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6 (Ayden Baker)
Der Tag begann damit, dass meine Schwester mich nervte und dazu brachte, dass sie ihren Führerschein wollte. Ich seufzte, als dies aus ihrem Mund hörte und wandte mich ab, um mir Kaffee in die Tasse zu gießen. Heute war Samstag und ich war froh frei zu haben. Nun saß ich auf der Couch und blickte auf den flimmernden Screan des Fernsehers. Meine Schwester kam ins Wohnzimmer herein und setzte sich neben mich auf die Couch.
«Ayden?»
«Hm?»
«Kann ich dir mal was sagen?»
«Was denn?»
Fragend blickte ich sie an. Bella senkte den Blick und verzog das Gesicht.
«Schieß los!», forderte ich Bella auf und legte ihr einen Arm um die Schultern.
Bella schüttelte den Kopf. «Egal. War eh nichts Wichtiges. Außerdem habe ich es eh vergessen.»
Sie stand auf und verließ schlagartig das Wohnzimmer. Es war mir ein Rätsel das sie sich so verhielt. Aber ich unterdrückte den Gedanken und ging in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Den würde ich jetzt brauchen. Als ich ins Wohnzimmer gehe wollte, klingelte es an der Tür. Genervt ging ich mit dem Kaffee in der Hand an die Tür und öffnete sie. Wütend schaute ich ins Gesicht von Cem. Dieser zuckte nur mit den Achseln und schob mich zur Seite. Mit meiner freien Hand packte ich ihn an den Schultern und hielt ihn zurück.
«Was suchst du hier?», zischte ich ihn an.
«Ich wollte mich entschuldigen», kam es aus seinem Mund. Ich lachte los.
«Bitte?», fragte ich ihn und ließ den Typen frei.
Du glaubst dem doch nicht wirklich, dass er sich entschuldigen will oder?
Nein, natürlich nicht. Warum sollte ich ihm das den abkaufen? Was viel meiner inneren Stimme ein so etwas zu sagen. Das kotzte mich so an. Cem blickte mich an. Wie ich diesen Jungen hasste. Am liebsten würde ich ihn hier und jetzt verprügeln wollen.
«Verzieh dich, bevor ich die die Presse einschlage!», zischte ich Cem an und schob ihn in Richtung Tür. Mit gesenktem Blick verließ er die Wohnung und mit Kaffee in der Hand ging ich ins Wohnzimmer. Als ich mich auf die Couch fallen ließ, nahm ich genüsslich einen Schluck des Kaffees. Leider war dieser schon kalt geworden, aber naja.
«Ayden?»
Ich schrak hoch. Bella stand vor mir und blickte mich an. Ich hatte nicht einmal bemerkt, wie sie hereingekommen war.
«Ayden?»
Sie packte meine Schultern und schüttelte mich leicht.
«Was!», blaffte ich sie an.
«Ich dachte du kannst ihn nicht leiden», bemerkte sie kühn.
Ich seufzte lautstark und wollte damit zeigen, dass ich gar keine Lust auf eine Konversation hatte.
«Hörst du mir überhaupt zu?», fragte sie.
«Was willst du», zischte ich. «Mach schnell!»
«Seit wann versteht ihr euch?»
Sie war mal wieder neugierig. Bella regte mich total auf. Konnte sie nicht einmal ihre Fresse halten und mich einmal in Frieden lassen?
Das ist deine Schwester.
Wie gern ich meine innere Stimme ausschalten würde.
«Bella», fing ich an und blickte intensiv in ihr Gesicht. «Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein. Es geht dich nichts an mit wem ich mich verstehe und mit wem nicht. Ich bitte dich, wenn er mal herkommt, keine Scheiße zu bauen.»
Sie verzog ihr Gesicht und verließ gereizt das Wohnzimmer. Die leere Tasse brachte ich in die Spüle und verzog mich in mein Zimmer. Ich schaute mir die Texte an, die ich auswendig lernen sollte.
......
(Sicht eines außenstehenden)
Ein junger Mann stand vor seinem Anwesen und blickte gedankenverloren in die Luft. Kinder rannten an ihm vorbei. Einige blieben stehen, um sich ihn genauer anzusehen. Grinsend kamen einige Mädchen, die etwas sechzehn waren, an ihm vorbei. Als sie ihn entdeckten kamen sie zurück und blieben vor ihm stehen. Der Mann bemerkte dies und setzte seine alltägliche Maske auf, die er immer aufsetzte, wenn ihn jemand erkannte.
