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7 (Melek Gül)
Es waren einige Tage nach der mysteriösen Vorfall mit Bella vergangen. Sie benahm sich eigentlich wie immer. Die Betonung liegt auf EIGENTLICH. Etwas ging in ihrem Kopf vor. Aber was es war, wusste ich nicht. Sie war ja so stur und sprach nicht darüber. Anscheinend wollte sie es selbst lösen.
Du willst ihr also bei ihrem angeblichen Problem nicht zur Seite stehen?
Ich musste den Kopf über meine innere Stimme schütteln. Die Sachen, die ich mir bereit gelegt hatte, wollte ich irgendwie doch nicht mehr anziehen. Also legte ich sie in den Schrank zurück und suchte mir etwas Eleganteres für die Messe heraus. Es war ihre erste Buchmesse, wo sie ihre Bücher verkaufen würde. Ich war schon so gespannt und freute mich für Bella, weil sie es endlich geschafft hatte. Ich hoffte nur, dass mein Bruder nicht aufkreuzte. Denn der machte ihr das Leben gerade voll zur Hölle. Das sah ich ihr an. Als ich alle meine Sachen zusammen gesucht hatte, zog ich mich um und schminkte mich dezent. Natürlich wollte ich nicht furchtbar aussehen, wenn ich dort hin ging. Mit Tasche und Handy ging ich aus der Wohnung und verschloss die Tür hinter mir. Ich setzte mich in den Bus und fuhr zum U‑Bahnhof, denn mit der U2 wollte ich zum Messegelende fahren. Ich stieg aus dem Bus aus und machte mich auf den Weg zur U-Bahn, die nicht weit von hier war. Als sie ankam - das wurde auch mal Zeit - stieg ich ein und setzte mich noch auf einen freien Sitzplatz. Die lang ersehnte Station wurde angesagt. Ich stieg aus und ließ den Bahnhof hinter mir zurück. Es waren viele Menschenmassen auf dem U‑Bahnhof gewesen. Ich hatte sie alle hinter mir gelassen und stürmte nun auf den Ausgang zu, der vor mir lag. Nur dumm das ich nicht hinsah, wohin ich lief. Geradwegs rannte ich prompt in jemanden hinein. Missmutig wurde ich von der Person angeschaut.
«Pass doch auf wo du hinläufst», blaffte er mich an.
«Oh Entschuldigung», zischte ich bissig zurück. Ohne mich weiter zu beachten ging er an mir vorbei und ich schüttelte über diesen Typen den Kopf. Der hatte ja so gar keine Manieren. Wie ich solche Leute hasste!
Es war voll in der Halle, wo Bella ihre erste Lesung halten würde. Ich konnte sie schon entdecken. Mit schnellen Schritten ging ich auf sie zu und zog sie in eine kurze Umarmung.
«Schön, dass du kommen konntest», sagte sie herzlich und für einen winzigen Moment glaube ich, dass sie das geschehene von vor einigen Tagen vergessen hatte. Denn es sah nämlich so aus, als wäre nichts passiert. Zwar hatte sie mir nicht erzählt was vorgefallen war, aber vielleicht würde sie das irgendwann einmal tun.
«Hörst du mir überhaupt zu?», fragte Bella und kniff mir in die Seite, woraufhin ich aufschrie.
«Sorry, war in Gedanken», gab ich knapp von mir. «Was hast du gesagt?»
«Nichts, nichts. Schon gut. Erzähle ich dir ein anderes Mal. Muss dann mal los. Mich vorbereiten. Du kannst dich ja schon mal setzen, wenn du magst.»
Ich nickte und setzte mich auf einen der Plätze. Nach und nach füllte sich die Halle mit jungen Mädchen und einer Scharr von Presseleuten, die Fotos schossen.
«Und nun hören wir einen Ausschnitt von einem Buch, das von einer frischen Einsteiger-Autorin geschrieben wurde», begann der Moderator. «Wir bitten Bella Baker nach vorne.»
Tosender Applaus durchschnitt die Stille, die in der nicht zu großen Halle lag. Bella kam hervor und lächelte in Richtung des Publikums.
«Würden Sie uns kurz etwas über ihr Buch erzählen, Frau Baker?», wollte der Moderator wissen.
«Gerne», meinte Bella und lächelte. Die Erstausgabe ihres Romans lag vor ihr und wartete schon darauf vorgelesen zu werden. Als sie mit ihrer Erzählung fertig war, schlug sie das Buch auf und begann zu lesen. Es war einfach der Hammer.
