Stimmungsschwankungen aka. Landos Gedankenwelt

Es klopfte leise an seiner Tür.

„Ja."

Gespannt schaute Lando auf seine Zimmertür. Wollte George ihn Abholen, oder Alex? War er schon wieder so sehr in seine Gedanken und das Tagebuch vertieft gewesen, das er die Zeit vergessen hatte?

„Mi amor. Darf ich reinkommen?"

„Ja?"

Verwirrt blinzelte er. Wieso fragte Carlos, ob er das Zimmer betreten durfte?

„George meinte du hast um etwas Zeit für dich gebeten. Euer Gespräch soll aufwühlend und emotional gewesen sein? Ich wollte dich nicht in deinem persönlichen Rückzugsort stören."

„Du störst nie."

Das Lächeln welches Carlos ihn darauf schenkte, ließ seine kleine Armee Schmetterlinge freudig herumwirbeln. Wild tanzten diese mit den Ameisen, als der Spanier keine Sekunde später neben ihm auf der Couch saß und er sich einen Wimpernschlag später in den mittlerweile wohlbekannten Armen wieder fand.

Erneut stellte Lando fest, dass die Nähe zu Carlos sich wie nach Hause kommen anfühlte. Er spürte selbst wie seine komplette Körperhaltung nachgab und er sich an die Brust seines Freundes schmiegte.

„War etwas viel?"

„Bisschen."

„Aber wie George sagte, sehr aufwühlend und emotional?"

Sanft glitten seine Finger über den Nacken, spielten dort mit den feinen Löckchen, bevor seine Finger sich in den weichen Locken verirrten und er Lando einen Kuss auf genau diese setzte.

„Wir haben beide geweint. Aber ich glaube das ist nicht schlimm gewesen."

„Mi Amor niemals solltest du dich für Tränen schämen, egal auf welche Art und Weise diese hervorkommen. George ist dir wichtig und du hast Antworten auf deine Fragen gewollt. Das dich dies alles mitnimmt und es Tränen geben kann, ist vollkommen in Ordnung und sicher auch völlig normal."

„Irgendwie verstehe ich mich nicht. Wieso habe ich nicht vorher schon mal mit den beiden geredet? George hat so gelitten, er hat sich solche Vorwürfe gemacht, nichts bemerkt zu haben. Egal was ich gesagt habe. Er ist der Meinung das Alex und er als beste Freunde kläglich versagt haben. Und das bringt mich dann doch wieder dahin, wo ich am Anfang war. Deswegen habe ich ihnen nie was gesagt. Ich will nicht das jemand wegen mir ein schlechtes Gewissen hat oder sich die Schuld für irgendwas gibt."

„Lando die beiden sind deine besten Freunde. Nicht bemerkt zu haben, wie schlecht es dir geht und dass du ihnen oft was vorgemacht hat, trifft beide hart. Daran wirst du leider nichts ändern können. Trotzdem ist es nicht deine Schuld. Du hast diese Entscheidungen wegen deinen psychischen Problemen getroffen, nicht weil du es lustig fandest die beiden bloßzustellen. Es spielt sich alles in deinem Kopf ab und solche Situationen wird es sicherlich noch viele geben, bis wir deinen Kopf dazu bekommen haben, anders darüber zu denken."

„Das ist wie eine Spirale, die nicht enden will. Jetzt fühle ich mich wieder schlecht, weil beide wegen mir ein schlechtes Gewissen haben. Gleichzeitig hat das Gespräch mit George gutgetan. Ich weiß jetzt, wieso er so reagiert hat und warum er verbal auf dich losgegangen ist. Weißt du ich würde so gerne die richtigen Worte dafür finden, wie es in meinem Kopf aussieht, warum ich denke wie ich denke. Aber selbst beim Denken hört sich das für mich selbst seltsam und verrückt an."

