Kapitel 5

Müde blinzelte Sirius, als die plötzliche Sonne in seine roh geweinten Augen schien. Für den ersten Moment fragte er sich, wo er war, dann holten ihn die Erinnerungen ein und Sirius tastete hastig nach seinen Dolchen, die noch immer in den Seitentaschen seiner Hose lagen. Sein Bauch knurrte.

Sirius lugte zwischen den Blättern hindurch und scannte die Umgebung. Es schien, als wäre er alleine, aber es reichte nicht, bloß zu sehen, weswegen er versuchte auf auffällige Geräusche zu achten. Irgendwo zwitscherten Vögel, da lief an Hase unter ihm, aber keine Menschen. Es war merkwürdig, jetzt anstatt sich vor Raubtieren zu fürchten,
mehr Angst vor den Menschen selbst zu haben.

Vorsichtig rutschte Sirius runter und fiel leise auf den Boden. Er blieb in seiner gebückten Haltung, bis er sich sicher war, dass er nicht attackiert wurde und drehte dann den Dolch in seiner Hand, während er langsam weiter ging. Er wusste nicht mehr, in welcher Richtung die Wiese, auf der alles angefangen hatte, war, aber er wollte keinesfalls dort landen, weswegen er sich entschied nach Norden zu gehen. Falls es Norden war. Sirius wusste nicht, wie er am Moos ablesen sollte.

Er hatte solchen Hunger. Seit dem Frühstück am vorherigen Tag hatte Sirius nicht mehr gegessen und jetzt gingen seine Kräfte nach und nach zu Ende, während er durch den Wald ging und sich ständig nach Pflanzen umsah, die ihm bekannt vorkamen. Da gab es nur eine: Bärlauch. Die Pflanzenkunde hatte Alice übernommen.

Wieder fühlte Sirius einen Stich im Herzen, als er an das Mädchen dachte. Es war fast schon unglaublich, wie sie von einem auf den anderen Moment einfach nicht mehr da war. Dabei hatten sie alles geplant, Alice würde sie mit Essen versorgen, Sirius sie beschützen, gemeinsam könnten sie versuchen giftige Beeren ins Essen anderer zu mischen. Alice hatte diese schon auswendig gelernt.

Er war so sehr in Gedanken versunken, dass er das Rascheln im Gebüsch erst bemerkte, als es direkt neben ihm war. Sirius erstarrte. Es war ein Ilex Busch mit roten Beeren und stachligen Blättern, groß genug, um einen erwachsenen Menschen zu verstecken.

Vorsichtig trat Sirius näher, sein Messer in der rechten Hand fest umschlossen, und streckte die andere aus, um die Blätter sanft zur Seite zu drücken. Sie piksten leicht in seine Haut, als er sie verrückte. Mit zusammengekniffenen Augen sah Sirius in den Busch, hoffend, dass er bloß einen Vogel vorfinden würde.

Panisch stolperte er zurück, als er in dunkelbraune Augen auf der anderen Seite des Busches blickte. Die Äste flogen dabei zurück und kratzten ihm schmerzhaft über die Handfläche. Fluchend sah Sirius auf die vielen kleinen Wunden, sie taten weh, wenn er die Waffe umklammerte.

„Bitte, tu mir nichts", hörte er plötzlich eine ängstliche, kindliche Stimme und sah auf, doch die Person versteckte sich noch immer hinter dem Busch. Sofort nahm Sirius das Messer, das er auf den Ilex gerichtet hatte, runter.

„Wenn du rauskommst", meinte er.

Kurz blieb es still und Sirius dachte für eine Moment, die Tribute wäre geflüchtet, dann tauchte das junge Mädchen aus Distrikt 11 auf. Sie hielt ängstlich ihre Hände zusammen, in ihren dunklen Locken waren Dreck und Gras und sie blickte Sirius voller Angst an. Sirius seufzte.

„Hey, Kleine", meinte er freundlich, hielt kurz seine Waffe hoch, damit sie sie sah und steckte sie dann weg. „Bist du alleine?"

Sie nickte: „Die anderen sind so fies."

