13. Der Soldat
Einige Tage später
Mit den ledrigen Schwänzen von zwei toten Ratten in den schmutzigen Händen eilte Mina zurück zum Hafen. Es war bereits Abend, bald würde Vater die Tür schließen und sie bis zum morgen nicht mehr öffnen. Dann musste sie wieder draußen schlafen und aufpassen, dass die Ratten und Katzen sich nicht rächten und ihre Arme fraßen, während sie schlief. Jedenfalls hatte Jupiter erzählt, dass das passiert.
Über die Quersteine von eine Straßenseite zur anderen wechselnd blieb sie kurz bei einem der Brunnen an den Kreuzungen stehen und trank hastig ein paar Schlucke. Es war kurz bevor der wimmelnde Strom der Menschen von den Straßen verschwand, beinahe eine feierliche, aber auch erschöpfte Stimmung lag über den Köpfen der Sklaven und Arbeiter. Seit Mina jeden Tag auf diesen Straßen lief hatte sie ein völlig neues Gefühl für den Rhythmus der Stadt bekommen. Beinahe, genoss sie es sogar ein bisschen und wischte sich mit dem staubigen Handrücken Wasser zum Kinn.
Da wurde sie mit einem Mal grob bei Seite gestoßen. Hart fiel sie auf die Steine und ließ aus Reflex auch die Rattenschwänze los. „Geh mir aus dem Weg, dumme Göre!", pöbelte die Person. Mina drehte sich ängstlich zu dem Mann um, der sie gestoßen hatte und wich bei seinem Anblick sogar noch ein Stück weiter fort. Er war ein Soldat, ein Schwert schaukelte bedrohlich in der Scheide an seinem Gürtel. Er trank nun fast ebenso hastig wie sie von dem Wasser. Mina schluckte ängstlich und sammelte rasch den Ratten wieder ein, die sich heute erlegt hatte. Ohne den Blick von dem Mann zu lassen wie eine Schlage, die jeden Moment angriff. Denn irgendwas war seltsam an diesem Soldaten. Er wirkte irgendwie unordentlich, unsortiert, die dunklen Haare waren nicht gekämmt und ein anfangender Bart zierte sein Gesicht. Wenn Mina zuvor Stadtwachen gesehen hatte, waren diese immer sauber herausgeputzt, streng und aufrecht, mit deinem stolzen, aber festen Blick, mit der sie vorbeilaufende betrachteten. Aber die Augen dieses Mannes waren tief und dunkel, müde und ruhelos. Minas Arme überkam eine Gänsehaut.
„Was glotzt du denn so? Gefällt dir mein Gesicht etwa nicht?", rumpelte der Mann mit tropfendem Kinn, als er Minas Blick bemerkte. Sie starrte mit großen Augen, und mit stark klopfendem Herzen zurück. Der Mann grunzte und sah sich ein mit einem merkwürdig gehetztem Ausdruck über die Schulter, aber als sein Blick wieder zu Mina zurück sprang, war er anders. Noch immer müde, noch immer rastlos, aber wärmer.
„Nur die Geister, fürchte ich.", sagte er sanft brummend, als hätte das irgendeine Bedeutung zu dem vorherigen Satz. Mina wusste nicht was sie denken sollte. Er sah auf die toten Ratten in ihren Händen.
„Du hast es wohl auch nicht leicht, Kleine." Er begann in einem kleinen Lederbeutel um seinen Hals zu kramen und zog dann zwei Asse hervor. „Hier nimm, und dann verzieh dich. Die Schatten sind gefährlich für kleine Sklavenmädchen.", sagte er und hielt ihr die Asse entgegen. Mina zögerte, aber dann rappelte sie sich auf und schnappte sich die Münzen aus seiner Hand. Der kleine Finger war krumm, war wohl mal gebrochen und schräg wieder zusammengewachsen. Aber auch der Rest seiner Finger war vernarbt und schwielig. Das Geld in der einen Faust und die beiden Ratten in den anderen zog sich sich zurück und rannte schließlich davon. Was für ein seltsamer seltsamer Mann, dachte sie noch immer verschreckt. „Und wenn ich dich hier noch einmal sehe, dann schlag ich dir den Kopf ab, du elendes Barbarenbalg!", rief der Mann am Ende der Straße plötzlich wieder furios vor Zorn und Hass, als wäre das eben nie passiert. Kurz fürchtete sie, er würde ihn nachkommen, aber glücklicherweise ließ er es bleiben und ließ das Mädchen hinter der nächsten Ecke verschwinden. Das lüftete sich der Schleier wieder, der seine Sicht getrübt hatte und er erkannte die braunen Haare des Mädchens. Sie waren nicht blond, und das hier war auch nicht irgendein Dorf in der britannischen Provinz, sondern Pompeji. Als er das erkannte fing er hilflos an zu weinen, aber Mino hörte es natürlich längst nicht mehr.
