"Beste Freunde & Gespräche"
„Geht es dir gut?"
„Ich weiß nicht genau."
„Du bist aufgeregt?"
„Das auch. Und nervös. Dabei habe ich doch keinen Grund dazu. Ich kenne George seit der Krabbelgruppe."
Zärtlich strich Carlos durch seine Haare, während er sich wohlig an dessen Brust schmiegte. Irgendwie hatte Lando nicht das Bedürfnis schnell aus dem Bett zu kommen. Sie waren gut eine halbe Stunde schon auf, aber keiner von beiden wollte den anderen wirklich loslassen oder den Schutz ihrer eigenen kleinen Welt verlassen.
Nachdem Lando erst noch gedacht hatte, er hätte sich Carlos nur eingebildet, war die Überraschung doch groß, nachdem er aufgewacht war und er in den Armen seines Spaniers lag, der ebenfalls seelenruhig schlief. Hatte er sich den Älteren also doch nicht eingebildet.
Das ihn das Geschenkekaufen so Anstrengen würde, war erschreckend. Er war völlig kaputt nachdem sein Dad und er wieder zu Hause waren. Der Schlaf hatte ihn eingenommen, kaum das er in seinem Bett gelegen hatte. Dabei war es gerade kurz nach Mittag gewesen, als sie es endlich wieder nach Hause geschafft hatten.
„Ich finde es gut, dass du George vor ein paar Minuten geschrieben hast."
„Meinst du wirklich?"
„Ja, mi Amor. Du hast dein Handy genommen, hast kurz und knapp dein Anliegen geschildert und abgeschickt, bevor du noch hättest, länger Nachdenken können. Du möchtest diese Aussprache mit George und ich kann das wirkliche Nachvollziehen. Ihr kennt euch so lange und es schmerzt, wenn eine geliebte Person so schlimme Dinge sagt und ein Vorwurf macht. Bezogen auf deine Scheu gegenüber anderen Menschen, sind die Freunde die man hat was sehr Wertvolles und Wichtiges. Außerdem glaube ich, dass du Alex nicht wehtun möchtest, sollten George und du euch nicht mehr Vertragen. Dein Denken wird beinhalten, das Alex zwischen euch hin und her gezogen würde und das willst du nicht. Habe ich Recht?"
Sanft setzte Carlos seine Lippen auf die lockigen Haare, welche seinen Hals kitzelten. Mit Lando so vertraut liegen zu können war noch immer fernab von der Realität, aber es war hauptsächlich Lando der die Nähe und den Körperkontakt von sich aussuchte. Und mit jedem Mal, mit jedem Kuscheln wurde die Zuneigung und Liebe zu dem Briten größer, aber auch der Stolz über diese kleinen Erfolge.
„Ich kann doch nicht von Alex verlangen, dass er zwischen George und mir entscheidet, oder dass er mich nur noch allein Besuchen darf. Beide sind mir wichtig, auch wenn ich es ihnen eigentlich noch nie so richtig gesagt habe. Aber sie stehen mir bei, seit wir Krabbeln konnten. Manchmal bereue ich es sehr, dass ich mich ihnen nicht anvertraut habe. Aber selbst meinen besten Freunden gegenüber habe ich oft ganz viel Scham, Verlegenheit und Unsicherheiten verspürt. Und es war mir unangenehm, dass ich eben auf keine so geile Schule gekommen bin wie Alex und George. Die beiden wissen noch nicht mal, dass ich sehr gern in der Graphik und Design unterwegs bin, das ich einen Traum vom Graphikstudium habe."
Seufzend bemerkte Lando gar nicht, wie er sich etwas drehte und sich direkt auf Carlos schob. Gedanklich war Lando schon bei dem Gespräch mit George, weswegen er seine Tätigkeiten kaum selbst wahrnahm, aber dafür Carlos umso mehr. Liebevoll legte er die Arme auf Lando's Rücken, streichelte diesen, während sein Freund leise schnurrte und damit eine angenehme Gänsehaut auf seinen ganzen Körper auslöste.
„Mein Wort steht mi Amor. Wenn du möchtest, werde ich bei eurem Gespräch dabei sein."
„Ich weiß. Das ist lieb von dir. Aber ich glaube da muss ich allein durch. Ich möchte dieses Vier Augen Gespräch mit George, aber ich möchte auch das Alex und du in der Nähe bleibt."
