Kapitel 6
Als Sirius am Morgen aufwachte, lag er ausgestreckt auf dem Boden mit der Tasche unter seinem Kopf, wie mit einem Kissen. Er musste mitten in der Nachtwache eingeschlafen sein. Die Sonne schien ungewöhnlich hell zwischen den Blättern, die Knospen der Pflanzen öffneten sich langsam und ein Schmetterling flog an ihm vorbei. Fast war es schön. Fast.
Dorcas hatte schon die Brötchen aufgeteilt, damit sie gleich große Stücke waren und reichte Sirius ein abgetrenntes Stück, als er sich gähnend aufsetzte.
„Remus wollte nach Essen suchen", erklärte sie bei Sirius' fragendem Blick. „Er hat versprochen nicht lange weg zu bleiben."
„Und wie lange ist er schon weg?"
Dorcas zuckte mit den Schultern: „Aber er müsste noch in der Nähe sein."
Sirius nickte, bevor er wegsah und an seinem Brötchen knabberte. Er wollte es sich aufsparen, den Geschmack genießen, bevor er wieder den restlichen Tag hungern würde.
Es war ruhig im Wald, eine langsam aufwachende Umgebung, leichtes Rascheln über ihren Köpfen, wo die Vögel saßen und Buddeln war in den Gebüschen. Noch immer war dort der Pfotenabdruck des Bären, wo die Klauen sich in die Erde gedrückt hatten. Sirius legte einige herunter gefallene Blätter darauf, um sie zu bedecken.
„Wie viele Tributen sind eigentlich noch da?", fragte Sirius, aber als er zu Dorcas sah, blickte sie konzentriert zur Seite und hob den Zeigefinger, als er sie wieder ansprach.
„Warte", murmelte sie. „Etwas stimmt nicht."
Sirius blickte sich ebenfalls um, suchend, was Dorcas meinen könnte, als ihm plötzlich etwas auffiel.
„Die Vögel haben aufgehört zu singen", sprach Dorcas den Gedanken aus, der auch Sirius' Kopf durchzog.
„Ist das nicht normal?"
„Nein", Dorcas stand schnell auf, nahm die Tasche und stopfte ihr angebissenes Stück Brötchen rein. „Wir müssen hier weg."
„Was ist denn los?", fragte Sirius, während er hektisch seine Hose abklopfte und Dorcas folgte, als sie einen Weg einschlug. Ein mulmiges Gefühl bildete sich in seinem Bauch, als er über seine Schulter sah. Er konnte spüren, dass etwas nicht stimmte, als läge eine gewisse Gefahr in der Luft, eine Bedrohung, die er nicht wirklich zuordnen konnte. Er fühlte sich nicht sicher.
„Wir müssen Remus finden", meinte Dorcas besorgt. „Verdammt, warum hab ich ihn bloß alleine gehen lassen?"
„Weil wir essen brauchen."
Dorcas warf ihm einen wütenden Blick zu, weswegen Sirius den Mund hielt. Sie liefen herum, mal in die eine Richtung, mal in die andere, aber sie konnten Remus nicht entdecken, weswegen Dorcas doch nachgab und es wagte ihn zu rufen. Sicherheitshalber holte Sirius seine Waffen heraus und hielt sie bereit, sollte ein ungebetener Gast auf die Rufe hören. Er konnte nur hoffen, dass niemand anderes kam.
„Mir gefällt der Himmel nicht", meinte Dorcas mit beunruhigtem Blick zur Blätterdecke. „Ich kann von hier wenig erkennen. Warte hier."
Bevor Sirius ihr widersprechen konnte, war sie auf einen hohen Baum geklettert und verschwand zwischen den Ästen, bis er sie nicht mehr erkennen konnte. Wachsam sah Sirius sich immer wieder um, immer stärker spürend, dass etwas falsch war.
Sein Blick fiel auf eine freie Stelle auf dem Boden, wo die braune Erde und Staub mit dem Wind leicht gewirbelt wurden. Es sah merkwürdig aus, wie sie sich in einem Kreis bewegten, als würden sie einen Tanz durchführen, die Bewegung aber so minimal, dass Sirius in die Hocke gehen musste, um sie genauer zu erkennen. Er hatte so ein Phänomen noch nie gesehen.
„Sirius!"
