Kapitel 12: Kakaogespräche

Evan kennt wirklich die seltsamsten Orte in dieser Stadt. Wir sind gefühlt eine Stunde gelaufen, ehe wir das Café erreicht haben. Ich habe nicht mal gedacht, dass eine Kleinstadt solche Ecken haben kann. Es steht kein Name auf dem Eingangsschild. Das Gebäude wirkt alt und so, als sollte es eigentlich kein Ort sein, an dem Menschen Tag für Tag ein und ausgehen sollten. Etwas ist komisch an diesem Café und doch ist es warm hier drin. Ich fühle mich wohl. Zumindest im Vergleich zu allen anderen Orten, an denen ich jemals war.

Wir schweigen, als wir den Laden betreten, als wir uns setzen und selbst noch, als wir auf die Bedienung warten. Es ist eine freundliche, ältere Dame, deren Lächeln den ganzen Raum heller wirken lässt. Dieses Café tut wirklich alles, um mich fühlen zu lassen, als wäre ich endlich Zuhause angekommen. Orte wie diese sollen wohl Menschen wie mir weismachen, dass wir irgendwo hingehören. Für einen Moment ist das vielleicht eine ganz nette Illusion, ja, aber ich sollte mich nicht daran gewöhnen. Sonst ende ich noch als Geist, der dieses Café heimsucht, weil er sich zu sehr an dieses Gefühl des Heimkommens gewöhnt hat. Ich will nicht gefangen sein. Deshalb sollte ich mich nicht zu sehr auf das Café, sondern eher auf den Jungen konzentrieren, der es mich erst hat entdecken lassen.

»Was kann ich euch beiden bringen?«, fragt die ältere Dame weiterhin lächelnd.

Evan übernimmt das Reden, bevor ich überhaupt reagieren kann. »Ich hätte gern das Übliche, Moira. Nur diesmal für zwei.«

Die Kellnerin nickt stumm, lächelt nun wissend und geht, ohne sich etwas aufzuschreiben. Mir kommt das seltsam vor. Wie könnte es auch nicht, wenn Evan diese ältere Dame einfach mit dem Vornamen anspricht, als würden sie sich schon jahrelang kennen? Dieser Junge muss oft hier sein. Vermutlich allein und als er noch nicht zur Schule gegangen ist. Vermutlich hätte ich das Gleiche getan an seiner Stelle.

»Woher kennst du diesen Ort?«, frage ich leise, als wir wieder allein sind.

Evan zuckt mit den Schultern. »Wenn man den ganzen Tag nur nach irgendetwas sucht, um die Zeit totschlagen zu können, stößt man manchmal auf solche kleinen Geheimnisse. Hier drin lässt es sich besser schreiben als draußen im Park, wo der Wind ständig am Papier zerrt und einem irgendwann entweder zu warm oder zu kalt ist. Es ist auch recht ruhig hier. Oft bin ich hier allein mit Moira. Und wenn andere Gäste da sind, sind sie still wie ich und haben selbst irgendetwas zu tun. Ich dachte, du solltest dieses Café auch kennen. Jetzt ist es unser gemeinsames Geheimnis.«

Ich nicke langsam. Dieser Junge scheint wirklich nach etwas zu suchen, was uns zu Freunden machen kann. Er sieht so verzweifelt aus. Vielleicht macht das die Einsamkeit mit einem, wenn man sie aufgezwungen bekommen hat. Evan tut mir leid. Wenn er einen echten Freund haben möchte, sollte er sich nicht mit mir abgeben. Er überfordert mich damit, dass er sich mir so leichtfertig öffnen möchte. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Genauso wenig kann ich zurückgeben, was er mir gibt. Ich komme mir undankbar vor. Dabei habe ich nie danach gefragt, dass sich jemand wie Evan mit mir anfreunden will.

Ehe ich weiterfragen kann, was das Übliche ist, das Evan bestellt hat, kommt die Kellnerin wieder. »Bitte schön, zwei Tassen heiße Schokolade und zwei Stück selbst gebackener Käsekuchen. Guten Appetit.«

Dann sind wir wieder allein. Moira scheint zu denken, dass sie uns etwas Privatsphäre geben sollte. Vermutlich glaubt sie, das hier sei ein Date. Sehen Evan und ich wirklich aus wie ein Paar? Ich kann es mir nicht vorstellen, so unterschiedlich wie wir sind.