Es behagte Carlos nicht das Lando sich allein mit George Unterhalten wollte, aber er wollte seinem Freund nicht Bevormunden und schon gar nicht wollte er Lando abhalten, selbständige, wichtige Entscheidungen zu treffen. Vielmehr wollte er die Entscheidungen und Schritte bestärken und bestätigen.
+
„Du wirkst genauso nervös wie Lando. Machst du dir Sorgen?"
„Nicht direkt Sorgen. Seit dem Vorfall haben die beiden nicht mehr miteinander geredet. Lando hat jegliche Versuche von George abgeblockt und irgendwann hatte George keinen Mut mehr um Lando zu Schreiben."
Das Carlos war nicht weniger nervös als sein Freund oder Alex, mit welchen er sich in den großen gemütlichen Wintergarten zurückgezogen hatte. Lando war mit George in seinem Zimmer und würde hoffentlich die Antworten bekommen, die er so dringend benötigte.
„Dich nimmt das ganze auch sehr mit, nicht wahr?"
„Natürlich. Wie sollte es nicht? Ich kenne beide seit der Krabbelgruppe. Uns Drei gab es immer nur zusammen. Schon damals haben Georgie und ich für Lando eingestanden und kleinen Hosenscheißer klar gemacht, dass man unseren Freund nicht schubst und ärgert. Das die beiden jemals so aneinandergeraten würden, habe ich in meinen schlimmsten Träumen nicht erwartet. Es tut weh, wenn der Freund und der beste Freund im Streit sind und man selbst zwischen den Stühlen sitzt."
Nickend pflichtete Carlos dem Jüngeren bei. Es musste für Alex eine blöde Situation sein, hin und her gerissen zwischen George und Lando.
„Du bist schon ziemlich lange hier."
„Ja."
„Weil Adam und Cisca dich darum gebeten haben? Oder wegen Lando?"
„Beides. Ich wollte vor Weihnachten nach Hause Fliegen, da ich ja schon ein Fremder bin, auch wenn ich schon ein wenig hier in England bin. Adam hat gefragt, ob ich bleiben möchte."
„Aber Lando spielt auch eine Rolle? Ihr beide seid sehr vertraut, dafür das du erst wenige Wochen hier bist. Und scheinbar weißt du ja wirklich viel mehr als wir alle hier."
„Natürlich spielt Lando eine tragende Rolle. Ich habe ihn von Anfang an versprochen für ihn da zu sein, wollte mich eben aber nicht über die Feiertage aufdrängen. Und das Vertraute zwischen Lando und mir hast du sehr gut beobachtet. Und das, wo du mich heute erst das zweite Mal siehst und wir das erste Gespräch miteinander führen."
Als George und er das Haus betreten hatten, war Alex sofort die Zweisamkeit und Vertrautheit zwischen Lando und Carlos aufgefallen. Ihr Kindheitsfreund stand dem Spanier sehr nahe, sie berührten sich fast und Lando's sehnsüchtiger Blick, nachdem George und dieser nach oben und er mit Carlos in den Wintergarten gegangen war, würde er auch nicht vergessen. Dieser hatte schon deutliche Zeichen gesendet.
„Ich mag dich Alex, du scheinst ein aufrichtiger und ehrlicher Mensch zu sein. Und ich weiß, wie wichtig du Lando bist. Er vermisst dich. Aber auch George."
„Ich wollte dich nicht dumm Anmachen oder Angreifen. Aber es ist echt ein scheiß Gefühl, wenn ein fast Fremder mehr erreichen kann als man selbst. Schon im Freizeitpark warst du George und mir vor raus, wusstes sofort die Signale zu deuten und hast Lando vor noch schlimmeren bewahrt. Wir wussten bis vor kurzen nicht einmal, was Lando in der Schule alles durchgemacht hat. Und das ist wirklich verdammt schwer zu verkraften. Ich fühle mich scheiße als bester Freund. Wir haben vollkommen versagt."
„Ihr habt nicht versagt."