Sie schaute nicht zurück, als sie bei seinen Worten noch schneller rennend, einen Umweg in Kauf nahm. Ihr Herz schlug noch immer heftig, als sie das Stadttor erreichte. Die zwei Asse brannten in ihrer Handfläche, sie merkte ihr Gewicht zu deutlich. Was war nur mit diesem Mann los? Sie hoffte, dass sie ihn nicht wieder treffen würde. Er hatte ihr mehr Angst eingejagt als Vater.
Als sie das Schiff von Vater betrat, sah sie wie Vater gerade dabei war, die Tür zu schließen. Sie rannte los und quetschte sich durch den Spalt der zuschlagenden Tür. Vater schien es nicht zu interessieren. Er verriegelte die Tür hinter ihr, wie er es auch getan hätte wäre sie draußen geblieben. Schwer atmend ließ Mina sich neben Jupiter auf sein Lager fallen. Er saß mit angezogenen Beinen neben einem anderen Jungen und kicherte gerade mit ihm über irgendwas.
„Das war ganz schön knapp! Wo warst du so lange?", merkte er auf als Mina zu Atem kam. Sie deutete mit dem Kinn auf die Ratten und Jupiters Augen weiteten sich.
„Gleich zwei! Unglaublich! Du bist eine gute Jägerin.", meinte Jupiter ehrlich erstaunt und lächelte mit fehlenden Schneidezähnen. Nun war es an Mina erstaunt aufzuschauen und deutete mit dem Zeigefinger auf seine Zahnlücke. Jupiter zuckte mit den Schultern. „Den hat mir eine Fischverkäuferin ausgeschlagen, als ich unter ihrem Tisch eine Katze gesucht habe. Dam-dum. Einmal mit einem dicken Fisch über die Rübe.", lachte Jupiter während er lebhaft das erzählte mit den Händen nachstellte. Mina runzelte die Stirn. War das zum lachen? Hatte ihm das keine Angst gemacht?
„Lügner", mischte sich der andere Junge nun auch ein. Jupiter zuckte mit den Schultern. „Stimmt, so war es nicht. Der hat schon seit Tagen gewackelt und ich konnte ihn endlich lösen. Aber lustig wäre es, oder?", fragte er an die beiden gerichtet. Mina lächelte leicht und nickte. Die Asse noch immer in der geballten Faust verborgen.
In dem Schiff waren noch eine Hand voll anderer Kinder. Sowohl Jungen als auch Mädchen, alle in einem Alter von fünf bis elf Jahren, der älteste von ihnen, gleich neben dem Lager von Vater, war bereits dreizehn Jahre alt. Er trug ein rotes Katzenfell um die Schultern und kümmerte sich um alles, wenn Vater mal nicht da war oder einfach keine Lust dazu hatte. Hercul, war sein Name, wie Jupiter ihr mal gesagt hatte.
Und Hercul war es nun auch, der mit harter Stimme eines pubertierenden über die Gespräche der anderen Kinder hinweg sagte: „Und Apollon zieht mit seinem Sonnenwagen in die Unterwelt. Die Welt wird dunkel!" Dann blies er die einzige Lichtquelle in dem Raum, eine schlichte Öllampe neben Vaters Lager aus. Das tat er immer, wenn alle schlafen sollten, wenn Vater die Tür verriegelt und zu seinem Lager zurückgeschlurft war. Und jedes Mal, sprach er die gleichen Worte. Die letzten Worte des Tages. Danach war es still.
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