»Das ist also das Übliche?«, frage ich leise, während ich das Essen vor mir mustere.

Es ist irgendwie ein befremdlicher Gedanke, sich vorzustellen, dass Evan so oft allein hier gesessen hat, immer wieder einen Schluck von seiner heißen Schokolade oder einen Bissen vom Käsekuchen genommen hat und nebenbei versunken in seinen eigenen Gedanken war, während er an irgendeiner Geschichte gearbeitet hat. Ich mag dieses Bild. Gleichzeitig fühle ich mich wie ein Eindringling. Jemand, der nicht hier sein sollte, weil er hier nichts zu suchen hat. Doch Evan hat mich eingeladen. Weil er scheinbar will, dass ich ihn kennenlerne. So sehr, dass er mich mit an Orte nimmt, die nur ihm zu gehören scheinen.

»Stimmt irgendwas damit nicht?«, fragt Evan. Er klingt unsicher. Als würde er es persönlich nehmen, wenn ich sagen würde, dass ich normalerweise nichts Süßes esse. Weil ich nicht das Gefühl habe, es verdient zu haben.

»Nein, alles gut. Danke. Ich weiß nur nicht, ob ich genug Geld dabeihabe, um am Ende alles bezahlen zu können.«

Evan schenkt mir ein Lächeln, das mir die Sorge nimmt, ich könnte ihn verletzen. »Schon gut. Geht auf mich. Ich habe dich immerhin eingeladen.«

Ich bedanke mich wieder und nehme dann den ersten Schluck von meiner heißen Schokolade. Sofort fühle ich mich süchtig nach dieser schweren Süße, die mich von innen heraus wärmt. Die heiße Schokolade ist ähnlich wie dieses Café. Ich fühle mich, als wäre ich zu Hause. Irgendwie glaube ich auch, dass ich von nun an Evan und diesen Ort denken werde, wenn ich jemals wieder Kakao trinke.

»Warum halten dich eigentlich alle in der Schule für einen Freak?«

Dass Evan so direkt fragt, lässt mich für einen Moment erstarren. Ich hätte gedacht, dass er einen ruhigen Moment will. Einfach ein wenig Stille beim Essen. Ganz im Gegensatz zur Cafeteria vorhin. Die ist immer laut und unangenehm. Warum will Evan also über das reden, was wir beide so sehr verabscheuen?

»Frag sie doch«, erwidere ich. »Ich kann keine Gedanken lesen.«

»Hat sich denn seit dem Vorfall etwas geändert?«, fragt Evan weiter. Bisher hat er sein Essen nicht angerührt. Als wäre er noch nicht bereit dafür, ehe er seine Fragen gestellt und klare Antworten bekommen hat.

»Nein«, murmle ich, während ich die Gabel nehme und beginne, mir ein Stück Käsekuchen abzuschneiden. »Die Leute haben mich schon vorher für seltsam gehalten. Aber ich bin so gewöhnt daran, überall außen vor zu sein, dass es mir mittlerweile ziemlich egal ist. Ich habe nie mehr mit einem meiner Mitschüler gesprochen als nötig. Weil es eben nicht nötig ist. Ich bin überrascht, dass sie sich überhaupt so an mich erinnern können, dass sie hinter meinem Rücken über mich reden. Vermutlich halten sie mich für arrogant und komisch, weil ich lieber allein bin. Doch ich will mich nicht mit Leuten auseinandersetzen müssen, die ich eh wieder verlassen muss. Warum Freundschaften schließen, wenn sie irgendwann enden müssen? Meine Eltern zwingen mich ständig zum Umziehen. Ich bin immer fremd und allein, aber ich suche mir das auf irgendeine Weise selbst aus. Es tut jedes Mal weh, wenn ich gehen muss. Da ist es einfacher, wenn ich niemanden zurücklassen muss.«

Jetzt öffne ich mich Evan gegenüber. Sogar ohne darüber auch nur eine Sekunde lang nachzudenken. Ich bin ehrlich und spreche zum ersten Mal das laut aus, was mich schon jahrelang belastet. Es fühlt sich gut an. Ich bereue auch nicht, es ausgesprochen zu haben. Eher wundert mich, dass es so einfach gewesen ist.