„Und wie nennst du es dann, wenn der beste Freund richtig schlimm gemobbt wird und nichts davon erzählt? Lando ist massiv schikaniert, geschlagen, bespuckt und beleidigt wurden. Ihm wurden hässliche und widerliche Sachen gesagt. Aber haben George und ich davon was mitbekommen? Haben wir mehrmals nachgeharkt, wenn uns blaue Flecken aufgefallen sind und Lando mit einer Ausrede kam? Nein, wir haben uns abspeisen lassen, haben den Ausflüchten glauben geschenkt und nicht einmal hinterfragt, warum Lando nie wollte das wir ihn mal von seiner Schule abholten. Wir haben es auch nicht hinterfragt, dass er uns nie Schulkammeraden vorgestellt hat. Wir haben einfach immer alles hingenommen, weil Lando immer lächelnd versichert hat, das alles in Ordnung sei."
Besorgt erhob Carlos sich und setzte sich neben den aufgelösten Jungen, nahm Alex behutsam in die Arme und drückte diesen an sich.
„Alex es ist nicht eure Schuld. Es ist auch nicht Lando seine Schuld. Es sind seine Krankheiten. Ihr hättet nichts tun können, solange Lando nicht von sich aus auf euch zugekommen wäre. Für Menschen wie Lando, die solch psychischen Erkrankungen haben ist es ein leichtes, das perfekte Außenbild zu präsentieren. Allen und jeden was vorspielen erfordert viel Kraft und Energie, die man eigentlich nicht hat, weil man ständig mit den Gedanken beschäftigt ist, nicht aufzufallen und jeden davon zu Überzeugen das es einem gut geht."
„Ab-aber wir hätten was merken müssen."
„Glaub mir Alex, auch wenn ihr hartnäckig geblieben wärt, hätte Lando sich euch nicht anvertraut. Die Scham war viel zu groß."
„Aber warum? Warum hat Lando sich geschämt uns zu sagen das er gemobbt wird? Das er psychisch krank ist?"
„Den genauen Grund wird nur Lando kennen. Psychische Erkrankungen sind nicht gleich psychische Erkrankungen. Lando ist sehr unsicher mit sich selbst und seinem Körper. Das ist euch aufgefallen?"
„Ja. Aber Lando war schon immer dünn. Aber die letzten Wochen war es richtig massiv, aber er hat auch da wieder eine Ausrede gefunden die George und ich ihn abgenommen haben. Aber Lando hat auch, was von Sozialphobie erzählt und dass er sich selbst nie berücksichtig."
„Lando denkt immer erst an andere und möchte das sie ihn mögen, dass sie nicht schlecht über ihn denken, deswegen sagt er zu Sachen ja, die er gar nicht möchte. Er denkt in den meisten Fällen nie an sich. Lando war lange der Meinung das er nichts Wert ist, dass es niemanden gibt der einen hässlichen Jungen wie ihn lieben könnte. Sein Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein ist sehr gering und dann die vielen, wirren und chaotischen Gedanken, die nur für Lando Sinn ergeben. Aber die für uns Außenstehenden manchmal schwer zu verstehen sind."
„Lando ist wirklich sehr krank, oder?"
„Ja, so hart es klingen mag. Depressionen, Angstzustände, Sozialphobie und Magersucht sind sehr ernste Krankheiten. Leider sehen das auch heute noch viele Menschen nicht so. Und auch deswegen hat Lando sich nie jemanden anvertraut, weil er in seinen Kopf denkt das er unnormal ist, weil er niemanden belästigen wollte, weil er nicht wollte das man mit dem Finger auf ihn zeigt oder über ihn tuschelt."
Schwer seufzend lehnte Alex sich an Carlos. Vielleicht war es nicht der passende Moment, um Schutz und Halt in den Armen eines Fremden zu suchen, aber Alex spürte das Carlos aufrichtig war, das Lando wirklich verdammt wichtig für den Spanier war.
„Du Carlos? Sind Lando und du zusammen?"
„Dazu äußere ich mich nicht. Das obliegt allein Lando."
„Okay. Aber, solltet ihr zusammen sein würde ich das schön finden. Ich mag dich nämlich auch und ich habe vorhin gesehen wie Lando dich angeschaut hat. Ihr wärt ein sehr schönes Paar und ich glaube das du Lando verdammt guttust, in vielerlei Hinsicht."
„Vielen Dank Alex."
Für ein paar Minuten herrschte angenehmes Schweigen. Carlos hielt den Jüngeren weiterhin in seinen Armen während Alex versuchte seine Gedanken zu ordnen.
„Wird man Lando helfen können?"
„Ja, auf jeden Fall."
„Wird Lando die Hilfe annehmen?"