Auch wenn er George und Alex gesagt hatte, gleich mit Lando zurück zu sein, spürte Carlos sehr deutlich das sein Freund noch ein paar Minuten für sich brauchte. Emotionale Gespräche waren für Lando anstrengend und kosteten diesen nicht nur Überwindung die eigene Schamschwelle zu überschreiten. Faktoren wie Angst, Unruhe, Rastlosigkeit, Nervosität, aber auch Panik mischten sich in einem bunten Wirrwarr in die Gefühlswelt seines Freundes.

„Lando, weißt du was wirklich wichtig ist? George und Alex sind deine besten Freunde. Das wird sich auch nicht ändern, wo sie darüber Bescheid wissen, wie es dir wirklich geht und warum du so gehandelt hast. Sie lieben dich. Du bist wie ein kleiner Bruder für die beiden. Mehr den je wollen sie ihren kleinen Bruder Beschützen, Unterstützen und alles geben, was in ihrer Macht steht. Ich weiß in deinem Kopf hört sich das nach Ich mache ihnen nur Ärger, nur Umstände an. Aber so ist das nicht. Du machst niemanden Umständen, du bist für niemanden eine Last. Lando du bist krank und brauchst Hilfe. Das weiß du, das weiß ich, das wissen deine Eltern und Geschwister und deine besten Freunde wissen das auch. Es gibt Ärzte, Therapeuten und Einrichtungen die speziell für psychische Erkrankungen ausgerichtet sind. Ich bin davon überzeugt, dass dir eine Therapie helfen kann."

Sein Kopf ruhte einige Zentimeter über dem Herz seines Freundes. Bei jedem Wort spürte er das Pochen, das kräftige Schlagen. Es war fast so, als würde Carlos sich nicht nur durch seine Worte Stark für ihn machen. Auch dessen Körpersprache war deutlich, leidenschaftlich, gleichzeitig beschützend und liebevoll. Instinktiv presste er sich näher an den Älteren, drückte die Nase an Carlos Hals und schämte sich nicht für die einzelnen Tränen, die auf die Haut des Spaniers tropften.

Von allen Seiten hatte er Unterstützung, hatte positiven Zuspruch.

+

„Da seid ihr ja."

Freudig wurden Carlos und Lando im Wintergarten empfangen. Alex und George hatten schon für Getränken, Knabbereien und Kuchen gesorgt, während sie wie auf heißen Kohlen darauf gewartet hatten das ihr bester Freund zu ihnen stieß.

„Entschuldigt. Ich brauchte etwas länger."

„Nicht doch Lando. Alles gut. Du brauchst so lange, wie du brauchst."

Schmunzelnd zog Alex den Jüngeren kurz an sich, strubbelte Lando durch die Haare, bevor sie sich alle setzten und bis auf Lando alle nach Knabbereien griffen und diese hungrig vertilgten.

„Was macht ihr Weihnachten?"

Dankbar harkte Lando seinen kleinen Finger hinter den von Carlos. Durchaus war Lando sich bewusst das sein Freund absichtlich von ihm ablenkte. Es durfte Alex und George zwar auch aufgefallen sein, dass er sich fast verzweifelt an einem Keks verausgabte und auch wenn sein Körper, besonders sein Magen ihm andere Zeichen gab, wollte er nicht zu viel von den süßen Keksen und diversen anderen Leckereien essen. Über Weihnachten gab es schon genug Völlerei und die musste er auch irgendwie Überstehen, ohne ständig an die Waage denken zu müssen.

„Wir feiern Weihnachten getrennt. George bei seinen Eltern und ich bei meiner Mom und Geschwistern. Aber am 27. Geht es für uns nach Thailand. Wir bleiben über auch über Silvester bis ein paar Tage ins neue Jahr."

„Eigentlich feierst du Weihnachten ja nicht nur mit deiner Familie."

Breit grinsend wackelte George mit den Augenbrauen, während er sich einen weiteren Keks in den Mund schob. Schon seit dem Kleinkindalter liebte er die selbstgebackenen Kekse von Cisca. Seine Mom backte auch hervorragend, aber die von Cisca waren ein klein wenig besser, was er seiner Mom selbstverständlich noch nie gebeichtet hatte.