Mein Gegenüber schaut mich an, als hätte ich ihm gerade persönlich eine Kugel in den Kopf gejagt. Evan fühlt sich verraten. Alles an seinem Blick schreit danach. Jetzt fühle ich mich schuldig, ehrlich gewesen zu sein. Auch wenn ich nicht ganz genau verstehen kann, warum es den Jungen so verletzt.

»Dann sind dir Freunde also nicht wirklich wichtig, oder?«, fängt er an. Er schaut mich nicht an. Stattdessen starrt Evan auf die Tasse, als würde die heiße Schokolade alle Fragen beantworten können, die ihm gerade im Kopf herumschwirren.

»Ich wäre trotzdem gerne mit dir befreundet, Taissa. Selbst wenn du mich irgendwann zurücklassen musst. Ich habe lieber einen guten Freund für eine Weile als keinen für den Rest meines Lebens. Außerdem muss ich etwas gestehen.«

Weiterhin schaut der Junge mich nicht an. Er meidet meinen Blick. Als würde er mich für etwas bestrafen wollen, was ich getan habe. Etwas stimmt nicht. Doch ich lasse Evan fortfahren. Weil ich wissen will, was gerade zwischen uns steht.

»Ich habe gesagt, dass es Zufall war, dass ich dich aus dem U-Bahn-Schacht gezogen habe. War es auch, wenn ich ehrlich bin. Aber ich denke, dass dieser Zufall einen tieferen Sinn gehabt hat. Als ich dich kennengelernt habe, hat ein vollkommen neuer Teil meines Lebens begonnen. Und irgendwas hat uns so aneinandergebunden, dass ich glaube, dass wir wirklich befreundet sein sollten. Ich bin froh, dass ich dich kenne. Du erinnerst mich Tag für Tag daran, dass ich mehr bin als der Freak, den alle in mir sehen wollen.«

Mir fehlen die Worte. Ich will etwas sagen, doch mein Kopf ist vollkommen leer. Wir sind so ehrlich zueinander. Dabei sind wir eigentlich nur zwei Fremde, deren Wege sich durch meine eigene Dummheit gekreuzt haben. Wie kann er so dankbar dafür sein? Es kann nicht alles gut sein seit diesem Vorfall. Es wäre unfair mir gegenüber. So fühlt es sich zumindest an.

»Du musst nichts sagen.« Nun schaut Evan mich wieder an. Er scheint mich beruhigen zu wollen. Erfolgreich sogar. »Du bist schon ehrlich genug mit mir gewesen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir auf einer Wellenlänge sind. Ich möchte dir meine Geheimnisse erzählen. Wenn das in Ordnung für dich ist.«

Ich nicke. »Natürlich. Wenn es dir hilft, möchte ich zuhören. Ich bin ziemlich gut darin, glaube ich.«

Wieder schenkt mir Evan ein Lächeln. »Auf jeden Fall besser als im Reden, ja.«

Ich kann nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. Er hat recht. Ich bin schlecht mit Worten. Das ist Evans Aufgabe. Ich höre ihn gerne reden. Dieser Junge schafft es, dass Worte nicht mehr bedeutungslos sind. Weil er mit ihnen umgehen kann, dass sie nicht leere Hüllen sind, die einfach nur wehtun. Evans Worte sind echt und ehrlich gemeint. Deshalb habe ich auch nicht das Gefühl, dass seine Geheimnisse mich belasten können. Wie schlimm kann es schon werden?

»Das, was ich dir jetzt sage, habe ich bis jetzt niemandem erzählt«, beginnt der Junge, nachdem er getrunken und einige Bisse vom Kuchen genommen hat. »Ich habe dir erzählt, dass ich farbenblind bin. Weil ich einen Hirntumor hatte, der alles durcheinandergebracht hat. Ich weiß, dass der Tumor weg ist, aber seit ein paar Tagen geht es mir einfach nicht gut. In der Schule kann ich mich gerade so zusammenreißen, weil ich mich nicht sicher genug fühle, um mich einfach fallen lassen zu können. Aber ich habe immer wieder diese Sichtausfälle. Und wenn die nicht da sind, sehe ich Farben, als wäre ich auf einem LSD-Trip. Mein Hirn spielt schon wieder verrückt. Ungefähr wie damals, als alles angefangen hat. Mir wird auch immer wieder so schwindelig, dass ich glaube, gleich in Ohnmacht fallen zu müssen. Es fühlt sich an, als würde jemand ständig auf meinen Kopf drücken. Aber die Schmerzen sind das geringste Problem. Ich will normal sein. Da kann ich all das, was mit mir nicht stimmt, nicht gebrauchen.«