„Ja. Wir haben lange darüber geredet. Adam und Cisca sind da auch sehr unterstützend und werden alle Hebel in Bewegung setzten, um die richtige Therapie für ihren Sohn zu finden."
„Können George und ich auch was tun? Lando Unterstützen?"
„Bleibt seine Freunde. Alex ihr beide habt so einen hohen Stellenwert in Lando's Leben. Vielleicht ist Lando das selbst gar nicht so bewusst, weil ihr einfach schon seit Ewigkeiten zu seinem Leben dazu gehört. Ich bin der Meinung das man nicht unzählige Freunde braucht, man braucht nur die Richtigen. Und wenn das zwei Jungs sind, dann reicht das vollkommen. Was bringen die falschen Freunde, von denen man viele haben kann? Diese Freunde werden es nicht ehrlich mit dir meinen. Diese schmerzhafte Erfahrung hat Lando selbst am eigenen Körper erfahren. Seit weiterhin für ihn da und Seit weiterhin für ihn da und behandelt ihn jetzt nicht wie ein rohes Ei, oder legt jedes Wort auf die Goldwaage. Redet ehrlich mit ihm, auch über seine Krankheiten und Gefühle. Lando wird das wahrscheinlich unangenehm sein, aber sich jemanden Anvertrauen ist so wichtig."
+
„Warum?"
Die kurzweilige Trennung von Carlos war ihm schwergefallen und er hatte sich an die Worte seines Freundes erinnert, dass sie das Gespräch auch zusammenführen konnten. Aber das wollte Lando nicht. Er wollte sich, aber auch allen anderen Beweisen, das er dieses Gespräch auch allein schaffen würde.
Nun aber saßen George und er sicherlich schon 10 Minuten in seinem Zimmer und von seinem ehemals besten Freund kam noch nicht ein Wort.
„Warum George? Erkläre es mir. Warum hast du all die Scheiße zu mir gesagt? Warum hast du mir Vorwürfe gemacht und gesagt, ich wäre am Mobben selbst schuld? Und warum bist du so dermaßen auf Carlos losgegangen, ohne diesen überhaupt zu kennen? Was hat dich dazu veranlasst mich so zu Verletzen?"
George fühlte sich hilflos und schuldig. Er wusste, dass er überreagiert hatte und das seine Worte verletzend gewesen waren. Er konnte die Enttäuschung und den Schmerz in Landos Augen sehen und es brach ihm das Herz.
„Es tut mir leid, Lando.", sagte George leise. „Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich war überfordert, fühlte mich hilflos und übergangen und habe all meinen Frust an dir ausgelassen. Es war falsch von mir und es gibt nichts, was meine Worte entschuldigt und trotzdem hoffe und bete ich, dass du mir Verzeihen kannst."
Lando sah George lange an, bevor er langsam nickte. „Ich verstehe, dass du verletzt warst, enttäuscht und sicher auch geschockt, aber das rechtfertigt nicht, wie du mit mir umgegangen bist."
„Es tut mir so leid, dass ich dich im Stich gelassen habe. Ich hätte aufmerksamer sein sollen und früher erkennen müssen, was du durchgemacht hast. Es tut mir leid, dass du das alles allein durchstehen musstest und dass du dich nicht an uns wenden konntest. Du warst nicht allein und wir hätten für dich da sein sollen, aber stattdessen habe ich versagt. Es tut mir leid und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um es wieder gut zu machen und für dich da zu sein. Du verdienst so viel mehr als das, was du durchgemacht hast, und ich werde, mein Bestes tun, um dir zu helfen und dich zu unterstützen. Bitte verzeih mir Lando."
Er musste sich selbst immer wieder daran erinnern, dass George und Alex damals einfach überfahren wurden, er hatte sein besten Freunden ungeschönt hingeknallt, was er seit Jahren durchmachte und wie er zwei der wichtigsten Menschen in seinem Leben belogen hatte.
„Es ist und war nie eure Schuld George."
„Aber es fühlt sich so an."
„Es ist mein Kopf und meine Gedanken, die daran schuld sind. Ich hätte mich euch jederzeit Anvertrauen können und gewusst, dass ihr sofort geholfen hättet. Ihr hättet alles stehen und liegen gelassen. Das wusste ich damals schon."
„Und warum hast du nie um Hilfe gebeten? Nie erwähnt was man dir körperlich und mental alles angetan hat?"
Traurig zuckte Lando mit den Schultern.
