Kapitel 2
Die Zugfahrt begann kurz danach und schon bald fand Sirius sich am Esstisch wieder, ihm gegenüber sein Mentor und neben ihm Alice. Avoxe brachten das Essen, stellten Brotkörbe und Braten und Kartoffeln auf den Tisch und schenkten ihnen allen Wein und Wasser ein.
Unbeeindruckt beobachtete Sirius seinen Mentor. Alphard war so alt wie Sirius' Vater, hatte schwarze Haare, dessen Ansatz langsam grau wurde und aufmerksame dunkle Augen mit denen er seine Tributen betrachtete. Alphard war Sirius' Verwandter, nur hatte er nichts mehr mit der Familie zu tun, seitdem er vor acht Jahren die Spiele gewonnen hatte. Sirius wusste nur, dass Alphard keine Münze seines Gewinnes an seine Familie abgegeben hatte.
„So", meinte Alphard dann, griff nach seinem Weinglas und hob es an Sirius gewandt hoch. Dann trank er aus und nahm sich ein Brötchen. Das war das Zeichen, auf das Alice nur gewartet zu haben schien, denn sie begann sich reichlich aufzulegen und sich auf ihr Essen zu stürzen.
Sirius war mehr skeptisch, ließ Alphard nicht aus den Augen während er aß und beäugte verdächtigend dessen Wein, von dem er immer und immer mehr einschenken ließ.
Während des Abendessens verlor keiner ein Wort, nur das Rasen des Zuges über die Gleisen war zu hören und das leise Geklimpert der Messer und Gabeln. Alphard tupfte sich den Mund ab, schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
„Ich leg mich schlafen", verkündete er und hielt sich eine Hand vor den Mund, bevor er gähnte.
„Wie? Und das war's?", meinte Sirius grob. „Wo bleibt unsere Strategie? Ein Plan, den wir befolgen werden?"
Alphard winkte bloß ab und sah Sirius gar nicht erst an. Wütend stand Sirius auf, sodass sein Stuhl über den Parkettboden quietschte und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Die Gabel flog dabei auf seinen Teller und ihr Klappert wurde zum einzigen Geräusch, sobald der Schlag geklungen war. Ängstlich sah Alice ihn an.
„Es ist Ihre Aufgabe uns vorzubereiten. Sie sind unser Mentor und..."
Abwartend hob Alphard die Augenbrauen, doch Sirius führte den Satz nicht zu Ende. Wenn er ehrlich war, wusste er gar nicht, was er hatte sagen wollen. Müde rieb sich Alphard über die Stirn und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch.
„Hör mal, Freiwilliger", er schmunzelte leicht bei seinem eigenen Witz. „Ich muss gar nichts für euch tun, außer die Sponsoren zu überreden euch ein paar Tröpfchen Wasser in die Arena zu schicken. Ich werde deinen Po nicht retten."
„Dann gib uns eine Strategie vor, mit der wir an Sponsoren kommen", forderte Sirius.
Alphard seufzte und sah Sirius ins Gesicht: „Beweis mir erstmal, dass meine Mühen es wert sind."
„Wie meinen Sie das?"
„Ich kann nur einen von euch durchbringen. Beweis mir, dass du es wert bist."
—
Der Satz ließ Sirius nicht schlafen. Die halbe Nacht wälzte er sich in dem riesigen Bett, das ihm zur Verfügung gestellt wurde und überlegte, was er tun könnte. Vor allem aber dachte er daran, wie dumm Alphards Forderung war. Da gab es nichts zu beweisen, sie alle waren es wert.
Am Morgen schlug Alice vor, dass sie sich gemeinsam die anderen Ernten ansahen und Sirius stimmte zu, obwohl er eigentlich nicht in die Gesichter der Leute sehen wollte, die seine potentiellen Opfer sein könnten. Sie setzten sich auf das Sofa und Alice ließ die Videos nacheinander spielen.
Sirius merkte sich nicht viel. Am wenigsten die Namen. Die Karrieros waren glücklich und kampfbereit, andere verschreckt und durcheinander. Nur grob konnte sich Sirius an die Tributen erinnern, zwei Rothaarige aus 1, ein vernarbter Junge aus 12, zwei Dreizehnjährige aus 10 und ein junges Mädchen aus 11. Sirius konnte sich nur an sie erinnern, weil sie ihn an Tonys Schwester Dora erinnerte, mit ihren großen Augen und dem schlanken Körperbau.
„Ah, das ist gut", hörten sie Alphard kommentieren und Alice' Hand zuckte, um das laufende Video auszuschalten, aber Alphard schüttelte den Kopf. „Macht ruhig weiter. Es ist wichtig, dass ihr eure Konkurrenten kennt."
