zudem regnet es viel für diese Jahreszeit, weshalb der Boden feucht ist. Was für den Wein jedoch gut ist, ist für den menschlichen Körper schlecht. Er neigt dazu zu süß zu sein und zu viel Blut im Herzen zu produzieren. Du solltest das ausgleichen indem du vermehrt trockene, der Erde verbundene Nahrung zu dir nimmst.", ratterte Aries Bruder die Empfehlung nach kurzem Überlegen herunter, als würde er sie aus einer der Schriftrollen ablesen. „Oder du machst eine Blutegel Behandlung, um deine Säfte wieder ins Gleichgewicht zu bringen.", fügte er noch schnell hinzu. Neuer Eifer sprühte aus seinen Worten, sein Gesicht leuchtete vor Aufregung sein gelerntes Wissen anzuwenden. Aries schüttelte es augenblicklich vor Ekel. „Halt mir bloß diese Dinger vom Leib! Noch bin ich gesund und wenn die Götter es wollen, bleibt das auch so. Teste dein Wissen bitte an jemand anderem. Mich musst du nicht beeindrucken.", wehrte Aries mit etwas zu hartem Ton ab, was Decimus Tatendrang sofort einen ordentlichen Dämpfer bescherte. Seine Augen verdunkelten sich von einem leuchtenden braun-gold zu einem ernüchterten Erdbraun und sein Mund verzog sich unmerklich. „Schon gut. Kein Grund sich gleich so zu ereifern. Ich habe es nur gut gemeint und wollte dir ein paar Ratschläge geben, für die du sonst viel bei einem Arzt zahlen müsstest. Aber wenn du meine Prognosen nicht willst, werde ich deine Ohren nicht mehr damit belasten.", meinte Decimus mit einem deutlich eingeschnappten Unterton. Aries schnaubte. Wenn sein Bruder nur nicht immer so theatralisch sein würde und nicht jedes Wort so bewusst auf die Goldwaage legen würde. Leider hatte dieses Verhalten schon als Kind so gut funktioniert, dass er es bis heute beibehalten hatte, um das zu hören, was er wollte und seinen Willen durchzusetzen. Er wollte stets Aufmerksamkeit und für sein Wissen bewundert werden.
Auf der Straße wandte sich gerade eine Sklavin zielstrebig zu Aries' Laden. Wahrscheinlich wollte sie Stoff für ihre Herrin kaufen, denn mit sich brachte sie einen ledernen Umschlag. Vielleicht würde Aries heute doch noch ein bisschen mehr verkaufen. Er jubelte im inneren. „Benimm dich nicht wie ein kleiner Junge, Cato. Natürlich will ich deinen Rat hören und ich werde ihn so gut es geht berücksichtigen. Aber das, was mir zuwider ist, kannst auch du mir mit ärztlichen Prognosen nicht schmackhaft machen.
Du weißt genau, dass du der schlauere von uns beiden bist, also spiel mir nicht den schüchternen Lehrling, der unbedingt mein Lob braucht um sich seines Könnens bewusst zu sein. Denn du kannst vielleicht Blut sehen und Knochen richten, aber nicht schauspielern. Und jetzt wäre ich dir sehr dankbar, wenn du dich etwas zurücknimmst, während ich meine Kunden betreue.", versuchte Aries seinen Bruder zu beschwichtigen, der kurz die Augenbrauen hob und seinen Bruder abschätzend musterte. Aries verbiss sich einen genervten Blick und konzentrierte sich auf die junge Sklavin, die nun zum Eingang herein kam. Sie war hübsch, hatte lange dunkelbraune Haare und olivfarbene Haut, eine zierliche Statur und einen lebhaften Blick mit dem sie Aries betrachtete. Sofort setzte er ein professionelles Lächeln auf und begrüßte das Mädchen schwungvoll. „Sei herzlich Willkommen, du suchst sicherlich Stoff für ein neues Kleid deiner Herrin. Sucht sie etwas besonderes oder ein alltägliches Gewand?" Gerade als das Mädchen antwortete, spürte Aries wie sein Bruder ihm auf den Rücken klopfte und sich ihm Vorbeigehen kurz zu seinem Ohr beugte. „Dann viel Glück noch, und lass dich mal wieder mehr zuhause blicken. Mutter hat Sehnsucht und möchte dich unbedingt wieder zum Essen sehen.", raunte er und ging dann an Aries vorbei. Aries schaute ihm aus den Augenwinkeln nach. Sehnsucht, dachte er mit bitterem Nachgeschmack. Bisher war es doch immer so gewesen, dass sie die Sehnsucht mit ihrem Lieblingssohn Decimus ganz schnell wieder vergessen hatte. Kurz gestattete Aries sich einen düsteren Blick mit der er Decimus' Hinterkopf anstarrte bis er verschwunden war. Doch rasch wandte er sich wieder seiner Kundin zu und lauschte ihren Angaben mit freundlichen Interesse. Es gab jetzt wichtigeres als die Streitigkeiten zwischen ihm und seinem Bruder. Nämlich Geld zu verdienen, damit er noch einen weiteren Monat über die Runden kam.
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