„Ich habe mich geschämt, wollte nicht dass ihr schlecht über mich denkt. Ich wollte euch keine unnötigen Sorgen bereiten."
„Ab-aber du hast so gelitten? Wie...wie hast du das alles aushalten können? Lando du hattest blaue Flecken, du bist verprügelt und bespuckt wurden. Ich verstehe nicht, wie du das Ertragen konntest, ohne was zu sagen."
„Ich habe es still in meinem Zimmer ertragen. In der Schule wollte ich nie auffallen, nie im Mittelpunkt stehen. Als Lewis und seine Jungs Angefangen haben mich zu Mobben und zu Schikanieren hatten sie ziemlich leichtes Spiel. Gewehrt habe ich mich nicht wirklich, aus Angst vor den Jungs. Und ich hatte ja keine Freunde auf der Schule, die sich vielleicht stark gemacht hätten für mich. Und einfach jemanden Ansprechen ist nicht mein Ding. Ich weiß nicht, wie ich es dir sonst erklären soll. Da ist eine große Blockade in meinem Kopf, mit ganz vielen, wirren und manchmal schlimmen Gedanken, die mich daran hindern mich jemanden anzuvertrauen. Ich bin es nicht Wert das man sich für mich einsetzt, dass man sich stark für mich macht oder mir hilft. Ich habe das alles verdient."
„Lando..."
„Nicht George. Bitte lass mich ausreden, bevor ich wieder keinen Mut habe. Ich weiß denke ich, was du sagen willst, aber bitte lass mich erst zu Ende reden."
„Okay."
„Ich habe immer zwanghaft versucht nicht aufzufallen. Und wenn mich jemand wahrgenommen hat, habe ich versucht dazu zu gehören. Ich wollte nie Außenseiter sein, habe immer Ja und Amen gesagt, obwohl ich in den meisten Fällen nicht wollte, aber bevor man hinter den Rücken über mich sprach, habe ich einfach mitgemacht. Das war nicht oft, weil ich vielen nicht aufgefallen bin. Außer eben Lewis, Kevin, Nico und Pierre. Die haben sofort bemerkt das ich das perfekte Opfer bin. Ich wusste das sie es nicht gut mit mir meinten, habe mich trotzdem zu allem Überreden lassen, weil es ja die coolen Jungs waren, die überall Ansehen hatten. Und was gab es Besseres für einen hässlichen, mickrigen Jungen wie mich, als das die coolen Jungs mich bei sich haben wollten?"
Fest presste George sich die Hand vor den Mund um nicht laut zu Schluchzen. Er kannte schon einen Teil von Landos Geschichte, als er Alex und diesen belauscht hatte. Aber Auge in Auge allein mit Lando zu sein und aus dessen Mund zu hören was geschehen war und wie es in ihm selbst aussah, war fast zu viel. Er konnte seine Emotionen nicht zurückhalten, wobei sich die Schuldgefühle mehr den je durch seine Eingeweide fraßen.
„Alex und du seit meinem einzigen richtigen Freunde. Ich wollte euch nicht verlieren. Es hat mir Angst gemacht, dass ihr mich vielleicht anders sehen könntet, dass ihr anders mit mir umgehen würdet, wenn ihr von meinen psychischen Problemen gewusst hättet. Die Essstörung selbst ist nicht so schlimm, aber ich weiß eben auch das ich viel zu dünn bin. Nachdem Kevin mal versucht hat mir Nahe zu kommen und ich das nicht wollte, meinte er das niemand mit einem hässlichen, fetten Kerl wie mir was Anfangen würde. Wenn man mich Ficken wolle, müsste man ja noch drauf Zahlen und das wäre ich nicht Wert. Das hat mich so getriggert das ich ständig auf die Waage gegangen bin, dass ich kaum noch was gegessen habe, und bei jedem Pickel habe ich fast geheult, weil es mich nur noch unattraktiver gemacht hat. Und dann gab es Alex und dich."
Es gab noch eine Steigerung von der Hölle die Lando durchgemacht hatte? George spürte, wie ihm Übel wurde und die Tränen gar nicht mehr aufhörten zu laufen.
„Uns?"