Fast wollte Sirius lachen, aber er fühlte bloß Mitgefühl. Er öffnete seine Tasche und holte die Wasserflasche heraus.

„Möchtest du etwas trinken?", bot er an. Erleichtert nickte das Mädchen schnell und trat einen Schritt näher, die Hand schon nach der Flasche ausgestreckt, als sie plötzlich auf den Boden fiel.

„Au!", rief sie und Sirius brauche einen Moment, bevor er verstand, was passiert war: sie war in eine Schlaufe aus dickem Seil getreten, dass sich um ihr Fußgelenk gelegt hatte. Das andere Ende war an dem Baum weiter weg gebunden.

„Es ist alles gut", Sirius ging schnell in die Hocke, steckte die Flasche weg und nahm sich sein Messer. Panisch sah das Mädchen auf die Waffe.

„Nein, nein, keine Sorge", beruhigte Sirius sofort. „Ich schneide nur das Seil durch, okay?"

Plötzlich flog ein Speer knapp an Sirius vorbei und verhedderte sich im Ilex. Erschrocken drehte sich Sirius um. Dort zwischen den Bäumen waren die Karrieros.

„Scheiße", fluchte er leise und begann das Seil mit mehr Kraft zu schneiden. Es war dick und fest und es reichte nicht, weswegen Sirius die Klinge anfing hin und her zu bewegen, wie bei einer Säge. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, aber als er das Seil endlich durchschnitt, sprang er auf die Füße und zerrte das Mädchen mit sich hoch.

Sie stolperte, aber Sirius zog sie weiter, griff fest ihren Arm und rannte los. Die Karrieros verfolgten sie lachend, sicher in ihrem Sieg und Sirius hörte sie näher kommen, doch er gab nicht auf.

„Schnell, hier hoch", befahl er außer Atem und ging runter, um die Hände zusammen zu halten. Das Mädchen stellte einen Fuß auf sie und Sirius drückte sie schnell hoch auf den Ast. „Kletter höher!", rief er ihr zu.

„Beschützt du wieder die Schwachen?", der rothaarige Junge schob die Unterlippe vor. „Aww, ist das nicht süß?"

Sirius sah abwägend zwischen ihm und dem ebenfalls rothaarigen Mädchen hin und her, die sich vor ihm aufgebaut hatten und ihn gegen den Baumstamm drängten. Die anderen Zwei waren hinten stehen geblieben und arbeiteten an ihrer Falle, wissend, dass Sirius sowieso nicht mit zwei klarkommen würde. Über ihm hörte Sirius das Mädchen aus Distrikt 11 vor Angst wimmern.

„Wollt ihr auch kämpfen oder wird das ein Kaffeekränzchen?", fragte er, in jeder Hand ein Dolch bereit.

„Sei nicht so frech", mahnte das Mädchen.

„Okay", Sirius zuckte mit den Schultern, stürmte vor und warf sich auf den Jungen. Plötzlich überkam ihn eine schreckliche Wut, eine Rachsucht und er bohrte ihm das eine Messer tief in den Arm. Blut spritzt ihm ins Gesicht und es war heiß und nass und brachte Sirius fast zum Würgen. Aber, verdammt, er war so wütend.

Immer wieder spielte Alice' Tod vor seinen Augen, wie der Junge ihr die Machete gnadenlos in den Baum gerammt hatte, obwohl er wusste, dass Alice es sowieso nicht überleben würde. Die bestialische Aggressivität gegenüber den Schwachen machte Sirius unfassbar zornig. Dabei hatte Alice nie jemanden etwas getan. Sie hatte es nicht verdient. Sie hatte es nicht verdient. Sie musste es nicht beweisen.

„Gideon!", schrie das Mädchen und wollte Sirius runter zerren, aber dieser ließ sie nicht, sondern schubste Gideon auf den Boden. Schwer atmend hielt Sirius das blutige Messer in der einen Hand.

Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel, wie das Mädchen mit ihrer Axt ausholte, um ihn am Rücken zu treffen und wich im selben Moment zur Seite. Er stolperte über Gideon's Bein und wollte sich aufrappeln, als die Tribute die Axt wieder schwang, aber Gideon packte ihn am Arm und versuchte ihn vor die Waffe zu zerren.