Erschrocken fuhr Sirius herum, die Waffen gezogen und bereit zuerst anzugreifen, wenn jemand von hinten auf ihn zukam, aber als er sich umdrehte stand dort Remus, seine Hände voll mit Brombeeren, die er versuchte zu tragen.
Sirius' Herz zog sich vor Erleichterung zusammen. Remus sah unversehrt aus, die braunen Haare durcheinander und er selber atmete schwer, aber er hatte keine Verletzungen.
„Wo ist Dorcas?", fragte Remus panisch. „Ich hab sie rufen hören, aber ich war zu weit weg und dann bin ich losgerannt und- und-"
„Es ist alles gut", meinte Sirius beruhigend. Er steckte die Messer weg und nickte zum Baum. „Sie ist hochgeklettert. Wollte sehen, was am Himmel passiert."
„Warum denn das?"
„Sie sagt, etwas stimmt nicht. Die Vögel haben aufgehört zu singen."
Remus' Augen weiteten sich kaum merklich, bevor er sofort nach oben schaute, in der Hoffnung dort etwas zu erkennen. Sirius sah ebenfalls hin, aber die Sicht sagte ihm nichts. Plötzlich kam Dorcas wieder vom Baum. Sie sprang geübt von dem Ast und schloss erleichtert die Augen, als sie Remus erkannte.
„Da bist du ja endlich", meinte sie und reichte Remus die Tasche, damit er die Brombeeren wegpackte. „Wir müssen schleunigst ein Unterschlupf finden."
Remus nickte, als wäre ihm sofort klargeworden, in was für einer Situation sie sich befanden.
Verwirrt sah Sirius zwischen den beiden hin und her: „Was ist denn da am Himmel?"
„Er ist grün", meinte Dorcas und Remus sagte: „Scheiße"
Noch immer verwirrt runzelte Sirius die Stirn, ließ sich aber mitziehen, als seine Verbündeten sich auf den Weg machten. Sie gingen schnell und sahen sich um, besprachen etwas untereinander, was Sirius nicht verstand: „Grün?"
„Ja", gab Dorcas zurück. „Das heißt er kommt mit Hagel."
„Okay. Wer kommt?"
Remus blieb stehen, drehte sich um und sah Sirius konzentriert an: „Sirius", sagte er langsam. „Dir ist klar, dass wir Minuten von einem Tornado entfernt sind, oder?"
Geschockt weiteten sich Sirius' Augen und alles, was er tun konnte, war zu nicken, als Dorcas bitter schnaubte. „Jetzt weißt du es. Leg mal einen Zahn zu, wir müssen einen Graben oder so finden."
„Und wenn nicht?"
„Dann legen wir uns auf den Boden und hoffen auf das Beste."
Genau als Remus das aussprach, wehte so ein heftiger Windstoß sie zur Seite, dass Sirius abermals daran erinnert wurde, dass die Spielemacher die Arena kontrollierten und deswegen ungewöhnliches Wetter passieren konnte. Oh, nein, dachte er erschrocken, was wird das denn für ein Tornado sein?
Sie konnten sich kaum auf den Beinen halten, als sie mit Dorcas voran durch den Wald rannten. Der Sturm war so plötzlich aufgetaucht, aber jetzt war auf Hochtouren, die Blätter der Bäume schlugen aggressiv um sich, Hagel donnerte wie aus Eimern auf sie herab und das Eis war groß wie kleine Kieselsteine. Schnell auf Sirius seine Kapuze auf, doch noch immer konnte er den fallenden Niederschlag spüren.
Es wurde dunkel und bald schon war der Weg schwer zu sehen, Wind stach in den Augen und machte es schwer zu atmen, Äste und Erde flogen ihnen hinterher und Laub wirbelte auf.
„Schaut!", rief Sirius und streckte seinen Arm heraus, mühevoll, da der Wind die Fläche nutzte, um ihn fast von den Beinen zu reißen. „Da ist eine Höhle!"
Seine Stimme war immer noch leise über dem Sturm, obwohl Sirius schrie und er spürte, wie sein Hals wund wurde, wenn er sich anstrengte, Dorcas' und Remus' Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie konnten erkennen, was er gefunden hatte und Sirius rannte vor, um sie anzuführen.
