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8 (Emily Baker)

Darauf achtend, dass die kleinen niedlichen Schüsseln mit dem Dessert nicht vom Tablett rutschen, lief Livia langsam auf den Tisch zu, der sich langsam und stetig mit Essen füllte. Das Tablett passte noch gerade so auf den vollbeladenen Tisch. Als alles fertig war, ließen wir drei uns erschöpft aufs Sofa fallen. Schließlich brach das Getümmel aus. Jeder nahm sich etwas von dem köstlich riechenden Essen. Als Schlusslicht waren wir drei an der Reihe. Hastig füllten wir unsere Teller und ließen uns auf unsere Plätze fallen. Nachdem wir fertig waren, brachten wir unsere Sachen in die Küche und stellten diese in die Spülmaschine. Mit knappen Worten sagten wir, dass wir in Livias Zimmer gingen. Alle nickten synchron. Wir ließen uns Aufs Bett fallen. Kurz warf ich einen Seitenblick auf Livia. Sie sah ziemlich blass aus. Nicht, dass sie wieder einen hysterischen Anfall bekam.
«Livia? Ist alles ok bei dir?», fragte Lara schließlich, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
«Jaja, schon gut. Wieso fragst du?», wollte sie wissen und pfriemelte erneut Schnüre aus dem weichen Teppich.
«Weil du so geistesabwesend bist», meinte Lara kopfschüttelnd und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
«Lasst uns doch etwas machen», schlug ich vor und wollte Livia somit auf andere Gedanken bringen.
«Und was stellst du dir da so vor?», fragte Livia und warf die Fäden in den Müll. Dann ließ sie sich aufs Bett plumpsen und schaute mich an.
Ich zuckte mit den Schultern. «Da wird uns doch bestimmt etwas einfallen.»
Bevor einer der beiden etwas sagen konnte, öffnete sich die Zimmertür und eine Frau trat ein. Unschlüssig blieb sie im Türrahmen stehen. Hastig sprang Livia auf und führte sie in ihr Zimmer. Dabei warf sie mir einen Seitenblick zu. Ich schaute fragend. Erst als ich die lautlosen Worte verstand, begriff ich. Also sprang ich auf und nahm meine Tante Selen in die Arme. Sie war wohl die jüngste von den dreien. Danach ließ ich mich aufs Bett fallen. Selen hockte sich auf den Boden. Livia schloss die Tür.
«Und? Wie läuft die Schule?», fragte unsere Tante. Wir drei seufzten gleichzeitig auf. Sie lachte leise in sich hinein. «Ich konnte die Schule auch nie leiden. Und doch habe ich es geschafft.»
«Du hast's gut. Wir sind noch in der zehnten. Dann geht's ans Abi und danach an die Uni», plapperte Livia drauf los.
«Das mit deinem Vater tut mir leid. Ich hatte irgendwie vergessen, dass er so ein... naja. Du weißt ja, was ich meine ist.»
«Sag's ruhig. Er ist ein Arschloch! Das kannst du sagen. Außerdem sehe ich ihn nicht als Vater.»
«Ich kann auch mal mit ihm reden, wenn du möchtest.»
«Nein, lieber nicht», sagte Livia in einem abfälligen Ton. «Wer weiß, wie er dann drauf ist. Außerdem habe ich keine Lust wie Brei zu enden, wenn er mich erwischt und vermöbelt.»
«Du hast es mitbekommen. Stimmt's?»
Aus Livias Gesicht wich jegliche Art von Farbe.
«Woher?»
«Das war so ein Gefühl von mir.»
«Bitte sag es niemandem.»
«Ich werde schon nichts sagen. Da mach dir mal keine Sorgen.»

......