„Du meinst seinen Zoo?"

„Genau."

Lachend boxte George seinem Freund gegen die Schulter, welcher einen kleinen Schmollmond zog und Lando und George die Zunge rausstreckte.

„Ihr habt einen Zoo?"

„Nein."

„Doch."

„Wir haben Haustiere."

„Haustiere?"

Nun war es Lando der die Augenbrauen fragend in die Höhe schob, während er von Carlos unbewusst ein Happen Kuchen zu sich nahm, welches dieser ihn an die Lippen führte.

„13 Katzen, zwei Pferde und ein Hund nennt ihr Haustiere?"

„Ja. Wir haben eben viele Haustiere."

Grinsend verfolgte Carlos den Schlagabtausch der Freunde, während er Lando still weiter mit dem Kuchen fütterte. Die entspannte Atmosphäre tat sein Übriges, damit es seinem Freund besser ging. Natürlich vergaß er nie im Hinterkopf das Lando krank war und das Stimmungen und Situationen von einer Sekunde auf die nächste umschlagen konnten.

„Du liebst Tiere, nicht wahr?"

„Ja. Schon als Knirps habe ich jedes Tier mit nach Hause gebracht. Meine Mom ist oft verzweifelt, wenn ich mit verletzten Hasen ankam oder Eichhörnchen. Ich hatte auch mal einen Babyvogel zu mir genommen, der aus dem Nest gefallen war. Freddy war sehr lange bei mir."

„An Freddy erinnere ich mich. Wir waren damals 6-7 Jahre, oder?"

„Ja, haut hin. Alex hat Freddy überall mit hingenommen."

„Stimmt so auch nicht. Freddy ist mir überall hin gefolgt."

Während Lando das zweite Stück Kuchen vertilgte, malte Carlos mit der freien Hand unbeirrt Muster auf dessen Handrücken. Nachdem der Jüngere ihre Finger miteinander verschränkt hatte, war er es, der ihre Handflächen aneinanderdrückte und Lando immer wieder mit den Fingerkuppen über die Haut strich. Es war ein wohliges Gefühl die drei Jungs zu erleben. Wahrscheinlich gab es so einen schönen, innigen Moment lange nicht mehr. Es fühlte sich schon gut an, zu wissen, dass er vielleicht nicht unbeteiligt daran war das George, Alex und Lando jetzt gerade aufgelockert miteinander redeten.

„Carlos, du bleibst über Weihnachten?"

„Si."

„Und dann? Bleibst du auch über Silvester oder fliegst du zurück nach Spanien?"

Das diese Fragen kommen würden, damit hatte er gerechnet, genauso wie mit der Reaktion seines Freundes. Augenblicklich verkrampfte Lando's komplette Körperhaltung, als ob dieser mit Alex Frage gerade aus einem Traum gerissen wurde.

„Das haben wir noch nicht besprochen. Ich würde natürlich gerne mehr Zeit mit Lando verbringen, gleichzeitig möchte ich auch nicht aufdringlich sein. Adam und Cisca waren schon so nett und haben mich zu ihrem Weihnachtsfest eingeladen. Ich möchte diese Gastfreundlichkeit nicht Ausreizen oder Ausnutzen."

„Und die Option gemeinsam nach Spanien zu Fliegen?"

Die beiden meinten es sicher nur gut, wollte Lando Unterstützen, aber im Grunde bewirkten sie mit diesen Fragen eigentlich nur das Gegenteil. Lando hatte ihre Hände gelöst. Verkrampft hielt dieser seine Hände nun im Schoss, blickte schweigend auf irgendeinen Punkt auf dem Tisch, während er selbst förmlich sehen und hören konnte wie Lando's Gedanken sich Überschlugen und er alles in Frage stellte.