«...Die Frau mit langen, schwarzen Haaren saß auf dem Sofa und blickte ins Leere. Etwas hatte sich über ihre Gesichtszüge gelegt. Eine Weile beobachtete der Mann sie dabei und stand schließlich auf um das Weite zu suchen. Die Angst, die sich in ihm breit machte, konnte man nicht beschreiben. Etwas war mit der Frau geschehen. Aber was? Er wollte es nicht herausfinden. ...Sie saß am Rande einer Brücke und starrte ins Leere. Bilder ihres angeblich perfekten Lebens zogen an ihren Augen vorbei. Sie hatte ihre Augen geschlossen und ließ es über sich ergehen. Schließlich holte sie tief Luft und sprang. Den Brief an ihre Eltern hatte sie schon geschrieben und auf dem Tisch hinterlegt. Die letzte Frage, die in ihrem Kopf herum geisterte, war „Ob sie mich vermissen würden, wenn ich nicht mehr auf der Welt weilen würde?" Dann krachte ihr Körper ins eiskalte Wasser und trieb auf der Oberflächte des Sees. ...Als die Polizisten die Wasserleiche entdeckten, waren sie schockiert. Wieso hatte sich eine dreizehnjährige umgebracht? Was hatte sie dazu veranlasst sich das Leben zu nehmen? Wie sollten sie es den Eltern beibringen? Ob es Mord war? Aber das konnten sie ausschließen, denn sie hatten die Leiche im See entdeckt. Tagelang trieb sie schon im See und die genaue Ursache des Mordes konnten sie noch nicht ermitteln. Aber eine Obduktion würde Lichts ins Dunkel bringen. Sie machten sich auf den Weg und kamen geschlagene zwei Stunden später am Haus der Eltern des Mädchens an. Einer der beiden Polizisten klingelte an der Tür des Anwesens. Schon bald öffnete eine zierliche Frau die Tür und blickte hoffnungsvoll in die Gesichter der Polizisten, die in das Haus traten. „Haben Sie unsere Tochter gefunden?", wollte ein Mann wissen, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war und hinter der Frau stand. Anscheinend war das der Vater des Mädchens. „Es tut uns leid Ihnen das zu sagen, aber wir haben nur die Leiche ihrer Tochter gefunden", meinte Officer Mathews sachlich. Geschockt sahen die Eltern die beiden Beamten an. Die Frau wischte sich die Tränen vom Gesicht und der Mann schlug gegen die Wand, sodass die Haut an seinen Fingerknöcheln aufplatzte und begann zu bluten. „Ich glaube es nicht!", brüllte der Vater und schaute zwischen Mathews und seinem Kollegen hin und her. ...»
Es setzte Applaus ein, nachdem sie fertig gelesen hatte. Ich war begeistert von ihrem Buch. Jetzt wusste ich, wieso sie mir vorher nichts davon erzählt hatte. Es sollte eine Überraschung werden. Diese ist ihr gelungen. Aber so was von. Mehrere Hände schossen in die Höhe, als es zu den Fragen kam. Bella zeigte auf ein Mädchen mit einer blauen Schleife im Haar.
«Wird es eine Fortsetzung geben?», wollte das Mädchen mit der blauen Schleife im Haar wissen. Bella lächelte leicht.
«Ob es eine Fortsetzung geben wird, weiß ich nicht. Aber man weiß ja nie. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Mal schauen.»
Eine Journalistin mischte sich ins Geschehen mit ein. Sie stand vor Bella und fragte: «Wie sind Sie zu diesem Titel gekommen?»
«Der ist mir einfach so eingefallen. Ich weiß auch nicht.»
Weitere Fragen prasselten auf Bella ein, welche sie mit einer solchen Geduld beantwortete. Das könnte ich nicht. Schließlich liefen sie nach und nach aus der Halle. Ich war die einzige, die noch sitzen blieb um mit Bella ein Wörtchen zu reden. Als keiner mehr in der Halle war, kam Bella auf mich zu und setzte sich neben mich.
«Hier sind wir für eine Weile ungestört», sagte sie. «Maria liest erst in einer Stunde von ihrem neuen Büchlein vor.»
«Dachte du bist im Fantasy-Bereich und nicht im Kriminalbereich.»
«Es ist alles gemischt.»
«Krimi und Fantasy? Wie hast du das in einen Hut bekommen, meine Liebe?»
Bella lachte leise auf. «Das lass mal meine Sorge sein.»
«Deswegen durfte ich nicht rein lesen?»
«Es sollte schließlich eine Überraschung sein.»
«Diese ist dir auch gelungen.»
«Ach hier bist du, Bella.»
Ich zuckte zusammen. Wer war das denn?
«Hallo Renate.»
Bella stand auf und reichte ihr die Hand.
«Das ist der Knaller», sagte Renate und riss Bella in eine stürmische Umarmung. «Wir waren schlichtweg begeistert von deinem Fantasy und gleichzeitig Krimibuch. Und der Name. Wie ist dir das denn in den Kopf gekommen?»
«Irgendwie fragen das mich alle. Das war einfach so da.»
«Du kannst ja noch immer mit Maria ein Buch schreiben. Wie wäre es?»
Bella blickte durch die leere Halle.
«Ich weiß nicht, wie Maria dazu steht.»
«Wie ich dazu stehe?», fragte eine Frau, die wie aus dem Nichts aufgetaucht kam und sich neben dieser Renate auf den Stuhl fallen ließ. Bella blickte zu der jungen Frau und lächelte leicht.
«Du hast es also erhalten?»
Ich war verwundert. Was soll sie erhalten haben?
«Ja, ich habe es bekommen.»