Es war mehr ein Reflex, als dass Sirius über sein Handeln nachgedacht hatte, bloß ein tierischer Instinkt nach Entkommen und Überleben, weswegen er sich drehte, um Gideon ins Handgelenk zu beißen. Sirius schwor, dass er Blut schmecken konnte.

Kurz wurde Gideon's Griff schwacher, weswegen Sirius sich losriss und zur Seite rollte. Im selben Moment holte das Mädchen aus.

Es war ein widerliches Geräusch, als die Axt sich in Gideon's Unterleib bohrte und seine Wirbelsäule brach. Noch schlimmer war der folgende Schrei, so hilflos und schmerzerfüllt, dass selbst Sirius das Blut in den Adern gefror.

„Nein! Nein!", sie versuchte die Axt aus Gideon's Körper zu holen, doch diese steckte fest. Mit Tränen in den Augen fiel das Mädchen neben ihrem Bruder auf die Knie und zog seinen Kopf auf ihren Schoß. Zärtlich strich sie ihm die Haare aus der Stirn, während er wild um sich schlug. Sein Körper zuckte mit dem Verlangen den Schmerzen zu entkommen, er bohrte die Finger in die Erde, warf den Kopf zurück, versuchte wegzurutschen, doch er konnte seine Beine nicht mehr bewegen.

„Ich will nicht sterben, ich will noch nicht sterben", wiederholte Gideon immer leiser werdend und seine Hände blieben hilflos auf der Axt liegen, nicht fähig sie zu bewegen.„Mach, dass es aufhört, bitte."

„Ich kann nicht", antwortete seine Schwester erstickt. Tränen floßen Gideon's Wangen entlang, die sie weinend wegstrich.

Erschrocken beobachtete Sirius die Situation und fühlte auf einmal Mitgefühl. Gideon mochte getötet und verletzt haben, mochte die Schwachen jagen und Spaß daran haben, sie zu vernichten, aber irgendwo, irgendwo tief in ihm war er auch nur ein siebzehnjähriger Junge mit verloren gegangenen Träumen.

Vorsichtig stand Sirius auf und wollte näher treten, um Gideon beizustehen, denn niemand verdiente einen so schmerzhaften, qualvollen Tod, aber die anderen zwei Karrieros kamen in ihre Richtung, weswegen Sirius mit entschuldigendem Blick im Wald verschwand.

In dieser Nacht beobachtete er den Himmel, wo Gideon und das Mädchen aus 11 erschienen.

Der nächste Tag war nicht besser. Der darauffolgenden auch nicht. Wieder hatte Sirius nicht geschlafen, war höchstens einige Male weggenickt, aber sofort wieder aufgewacht, wenn sein Kopf aus seiner angelehnten Position am Baumstamm rutschte. Seine Augen brannten, ihm war speiübel und sein Bauch schmerzte vor Hunger so sehr, dass Sirius fürchtete, sich übergeben zu müssen.

Er hatte keine Kraft mehr wieder aufzustehen, obwohl er wusste, dass er sollte. Aber er hatte seit 72 Stunden nicht mehr gegessen und richtig geschlafen, hatte Muskelkater vom Rennen und sein Kopf dröhnte bei jeder Bewegung. Außerdem brannte seine Handfläche, wenn sie schwitzte und der Schweiß in die vielen feinen Schnitte gelang.

Und so erkannte Sirius, dass er sterben würde. Sein Körper wollte und konnte nicht mehr. Wenigstens, dachte Sirius, während er auf dem Boden neben dem Baum lehnte und langsam die Augen schloss, wenigstens war es nicht Tony. Oder Dora. Oder Regulus. Wenigstens nicht dieses Jahr.

Es war nicht unbedingt ein beruhigender Gedanke, dass sie ihm alle zusehen würden, wie er aufgab, aber daran wollte Sirius nicht denken. Er hoffte, dass ein Tribute ihn finden würde und seine Tasche und das Wasser nahm. Wenn Sirius schon nicht lebend behilflich sein konnte, dann wenigstens tot.