„Carlos...muss ja sein Studium wieder aufnehmen. Da kann er nicht so lange hierbleiben. Eigentlich ist er ja schon viel zu lange von der Uni weg, das wirkt sich vielleicht auf die nächsten Klausuren aus. Und seine Familie und Freunde warten auch auf ihn."

Es brach ihm das Herz, als Lando von ihn wegrückte, fast in die andere Ecke der kleinen Couch. Aber Alex und George schienen in diesen Moment auch zu bemerken, was sie mit diesen Fragen angerichtet hatten. Hilflos, entschuldigend blickten sie Carlos an.

„Lan..."

„...schon in Ordnung. Früher oder später muss ich eh damit klarkommen das mein Freund in einem anderen Land lebt. Wieso also nicht direkt früher? So wird Carlos selbst schnell merken das es für ihn besser ist, in Spanien zu leben. Hier in England erwartet ihn nichts. Nur Dummheit, Unsicherheiten, ein verkorkster Teenager, der vor ein paar Minuten noch geglaubt hat es könnte ein schöner Nachmittag werden. Ein naiver Teenager der in seiner flauschigen Bubble gelebt hat. Ich sollte euch dankbar sein, dass ihr meine Bubble zum Platzen gebracht habt und mir die wahren Tatsachen vor Augen führt."

Alles schrie in ihm zu Fliehen. Weg von Carlos. Weg von seinen besten Freunden. Am besten Weg aus diesem Haus. Von einem Moment auf dem nächsten fühlte Lando sich wie überfahren. Irgendwie glaubte er ja nicht das Alex und George ihre Fragen böse meinten. Die beiden waren berechtigt neugierig und er hatte sich bezüglich Silvester auch schon den Kopf zerbrochen, wollte dies aber nicht zu nah an sich herankommen lassen.

„Lando, egal ob ich in Spanien bin oder hier in England. Du bist mein Freund und ich werde dich nicht verlassen. Lando, ich liebe dich. Ich weiß du hast Angst. Angst vor allen was noch kommen wird. Leider kann ich dir die komplette Angst nicht nehmen. Ich kann nur für dich da sein, dich in die Arme nehmen und dir versichern dich Aufzufangen, dir zuzuhören und versuchen dir Ratschläge zu geben, wenn du welche haben möchtest. Aber keineswegs werde ich beenden, was erst angefangen hat."

Das Einzige, was in seinem Kopf Platz hatte, war die Tatsache das er ihnen allen den Nachmittag versaut hatte, nachdem er das wirklich wichtige, emotionale Gespräch mit George gehabt hatte. Wie ein schwarzer Schleier legten sich die negativen Gedanken über die feinen, zarten Strähnen des Glücks, der Hoffnung und Zuversicht.

Wahrscheinlich wäre er von der kompletten Dunkelheit eingenommen wurden, wenn Carlos nicht eingegriffen hätte. Wenn dieser ihn nicht ein weiteres mal gerettet hätte. Warme Finger legten sich auf sein Gesicht, drückten diesen geschickt in die Richtung welche Carlos wollte.

„Wir haben eine Zukunft Lando. Eine gemeinsame Zukunft."

„Nein. Haben wir nicht. Ich habe mich nur Blenden lassen von dem unbedingten Willen das es zwischen uns funktioniert."

Kopfschüttelnd zog er Lando an sich, unterband die halbherzige Abwehr des Jüngeren, indem er die Arme fest um dessen Rücken legte.

„Du hast so großartige Schritte gemacht. Du kannst stolz auf dich sein."

„Stolz? Vorauf den?"

„Du hast meine Hilfe angenommen, als ich im Krankenhaus plötzlich vor dir stand. Du hast mich in dein Wohlfühlzone kommen lassen. Du suchst selbst nach Hilfe und möchtest diese auch. Du hast das Gespräch mit George von dir ausgesucht, weil du Klarheit wolltest. Du hast dich diesen Pierre in der Öffentlichkeit gestellt und bist stark geblieben. Du gibst uns eine Chance. Das sind viele Sachen, auf die du stolz sein kannst. Für dich mögen sie lapidar klingen, aber das sind sie nicht. Jeder noch so kleine Schritt ist wertvoll und ein Grund stolz auf sich zu sein."