„Die werden wir noch gut genug kennenlernen", meinte Sirius bitter. Er wollte Alphard nicht ansehen, noch immer wütend wegen dem Gespräch am Vortag.
„Du hast eine zu große Klappe, Freiwilliger. Nur, weil du in Augen anderer vielleicht als Held geltest, heißt es noch lange nicht, dass du mir trotzen kannst. Wenn du in der Arena einen Schritt vom Hungertod entfernt bist, könnte ich deine letzte Rettung sein."
„Bis dahin dauert es", gab Sirius zurück. Er drehte sich schließlich doch um und fixierte Alphard mit seinem Blick. „Jetzt bist du keine große Hilfe. Also wenn du uns entschuldigst, wir haben etwas zu tun."
Mit den Worten drehte er sich wieder weg und nahm Alice' Schreibblock an sich, um sich die Notizen durchzulesen.
„Ich hab die aufgeschrieben, die eine Gefahr darstellen können", erklärte Alice und zeigte mit dem Finger auf die Namen. „Die Karrieros auf jeden Fall. Der Junge aus 12 scheint mir auch verdächtig."
„Danke", meinte Sirius ehrlich und lächelte Alice leicht zu, als sich ihre Blicke trafen. „Dafür, dass du mich nicht wie einen Feind betrachtest."
„Das würde nichts bringen", gab sie zurück. „Ich gehe lieber mit einem Freund in die Spiele, als alleine und voller Hass."
Sirius konnte nicht anders, als sie zu umarmen.
—
Am Abend erreichten sie das Kapitol und wurden sofort auseinander und in verschiedene Richtungen zu ihren Stilisten gedrängt. Nach einem Blick auf den Tisch, auf dem Scheren und Wachs und Pinzetten lagen, hielt Sirius sich die Hände an die Haare.
„Die hier bleiben", warnte er. Das Team umzingelte ihn und von allen Seiten kamen Hände, die seine Arme ausbreiteten oder seine Beine spreizten und ihn dann auf einen Stuhl mitten ihm Raum zwangen. Pinsel strichen an seinen Wangen, Pinzetten zupften seine Brauen, sogar sein nicht vorhandener Bart wurde rasiert. Seine Haare wurden gekämmt, Wimpern mit Öl bestrichen, Lippen mit Balsam bemalt und dann drängten sie ihn auf die Beine und verließen den Raum.
Verwirrt sah Sirius sich um, als er plötzlich alleine blieb. Er sah an sich runter, wo er auf dem kalten Boden barfuß und in nur einer schwarzen Unterhose stand. Sein Gesicht juckte leicht von den ganzen Cremes und Make Up, die er abbekommen hatte und die Kopfhaut pochte vom unsanften Kämmen.
„Sirius, wie schön dich zu treffen."
Schnell drehte Sirius sich um, zu der Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Dort stand eine ältere Frau in einem dunkelroten Kleid mit langen Ärmeln und grauen Haaren, die ihr bis zur Hüfte gingen.
„Ich bin Minerva, deine Stylistin."
Sirius sah verwirrt zur Tür, durch die die drei Stilisten verschwunden waren: „Und wer waren die da?"
„Helferlein", lautete die Antwort. „Kommst du mit? Ich möchte dir dein Outfit zeigen."
—
„Oh, wow", bemerkte Sirius, als er Alice bei ihrem Wagen traf. Er wurde gezogen von einem weißen Pferd. „Du siehst anders aus."
„Ich weiß, ich weiß", murmelte sie und strich sich mit der linken Hand über die kurz rasierten Haare. „Mein Stilist dachte, dadurch würde ich mein kindliches Aussehen verlieren."
Wut kam in Sirius auf und er wollte wieder die Arme ausstrecken und sie umarmen, hielt sich aber davon ab, da ihre Stilisten ihnen befohlen hatten, keine Falten in die Klamotten zu machen. Alice' Stilist hatte wirklich alles daran gesetzt, sie älter aussehen zu lassen. Ihre Fingernägel waren lang, die Lippen dunkelrot, die Augen nur sanft geschminkt, aber dafür die Haut mit Concealer und Rouge überdeckt. Sie sah aus wie eine erwachsene Frau, welche sie noch gar nicht sein sollte.
Ihr Kleid war braun und lang, an der Taille war ein breiter Gürtel aus Leder und eingearbeitet war ein langes Fischernetz, das zum Kleid gehörte. Schwer aussehende Ohrringe aus Holz baumelten an ihren Ohren und an ihrer Kette war ein Fischerhaken.