Wir saßen auf unseren Plätzen, als dieser Dylan die Klasse betrat. Er sah schon ziemlich heiß aus. Aber mein Typ war er nicht. Livia und ich hatten uns zu Lara begeben und redeten über alles Mögliche. Die Klassentür öffnete sich und jemand kam herein.
«Bitte setzt euch auf eure Plätze!», riefen Frau Schmidt und Herr Berger im Chor. Wir beeilten uns so schnell wie möglich auf unsere Plätze zu kommen.
«Wie ihr wisst, beginnt heute die Projektwoche», fing Herr Berger an, der unser stellvertretender Klassenlehrer war. «Heute werden wir einen Gast dabei haben. Er wird euch alle Fragen zur Schauspielerei beantworten. Eigentlich waren es zwei, doch der eine hat kurzfristig absagen müssen.»
Erneut öffnete sich die Tür. Alle Blicke landeten auf meinem Vater. Na super. Ich verzog das Gesicht. Livia neben mir konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Daraufhin kniff ich ihr in die Seite.
«Au!», schrie sie und knuffte mich. Es artete zu einem kleinen Kampf aus.
«Livia! Emily! Aufhören!», rief Frau Schmidt. «Sie können beginnen, Herr Baker.»
Der ellenlange Vortrag meines Vater brachte mich beinahe zum einschlafen. Livia riss mich aus meinen Gedanken und flüsterte mir etwas ins Ohr.
«Er guckt andauernd zu dir herüber. Sei nicht so auffällig in deinen Gedanken und hör ihm wenigstens zu.»
«Aber...»
Ich kam nicht weit, denn etwas krachte mit voller Wucht auf die Tischplatte, sodass ich zusammenzuckte. Augenblicklich schrie ich auf. Natürlich waren dann alle in hellem Aufruhr. Sie blickten sich zu mir um und schauten, als hätten sie nichts anderes vor.
«Emily Baker! Raus!»
Gelangweilt stand ich auf, schob den Stuhl an den Tisch und verließ betont langsam den Klassenraum. Draußen stellte ich mich vor die Tür und lauschte mit einem Ohr dem Gerede meines Vaters.
Ich zuckte zusammen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Flink wirbelte ich herum und sah in eisblaue Augen, die mich genervt anstarrten.
«Bist du jetzt auch mal auf die Idee gekommen die Tür freizugeben!», zischte er mich an.
«Wer bist du eigentlich, dass du dir so etwas erlaubst!», giftete ich ihn an. Seine Blickte erdolchten mich fast. Aber aus der Fassung bringen ließ ich mich nicht.
«Wer bist du eigentlich, dass du so frech bist! Hmm?»
«Ich wüsste nicht, was dich das angeht, mein Lieber!»
Seine Gesichtszüge spannten sich sichtlich an, doch darauf ging ich nicht ein. Ich provozierte einfach weiter.
«Wen das hier keine verdammte Schule wäre, dann hätte ich dich dafür windelweich geprügelt», knurrte er und kam mir dabei immer näher. «Du weißt wohl nicht, wen du hier vor dir hast.»
Ich zuckte mit den Schultern und blickte ihm nicht einmal ins Gesicht.
«Auch wenn ich es wüsste, dann hätte ich schon etwas gesagt. Oder nicht?»
«Du kleine...»
«Wag es nicht!», zischte mein Vater, der aus dem Klassenraum kam und sich schützend vor mich stellte. Die Tür hatte er hinter sich geschlossen. Ich beobachtete das Szenario aus einem geringen Abstand.
«Ach. Das ist also deine Tochter», sagte er abfällig und musterte meinen Vater von oben bis unten. «Du hast dich ja verändert, mein Lieber.»
«Du aber ebenfalls», sagte mein Vater und sah ihn so intensiv an, das ich dachte, er würde ihm gleich eine aufs Maul hauen.
«Dein liebes Töchterchen weiß wohl nicht, wie sie mit Leuten umzugehen hat», zischte er und ich konnte seine Mine nicht deuten. Doch eines wusste ich jetzt. Ich hatte es drauf ankommen lassen, mich mit meinem Onkel und Livias Vater anzulegen. Ach. Du. Scheiße. In was hatte ich mich denn da reingeritten? Vor allem quälte mich die Frage, wie ich denn in so eine missliche Lage gekommen war.
Du hättest doch mal besser hinsehen müssen, meine Liebe.
Ach halt' du deine klappe. Du hättest mich doch auch mal vorwarnen können. Aber das hieltest du ja nicht für nötig.
Ich habe es versucht, aber du hast dies alles ja ignoriert.
Darauf erwiderte ich nichts. Stattdessen ging ich in die Klassen und ließ die beiden Männer allein im Flur zurück. Da konnte ich ja nicht ahnen, dass sie sich prügelten.

......