Bedrückende Stille legte sich über die Vier.

Lando hing in den Armen von Carlos, während George und Alex betreten schwiegen. Erst ihre Fragen hatten zu diesem Dilemma geführt, welches hätte vermieden werden können, indem sie einfach die Klappe gehalten hätten. Oder andere Fragen gestellt hätten.

„Ich kann wirklich stolz sein?"

„Ohja mi Amor. Du bist so mutig, so stark. Du möchtest das sich, was verändert. Du möchtest am Leben teilhaben ohne Angst, ohne Selbstzweifel und Minderwertigkeitskomplexen. Dieses Chaos in deinem Kopf muss sortiert und aufgearbeitet werden. Dafür gibt es tolle Menschen, die dir dabei helfen können. Und wenn wir Ruhe in diese wilde Chaos gebracht haben, wird es dir besser gehen. Viel besser. Du wirst akzeptieren können das es Menschen gibt, die dich um deinen Willen lieben, die dich mögen, ohne eine Gegenleistung dafür einzufordern. Solche Momente wie gerade eben, wird es immer wieder geben. Es wird Rückschläge und Zweifel geben. Aber nach Regen, folgt Sonnenschein. Der Weg mag steinig werden, aber ich werde ihn mit dir gehen. Ich werde dich an die Hand nehmen und dich begleiten. Ich werde dir immer wieder sagen, was für ein wunderbarer, wertvoller und liebenswerter junge Mann du bist. Du hast es verdient geliebt zu werden. Du hast es verdient das Leben führen zu dürfen, was du möchtest, von dem du träumst. Ohne Tränen der Angst, der Wut, Scham oder Verzweiflung. Lando ich werde dich nicht aufgeben. Du bist alles, was ich möchte. Es mag sich kitschig anhören und du kannst diese Worte vielleicht jetzt noch nicht glauben, aber sie kommen aus meinem Herzen und entsprechend meinen Gefühlen zu dir."

Sie trafen tief in sein Herz. Zittrig krallte Lando sich in den Pullover von Carlos, überwältigt von dem, was dieser gesagt hatte. Erneut waren es die Worte seines Freundes, die ihm Zuversicht schenkten, die Licht in das schwarz seiner Gedankenwelt zauberten.

„Was wenn du irgendwann genug hast?"

„Werde ich nicht."

„Wirklich? Du hast doch gerade wieder erlebt wie schnell meine Stimmungen und Gedanken umkippen können und das nur weil Alex und George eine völlig legitime Frage gestellt haben."

„Lando, wir sind knapp zwei Tage zusammen. Wir sind noch ganz am Anfang unserer Beziehung und auch wenn du es versucht nicht wahrhaben zu wollen, weiß ich sehr genau auf was ich mich eingelassen habe. Ja, es wird solche Situationen sicher mehrmals noch geben, es werden Kleinigkeiten sein, die dich aus der Bahn werfen, die dich verunsichern lassen werden. Und sicherlich werde ich nicht immer wissen, was ich machen soll, aber ich werde mit guten Gewissen alles tun, alles anwenden, was ich selbst in meiner Therapie gelernt habe. Aber ich bin kein Arzt, kein Therapeut, weswegen es auch wirklich wichtig ist, dass du dir Hilfe von Profis holst."