«Kriegen wir ein Foto mit dir?», fragte einer der drei Mädchen. Er nickte und schoss mit jedem der drei ein Foto. Lächelnd und fröhlich gingen sie an ihm vorbei. Die Maske blieb noch für kurze Zeit, dann fiel sie.
Ich hatte diesen Mann schon seit einigen Tagen beobachtet. Man sagt sich vieles über ihn. Er soll seine Schwester geschlagen haben und schon für einige Tage im Gefängnis gewesen sein. Ob dies so wirklich passiert war, wusste keiner. Eine Frau kam an mir vorbei und ging auf ihn zu. Sofort war das reglose Gesicht seiner Maske wieder aufgetaucht. Ich fragte mich, wie er dies so schnell machte. Anscheinend war er darin geübt. Die Beiden unterhielten sich über belanglose Dinge. Nur einige Wortfetzen konnte ich verstehen.
«Hast du es?», hatte sie ihn gefragt. Daraufhin hatte er genickt und etwas aus seiner Tasche geholt. Die Frau entriss es ihm und wollte sich gerade damit aus dem Staub machen, als er sie am Arm zurückzog.
«Die Kohle», zischte er. Kaum merklich zuckte sie zusammen und das Lächeln erlosch.
«Ich reich sie dir nach», meinte sie und wandte sich aus seinem Griff. Er packte sie fester am Arm. Ob ich einschreiten sollte? In dem Moment kam eine weitere Frau dazu. Sie kam mir bekannt vor.
Es kann sein, dass du sie in deinem Kurs kennengelernt hast.
Das konnte wirklich sein. Sie blieb wenige Meter vor mir stehen. Anscheinend kannte sie ihn, denn ihr Gesicht verzog sich zu einer genervten Miene.
«Die Kohle!», schrie er jetzt und blickte finster zu ihr. Noch immer hatte er sie in seinem Griff und ließ nicht locker, bis er das Geld hatte, was sie ihm noch schuldete.
«Ich hab nichts», sagte sie wimmernd und blickte ängstlich zu Boden. Ein kleines Kind kam angerannt.
«Mami», rief es und klammerte sich an das Bein ihrer Mutter. Sein Blick wanderte von ihr zu dem kleinen Kind. Die Frau riss die Augen weit auf. Schnell hielt er ihr den Mund zu. Er hielt ihr den Mund zu. Tränen rannen ihr über das zarte Gesicht. Das kleine Kind, welches sich noch immer an seine Mutter klammerte, sah ängstlich hin und her.
«Wer ist das?», fragte er abschätzend und zeigte mit einem Finger auf das kleine Kind neben der Frau. «Ich lasse dich jetzt los. Wehe du rennst weg oder schreist.»
Dann wandte er sich dem Kind zu. Er blickte sich und war nun auf Augenhöhe mit dem Kind, welches ihn ängstlich anschaute.
«Musst du nicht nach Hause?», fragte er. «Ein kleines Kind hat um diese Uhrzeit nichts draußen zu suchen. Geh zu deinen Eltern nach Hause. Na komm schon.»
Die Frau, die ich irgendwoher kannte, kam nun auf mich zu. Fragend blickte ich zu ihr.
«Wollen Sie nicht eingreifen?», wollte ich wissen. Sie zuckte mich den Achseln.
«Er ist nicht mein Freund wenn Sie das denken.»
Ich schüttelte den Kopf. «Nein, Frau...»
«Baker. Bella Baker. Zukünftige Autorin des Himmel‑Verlags.»
Ich lächelte. «Freut mich Frau Baker. Dann sind wir ja bald Kolleginnen.»
Bella lächelte und reichte mir ihre Hand.
«Über was schreiben Sie?», fragte sie mit heller Begeisterung. Schon bald war die Szene, die sich einige hundert Meter weiter von uns abspielte vergessen.
«Fantasy», meinte ich grinsend. «Außerdem können Sie ruhig du zu mir sagen. Ich bin Larissa.»