Der Junge fährt sich durchs Haar. Ich fühle mich hilflos, weil ich nichts anderes tun kann, als ihn leiden zu sehen. Wieder tut mir Evan so leid. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein muss, sich endlich fühlen zu können, als würde alles besser werden, nur um dann wieder in die Dunkelheit geworfen zu werden. Ich weiß zwar, wie es sich in etwa anfühlen muss, mit den ganzen Umzügen und allem, doch ich könnte immer noch davonlaufen. Evan kann es nicht. Weil die Dunkelheit in ihm ist, nicht um ihn herum.

»Solltest du damit nicht vielleicht lieber zu einem Arzt gehen? Er kann dir bestimmt sagen, was los ist. Und was man dagegen machen kann, damit du eben wirklich normal sein kannst. Deine Eltern sollten es wohl auch wissen. Damit sie es nicht erst erfahren, wenn alles feststeht. Sie machen sich doch Sorgen um dich, Evan. Ich würde mich verraten fühlen an ihrer Stelle, wenn du mir nicht sofort sagen würdest, wenn etwas nicht stimmt.«

Dieses Mal wirkt der Junge nicht verletzt. Trotzdem scheine ich etwas Falsches gesagt zu haben. Denn Evan gibt einen fast schon verächtlichen Laut von sich und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, während er die Arme verschränkt. Evan verschließt sich wieder. Es tut auf irgendeine seltsame Weise weh, ihn so zu sehen. Es steht etwas zwischen uns. Gerade habe ich mich daran gewöhnt, offen zu sein, da knallt dieser Junge mir die Tür vor der Nase zu. Jetzt fühle ich mich verraten. Doch gerade bin ich noch nicht bereit, wieder in meine Verschlossenheit zurückzukehren. Ich will weiterhin offen sein. Egal, wie sehr Evan sich nun zurückziehen will.

»Ich will es meinen Eltern nicht erzählen«, beginnt Evan langsam. »Das würde sie nur in ihrem Glauben bestätigen. Sie denken, dass ich hilflos bin. Ein Freak, der es eigentlich nicht verdient hat zu leben. Aber loswerden können sie mich auch nicht, also haben sie mich immer versteckt. Ich habe so lange darauf hinarbeiten müssen, endlich freikommen zu können. Jetzt bin ich so frei, wie ich nur sein kann und ich will diese Freiheit nicht einfach aufgeben. Es soll mir so lange gut gehen, wie ich so tun kann, als wäre es wirklich so. Ich will die Krankheit vergessen. Vielleicht geht sie dann von allein weg. Meine Eltern würden mich nur wieder einsperren. Ich dürfte nicht mehr zur Schule gehen, dich nicht mehr sehen und auch sonst nichts tun, was mich normal machen würde. So würden meine Eltern wieder ihre Schande verstecken.«

Evan verfällt in Schweigen. Ich will ihm helfen, doch ich weiß nicht wie. Deshalb schweige ich lieber. Er scheint nichts dagegen zu haben. Weil er vermutlich weiß, dass ich schlecht mit Worten bin.

Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, fährt der Junge bereits fort. Ich traue mich nicht, mich zu rühren. Obwohl ich gerade wirklich einen Schluck von meiner nun lauwarmen Schokolade gebrauchen könnte, um mich wieder so fühlen zu lassen, als würde ich an diesen Ort gehören. Gerade kommt es mir eher vor, als wäre ich vollkommen deplatziert. Ich hasse dieses Gefühl. Doch ich kann es nicht loswerden, solange Evan dasitzt, als hätte er vergessen, dass er eigentlich mit mir befreundet sein will.

»Meine Eltern machen sich keine Sorgen um mich. Eher um ihren Ruf. Sie halten sich für so wichtig, dass alle Welt denken muss, dass sie eine perfekte Familie haben. Aber ich bin eben nicht perfekt. Meine Eltern sind es auch nicht. Trotzdem wollen sie diesen Schein mit aller Gewalt wahren. Vor allem meine Mutter. Dabei weiß sie gar nichts.«

Evan trinkt einen Schluck und entspannt sich schließlich ein wenig. Die heiße Schokolade scheint auch ihn zu beruhigen. Da haben wir wohl etwas gemeinsam.