„Wir sind auch noch da Lando. Alex und ich wissen sicherlich noch nicht viel über psychische Erkrankungen, aber wir wissen, was Mobben anrichten kann. Traurigerweise gibt es das auch auf unserer Schule. Wir haben uns immer stark für die Opfer gemacht, sie unterstützt und waren auch bei den Lehrern mit, wenn sie nicht allein wollten. Bitte sei uns nicht böse, wenn wir manchmal noch überfordert sein werden, so wie gerade. Es ist seltsam, dass du erst so gut gelaunt mit uns hier sitzt und von einem Moment auf den anderen kippte die komplette Stimmung. Uns war nicht bewusst, dass diese Fragen dich so verunsichern würden. Dafür entschuldigen wir uns."

„Ich habe so lange geschwiegen. Es fällt mir auch jetzt verdammt schwer offen mit euch darüber zu reden. Ich will euch nicht verletzen, indem ich euch das eben auch alles nur erzähle, weil Carlos bei mir ist. Ohne ihn wüsstet ihr weiterhin nichts. Ich hätte wahrscheinlich so lange weiter so gemacht, bis es wirklich nicht mehr gegangen wäre. Oder eben das unausweichliche eingetroffen wäre. Zerbrochen bin ich schon seit Jahren, aber ich würde so gerne Anfangen richtig zu Leben. Ohne ständig alles zu Hinterfragen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse und Wünsche von anderen zu nehmen. Ich möchte MICH an erster Stelle stellen und für MICH was tun und nicht ständig versuchen es anderen recht zu machen. Ich will lernen zu akzeptieren das ich genüge, wie ich bin, dass ich es Wert bin auf dieser Erde zu sein und geliebt zu werden. Ich will lernen das es mir egal sein sollte, was andere von mir denken, was sie von mir halten. Dieser Weg wird schwer und er wird mich viel Kraft und Tränen kosten und ich weiß auch noch nicht, ob ich überhaupt in der Lage sein werde in einer Therapie mit anderen darüber zu reden, aber ich will es versuchen."

Leichtfüßig erhob Alex sich, kniete sich vor Lando, der noch immer seinen Kopf an der Brust von Carlos versteckt hatte und sie alle etwas ängstlich anblickte. Lächelnd griff er nach den Händen, streichelte beruhigend über diese.

„Du verletzt uns nicht Lan. Wir sind so dankbar, dass du dir jemanden gesucht hast und dich ihm anvertraust. Es gibt jemanden in deinem Leben, der dir viel besser in einigen Situationen Helfen kann als George und ich. Carlos hat die Scheiße mit dem Mobben auch ertragen müssen und ist ein viel besserer Ansprechpartner. Und trotzdem darfst du nie vergessen, dass wir auch immer für dich da sein werden. Wie George sagte. Viel wissen wir noch nicht über die verschiedenen psychischen Erkrankungen, aber das werden wir ändern, um dir bestmöglich beistehen zu können. Wir haben dich lieb Lan. Seit wir Krabbeln können, gehören wir zusammen. Und das wird weder deine Erkrankungen noch deine Gedanken kaputt machen können."

+

Nun hatte es doch länger gedauert als geplant. Aber nachdem er schon bei der Verabschiedung von George und Alex länger mit diesen gequatscht hatte, waren es danach seine Eltern, die sich erkundigten, ob alles in Ordnung sei.

Zwar hatte er ihnen nicht alles erzählt, aber einen großen Teil von dem, was sie vier geredet hatten und wie es zu seinen chaotischen Zusammenbrüchen gekommen war. Lando konnte seinen Eltern ansehen das diese wirklich stolz darauf waren, dass er ihnen das erzählte und auch ehrlich damit umging, wie er sich den Nachmittag über gefühlt hatte und das Carlos viel dazu beigetragen hatte das sie einen halbwegs angenehmen Nachmittag gehabt hatten.

Während seine Eltern mit den Vorbereitungen zum Abendessen Anfangen wollten, wollte er selbst schnell unter die Dusche. Carlos hatte sich zum Telefonieren mit seinen Eltern zurückgezogen, was er auch nachvollziehen konnte.

Natürlich waren seine Gedanken immer mal wieder zum Auslöser seines kleinen Zusammenbruches geschweift.

Wann würde Carlos Abreisen?