Bella nickte. «Und seit wann bist du bei dem Himmel‑Verlag eingestellt?»
«Seit zehn Jahren.»
«Zehn Jahre?»
Ich nickte. «So alt bin ich doch gar nicht.»
«Nein, nein. So meinte ich das doch nicht Larissa.»
«Bella, ich weiß», meinte ich und blickte rüber. Das Szenenbild hatte sich geändert. Der Mann, der einen braunen Teint hatte, hielt das Kind fest, welches mit seinen kurzen Armen nach seiner Mutter fasste. Diese blieb wie erstarrt stehen und sah ihn bittend an. Was sie sagten, konnte ich nicht verstehen. Auch Bella schaute herüber. Nicht das er dem Kind etwas antun will. Die Frau entdeckte uns und kam mit schnellen Schritten auf uns zu. Wütend blickte sie Bella an.
«Was stehen Sie hier noch so rum!», keifte sie. «Sagen Sie ihrem Freund oder Mann, dass er mein Kind loslassen soll!»
In dem Moment drang ein Schrei an meine Ohren. Bella blickte zwischen mir und der Frau hin und her. Bevor sie was sagen konnte, hatte die Frau Bella gepackt und in die Richtung von dem Mann geschoben, der das Kind anscheinend verletzen wollte. Bellas Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten. Aber ich sah, wie sie auf ihn zuging und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Sein Kopf drehte sich in ihre Richtung und er sah gar nicht erfreut aus. Um alles verstehen zu können, ging ich einige Meter vor.
«Was willst du!», zischte er sie an und hielt das Kind noch immer in seinem Griff.
«Was hat dir das arme Kind getan, Cem?»
«Fick. Dich!»
«Lass es los oder willst du noch eine Anzeige kassieren und für immer im Knast schmoren?»
Sein Blick verfinsterte sich. Heftig stieß er das wimmernde Kind von sich und blickte Bella an. Diese seufzte nicht vor seinem wütenden Blick, sondern blieb standhaft. In der Zwischenzeit kam das kleine Kind zu mir und seiner Mutter. Diese nahm es in seine Arme und ging ohne etwas zu sagen davon. Ich blieb stehen und beobachtete das Szenario was sich mir bot. Nun musste ich noch ein paar Fotos von den beiden schießen und es meinem Chef schicken, damit er dies auf die erste Seite des Magazins packen konnte. Er hatte mir aufgetragen über diesen Schauspieler Cem Gül zu schreiben. Natürlich konnte ich ihm den Gefallen nicht abschlagen, denn jede Journalistin wünscht sich einmal ein Interview mit ihm zu machen oder über ihn einen Bericht zu verfassen. Die Chance hatte ich jetzt. Auf gar keinen Fall durfte ich sie aufs Spiel setzen. Meine Tarnung als angebliche Autorin hatte ja super bei der Frau geklappt. Ich holte die Kamera aus meiner Tasche und ging noch einige Schritte näher. Trotzdem blieb ich unentdeckt. Schnell schoss ich einige Fotos und verließ dann den Schauplatz. Ein siegessicheres Lächeln lag auf meinen Lippen, als die das Büro meines Chefs betrat und ihm die Fotos präsentierte.
......
(Ayden Baker)
«Der dreiundzwanzigjährige Schauspieler Cem Gül ist anscheinend in Drogendelikte verstrickt. Heute wurde er mit einer Frau gesehen. Man hat uns gesagt, dass er der Frau ein Tütchen gegeben hätte. Ob es wirklich Drogen waren, ist fraglich. Anscheinend hatten die beiden Geldprobleme. Denn als die Frau das Geld nicht rausrückte, hatte Cem Gül das Kind der Frau attackiert, bis seine Freundin kam und er das Kind losließ.»
Cem und Drogen? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Wie aufs Stichwort hämmerte es gegen die Wohnungstür. Nicht das sie gleich aus den Angeln fliegen würde, wenn er oder sie so weiter machte. Ich machte den Fernseher aus und ging zur Tür, welche ich öffnete. Vor mir stand ein wütender Cem.
«Wo ist sie?», platzte es aus ihm. Fragend blickte ich ihn an. «Wo ist sie?»
«Wen suchst du denn? Deine Schwester ist vor kurzem erst ausgezogen und wohnt jetzt wo anders.»