«Hast du dich also wieder beruhigen können, Emily?», fragte Herr Berger und blickte mich so intensiv an, dass ich meinen Kopf senken musste, um ihm nicht in die Augen zu schauen.
Ich nickte. «Es geht wieder. Ich werde auch nichts mehr tun.»
Na ob das gut ging, wusste ich selbst nicht. Gerade als Frau Schmidt zum reden ansetzen wollte, hörten wir es. Fragend sah ich zu Livia und dann zu Lara. Die Jungs standen hastig auf, um nach dem Störer zu schauen, doch fanden am Fenster nicht die Störenfriede.
«Das Geschrei muss vom Flur kommen», sagte ich leise zu Livia.
«Da hast du recht. Aber was ist da vorgefallen? Prügelt sich da jemand?»
«Ich gehe mal nachschauen. Ihr bleibt im Klassenzimmer und rührt euch nicht vom Fleck, bis ich wieder da bin.»
Kurz blickte Herr Berger zu Frau Schmidt herüber. Diese schaute ihn ebenfalls kurz an. Dann gingen beide.
«Cem Gül und Ayden Baker prügeln sich», jauchzte einer der Jungen, der sich genau neben der Tür befand. Sofort sprangen wir alle auf. Warum prügelte sich mein Vater mit dem von Livia? War etwa doch etwas vorgefallen, von dem ich nichts wusste?
«Ihr sollt doch drin bleiben!», rief Herr Berger laut aus. «Setzt euch! Sofort!»
Nachdem sich der Letzte gesetzt hatte, schloss Herr Berger die Tür.
«Das hätte ich Zugern gesehen», sagte Max und rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Sein Kumpel nickte zustimmend. Dylan, der Neben uns saß verzog das Gesicht angewidert.
«Ihr hab Spaß daran, wenn sich Leute die Fressen einschlagen?», fragte er laut in die Runde. Wir hatten beschlossen die Stühle in einem Kreis anzuordnen. Da die Lehrer eh draußen waren und sich um die Prügelnden kümmerten, war das was wir im Augenblick taten ja eh egal. Jeder der Jungs schaute zu Dylan, der wiederum nur mit den Schultern zuckte. Irgendwas hatte der Kerl an sich. Aber was es war, hatte ich noch immer nicht herausgefunden.
«Das sind zwei berühmte Personen und deren Kinder sitzen hier im Klassenraum und schauen nicht einmal zu, wie sich ihre Väter an die Gurgel springen. Außerdem muss man doch mal miterlebt haben, wie sich zwei berühmte Schauspieler verprügeln», warf Max ein und klatschte sich mit seinen Kumpels ab.
«Wie wir wissen», fuhr einer der beiden Marks fort, «hat Cem ein kleines Drogenproblem, welches er nicht unter Kontrolle bekommt. Außerdem war er ihm Knast, weil er seine Schwestern angeblich körperlich misshandelt haben sollte. Ob das stimmt, weiß keiner. Außerdem wollte sich dazu keiner der beiden Schwestern äußern. Es kursiert auch das Gerücht, dass er seine Schwestern geschlagen haben soll.»
«Mark!», rief Lara. «Es reicht jetzt! Hör auf damit!»
«Warum soll ich denn aufhören, meine liebe Lara? Das ist doch die Wahrheit», meinte Mark und blickte sie herausfordernd an. Urplötzlich sprang Livia auf und stellte sich vor ihn.
«Mark», begann sie mit leiser Stimme. Jetzt wusste ich was kommen würde. Nein, eigentlich nicht. Aber ich war gespannt. «Jetzt hör mir mal zu. Alles, was du über meine Tanten gesagt hast, ist zwar die Wahrheit aber ich wüsste nicht, dass dich das was angeht. Außerdem ist mein Erzeuge nicht der, für den ihr ihn alle haltet!»
Somit war die Diskussion beendet. Livia stürmte an den anderen vorbei, raus aus dem Zimmer. Ich hörte nur noch, wie Herr Berger etwas zu ihr sagte, doch den Rest bekam ich schon gar nicht mehr mit, denn die Tür fiel ins Schloss, sodass die Wände erzitterten. Langsam stand ich ebenfalls auf und schaute Lara an, die ihren Stuhl an ihren Tisch schob. Gemeinsam verließen wir die Klassen und schlossen leise die Türen. Bevor irgendeiner der Lehrer etwas sagen konnte, sagte Lara: «Wir gehen nach Livia schauen.»
Sie zerrte an meinem Arm und wir rannten die Flure entlang. Wir fanden Livia auf einer der Mädchenklos. Es hatte seine Zeit gebraucht, bis wir sie beruhigt hatten und sie aus dem Klo bekamen. Langsam gingen wir zur Klasse zurück. Auf dem Weg trafen wir niemanden an. Livia sah echt elend aus. Vielleicht sollte sie doch nach Haus, um sich auszuruhen. Dies war heute ein echt beschissener Tag gewesen und sie brauchte jetzt jemanden mit dem sie über alles reden konnte. Sie sollte mit ihrer Tante reden oder mit dem Mann ihrer Tante. Wie hieß er gleich nochmal? Ach stimmt ja, Pierre. Ja genau, das war sein Name. Er kam ja auch aus Frankreich.
«Ihr könnt jetzt gehen», sagte Frau Schmidt mit durchdringender Stimme. «Morgen seid ihr alle um Punkt acht Uhr hier. Habt ihr verstanden?»
Wir nickten synchron und schnappten uns unsere Sachen. Mit den anderen verließen wir das Schulgebäude.
«Habt ihr noch etwas vor?», fragte Lara in die Stille hinein und sah von einem zum anderen.
Ich schüttelte den Kopf. «Nö, eigentlich nicht. Wieso fragst du?»
«Weil ich Lust habe mit euch ins Kino zu gehen.»
Livia blickte auf. «Welcher Film?»
«Na der neue mit Johnny Depp natürlich. Oder habt ihr keine Lust?», meinte Lara lachend. «Von mir aus kann es jetzt losgehen. Oder habt ihr noch was vor?»

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