Immer wieder spielte die Szene vor seinen Augen, wie die Axt Gideon's Körper teilte, wie Alice leblos liegen blieb oder sein Gedächtnis überlegte sich die Möglichkeiten, wie das Mädchen aus Distrikt 11 umgekommen war. Sirius hätte so gerne ihren Namen gewusst.

Er umklammerte seine Tasche fester, als er die bunten Funken der Bewusstlosigkeit vor seine Lidern tanzen sah.

„Hey!"

Erschrocken flogen Sirius' Augen auf und er tastetet schnell nach seinem Messer, bevor er sich wackelig hinstellte. Okay, er war bereit zu sterben, aber wenn dann alleine und langsam, nicht schmerzhaft durch die Waffe eines anderen.

Die zwei Tributen aus Distrikt 12 gingen auf ihn zu, aber soweit Sirius ausmachen konnte, hatten sie keine Waffen an sich. Davon würde er sich aber nicht täuschen lassen.

„Wenn ihr hier seid, um mich zu töten, dann macht euch gar nicht erst die Mühe", rief er ihnen zu, gedanklich fluchend, weil seine Stimme rau war. Vielleicht sollte er das Wasser doch noch trinken, bevor er ging.

„Deswegen sind wir nicht gekommen", antwortete der Junge. Er trug die selben Klamotten wie Sirius, aber trotzdem waren seine Narben zu erkennen. Er hatte welche an den Händen und auch eine lange, tiefe Narbe quer durch sein Gesicht. Das Mädchen neben ihm hatte ihre Haare zu einem Bauernzopf geflochten und beobachtete Sirius aufmerksam.

„Was wollt ihr dann?", fragte Sirius verzweifelt. Er wollte gar nicht wissen, wie er aussehen musste. Mitleid erregend, wie ein ausgesetzter Welpe.

„Lass uns Verbündete sein", sprach der Junge. „Du kannst kämpfen, ich kenne mich mit Pflanzen aus."

„Warum sollte ich euch vertrauen? Ihr seid zu zweit."

„Weil du auf unsere Hilfe angewiesen bist. Und wir auf deine", der Junge sah ihn flehend an. „Bitte. Alles, was ich will, ist Dorcas nach Hause zu bringen."

Zögernd sah Sirius zu dem Mädchen.

„Bitte", wiederholte der Junge. „Sie ist wie eine Schwester für mich."

Der Satz traf Sirius und er war sich sicher, dass man es an seinem Ausdruck erkennen konnte, denn Dorcas trat vorsichtig vor. Sie zeigte ihre unbewaffneten Hände, bevor sie sprach.

„Es tut uns leid wegen Alice."

Eine einzelne Träne lief Sirius' Wange entlang. Hastig, um seine Gefühle zu überspielen, zog er die Tasche über den Kopf, leerte sie und warf den Jungen damit ab.

„Dann besorg uns Salat oder so", zischte Sirius und setzte sich stur auf den Boden. Erleichtert wechselten die anderen einen Blick, bevor der Junge sich abwandte und Dorcas sich zu Sirius setzte.

„Du siehst aus, als könntest du Schlaf gebrauchen", meinte sie. Sirius hätte bei ihrer Erkenntnis fast laut aufgelacht, hielt sich aber zurück. Er ließ sich in eine liegende Position drücken und eigentlich hätte er merken sollen, dass es keine gute Idee war, die Augen zu schließen, als Dorcas ihm die Messer aus den schlaffen Fingern nahm, aber es fühlte sich einfach zu gut an, endlich loszulassen und in die Welt der Träume zu fallen.

Als er aufwachte, war es dunkel. Panisch setzte Sirius sich auf, bevor sein Gehirn überhaupt verstehen konnte, was passierte.

„Ganz ruhig", hörte er den Jungen zwei große Schritte von ihm belustigt sagen und als er in dessen Richtung sah, war er gerade dabei ein kleines Lagerfeuer auszutreten. Dorcas saß daneben und schien etwas in Blätter einzuwickeln, aber aus der Entfernung konnte Sirius nicht erkennen, was es war. Müde rieb er sich über die Augen und zeigte gähnend auf die langsam erlöschende Glut.