«Scheiß doch mal auf Melek!»
Er schlug gegen die Wand. Was hatte er denn für Fasen? War er etwa betrunken oder so?
«Wo ist deine Schwester?»
Was wollte er denn von Bella?
«Nicht hier. Wieso fragst du?»
Sein Blick verfinsterte sich ums das Dreifache. Irgendwas ging hier vor. Aber was?
Vielleicht hat es was mit der Nachricht zu tun, die sie im Fernsehen gebracht haben.
«Ayden!»
«Was!»
«Wo. Ist. Bella?»
«Nicht hier. Das habe ich dir auch gesagt.»
Damit ihn nicht die ganze Nachbarschaft sah, wenn er austickte, ging ich zur Seite und ließ ihn in die Wohnung.
«Wenn du mir nicht sagst, wo sich deine scheiß Schwester aufhält, dann...»
«Dann was?», unterbrach ich ihn wütend. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Anscheinend war Bella wieder da.
«Wo ist die kleine Schlampe?», zischte Cem. In diesem Moment platzte mir der Kragen. Wie konnte er es wagen meine Schwester als Schlampe zu bezeichnen. Der erste Schlag war ein glatter Treffer ins Gesicht. Es war mir so was von klar, dass Cem sich dies nicht gefallen ließ. Mir war auch klar, dass er zurückschlagen würde. Das hatte er dann letztendlich auch getan.
«Was ist hier los?»
Bellas Stimme drang an mein Ohr. Cem ließ von mir ab, ging mit langsamen und drohendem Blick auf Bella zu, die nicht zurückwich.
«Was hast du mit meinem Bruder gemacht?»
Seine blauen Augen blickten sie wütend an. Er kam ihr noch näher. Nicht, dass er ihr eine Ohrfeige verpasste. Dann würde er es erleben. Niemand schlägt meine Schwester.
«Was fällt dir eigentlich ein!», brüllte er sie an und erhob die Hand. Blitzschnell stand ich auf und schob ihn bei Seite. Bella hatte einen verwirrenden Blick auf gesetzt. Sie wusste von nichts.
«Was soll ihr einfallen?», fragte ich ihn und hielt seine Arme fest, damit er nicht auf sie losgehen konnte.
«Wie kannst du der Presse sagen, dass ich dein Freund wäre!»
Bella riss den Mund weit auf.
«Was?»
«Willst du mich eigentlich verarschen?»
«Ich weiß nicht, wo von du redest Cem.»
Cems Blick wurde düsterer, als er schon war. Wenn ich ihn nicht festgehalten hätte, dann wäre er wahrscheinlich auf meine Schwester losgegangen. Das hätte ein böses Ende nehmen können.
«Wovon redest du eigentlich?», ging ich dazwischen, damit sie sich nicht Sachen an die Köpfe werfen konnten. Die beiden durfte man auf gar keinen Fall allein lassen. Denn das würde böse enden. Da hatten wir schon eine Erfahrung hinter uns. Zwar waren wir da noch kleiner, aber trotzdem. Daran kann ich mich noch gut erinnern.
«Halt dich daraus!», zischte Cem mich an. «Das geht nur mich und deine Schwester was an!»
«Ich weiß nicht was du meinst, Cem», gab Bella von sich und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Sie war eine ansehnliche Frau. Das durfte ich mir doch erlauben zu sagen oder nicht? Als Bruder muss ich ihr doch Komplimente geben dürfen oder ist das jetzt verboten? Kurz schweiften meine Gedanken ab.
«Sag die verdammte Wahrheit du kleines Miststück!»
Die Worte flogen nur so aus seinem Munde. Er war Bella jetzt deutlich näher gekommen und wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre, hätte er sie bestimmt geschlagen. Dies wollte ich riskieren.
«Ich wüsste nicht, wovon du da redest, mein Lieber.»
Bella bewegte sich auf sehr dünnem Eis ihm gegenüber. Sein Blick sagte alles. Es war schwierig ihn fest zuhalten, denn er wehrte sich gegen meinen festen Griff.
«Du kleine ...»
Bella blickte ihn fragend an. «Ich was? Komm schon. Spuck es aus.»
Er verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse und wehrte sich noch immer.
«Lass mich los!», knurrte er.