Plötzlich traf ein Blitz in den Baum neben Remus, laut und gefährlich und der Baum begann sofort zu brennen, weswegen Remus erschrocken stolperte und auf den Boden fiel.
„Remus!", Dorcas ging neben ihm runter und versuchte ihm an der Schulter hoch zu helfen, aber als er sich auf den Armen aufstützte, fiel er wieder hin. Etwas hinderte ihn daran sich aufzusetzen.
„Geh", meinte Sirius, als er zu ihnen rüber rannte. Er berührte kurz Dorcas' Schulter. „Geh zur Höhle und warte dort."
„Nein", mit panischen Augen sah Dorcas ihn an. „Ich kann nicht. Nicht, wenn Remus-"
„Wir kommen nach", Sirius war selber überrascht davon, wie ruhig er klang, obwohl er sich gar nicht so fühlte. Nicht inmitten eines Sturmes, in der Nähe eines brennenden Baumes, der jeden Moment auf sie fallen könnte. „Geh dort hin und bleib da. Wenn du in Sicherheit bist, kommen wir nach."
Zweifelnd sah Dorcas von Sirius zu Remus und wieder zurück, dann nickte sie: „Lasst mich nicht zu lange warten."
Sie wandte sich ab und rannte davon. Sofort rutschte Sirius näher, um zu sehen, was Remus Schmerzen zufügte. Er atmete schwer und dort war etwas Blut an seiner Wange, mit welcher er aufgekommen war.
„Mein Bein", stieß Remus aus. „Hilf mir, bitte."
Eine zum Teil in der Erde steckende Wurzel war, worüber Remus gestolpert war. Sein Stiefel steckte fest und das Hosenbein war hochgerutscht, bis die Wade frei war. Schnell streckte Sirius die Hand aus, um Remus zu helfen seinen Fuß zu befreien, als er plötzlich die Brennnesseln um ihn herum bemerkte und stockte.
Die Blätter streiften immer wieder Remus' nackte Wade und umgaben die Wurzel von allen Seiten. Der brennende Baum rutschte weiter in sich hinein, wo der Blitz ihn in der Mitte in zwei geteilt hatte und Funken flogen. Er würde sie jeden Augenblick unter sich begraben.
Ohne nachzudenken griff Sirius in die Brennnesseln, presste die Lippen zusammen, als das Stechen und Brennen seine Haut angriff und konzentrierte sich bloß darauf Remus zu helfen. Auf einmal fühlte sich Sirius, als hätte er diese Situation schon einmal erlebt, nur war dort damals nicht der Baum gewesen, sondern Tributen, die sie töten wollten.
Es tat schrecklich weh, wie die Brennnesseln ihn stachen und Sirius fühlte die Kraft aus seinen Händen weichen, bis er die Finger kaum bewegen konnte. Es musste eine Mutation des Kapitols sein. Wieder machte der Baum ein krachendes Geräusch und Sirius wusste, gleich wäre es soweit, gleich würden sie sterben, gleich gab es keinen Ausweg.
Das konnte er nicht zulassen. Nicht nochmal, nicht schon wieder, er konnte das nicht wieder durchmachen. Er presste die Zähne fest aufeinander und zog, steckte all seine verbliebene Kraft und Mühe hinein und Remus versuchte mitzuhelfen, sich mit den Armen hochzudrücken und plötzlich kriegten sie seinen Fuß heraus.
Remus rollte auf die Seite, aber Sirius gab ihm keine Zeit zum Ruhen, sondern griff mit den Händen nach Remus' Schultern und zerrte ihn hoch.
„Tut mir leid, aber du kannst dich später ausruhen, okay?", zischte Sirius. Er konnte seine Hände kaum spüren und als Remus gegen ihn fiel und hilflos einen Arm um Sirius' Schultern stützte, war ihm klar, dass Remus das gleiche mit seinen Beinen hatte. Mit einem Arm um Remus' Taille geschlungen und dessen Arm auf seinen Schultern gingen sie los, ihre Schritte wackelig und unsicher.
Sie schweiften zur Seite, aber Sirius drängte sie weiter, als ein großer Äst voller Flammen vom Baum fiel und sie nur knapp verfehlte. Die Höhle war nicht allzu weit weg und sie konnten schon erkennen, wie Dorcas ihnen hektisch zuwinkte. Obwohl Sirius ihr gesagt hatte dort zu bleiben, stand sie trotzdem auf und rannte vor, um an Remus' andere Seite zu gehen, als seine rechte Wade komplett aufgab und bloß mitschleifte.