»Meine Mum weiß so gut wie nichts, wenn es um unsere Familie geht«, wiederholt Evan leise. »Dass ich ständig darüber nachdenke, mich umzubringen, weil ich mich selbst nicht aushalte, weiß sie nicht. Dass Dad seit Monaten eine Affäre mit meiner ehemaligen Ärztin hat, weiß sie auch nicht. Und wer bin ich schon, ihr das zu sagen?«

Wieder starrt mein Gegenüber betrübt in seine Tasse. Unaufhörlich rührt er den Kakao darin um, als wolle er ihn genauso unruhig sehen, wie er sich selbst fühlt.

»Meine Familie bricht auseinander. Meine Eltern bleiben vermutlich nur noch meinetwegen zusammen. Was ich nicht ganz verstehe, weil sie sich meist mir gegenüber verhalten, als ob sie mich abgrundtief hassen würden. Weil ich eben ein Freak bin, um den man sich kümmern muss. Zumindest in ihren Augen. Alles ist falsch und doch werde ich gezwungen, eine hübsche Fassade aufrechtzuerhalten, die alles schlimmer macht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Tumor das einzig Wahre war, was ich jemals hatte.«

Seine Worte tun weh. Es fühlt sich an, als wäre der Schmerz, den ich in seiner Stimme höre, mein eigener. Ich habe mich noch nie jemandem so verbunden gefühlt. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich müsste ersticken. Evan ist wirklich etwas Besonderes. Ich kann nur nicht beschreiben, in welcher Hinsicht.

»Also ich glaube ja, dass ich besser bin als ein Tumor«, rutscht es mir raus. Was sage ich da? Am liebsten würde ich meine Worte zurücknehmen. Doch jetzt hängen sie zwischen uns und ich kann nichts dagegen tun.

»Wirklich?«, antwortet Evan fast schon misstrauisch. »Das kann jeder sagen. Worte helfen mir nicht weiter. Das können nur Taten.«

Ich ertappe mich dabei, wie ich darüber nachdenke, wie ich Evan davon überzeugen kann, dass ihm hier jemand gegenübersitzt, dem er wirklich vertrauen kann und der ihn ernst nimmt. Egal wer er ist und wer er glaubt zu sein. Doch für den Moment führen meine Gedanken nur ins Leere. Deshalb wechsle ich lieber das Thema, ehe ich mich noch zu sehr in meinem eigenen Kopf verliere.

»Ist irgendwie schwer zu glauben, dass du mich nur zum Reden hergeführt hast«, beginne ich langsam. »Gibt es irgendetwas anderes, was du sagen möchtest?«

Evan schweigt für eine Weile. Er trinkt und isst, als wollte er sich wieder beruhigen. Ich tue es ihm gleich. Weil ich glaube, dass er meine Frage einfach ignorieren wird, um die Stimmung zu verbessern. Evan weiß, wie man mit Worten umgeht. Er weiß bestimmt auch, wie man eine tote Konversation wiederbelebt.

Der Junge bricht sein Schweigen erst, als wir beide fertig sind. Er stellt seine leere Tasse auf den Teller und schaut mich dann regelrecht auffordernd an. Ich tue es ihm gleich. Einfach, weil ich selbst nach diesen paar stillen Minuten Evans Stimme vermisse. Ich hoffe wirklich, dass er jetzt wieder mit mir spricht. Es fühlt sich an, als wollte er mich jetzt bestrafen. Wofür auch immer.

»Eigentlich wollte ich dir etwas zeigen«, beginnt Evan. »Um mein Versprechen einzulösen. Ich habe es seit Tagen mit mir rumgetragen. Doch es fühlt sich weder nach dem richtigen Ort noch nach dem richtigen Moment an. Tut mir leid, dass ich deine Zeit verschwendet habe. Ein anderes Mal vielleicht.«

Damit steht Evan einfach auf, holt etwas Geld aus seiner Tasche, legt es auf den Tisch und verschwindet. Er hat mich dabei nicht angesehen und auch kein Wort mehr gesprochen. Es ist seine Art, sich zu verabschieden. Jetzt bin ich vollkommen allein in diesem fremden Café und frage mich, was ich falsch gemacht habe.

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