«Warum sollte ich?», wollte ich wissen. «Damit du meine Schwester verprügeln kannst? Nein danke. Das lasse ich nicht zu.»
......
«Bella! Wo bist du?»
Ich rief nach ihr, aber sie reagierte mal wieder nicht. Verdammt. Wo blieb sie denn solange? Das einkaufen kann doch nicht so lang dauern oder?
Vielleicht ist ihr ja was passiert.
Das glaube ich nicht.
Und wenn dieser Cem sie entführt hat?
Das würde er sich nicht wagen.
Das weißt du ja nicht.
Ich schüttelte über die Worte meiner inneren Stimme den Kopf und lief in der Wohnung auf und ab. Ich hatte versucht sie auf dem Handy zu erreichen aber es ging keiner ran. Ob ich in ihr Zimmer gehen sollte um nach zu schauen? Nein, lieber nicht. Ich machte mir voll Sorgen um meine Schwester. Dann endlich klingelte das Telefon. Wie vom Blitz getroffen stand ich auf und hechtete mir großen Sprüngen zum klingelnden Telefon und ging atemlos an den Hörer.
«Ayden Baker am Apparat? Mit wem spreche ich?»
Nichts. Nur ein leises atmen. Was war hier los?
«Wer ist da?», fragte ich mit angespannter Stimme. Meine Nerven lagen blank. «Das ist nicht lustig!»
Das Piepen holte mich in die Wirklichkeit zurück. Die Person hatte aufgelegt. Wut erfasste mich. Ich schlug auf den Tisch. Als ich gehen wollte, klingelte es erneut. Wütend nahm ich ab.
«Weißt du was mit Bella ist?», fragte Melek in den Hörer. «Wir wollten uns schon vor einigen Stunden bei mir treffen um einiges zu besprechen. Aber als ich sie angerufen habe, ist sie nicht rangegangen. Ist sie vielleicht hier?»
«Bella wollte zu dir?», fragte ich und versuchte mich irgendwie abzuregen.
«Ja, wieso fragst du? Ist sie denn nicht zu Hause?»
Ich schüttelte den Kopf.
«Ayden?»
Ich zuckte zusammen. «Was ist los?»
«Ist Bella bei dir?»
«Nein, sie ist nicht zu Hause.»
«Verdammt!», brüllte Melek in den Hörer, sodass ich ihn vom Ohr halten musste. «Vielleicht wurde sie ja entführt. Oh Gott. Wir müssen die Polizei anrufen.»
«Wo bist du?», fragte ich und zog mir nebenbei meine Sachen an. «Ich komme dich abholen und dann fahren wir ins Präsidium.»
«Lass uns am U-Bahnhof Steglitz treffen. In der Nähe des Schlosses, ok?»
«Ok, dann warte am Eingang des Schlosses auf mich. Bin so schnell wie möglich da.»
«Dann bis gleich.»
Ich gab ein knappes „Tschüss" von mir und dann legte ich auf. Das Telefon hängte ich wieder in die Ladestation zurück. Mein Handy schnappte ich mir vom Tisch und ging zum Auto. Dann drückte ich aufs Gas. Als ich ankam, war Melek noch nicht in Sichtweite. Ich lehnte mich an die Tür des Autos und schaute gelangweilt durch die Gegend. Wo blieb denn Melek? Hatte sie sich verspätet? Genau in dem Moment erblickte ich einen schwarzen Haarschopf, der auf mich zu rannte und mir in die Arme fiel. Ich drückte Melek fest an mich. Dann stiegen wir ins Auto. Ich war froh, dass die Presse es nicht auf uns abgesehen hatte. Das war auch gut so.
......
«Was kann ich für Sie tun?», fragte ein Polizist, als wir im Präsidium ankamen.
«Wir glauben das eine Freundin von uns entführt wurde», fing an Melek zu berichten.
«Und wie heißt ihre Freundin?», wollte er wissen und schaute uns argwöhnisch an. Anscheinend glaubte er ihr nicht.
«Bella Baker», sagte ich und blickte ihn lange an. «Sie ist meine Schwester und die beste Freundin von Melek.»
Der Polizist nickte. «Warum glauben Sie, dass ihre Schwester entführt worden wurde?»
