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4 (Lara Bach)

Mit geschickter Präzession beobachtete ich Livia bei ihren Taten. Schon einige Tage sind vergangen, seitdem der Typ auftauchte, der sich als ihr Vater herausgestellt hatte und nichts von ihr wusste. Ich hatte mich aus der Sache herausgezogen, indem ich ihr gesagt habe, dass ich nicht dabei sein wollte, wenn sie ihre Rache an ihrem Vater ausübte. Doch anscheinend hatte es Emily nicht geschafft. Wohl oder übel machte sie bei ihrem ausgeklügelten Plan mit. Wenn beide nur wüssten, dass dies große Konsequenzen mit sich ziehen würde. Doch in diesem Moment konnte es keiner von beiden ahnen. Doch ich hatte so ein komisches Gefühl in mir. Es erdrückte mich. Ich wusste selbst nicht, wieso ich dieses Gefühl spürte. Bestimmte Gaben konnte ich auf gar keinen Fall haben, denn Hellseher oder so etwas in der Art gab es nicht.
«Würdest du das an die Tafel schreiben, Lara?», forderte meine Klassenlehrerin mich auf und riss mich somit aus meinen Gedanken. Ich wusste gar nicht, was sie von mir wollte. Doch trotzdem stand ich auf und blickte an die beschriebene Tafel. Ich sollte wohl die Aufgabe lösen. Oder was wollte sie von mir? Das war wohl meine Strafe, weil ich so mit meinen Gedanken beschäftigt war und nicht zugehört hatte.
«Lara, hast du mir überhaupt zugehört?», fragte unsere Lehrerin Frau Schmidt und sah mich lange an. Jetzt war es an der Zeit mich zu ergeben. Denn was anderes blieb mir wohl nicht übrig. Ich musste mich ergeben und sagen, dass ich abgelenkt war.
«Es tut mir leid. Das wird nicht mehr passieren», sagte ich und hatte den Blick gesenkt. Sie seufzte und nahm jemand anderen dran. Ich war erleichtert. Da hatte ich doch nochmal Glück im Unglück gehabt.
In der Pause saß ich auf einer Bank und starrte insleere. Livia war wo anders. Natürlich war ihre herzallerliebste Cousine bei ihr und stärkte ihr den Rücken. Noch immer konnte ich es nicht gutheißen, was sie vorhatte. Das würde doch nie im Leben gut ausgehen. Doch glauben wollte mir das ja keiner. Ich war am Ende und Livia war zu wütend um mitzubekommen was sie da eigentlich tat. Doch keiner hinderte sie daran. Denn niemand wusste, was sie vor hatte. Bestimmt war ihre Cousine Emily die einzige, die von der Aktion wusste und sie dabei unterstützte. Irgendwie musste ich auf andere Gedanken kommen. Aber wie sollte ich dies bloß anstellen?
Du machst dir einfach zu viele Sorgen u sie. Livia ist alt genug, um selbst zu entscheiden, ob sie es tun möchte oder nicht. Daran kann keiner sie hindern.
Sie musste ja über alles ihren Senf dazugeben. Konnte sie das nicht einfach lassen und sich in die hinterste Ecke meines Gehirns verziehen? Aber nein, sie konnte es einfach nicht lassen mich auf die Palme zu bringen.
«Warum so allein?»
Hart wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als ich eine angenehme Jungenstimme vernahm und nach rechts blickte. Neben mir saß einer aus unserer Klasse. Er war relativ schüchtern und gab sich nicht mit den „Bad Boys" unserer Schule ab.
«Wo sind denn deine Freundinnen?», fragte er und blickte mich an. «Habt ihr euch zerstritten? Oder warum hängt ihr nicht mehr miteinander ab?»
Ich seufzte und blickte ihm in die verschiedenfarbigen Augen. Da er so still war und sich nicht beteiligte, hatte ich seinen Namen vergessen.