Gemeinsam schleppten sie ihn weiter, bis sie endlich die Höhle erreichten. Durch den Sturm konnte Sirius nicht die Umgebung erkennen, denn zu viele Blätter und Staub flogen in der Luft, weswegen er einfach nur hoffte, dass sie hier sicher waren.
Er schickte Dorcas vor und sie half Remus runter zu klettern, bevor Sirius ihnen folgte, nachdem er einen Ast vor die Höhle geschoben hatte. Nur so, als Sicherung.
In der Höhle war es stockfinster und nur wegen des hellen Feuers konnte Sirius seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Der Wind pfiff draußen und etwas Hagel fiel noch immer hinein, weswegen Sirius sie weiter hinein schickte.
Vorsichtig setzte Remus sich hin, lehnte sich an und warf den Kopf vor Schmerzen zurück, als Dorcas sein Hosenbein ein wenig bewegte, um sich die Wunden anzusehen.
Sirius sah ebenfalls auf seine Hände, die er einerseits nicht spüren konnte, aber andererseits das Gefühl hatte, dass sie in Flammen stehen würden. Er konnte mit den Fingerkuppeln keine Wunden oder Ausschlag ertasten, aber er erkannte viele rötliche Flecken. Seufzend legte er die Hände in den Schoß und streckte die Beine aus.
„Bist du okay?", fragte er Remus, der an der Wand schräg ihm gegenüber lehnte. Weiter hinten in der Höhle, damit er geschützter war. Sirius übernahm gerne die Position am Ausgang.
„Passt schon", gab Remus zurück. „Du?"
„Schon okay", Sirius seufzte erneut. „Hat jemand Lust auf Brombeeren?"
Remus lächelte sein schönes Lächeln und nachdem Dorcas jedem eine Brombeere gegeben hatte, taten sie so, als würden sie mit den Beeren anstoßen.
„Klimper, klimper", fing Sirius an. „Ich möchte ein Toast aussprechen."
„Hast du gerade ernsthaft klimper klimper gesagt?", fragte Dorcas belustigt und sie und Remus prusteten los, als Sirius grinsend nickte.
„Ich hab kein Besteck hier, also muss ich improvisieren", versuchte Sirius sich rauszureden, musste aber mitlachen, denn ein warmes Gefühl bildete sich plötzlich in seiner Brust, als er seine Freunde so ansah. „Darf ich denn jetzt mein Toast aussprechen?"
„Schieß los."
„Die Spiele sind scheiße."
„..."
„Das war's."
„Unglaublich!", Remus begann zu klatschen. „Atemberaubend!"
„Beeindruckend!", stimmte Dorcas mit ein. „Was eine tolle Wortwahl."
„Ich weiß, ich weiß", Sirius tat, als würde er sich verbeugen. „Dankeschön, danke."
Danach verteilten sie noch mehr Beeren und Dorcas überredete Remus, dass sie auch noch ein Brötchen essen könnten, obwohl Remus dafür war, dass sie es aufbewahrten.
„Wir werden wahrscheinlich länger hier bleiben", meinte sie, als alle ein Stück Brötchen und vier Beeren hielten und sie sich in einem Kreis gesetzt hatten. Remus lehnte noch immer und seine Beine blieben ausgestreckt, um sie zu schonen. „Also sollten wir uns eine Beschäftigung suchen."
„Schlafen", sagte Remus sofort. „Schlafen ist toll."
„Ich dachte eher an kennenlernen", sie zuckte mit den Schultern. „Oder wir überlegen weiter, wie wir hier überstehen wollen."
„Habt ihr einen Plan?", fragte Sirius.
Remus zeigte mit dem Zeigefinger auf Dorcas: „Die da soll die Spiele gewinnen."
„Okay. Und weiter? Wie stellt ihr euch das vor?"
„Durchhalten", meinte Dorcas. „Wir wollen uns nicht in Kämpfe einmischen. Oder jemanden töten. Das wäre schrecklich."