«Weil sie schon längst bei mir gewesen wäre, wenn es nicht geschehen wäre!»
Melek war aufgebracht und hatte Tränen in den Augen.
«Kann es sein, dass ihre Freundin noch auf dem Weg zu Ihnen ist?»
Melek schüttelte den Kopf. «Dann wäre sie schon da. Außerdem geht sie nicht an ihr Handy. Können Sie es nicht orten und herausfinden wo sie sich befindet?»
«Seit wie vielen Stunden ist ihre Freundin oder ihre Schwester denn nicht mehr erreichbar und nicht aufzufinden?»
Ich musste nachdenken. Um zwölf Uhr hatte sie das Haus verlassen und seitdem war sie nicht mehr aufgetaucht.
«Um zwölf hat meine Schwester das Haus verlassen», begann ich und lief im Raum umher. Die Sorgen um Bella machten mich wahnsinnig. «Seitdem ist sie nicht mehr da.»
«Es tut mir leid es Ihnen sagen zu müssen, aber dagegen können wir nichts machen. Wenn achtundvierzig Stunden vergangen sind, dann werden wir uns einschalten.»
«Und wenn jemand vorhat sie zu töten? Werdet ihr dann auch erst achtundvierzig Stunden später kommen und nach ihr suchen?»
«Das ist eine andere Sache.»
Melek schüttelte den Kopf. «Ich fasse es nicht! Vielleicht ist sie ja schon tot.»
«Wie alt ist sie denn?», fragte der Polizist nach einer Weile und musterte uns beide.
«Sie ist zweiundzwanzig», antwortete ich an Melek's Stelle. Stille umgab uns. Der Polizist blickte uns abwartend an. Ich holte tief Luft um etwas zu sagen, doch der Polizist kam mir in die Quere.
«Wenn etwas sein sollte, bitte ich Sie sich bei mir zu melden.»
Melek nickte und der Polizist gab ihr eine Karte. Dann zog sie an meinem Arm und wir fuhren zu mir nach Hause. Dort wollten wir uns noch einmal über die ungewöhnliche Situation unterhalten. Doch bevor wir gehen konnte hielt uns der Polizist auf und meinte: «Wenn ihre Schwester wieder da sein sollte, sagen ihr das sie sich bei uns melden soll.»
Diesmal nickten Melek und ich gleichzeitig.
......
«Was meinst du denn darüber?», fragte Melek und blickte mich an. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einfach so...»
Sie unterbrach sich mitten im Satz. Besorgt sah ich sie an. Wir waren schon längst wieder zu Hause angekommen und saßen mit einer heißen, dampfenden Tasse Kaffee im Wohnzimmer.
«Hast du das gehört?»
«Was soll ich gehört haben?»
«Da ist es schon wieder.»
«Was meinst du?»
Melek schwieg. Ihr Blick glitt ängstlich umher. Wie als würde sie etwas suchen. Aber nach was suchte sie denn? Wieso sah sie mich jetzt so merkwürdig an? Hatte ich etwas Falschen gesagt?
«Ist hier ein Einbrecher?»
Die Frage kam so plötzlich aus ihrem Mund das ich mich beinahe vor Lachen am Kaffee verschluckt hätte.
«Nein, wie kommst du denn darauf?», wollte ich wissen. Dabei wischte ich mir Kaffee vom Mund.
«Da ist es schon wieder.»
Ich stand auf. «Wenn du möchtest kann ich mal nachschauen. Vielleicht beruhigt es dich ja.»
Sie erleichterte. Das konnte ich an ihrem Blick sehen. Eine Weile streifte ich in der Wohnung herum, bis ich es hörte. Es klang nach Wasserrauschen, wie als würde jemand im Bad sein und duschen. Wer duschte um diese Uhrzeit eigentlich noch?
Vielleicht ist deine Schwester wieder zurück.
Über den Kommentar meiner inneren Stimme schüttelte ich den Kopf. Nein, sie konnte doch nicht hier sein, wenn sie entführt worden war.
Und wenn sie gar nicht entführt wurde? Was, wenn sie einfach nur spät nach Hause gekommen ist?
Auch darüber konnte ich nur den Kopf schütteln. Bella würde immer Bescheid geben, wenn sie später kommt oder wenn ich sie abholen soll.