„Warum?", fragte er.

„Im Dunkeln würde man das Licht über Kilometer sehen", erklärte der Junge. „Wir mögen zu dritt sein, aber mit den Karrieros will ich mich trotzdem nicht anlegen. Außerdem wissen wir nicht, was noch so in den Wäldern lauert."

Sirius schluckte nervös und sah sich um.

„Aber, hey, denk nicht dran", mischte sich Dorcas ein. Sie lehnte sich rüber und reichte Sirius etwas. „Iss. Das ist Kaninchen. Hat Remus mit deinem Taschenmesser erlegt. Hoffe, das war in Ordnung."

„Remus?"

„Oh, ja, wir haben uns nie richtig vorgestellt", Remus hob leicht die Hand, zu einem freundlichen Gruß, bevor er sich zu den anderen in den Kreis setzte. „Ich bin Remus."

„Sirius", murmelte Sirius und nahm das gebratene Stück Fleisch entgegen. Es war noch warm.

„Hier", Dorcas hielt ihm ein Blatt hin. „Damit schmeckt es besser."

„Was ist das?"

„Brennnessel"

„Sticht das nicht?"

„Ich hab die mit nem Stein abgeklopft", Dorcas schüttelte ungeduldig die Hand. „Nimm an oder lass es, mein Arm wird schwer."

Das Fleisch war unerwartet zart und nach dem ersten Bissen, den Sirius in die Länge ziehen wollte, um seine erste Malzeit seit langem zu genießen, konnte er sich nicht halten und aß gierig weiter. Es war nicht viel, ein junges Kaninchen für drei Personen, aber Sirius war dankbar, dass er überhaupt etwas hatte.

„Bleiben wir für die Nacht hier?"

„Ich würde sagen ja", antwortete Remus. Er war noch immer dabei sein Stück Fleisch zu essen. Anscheinend musste er nicht knapp dem Hungertod entkommen, dachte Sirius schnaubend. „Der Baum bietet uns einen gute Rückendeckung, wenn wir schlafen. Wie sollten uns mit der Nachtwache abwechseln. Ich kann die erste Schicht übernehmen, wenn das okay ist."

„Ich auch", bot Sirius an. „Ich hab eben genug geschlafen, um ein paar Stunden durchzuhalten."

„Ich könnte noch etwas gebrauchen", meinte Dorcas, klopfte ihre Hände an der Hose ab und bedeutete Sirius zur Seite zu rutschen. Sie legte sich mit dem Rücken zum Baum und zog die Knie zur Brust. „Weckt mich, wenn was ist."

„Und da waren's nur noch zwei", schmunzelte Remus, als Sirius sich neben ihn zwischen den Farn setzte.

Leicht schlug Sirius Remus gegen den Oberarm: „Sag so etwas nicht."

„Okay, okay."

Eine Stille kam auf und obwohl sie hätte komisch und unangenehm sein sollen, fühlte sie sich normal an. Warum Sirius den beiden so schnell vertraute, wusste er nicht und er wollte gar nicht erst daran denken, was Alphard davon hielt, aber das Wichtigste war, dass er endlich nicht alleine mit seinen Gedanken sein musste.

„Hast du schon was bekommen?", fragte Sirius leise, als Dorcas' Atem ruhig wurde.

„Nein", Remus drehte einen Grashalm auf seinen Finger und riss ihn heraus. „Die ganze Show und was hat es gebracht? Nichts."

„Welche Show?"

„Hast du die anderen Interviews geschaut?"

Sirius schüttelte den Kopf, also erklärte Remus.

„Sie haben mich im Unterhemd und Shorts rausgeschickt. Der Plan war mich damit interessanter zu machen. Oder was auch immer. Ich hab nicht wirklich zugehört."

Sirius schnaubte: „Verständlich. Wenn tausende Leute um einen herum quasseln, bleibt wenig hängen."

Remus sah ihn belustigt von der Seite an: „Nein, nicht wirklich."