Sirius hingegen war einfacher davongekommen. Sein weißes Leinenhemd steckte in der engen Lederhose, die farblich zum braunen Gürtel in Alice' Outfit passte und war bis zur Brust aufgeknöpft, wo die Holzperlen auf seiner Haut lagen. Seine Haare waren offen und fast schon fühlte Sirius ein wenig Schuld, als Alice sie wehmütig betrachtete.
„Du siehst gut aus", sagte Sirius, legte eine Hand an Alice' Rücken und führte sie auf die Kutsche, die sie auf den Platz in Panem und vor den Präsidenten fahren würde. „Jetzt zeigen wir den Dummköpfen mal, was es bedeutet, aus 4 zu kommen."
Während sie auf ihrem Wagon warteten, erhaschte Sirius einen Blick auf die anderen Tributen, denen er bislang noch nicht begegnet war. Sie sahen prächtig aus in ihren Kostümen, die Karrieros gut gebaut und muskulös, mit schelmischen Lächeln und stolzen Augen, wobei die Tributen aus 11 und 12 sich zurückhielten und ihre Konkurrenten mit Angst betrachteten.
Sirius fiel vor allem das Mädchen aus zwölf aus, denn in ihren dunklen Afro hatte ihr Stilist Leuchtfäden eingearbeitet, die funkelten, wie bei einem Feuer.
Aber die Hymne erklang, bevor er sich ihren Partner ansehen konnte und die Kutschen fuhren los. Es war beängstigend, aber auch gleichzeitig unbeschreiblich motivierend, als die Leute anfingen zu jubeln, sobald die ersten Wagons auf den Platz fuhren. Die Hymne war laut und stolz und zum allerersten Mal in seinem Leben erfüllte sie Sirius mit mehr als nur Hass und Furcht: mit Hoffnung.
Er dachte an die gelbe Veilchenblüte, die er unter seinem Kissen hielt, dachte an Andromeda und seine Mutter, die ihn verabscheute und schlug und dennoch irgendwo da draußen betrauerte, und er dachte an seinen Bruder, den er wieder in den Armen halten wollte. Und er würde es. Er würde ihn wieder halten. Vorher gab er nicht auf.
Beweis es mir, hallte in seinem Kopf und Sirius setzte sein schönstes Lächeln auf, sein charmantestes und verbeugte sich leicht zur Seite, wo die Frauen auf den Tribünen ihm zuwinkten. Beweis es, beweis es, beweis es.
„Alice", murmelte er, als er bemerkte wie erschrocken sie dastand und ihre Augen hin und her huschten, im Versuch alles zu erhaschen. „Alice, nimm meine Hand."
Ohne zu denken griff Alice danach, als hätte sie bloß auf diese Stütze gewartet und Sirius hob ihre haltenden Hände in die Luft. Ein tosender Applaus begann, Leute pfiffen mit zwei Fingern und Sirius animierte sie mit dem anderen Arm zum Weitermachen, noch immer mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht.
„Was machst du da?", fragte Alice leise, verunsichert. „Jetzt starren sie alle."
„Das sollen sie auch", flüsterte er zurück. „Sie sollen uns sehen."
—
„War das gut? Haben wir abgeliefert?", Alice konnte die Fragen nicht davon abhalten, dass sie Sirius überschütteten, sobald sie ihre Kostüme abgelegt hatten und in ihre Suites gelassen wurden. „Haben wir das richtig gemacht? Meinst du sie haben uns geliebt?"
Sirius lachte leicht: „Ich denke schon. Wir haben das gut gemacht, Alice, macht dir keine Sorgen."
Er streckte den Arm aus, um das Licht an der Tür anzumachen, als es plötzlich von alleine anging und sie Alphard an der anderen Wand lehnend erkannten. Dieser klatschte langsam in die Hände, sein Blick interessiert auf Sirius gerichtet.
„Ich bin beeindruckt", gab er zu. „Das hatte ich nicht erwartet."
„War es genug?", fragte Sirius, ein Arm leicht vor Alice gestreckt. Er konnte nicht anders, als sie zu beschützen, nicht, wenn sie fast in Regulus' Alter war.
„Oh, nein, nein. Auf keinen Fall", Alphard schüttelte den Kopf. „Nein. Aber es war ein Anfang. Caesar ist begeistert. Über euch wird viel spekuliert. Vor allem über dich, Black."
„Gutes?"
Alphard winkte ab: „Das ist doch völlig egal. Solange du Thema bleibst, bleibst du im Gedächtnis, bleibst du im Gedächtnis, wirst du beliebt. So läuft das hier in Panem."
„Im Kapitol", entfuhr es Sirius.