Menschen können sich ändern.
Darauf ging ich nicht ein. Das Rauschen hatte aufgehört. Plötzlich ging die Tür auf. Mein Herz hatte für einen Moment ausgesetzt und ich erschrak fast zu Tode.
«Bella?», fragte ich und sah in das verschreckte Gesicht meiner Schwester. Auf ihrem Kopf hatte sie ein Handtuch und sie hatte einen ihrer Samtpyjamas angezogen. Ihre Augen waren gerötet. Wahrscheinlich vom Wasser, das sie in die Augen bekommen hatte. Oder sie hatte Seife in ihre Augen bekommen.
«Bella?»
Melek kam aus dem Nichts und sah zwischen uns beiden hin und her.
«Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Wo warst du und wieso hast du dich nicht gemeldet?»
Melek überhäufte sie mit Fragen. Bella schwieg und hatte den Kopf gesenkt. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Aber was konnte es sein? Ob ich sie fragen sollte? Melek nahm Bella am Arm und zerrte sie in Richtung Wohnzimmer.
«Ayden, mach deiner Schwester mal einen Tee!», forderte mich Melek auf. Ich gehorchte und ging in die Küche, um meiner Schwester einen Tee zu kochen, doch diese kam mir hinterher und hielt mich an der Küchentür auf.
«Ich möchte nichts trinken», sagte sie leise. Etwas schwang in ihrer Stimme mit. Wenn ich nur wüsste was.
«Und du bist dir sicher?», fragte ich und sah sie besorgt an. Bella nickte und drehte sich auf dem Absatz um. Sie ging in Richtung ihres Zimmers. Ich sie sie. Wenn Bella nicht wollte, dann konnte ich sie nicht dazu zwingen. Also ging ich wieder ins Wohnzimmer und setzte mich Melek gegenüber auf einen Sessel.
«Weißt du was sie hat?», platzte es aus Melek heraus. Sie sah mich lange an.
«Nein, wieso? Hat sie dir etwas gesagt?», wollte ich wissen.
«Nichts. Ich mache mir Sorgen um sie, Ayden.»
«Das wird sich bestimmt wieder legen.»
Melek seufzte auf. Sie nahm ihre Sachen und ging in Richtung Wohnungstür. Ich folgte ihr.
«Soll ich dich nicht nach Hause fahren?», fragte ich aus Höflichkeit.
«Nein, nein. Das schaff ich schon allein. Mich wird schon keiner überfallen.»
Lachend ging sie davon. Ich wusste, dass sie dies nur vortäuschte. In ihrem inneren ging es genauso zu wie bei mir. Die Sorgen um Bella machten uns beide fertig. Ich fasste mir ein Herz und ging in das Zimmer meiner Schwester. Leise öffnete ich also ihre Tür und setzte mich auf ihre Bettkannte. Bella schlief unruhig. Das sah ich an ihren Gesichtszügen. Sie hatte mal wieder einen Albtraum. Sie schrie und schlug um sich. Es wäre das Beste, wenn ich Bella jetzt weckte.
«Bella!»
Ich rief leise an ihr und rüttelte sachte an ihr. Sie regte sich nicht.
«Bella!»
Diesmal rief ich lauter nach ihr. Auch dies half nichts.
«Bella», sagte ich sanft. «Hey. Wach auf. Du hast nur einen Albtraum. Ich bin's. Ayden.»
Dies wirkte. Allmählich beruhigte sich ihr Atem. Ich blieb neben ihr sitzen. Wir schwiegen uns lange an. Bella blickte apathisch ins Leere. Ich streichelte ihr beruhigend über den Arm und flüsterte ihr leise Worte zu, was sie ruhiger machte.
«Wenn etwas sein sollte, kannst du immer zu mir kommen», meinte ich und blieb bei ihr sitzen. «Willst du mir erzählen was dich so in Aufruhe versetzt hat?»
«Nein», antwortete meine Schwester mit leiser Stimme. Das Etwas schwang noch immer mit. Und es bereitete mir große Sorgen.
«Du bist dir sicher?»
Ich wollte nur sicher gehen, deshalb habe ich diese Frage gestellt.
«Ja, bin ich. Mach dir keine Sorgen um mich. Kannst du mich jetzt allein lassen?»
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