„Ihr seht so gut aus. Du bist voll groß, hast lange Beine und eine schlanke Statur. Dein Gesicht ist hübsch und wenn du lächelst, fühlt sich nicht nur Alex geschmeichelt. Du bist ein hübscher Mann. Und Alex auch. Seine leicht gebräunte Hautfarbe, mit den brauen Augen und dem ebenfalls schlanken Körper, macht sicher Männer und Frauen verrückt. Ich habe mich so oft hässlich neben euch gefühlt und mich geschämt, dass ich neidisch und eifersüchtig auf meine besten Freunde war. Dabei sollte ich doch dankbar sein, dass zwei so lebenslustige und kontaktfreudige Menschen wie ihr beide es seid, überhaupt mit mir befreundet sein wollt."
Die Stille, die sich ausbreitete, nachdem er fast alles erzählt hatte, fühlte sich schrecklich an. Unruhig rutschte Lando auf seinem Bett hin und her, während George noch immer mit den Tränen kämpfte.
Nun saß er da, mit einem Klos im Hals und einem Gefühl der Panik, das ihn fast überwältigte. Er wusste nicht, ob es wirklich gut gewesen war George so gut wie alles zu erzählen. Würde George verstehen, dass er sich verloren und verwirrt gefühlt hatte? Das er sich manchmal nicht einmal selbst verstand?
Er spürte Georges Blick auf sich ruhen, spürte die Erwartung in der Luft, die er allein mit seiner Stille nicht erfüllen konnte. Er räusperte sich, versuchte die Worte zu finden, die er brauchte, um sein Innerstes zu offenbaren. Doch blieben ihn die Worte versagt.
„Es tut mir leid, George", begann Lando leise, kaum hörbar. „Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, dir das alles zu erzählen. Du findest mich jetzt sicher krank und abstoßend. Carlos meinte ich soll alles erzählen, es würde mir guttun und helfen."
Entgeistert schüttelte George den Kopf, erhob sich vom Stuhl und setzte sich neben Lando, legte die Arme um den Jüngeren und drückte diesen fest an sich.
„Ich könnte dich niemals abstoßend finden Lando. Ich bin so froh, dass du mir erzählt hast, was in dir vorgeht, was dich beschäftigt. Gerne wäre ich schon viel früher für dich da gewesen, hätte versucht dich gegen die Mobber zu Unterstützen oder gegen die Essstörung. Ich glaube dir, dass es wirklich sehr schwer für dich gewesen sein muss mir das alles zu erzählen, umso dankbarer sollte ich Carlos sein. Er hat einen sehr großen Anteil daran, dass wir heute hier sitzen und du mir das alles erzählt hast, oder?"
Selten bis gar nicht ließ er Körperkontakt zu. Selbst George und Alex kamen nicht oft in diesen Genuss, aber jetzt gerade genoss es Lando in den Armen seines besten Freundes sein zu dürfen, ohne Angst haben zu müssen das George ihn verurteilte oder dies nur aus Mitleid tat.
„Ich wollte unseren Streit vor Weihnachten aus dem Weg haben. Und ich wollte Antworten. Carlos hat mich bestärkt, mich Unterstützt. Und er wäre auch nicht von meiner Seite gewichen, wenn ich ihn bei diesem Gespräch dabeigehabt hätte, wollen."
„Weißt du Lando, als mir bewusst wurde das du Carlos so sehr vertraust, dass du diesem viel anvertraust, hat mir das so wehgetan. Ich bin dein bester Freund. Mir hättest du das alles anvertrauen sollen und keinen Fremden Kerl, der gerade paar Tage da war und den du gar nicht kanntest. Das hat mich so wütend gemacht und gleichzeitig war ich so enttäuscht das du nicht zu Alex und mir dieses Vertrauen hattest."
„Deswegen bist du so auf Carlos losgegangen?"
„Ja. Es tut mir leid, das war absolut bescheuert und dumm. Vielmehr sollten Alex und ich uns bei Carlos bedanken, dass er es geschafft hat an dich heranzukommen."
„Aber damals fühlte sich das nicht so an?"
George lachte leise. „Nein, damals hätte ich Carlos gerne eine geknallt und ihm gesagt, dass er sich verpissen soll. Du gehörst zu Alex und mir und kein daher gelaufener Typ nimmt dich uns weg, nur weil er dir im Park geholfen hat und irgendwie auch Erfahrungen in der Sache hat, die dich betrifft."