Sirius senkte den Blick. Wieder kam dieses Gefühl in ihm auf, dass ihn seit Alice' Tod verfolgte und mit jedem weiteren stärker wurde. Er fühlte eine Verantwortung dafür, dass es dazugekommen war, dass Alice gestorben war, dass das Mädchen nicht überlebt hatte, dass Gideon so sehr leiden musste. Dabei hätte Sirius doch etwas tun können, nicht?
„Da war wieder der übliche Mist, was?", Remus lächelte mitfühlend. „Willst du uns davon erzählen?"
„Ach", Sirius winkte ab. Plötzlich kam er sich blöd vor, aber vor allem dachte er daran, was Dorcas und Remus von ihm halten würden, wenn er zugab, dass er für drei Tode verantwortlich war. „Ist nur wegen Alice."
„Weil du ihr nicht helfen konntest?", fragte Dorcas sanft.
„Ihr und dem Mädchen aus 11 und Gideon und...", Sirius seufzte. „Ich dachte schon, ich kann Remus auch nicht retten. Jeder um mich herum scheint zu leiden."
„Ich leide nicht."
„Ich hab das gleiche an den Händen, Remus. Du leidest."
„Aber nicht wegen dir", meinte Remus. „Du kannst nichts für die Brennnesseln. Genauso wenig kannst du etwas dafür, dass Alice dich retten wollte oder dafür, dass Lilia dir vertraut hat."
Tränen schwellten in Sirius' Augen auf, während auf seinen Schoß starrte: „So hieß sie?"
„Wir haben mal mit ihr geredet", erklärte Dorcas. „Sie war ein süßes Mädchen."
„Und ich konnte sie nicht retten. Es tut mir leid."
Überrascht sah Sirius auf, als Remus eine Hand über seine legte. Wann er sich bewegt hatte, hatte Sirius nicht bemerkt. Er wusste nur, dass Remus' Haut angenehm auf seiner war und die Berührung etwas in ihm auslöste, was er noch nicht kannte.
„Was du durchmachst nennt sich Überlebensschuld", erklärte er. „Aber das, was deine Gedanken dir sagen stimmt nicht. Du bist davongekommen, ja, aber das bedeutet nicht, dass es deine Schuld war. Du hast überlebt, das ist alles, was du getan hast."
„Hab ich sie nicht im Stich gelassen?", flüsterte Sirius.
„Nein", gab Remus einfach zurück. Seine Stimme so beruhigend und frei von Beurteilung. „Du hast genau das Gegenteil getan. Alice' Familie hat gesehen, wie sehr du sie geliebt hast. Lilia's Familie ist dir sicherlich dankbar, dass du überhaupt versucht hast ihr zu helfen, anstatt ihr etwas anzutun. Und dass du nicht wolltest, dass Gideon so leidet, wissen wir alle."
„Habt ihr schonmal einen Toten gesehen?", fragte Sirius. Remus' Worte berührten ihn, aber er selber war nicht gut mit Worten, weswegen er bloß Remus' Hand drückte und hoffte, dass dieser verstand. „Vor den Spielen, meine ich."
„Unsere Väter sind beide bei einem Mineneinsturz gestorben", meldete sich Dorcas zu Wort. „Als ihre Körper rausgeholt wurden, dann haben wir sie gesehen."
„Wie hat sich das angefühlt? Gruselig?"
„Als wäre mir ein Teil meines Herzens entrissen worden", gab Remus zu. Er rutschte wieder zurück an seinen Platz und Sirius vermisste sofort seine sanfte Berührung. „Lass uns nicht darüber reden."
„Tut mir leid, ich wollte keine alten Wunden öffnen", beeilte sich Sirius zu entschuldigen, aber Remus winkte bloß ab und stupste mit seinem Bein leicht Sirius'.
„Wir sollten uns einen Überblick verschaffen", meinte Dorcas. „Wie viele Tributen sind noch am Leben?"
„Acht", gab Remus zurück. „Wir drei, die drei Karrieros, das Mädchen aus 5 und der Junge aus 10."
„Was wollt ihr unternehmen?"
„Nichts", meinte Remus. „Einfach nur abwarten."
„Und dann?", fragte Sirius. „Irgendwann werden wir uns aufteilen müssen, wenn Dorcas gewinnen soll. Ich werde nämlich nicht einfach warten, bis ihr irgendwann beschließt, dass ihr mich nicht mehr braucht."
Gekränkt sah Remus zur Seite: „So wird es nicht sein."