„Aber ich verstehe nicht ganz", fing Sirius vorsichtig an. „Warum solltest du nur in so knapper Kleidung zu Caesar?"

„Wegen der Narben. Ich hab sie überall. Anscheinend sollten die Leute sie faszinierend finden, aber ich glaube sie waren eher angeekelt."

„Oh", Sirius wandte den Blick ab. „Wir hatten also beide scheiß Interviews."

„Wer hatte schon ein gutes?", Remus stupste Sirius mit seiner Schulter. „Es ist das Kapitol. Die heißen dich nicht mit offenen Armen willkommen, wenn du du selbst bist."

„Nur, wenn du dich in Rollen zwängst, die du nicht willst", Sirius schauderte leicht und sah zu Remus. „Ich hab dir nie Danke gesagt."

„Wofür das denn?"

„Für nach meinem Interview", Sirius riss ebenfalls einen Grashalm aus und warf ihn zurück auf den Boden. Aber er würde nicht weiter wachsen, nicht, wenn er einmal gebrochen war. „Ich glaub, ich war da kurz vor einer Panikattacke."

Sirius zuckte leicht, als Remus ihm eine Hand an den Rücken legte und als er zu ihm sah, waren sie sich näher als vorher. Plötzlich wurde Sirius ganz warm.

Remus lächelte: „Gerne"

Er wollte gerade etwas hinzufügen, als sie plötzlich eine Bewegung nicht weit von sich aus dem Augenwinkel sahen. Erschrocken zuckten ihre Köpfe in die Richtung und sie erstarrten.

„Nicht bewegen", flüsterte Remus. Langsam rutschte seine Hand von Sirius' Rücken runter und er rückte auf den Knien näher zu Dorcas, um sie vorsichtig zu wecken.

Sirius dachte, sein Herz würde bald stehenbleiben. Dort vor ihnen kauerte ein großer Grizzlybär. Seine Augen waren schwarz und unlesbar, sein Fell dicht und dunkelbraun, er stand auf allen Vieren und atmete schwer, doch er ließ Sirius nicht aus seinem Blick.

Von solchen Bären hatte Sirius nur Märchen gelesen.

„Remus", flüsterte er, nicht wagend den Blick vom Bären zu nehmen. „Was machen wir jetzt?"

„Keine schnellen Bewegungen", warnte Remus. Er hatte Dorcas geweckt, aber diese blieb weiterhin liegen, da er ihr eine warnende Hand an die Schulter gelegt hatte. „Leg dich hin, Sirius. Am besten auf den Bauch. Wenn das ein gewöhnlicher Grizzly ist, dann wird er nur schnuppern."

„Und wenn nicht?", zischte Sirius panisch, aber er war schon dabei sich auf den Boden zu legen. Vorsichtig drehte er sich auf den Bauch und starrte zur Seite zwischen die Bäume. Hinter sich hörte er, wie Remus neben Dorcas Platz nahm.

„Er kommt näher", flüsterte Remus und Sirius hielt den Atem an.

Er konnte den Boden unter sich beben spüren, als der Bär langsam auf ihn zukam. Es waren sich ziehende, schleppende Schritte mit schweren Pranken und das Keuchen wurde immer lauter. Mit klopfendem Herzen schloss Sirius die Augen. Er konnte die Präsenz des Tieres über sich spüren, als es anfing an seinen Stiefeln zu schnuppern und langsam hoch wanderte.

Die Schnauze drückte gegen Sirius' Oberschenkel und Sirius unterdrückte nur knapp das angstvolle Wimmer, das seine Kehle in dem Moment verlassen wollte. In seinen Gedanken war er schon lange zur Mahlzeit des Tieres geworden.

Bitte, dachte er verzweifelt, bitte, ich will nicht sterben.

Die Schnauze drückte weiter gegen seinen Rücken, wo Sirius den Bär einatmen hörte. Seine riesige Pfote stand direkt neben Sirius' liegender Hand, aber Sirius wagte es nicht hinzusehen, als das Fell seine Haut streifte.