„Natürlich", Alphard lächelte fälschlich süß. „Alice, du solltest auf dein Zimmer gehen. Morgen beginnt das Training und wir wollen doch, dass du ausgeschlafen bist."
Unsicher sah Alice zu Sirius, aber dieser nickte ihr beruhigend zu und sah hinterher, als sie den Gang entlang ging und in ihrem Zimmer verschwand, das ein Avox-Mädchen gerade verließ, nachdem sie geputzt hatte.
„Setz dich."
Sirius wusste nicht wieso, aber er folgte Alphard auf das riesige Sofa. Sie waren im höchsten Gebäude von Panem und hatten einen Blick auf das gesamte nächtliche Kapitol von oben, denn das ganze Wohnzimmer war umgeben von einer Fensterwand.
Das Sofa war viel zu weich, als Sirius sich niederließ und die Beine zu einem Schneidersitz hob. Alphard war gerade dabei die Lichter zu dimmen, sodass nur noch einzelne Lampen um sie herum ein gelbliches Licht verstrahlten. Er setzte sich Sirius schräg gegenüber und war somit direkt in seinem Blickfeld, wenn Sirius auf die Stadt schauen wollte.
„Welche Rolle spielst du?"
„Wie bitte?", Sirius drehte den Kopf, um seinen Mentor anzusehen. „Ich muss eine Rolle spielen?"
„Natürlich musst du das", Alphard seufzte so, wie Sirius' Lehrer es immer getan hatte, wenn dieser eine falsche Antwort gegeben hatte. „Wir alle spielen nur eine klitzekleine Rolle in Panems Schachspiel. Snow ist der König. Er ist die mächtigste Figur."
„Die Dame ist die mächtigste Figur."
„Aha", Alphard hob den Zeigefinger. „Und wer ist die Dame?"
„Deine Mutter?"
Alphard warf ein Kissen nach ihm: „Du solltest das alles ernster nehmen. Du hast noch eine Woche, dann ist die Hälfte von euch direkt tot. Du hast die Wahl, ob du mit ihr stirbst oder nicht."
„Okay, okay", Sirius hob ergebend die Hände, obwohl das Grinsen noch immer an seinen Lippen zog. Er hatte schon immer Probleme damit gehabt, ernste Situationen ernst zu nehmen. „Wer ist die Dame?"
„Ihr seid es. Die Tributen. Ihr sorgt Jahr für Jahr dafür, dass der König gefürchtet wird. Und ich rate dir sehr, du bleibst an Snows Seite."
„Wenn nicht?"
„Dann bist du dumm und tot. Sei wenigstens schlau und tot."
„Kann ich auch schön und tot sein?"
„Das wirst du", gab Alphard zurück. „Die Leute bezeichnen dich jetzt schon als den Schönling aus Distrikt 4."
„Daran könnte ich mich gewöhnen", Sirius zwang sich dazu, seriös zu wirken. „Okay, tut mir leid. Worauf wolltest du hinaus?"
„Zwischen dem König und seiner Dame läuft parallel ein weiteres Spiel", fuhr Alphard fort. Er beugte sich vor und öffnete die Schublade des Couchtisches, aus welcher er ein Gerät entnahm und es auf den Tisch legte. Er schaltete es an und eine bläuliche Projektion eines Schachbretts erschien in der Luft.
„Diese hier bist du", Alphard griff in das Hologramm und hielt plötzlich eine Projektion eines schwarzen Bauerns zwischen den Fingern. Er stellte die Figur an den Rand des Bretts. Ein weißer König stand auf der anderen Seite und Sirius wusste sofort, welchen dieser darstellte. „Du bist momentan im Spiel, weil du Gesprächsthema bist. Du bist im guten Licht. Du spielst nach Snows Regeln."
Er sah Sirius an, aber dieser schwieg, also fuhr Alphard fort.
„Entweder, du machst so weiter, folgst Snows Regeln und kommst immer näher auf seine Felder oder du tust es nicht. Du wirst ein Gegenspieler, ein Dorn im Auge, etwas, was die Perfektion der Spiele unterbricht."
„Was dann?", fragte Sirius leise.
„Das wollen wir nicht hoffen", Alphard nahm den weißen König in die Hand und Sirius hielt den Atem an, als er die Figur neben den schwarzen Bauern hielt. Alphard hielt den König kurz in der Luft, dann machte er einen präzisen Stoß und schubste den Bauern vom Brett.
Er fiel auf das untere Ende des Hologramms, alleine und leblos.
„Das wollen wir nicht hoffen", wiederholte Alphard und schaltete das Gerät aus, aber Sirius' Blick lag noch immer auf der Stelle, wo seine Figur gelandet war.
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