Sollte er George erzählen das mittler Weile mehr zwischen Carlos und ihm war? Durfte er ohne Carlos Erlaubnis erzählen das sie ein Paar waren? Grübelnd schmiegte Lando sich unbewusst näher an George, fühlte im Bauch dieses aufregende Kribbeln, wenn man einer wichtigen Person, was ganz besonderes wichtiges Erzählen wollte.
„Alex und du müsst euch mit Carlos verstehen. Er geht nicht weg. Hoffe ich."
„Carlos bleibt über Weihnachten?"
„Ja. Aber das meine ich nicht."
„Sondern?"
„Er ist mein Freund."
Es verging sicher keine Minute, aber in Landos Kopf spielten sich schon die schlimmsten Szenen ab. Hektisch versuchte er sich aus der Umarmung zu lösen, brauchte und wollte Abstand zwischen George und sich bringen. Schon die Offenbarungen seiner Krankheiten waren zu viel und nun hatte er dem anderen auch noch erzählt schwul zu sein und mit Carlos eine Beziehung zu führen. George kam sich doch jetzt nur noch mehr verarscht vor.
Kein Zappeln half. George hielt ihn an Ort und Stelle, schob eine Hand in Landos Nacken und kraulte diesen sanft.
„Hey ruhig, Lando. Alles ist gut.", flüsterte George beruhigend, während er Lando festhielt. „Ich habe dich lieb und das wird sich nie ändern, egal was passiert." Langsam ließ er Lando los und sah ihm tief in die Augen. „Vertrau mir, dass ich immer für dich da sein werde. Du bist für mich immer noch unser kleiner Lando. Alex und ich werden dich auch weiterhin Beschützen und jetzt mehr den je auf dich Acht geben und Helfen, wo immer wir können. Das ändert sich nicht, nur weil du schwul bist und mit Carlos zusammen bist. Oder weil du psychische Probleme hast. Alex und ich sind auch schwul und ein Paar. Erinnerst du dich daran, wer unser Nummer Eins Supporter ist? Wer uns vor allen beschützen wollte, wenn es nur dumme Blicke und Kommentare nach unserem Outing gegeben hätte?"
Schmunzelnd wischte George unter den Augen entlang, entfernte die Tränen, während eine feine Röte sich auf Landos Wangen ausbreiteten.
„Du erinnerst dich an unseren Supporter?"
„Ich."
„Genau. Du warst es Lando. Du hast Alex und mich vom ersten Moment mit voller Leidenschaft und Herzblut unterstützt. Wir lieben dich Lando, du bist so viel mehr als nur ein bester Freund. Du bist wie ein kleiner Bruder, wie Familie. Und Familie beschützt sich, ist füreinander da. Alex und ich werde dir alles geben, was uns möglich ist. Ob du Ratschläge oder Tipps für deine Beziehung mit Carlos brauchst oder jemanden der dir zuhört, wenn deine Gedanken wieder gemein werden. Wir sind da. Das hätten wir schon immer sein sollen. Wir können die Vergangenheit nicht mehr ändern, aber die Gegenwart und Zukunft. Wenn du es zulässt und möchtest, werden wir an deiner Seite sein, dir mit Therapien helfen, mit Gesprächen oder allen anderen, was dir gut tun wird."
Lando schluckte schwer, spürte die Tränen in seinen Augen brennen. Er nickte langsam und flüsterte leise. „Ich vertraue euch. Und ich brauche euch. Ich möchte nicht mehr allein Kämpfen. Ich bin so müde und kaputt von meinen inneren Konflikten. Ich möchte einfach glücklich sein. Glücklich mit meinem Körper, mit meinen Gedanken, mit meinem Leben und meinen besten Freunden und meinem Freund. Mehr möchte ich nicht. Das ist nicht zu viel verlangt, oder George?"
George lächelte sanft und strich Lando über die Wange. „Nein, das ist nicht zu viel verlangt Lando. Ich verspreche dir, dass wir das hinbekommen werden. Alex und ich sind immer für dich da, wir unterstützen dich. Und wir fangen dich auf, wenn du drohst zu fallen."
Die beiden umarmten sich wieder, dieses Mal war Lando ruhiger und konnte Georges Nähe genießen. Er war dankbar, dass er Freunde wie George und Alex an seiner Seite hatte, die ihn bedingungslos liebten, obwohl er sie lange belogen hatte. Es gab ihm die Kraft, seine Ängste und Sorgen zu überwinden und sich geborgen zu fühlen.
TBC...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top