Etwas Nasses presste gegen seinen Hals, schnupperte an der Kehle und Sirius dachte, das war's, das war's, vorbei, denn Speichel fiel neben ihm auf den Boden und das Maul stank nach Blut und Verwesung.

Plötzlich riss der Bär den Kopf hoch und sah über Sirius hinweg, irgendwo in den Wald, wo der Stock gelandet war, den Remus geworfen hatte. Dann brüllte der Bär auf einmal, laut und animalisch, und es jagte eine Gänsehaut Sirius' Körper entlang, aber dann rannte er los und verschwand in der Dunkelheit, wo die schweren Schritte noch im Boden nach bebten.

„Hey, hey", da war eine Hand, die Sirius plötzlich aufhalf, aber Sirius konnte sich bloß auf den Knien aufsetzen, bevor er wieder zu fallen drohte, doch Remus hielt ihn an den Armen fest. „Es ist okay. Es ist okay, er ist weg."

„Oh, Gott", stieß Sirius aus.

„Ich weiß", hastig strich Remus Sirius über den Kopf, bevor er ihn an sich drückte. „Es ist alles gut. Du bist unverletzt."

Auch Dorcas setzte sich dazu und streichelte ihm über den Rücken.

„Schon gut", versuchte Sirius zu sagen. „Nur ne Nahtoderfahrung. Nichts Wildes."

Remus schnaubte belustigt und obwohl Sirius es nicht sehen konnte, wusste er, dass er und Dorcas einen Blick gewechselt hatten. Einen, der so etwas wie „Was ein Dummkopf" bedeutete. Aber Sirius wollte noch nicht aus der Sicherheit von Remus' Halsbeuge rauskommen, weswegen er die kalte Nase weiter gegen die Haut drückte und tief einatmete.

„Schaut!", rief Dorcas plötzlich und Sirius musste wohl oder übel der Welt entgegen blicken, als Remus sich löste. Seine rechte Hand blieb aber an Sirius' Handgelenk. Dorcas hob das gelandete Paket auf und entfernte den Fallschirm, auf dem 12 und 4 standen.

Innen befanden sich vier frisch gebackene perfekt goldbraune Brötchen, bei denen Sirius das Wasser im Mund zusammenlief. Dabei lag ein gewöhnlich aussehender kleiner Stein, in den ein metallischer Stab eingebaut war.

„Was ist das denn?", fragte Remus, als Dorcas ihm den Stein reichte. Interessiert drehte er ihn in seiner Handfläche. „Fühlt sich glatt an."

„Ich glaube, ich weiß, was das ist", meinte Sirius. „Wir haben solche in 4. Die filtern Meerwasser, damit es trinkbar wird."

„Das ist ein Hinweis", Remus wechselte einen Blick mit den anderen. „Wenn die uns einen Filter schicken, muss hier irgendwo eine Wasserquelle sein."

Dorcas nickte: „Wir machen uns morgen auf die Suche danach. Ich beweg mich nicht von der Stelle, solange dieses Biest da irgendwo rumläuft."

Sie entschieden sich wieder schlafen zu gehen und Sirius bot wieder an, dass er die erste Nachtwache übernahm, da die Situation mit dem Grizzlybären ihn vollständig wach gemacht hatte. Und so fand er sich wieder in der Stille vor. Es war noch immer beängstigend im Wald, mit den vielen dunklen Bäumen und Büschen, die Verstecke bieten konnten, aber Sirius fühlte sich nicht mehr so auf sich allein gestellt.

Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben.

Nachdenklich sah er leicht über seine Schulter zu Dorcas und Remus, die nebeneinander mit geschlossenen Augen lagen. Sie kannten sich gerade mal ein paar Stunden und schon hatte Sirius sie ins Herz geschlossen. Er war sich nicht sicher, ob das eine gute oder verdammt schlechte Eigenschaft von ihm war, Leute so schnell zu mögen. Es hatte sicherlich nicht mit Alice und dem Mädchen geholfen.

„Nicht erschrecken", flüsterte eine Stimme neben ihm und Sirius drückte sich schnell den Ärmel gegen den Mund, als er spürte, wie Remus von hinten sanft an seinen Seiten entlang kitzelte, bevor er sich neben Sirius setzte.