Wie würde er die räumliche Trennung verkraften?

Aber erneut war es der Spanier der effektiv dafür gesorgt hatte, dass er nicht ein weiteres mal in ein schwarzes Loch fiel. Die Gefühle für Carlos drohten in diesem Moment überzulaufen, so sehr dankte Lando diesem.

Tief in seinen Gedanken versunken, hatte Lando sich frische Unterwäsche geschnappt, öffnete seine Badezimmertür voller Elan, nur um in Bruchteil weniger Sekunden wie erstarrt innezuhalten und zu starren.

Hitze stieg ihm in den Kopf, während sein Herz einen neuen Weltrekord in Pochen aufstellen wollte.

„Ic-Ich...Entschuldigung..."

Schwungvoll schmiss er die Tür zu, drehte sich um und flüchtete in sein Bett. Beschämt schnappte er sich sein Kissen und presste den heißen Kopf in dieses.

„Mi Amor."

Lando bekam fast keine Luft, als er das Kissen fester gegen seinen hochroten Kopf presste. Wie peinlich war das bitte?

„Hey. Lando."

Stumm schüttelte er den Kopf, spürte wie Carlos sich neben ihn auf das Bett setzte. Warme Finger schlossen sich um sein Handgelenk, er blieb aber stur, wollte das Kissen nicht loslassen. Wie sollte er Carlos den in die Augen schauen können, nachdem er diesen gerade nackt gesehen hatte? Es war zwar nur das Seitenprofil, aber Carlos war NACKT gewesen, die Haare gerade mit einem Handtuch abtrocknen.

„Es tut mir leid. Ich wusste nicht das du Duschen wolltest."

„Nicht doch mi Amor. Wenn es jemanden leidtut, dann mir. Ich hatte mitbekommen das du noch mit deinen Eltern redest und wollte die Zeit für eine schnelle Dusche nutzen. Ich habe nicht überlegt die Dusche auf dem Flur zu nehmen."

Als die Badezimmertür so plötzlich schwungvoll geöffnet wurde, hatte er sich erschrocken, obwohl es eigentlich nur Lando sein konnte. Der verschreckte Blick des Jüngeren ging ihm durch Mark und Bein, da auch ein gewisser Funke in den Augen lag, welchen Lando selbst wahrscheinlich nicht wahrnahm, da dieser mit seiner Schüchternheit und Verlegenheit die Tür auch sofort wieder zugeschmissen hatte.

„Bitte Lando. Es ist muss dir nicht peinlich sein. Du hast doch nichts gesehen, was du nicht kennst."

„Doch. Ich...ich habe in der Schule nach dem Sport immer gewartet, bis die anderen fertig waren, weil ich mich für meinen Körper geschämt habe. Ich glaube ich habe erst einmal einen anderen Jungen nackt unter der Dusche gesehen und das war nicht schön. Das hat mir noch deutlicher vor Augen geführt was für einen hässlichen, dünnen Körper ich habe. Dich zu sehen..., dass..."

Behutsam hatte Carlos es geschafft das Kissen zu entfernen, was noch lange nicht hieß das Lando ihn auch anschaute. Verbissen kniff dieser die Augen zusammen während der armen Lippen unter den Zähnen leiden mussten.

Es würde nichts bringen, weiterhin auf Lando einzureden. Diesem war das ganze so peinlich, das es in dessen Kopf wahrlich wieder wild durcheinander ging, weswegen Carlos sich für seine altbekannte Taktik entschied.

Er hatte sich nur rasch Shorts und ein Shirt übergezogen, dirigierte Lando in eine liegende Position und legte sich direkt neben diesen. Schweigend legte er die Hand auf den Hinterkopf des Jüngeren, kraulte durch die wilden Locken, während er den warmen Atem Landos an seinem Hals fühlen konnte.

So kurz vor Weihnachten war heute in vielerlei Hinsicht ein sehr ereignisreicher Tag gewesen.

TBC...

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