Eigentlich wollte Sirius noch mehr sagen, aber er dachte, dass es unnötig wäre jetzt zu streiten, wenn sie sowieso nur noch wenige Tage zusammen sein würden, weswegen er einfach fragte, welcher Tag es war.
„Der fünfte", antwortete Remus. „Fühlt sich mehr an, nicht?"
„Wie lange dauerten die längsten Spiele?"
„Sechs Wochen", wieder antwortete Remus. „Das war ein Experiment, bei dem die Spielemacher sich nicht eingemischt haben. Ich denke, das zeigt, dass wir keine Killermaschinen sind, wie sie uns darstellen wollen."
„Wer hat denn da gewonnen?", fragte Dorcas interessiert.
„Ich glaube jemand aus 3. Aber die Person ist jetzt sowieso schon tot. Als sie aus der Arena geholt wurde, war sie viel zu geschwächt, um weiterzumachen. Alle anderen Tributen sind an Hungersnot gestorben. Oder daran, weil sie aus Verzweiflung giftige Pflanzen gegessen haben."
„Sechs Wochen...", murmelte Sirius. „Das klingt wie der absolute Horror."
„Mir reichen schon diese fünf Tage", schmunzelte Remus. „Dabei sind das noch gar nicht die schlimmen Sachen. Im Vergleich zu anderen Spielen, meine ich."
„Hör mal, bist du irgendwie ein Profi oder so?", fragte Sirius belustigt.
„Hab mich damit beschäftigt", Remus zuckte mit den Schultern. „Mir war klar, dass wenn Dorcas gezogen wird, ich mich freiwillig melden werde, um mit ihr zu gehen."
„Oh", Sirius lächelte leicht. „Du bist auch ein Freiwilliger."
„Ergänzen wir uns noch mehr?", schmunzelnd tätschelte Remus Sirius' Schienbein neben sich.
„Man, du ärgerst mich immer", Sirius schmollte gespielt.
„Das nennt sich necken, Sirius."
Die Worte ließen Sirius' Herz schneller schlagen.
„Schau mal", lächelnd nickte Remus in Dorcas' Richtung, die sich auf dem Boden hingelegt hatte und jetzt schlief. „Da waren's nur noch-"
„Wehe, Remus."
„Na gut", Remus lächelte leicht. „Sollen wir mal nachsehen, was da draußen passiert?"
„Es klingt wie das schlimmste Unwetter, was es je gab. Da will ich nicht raus."
Also blieben sie in der Höhle sitzen, während nur wenige Meter von ihnen ein Sturm hütete. Das Feuer des brennenden Baumes war mit der Zeit erloschen, weswegen es dunkel war, der Mond versteckt hinter den fliegenden Blättern und Staub und dunkelgrauen Wolken.
Der gefallene Hagel war auf dem Boden geschmolzen, weswegen eine Pfütze am Eingang der Höhle war. Sirius fragte sich plötzlich, wohin die Höhle führte. Sie war dunkel und wurde im Inneren immer weiter und länger, aber ohne Licht war auf der anderen Seite bloß eine ungewisse Dunkelheit, die Sirius, wenn er ehrlich war, gar nicht erkunden wollte.
„Es wird kälter, oder?", meinte Remus plötzlich, zog seinen Reißverschluss hoch und steckte die Hände in seine Jackentaschen. „Wenn die vorhaben uns einen Wintertraum zu erfüllen, will ich das nicht."
Sirius rieb die Hände aneinander und hauchte warme Luft auf sie. Noch immer waren seine Finger wund, die Haut dort gerötet und langsam bemerkte Sirius die merkwürdigen Flecken, die sich zwischen der Röte und Hautfarbe bemerkbar machten. Glücklicherweise kam aber die Kraft zurück.
„Du hast recht", stimmte Sirius zu. „Es wird wirklich kälter." Er sah rüber zu Dorcas, die unwissend schlief, aber zu seiner Überraschung schien sie nicht zu zittern, wie Remus es anfing, als Sirius wieder zu ihm blickte. „Meinst du wir können dieses Mal ein Feuer machen? Hier in der Höhle wird uns bestimmt niemand sehen."