„Hör auf", Sirius lächelte Remus an. „Ich bin schrecklich kitzelig."

Remus stupste ihm die Nase: „Na gut. Ich hoffe, ich hab keinen wichtigen Gedanken unterbrochen?"

„Ach", Sirius winkte ab. „Nur der übliche Mist. Kannst du nicht schlafen?"

Remus schüttelte den Kopf. Er riss wieder einen Grashalm heraus und drehte ihn auf seinen Finger.

„Was ist eigentlich dein Problem mit Grashalmen?"

Remus lachte leise. „Ich muss einfach etwas mit meinen Händen machen, wenn ich nervös bin."

„Bist du nervös?"

Kurz flackerte Remus' Blick zu Sirius' Gesicht, dann sah er wieder weg: „Ein wenig."

„Hm", Sirius nickte. „Machst du dir Sorgen wegen Dorcas?"

„Natürlich tue ich das. Alles, was ich will, ist, dass sie nach Hause zurückkommt."

Sirius summte zustimmend: „Aber erwarte nicht, dass ich mein Leben für sie gebe. Wenn es heißt sie oder ich, dann... ich hab auch Gründe, weshalb ich zurück muss."

„Deinen Bruder."

Verwirrt blickte Sirius zu ihm: „Woher...?"

„Du hast es im Interview erwähnt. Der Idiot hat dich aber nicht aussprechen lassen", Remus seufzte. „Ich verstehe das, Sirius. Es wäre ziemlich gemein von mir dich darum zu beten, dass du dich opferst oder ihr einfach den Sieg überlässt."

„Willst du denn gar nicht zurück?", fragte Sirius leise. Er zog die Knie zur Brust und lehnte die Wange daran, um Remus anzusehen.

„Nein", gab Remus zu. „Natürlich, in den Spielen zu sterben, ist nicht unbedingt die bessere Wahl, aber zu Hause würde ich es auch nicht aushalten. Meine Eltern sind beide tot und ich selber gerate ständig in Schwierigkeiten. Daher auch die Narben."

„Peitschen", murmelte Sirius.

Remus nickte: „Bist jetzt nur zwei Mal, aber ich weiß, dass ich das dritte Mal nicht überleben würde. Der Friedenswächter, der das macht, hasst mich über alles und lässt seine Wut dann an mir aus, wenn er mich einmal an den Pranger bekommt. Mit jedem Schlag holt er stärker aus."

„Wie schrecklich", Sirius runzelte traurig die Stirn und bevor er sich stoppen konnte, legte er Remus eine Hand an den Arm. „Das tut mir leid."

„Es ist okay. Nur die Narben stören. Durch sie fühle ich mich, als wäre alles an mir ruiniert. Jetzt hab ich nur noch die Persönlichkeit", er schnaubte humorlos.

„Und bei mir wird nur aufs Äußere geachtet", fügte Sirius hinzu. Ein neckendes Lächeln tauchte auf seinen Lippen auf. „Wir ergänzen uns."

„Es ist gemein", meinte Remus. „Dir wird nicht zugehört und bei mir die Augen zugemacht."

„Dann zeig sie mir", rutschte es Sirius heraus. Bei Remus' verwirrtem Blick zuckte er unsicher mit den Schultern. „Also, wenn du willst natürlich. Dann kannst du nachholen, was du vorher nicht durftest. Dich selbst so präsentieren, wie du es möchtest."

Kurz blinzelte Remus ihn an, dann stupste er Sirius mit dem Ellenbogen in die Seite und grinste: „Du willst mich bloß nackt sehen."

„Was? Ich- Nein- also eigentlich-"

Remus lachte auf, versteckte sein Lachen aber hinter der Hand: „Ich mach doch nur Spaß. Bleib locker."

„Ich bin total locker. Lockerer geht's nicht", Sirius schubste Remus, damit dieser in den Farn fiel. „Idiot"

Noch immer lächelnd setzte Remus sich auf und sie verfielen in eine angenehme Stille, während künstliche Sterne über den Baumkronen für das wenige Licht sorgten.

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