«Und du fandest es nicht gut?»
Still blieb ich auf meinem Platz sitzen und beobachtete das Geschehen aus weiter Ferne. Mich nahm Bella gar nicht mehr wahr. Wie als wäre ich Luft für sie.
«Ich fand das Buch super, Bella. Ich denke, dass es gut wäre, wenn wir gemeinsam an einer Reihe oder einer Serie schreiben würden. Wie findest du es?»
«Wann geht es los?», wollte Bella aufgeregt wissen. Die Frauen lachten leise.
«Lass uns morgen anfangen, wenn du magst. Jeder kann ja ein Kapitel schreiben und so würde es die ganze Zeit über weitergehen.»
Bella nickte. «Aber darüber können wir ja morgen noch einmal in Ruhe reden, wenn es ok für dich ist. Außerdem fängt deine Lesung gleich an. Da will ich dich natürlich nicht stören. Wir bleiben in Kontakt.»
«Dann rufe ich dich einfach an», sagte Maria mit einem Lächeln im Gesicht und reichte ihr die Hand. Sie verabschiedeten sich und dann verließen Bella und ich die Halle.
......
«Hat die Möchtegernautorin ihren Ruhm genossen?», fragte mein Bruder. Bella zuckte merklich zusammen. Sie spannte sich an und sah ihn hasserfüllt an.
«Lass sie in Frieden», zischte ich. Wieso unternahm Ayden denn nichts dagegen?
«Halt dich aus unserer Angelegenheit heraus, Melek!»
«Und wenn nicht? Was dann? Willst du mich in aller Öffentlichkeit schlagen?»
Ich liebte es meinen Bruder zu provozieren. Das machte so einen Spaß, wenn er wütend wurde und es zurückhalten musste. Nur leider gelang ihm das nicht immer.
Du solltest ihn nicht überstrapazieren, wenn du nicht willst, dass er dir eine reinhaut.
«Halt. Deinen. Verfickten. Mund!», zischte er wütend. Meine innere Stimme hatte wohl recht. Ich konnte seine Halsschlagader sehen. Sie zeichnete sich immer bei ihm ab, wenn er wütend war. Ich zuckte mit den Schultern und ging an ihm vorbei. Bella zog ich mit. Ich wollte nicht, dass er sie beleidigte oder ihr etwas antat. Denn das hatte sie nicht verdient.
«Warum so eilig?», wollte Cem wissen und ging mir mal wieder auf die Nerven. Wie gern ich ihm eine verpassen würde. Aber dazu hatte ich nicht den Mut und das wusste jeder von uns beiden genau. Das war schon immer so. Schon von klein auf. So richtig gegen ihn wehren konnte ich mich nicht. Wenigstens hatte ich es geschafft mit der Hilfe von Bella und Ayden aus dem Haus auszuziehen und in eine kleine Wohnung zu gehen. Ohne Bella und ihren Bruder hätte ich es nicht geschafft. Dafür war ich ihnen auf ewig dankbar.
«Geh schon mal vor, Melek», meinte Bella. «Ich komme gleich nach.»
«Ich warte hier auf dich», sagte ich und blieb an Ort und Stelle stehen.
«Er wird mir nicht den Kopf abreißen», sagte sie scherzhaft, aber ich hörte die Angst aus ihrer Stimme heraus. Sie wollte nicht mit ihm allein sein. Das konnte ich spüren.
«Ich weiß. Aber ich bleib trotzdem hier.»
Ich konnte stur bleiben, wenn ich nur wollte. In dem Fall war es so. Ich wollte Bella nicht mit meinem aggressiven Bruder allein lassen.
«Ich komme schon klar», meinte Bella und schaute mich flehend an. Ich seufzte laut und entfernte ich einige Schritte von ihnen. Ich blieb in sichtbarer Nähe, damit ich hören konnte was er zu ihr sagte.
«Ein Wort zur Presse und du bist tot», zischte er. Bella nickte und sah ängstlich aus.
«Was willst du von mir?», wollte sie nach einer Weile wissen.
«Stell es richtig!»
«Ich habe dir doch gesagt gehabt, dass ich der Presse nicht gesagt habe...»
«Mich interessiert nicht was du der Presse gesagt hast!»
Bella zuckte bei seinen scharfen Worten zusammen und sah sich ängstlich um. Anscheinend mochte er es, wenn sie Schiss vor ihm hatte. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass er Dreck am Stecken hatte. Wenn ich nur wüsste was für Dreck. Ob Bella es herausgefunden hatte und deswegen bedrohte er sie jetzt?
«Lüg. Mich. Nicht. An. Bella! Du weißt, dass ich das nicht leiden kann!»
Sie atmete tief ein und aus.
«Warum sollte ich dich belügen, Cem?»
«Das wirst du mir doch hoffentlich sagen.»
«Da gibt es nichts zu sagen», meinte Bella leise und schaute sich unauffällig um. Doch mein Bruder bemerkte dies, denn er ging mit schnellen Schritten auf sie zu und packte sie.
«Wag es nicht», zischte er gepresst. «Du weißt was dann passiert oder?»
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