Remus schien skeptisch, doch er stimmte zu und reichte Sirius die Packung Streichhölzer, die er im Wald von einer Tribute hinterlassen gefunden hatte. Sie beide standen auf, um in der Höhle nach Dingen zu suchen, die sie anzünden konnten und Sirius tat es im Herzen weh, als Remus mühsam sein rechtes Bein mit sich schleifte, um nicht aufzutreten.
Sie sammelten trockene Blätter und kleine Stöckchen, die sie in die Mitte legten und zu einem kleinen Stapel bauten. Remus platzierte die Stöcke wie bei einem Zelt, damit sie standen und die oberen Spitzen aneinander lehnten, während Sirius das Laub in das Zelt stopfte. Rau glitt das Streichholz über die grobe Seite der Schachtel und entflammte vor Sirius' begeisterten Augen.
„Soll ich hier ansetzen?", fragte er, während er das Streichholz über die Zelt hielt, um die Spitze brennen zu halten.
Wortlos legte Remus die Finger über Sirius' Hand und führte ihre verschränkten Hände etwas runter, um das Streichholz gegen die Blätter zu halten. Sirius war sich sicher, dass seine Wangen wärmer waren, als die Blätter, selbst, als die ersten Feuer fingen und die kleine Flamme sich anfing zu übertragen.
Sirius wollte das Streichholz wegnehmen, aber Remus hielt ihn in seinem Griff fest, damit sie warteten, bis das Laub sicher brannte. Schüchtern sah Sirius Remus von der Seite an, aber dieser hatte den Blick fest auf ihrem Lagerfeuer gerichtet, dessen Flamme in seinen Augen tanzte.
„So", sagte Remus zufrieden und holte Sirius somit aus seinen neuen Gedanken, die ihm in den Sinn kamen, wenn er ihn ansah. Remus warf das Streichholz in die Flamme, wo es ganz vom Feuer verschlungen wurde. Er beugte sich runter, hielt eine Hand von hinten an die Flamme und pustete leicht, damit sie größer wurde.
„Ich hab noch was", fiel Sirius plötzlich ein und er kramte in seiner Hosentasche, bis er Alphard's Zettel wiederfinden konnte. Ohne ihn durchzulesen legte er ihn auf den Stapel. Stumm beobachteten sie beide, wie die Buchstaben von den Flammen gefressen wurden und es war nur ein kleines Knacken zu hören, wie ein Danke des Feuers.
„Was ist deine Lieblingsfarbe?"
„Meine?", fragte Sirius.
„Ich rede mit dir, oder?", grinste Remus. Sein Gesicht glühte im Licht der Flammen. Es war eine gemütliche, fast beruhigende Atmosphäre in ihrer einsamen Höhle mit kleinem Lagerfeuer zwischen ihnen und dem Sturm im Wald. Während er nachdachte, hielt Sirius die Hände ans Feuer.
„Blau oder Grau", gab er dann zurück. „Es hängt davon ab, wie das Meer an dem Tag aussieht."
„Deine Lieblingsfarbe ist die Farbe des Meeres?"
Sirius nickte: „Und deine?"
„Braun", Remus blickte sehnsüchtig in die Flammen. „Wie die Bäume. Oder der Kakao, den meine Mama mir früher gemacht hat. Es ist meine schönste Erinnerung an sie."
„Ist sie schon lange... nicht mehr unter uns?", Sirius wollte nicht tot sagen, denn das würde bedeuten, dass sie ganz weg war, für immer.
„Sechs Jahre", gab Remus zurück. Er seufzte und sah auf. Ihre Blicke trafen sich über dem Feuer. „Lass uns nicht darüber reden."
„Deine Augen sind braun", sagte Sirius ohne nachzudenken.
„Und deine sind grau", Remus lächelte. Er rutschte über den Boden, bis er sich im Schneidersitz neben Sirius setzen konnte. Ihre Arme streiften einander, als Remus seine Hände ebenfalls vors Feuer hielt. Die frischen Narben an ihnen glänzten im Licht. Sirius wollte sie mit den Fingern nachzeichnen.
Aber bevor er sich dazu überwinden konnte, machte Remus die nächste unerwartete Bewegung und lehnte den Kopf auf Sirius' Schulter. Es war ein ungewohntes, aber willkommenes Gewicht, an das sich Sirius erst gewöhnen musste, doch sein Herz hüpfte vor Freude.
Mit einem Lächeln im Gesicht lehnte Sirius seine Wange an Remus' Kopf.
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