«Ich brauche einfach mal etwas Ruhe für mich», sagte ich und blickte ihn dabei an.
«Und das soll ich dir glauben, Lara?»
«Du musst mir ja nicht glauben, wenn du nicht willst. Ich zwinge dich nicht dazu mir zu glauben.»
Er nickte und stand auf. Fragend sah ich ihn an.
«Die Pause ist zu Ende. Kommst du?»
Ich nickte und folgte ihm in die Klasse. Sobald wir den Raum betraten, breitete sich fürchterliche Stille aus. Alle Blicke waren auf einen bestimmten Punkt gerichtet.
Was war hier geschehen? Was war hier vorgefallen? Was ist in den Sekunden oder Minuten passiert, die ich nicht hier war?
«Was ist hier los? Wie konnte das passieren?»
Alle Blicke richteten sich auf ihn. Dies war wohl das erste Mal, dass er sich an einem Geschehen beteiligte. Oder hatte ich da was verpasst? Doch keiner gab ihm eine Antwort. Weitere Schüler aus unserer Klasse kamen herein und blieben wie erstarrt stehen und schauten, genau wie die anderen, auf eine bestimmte Stelle. Ich wusste zwar nicht worauf alle schauten, aber es musste etwas Schlimmes geschehen sein. Das konnte ich spüren.
«Was ist hier geschehen?», schrie jemand. Ich zuckte zusammen und klammerte mich an jemanden. Die Blicke richteten sich auf die Person, die diese Frage heftig ausgestoßen hatte. Ich ließ die Person neben mir stehen und machte einen Schritt vorwärts. Ich schluckte. Übelkeit breitete sich in meiner Magengegend aus. Nur mit großer Mühe konnte ich mich auf den Beinen halten. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht ohnmächtig zu werden. Dies fiel mir relativ schwär, denn das gesehene war einfach ziemlich absurd, um es zu beschreiben. Es sah so irreal aus und doch war es wahr.
«Ich bringe Lara auf die Schwesternstation», sagte jemand und hob mich hoch. Aus Reflex versuchte ich mich gegen den Griff zu wehren, doch es brachte nichts. Nur, dass ich stärker festgehalten wurde. Mich überkam eine Müdigkeit, die nicht mehr wegzudenken war. Doch vergebens versuchte ich diese abzuschütteln. Es brachte nichts. Mir fielen die Augen zu und ich öffnete sie erst wieder, als ich vertraute Umgebung unter mir wahrnahm. Wie zum Teufel kam ich nach Hause? Wer hatte mich nach Hause gebracht? Oder war ich noch immer auf der Krankenstation und bildete mir dies nur ein? Nein, das konnte nicht stimmen. Schemenhaft konnte ich mein Zimmer erkennen. Ich war noch immer ein wenig müde. Und dann hörte ich Schritte. Dumpfe Schritte kamen direkt auf meine Zimmertür und öffneten diese leise. Jemand kam an mein Bett und setzte sich auf die Kannte. Eine Person streichelte mir sanft über den Kopf. Ganz leise drangen die Stimmen an mein Ohr. Schlagartig richtete ich mich auf und sah mich in meinem eignen Zimmer auf dem Bett sitzen. Meine Eltern waren neben mir und sahen mich erschrocken an.
«Wie geht es dir, liebes? Hast du gut geschlafen? Was ist in der Schule vorgefallen? Du wirst für einige Tage nicht in die Schule gehen.»
Das war mir zu viel des guten. Ich sah beide nacheinander fragend an. Das, was in der Schule geschehen ist, konnte ich niemandem erzählen, denn es war alles so absurd.
«Ich brauche jetzt etwas Zeit für mich», begann ich mit leiser Stimme zu sagen. «Das, was geschehen ist, werde ich euch ein anderes Mal erzählen. Aber nicht jetzt. Bitte lasst mich allein.»
Sie gingen noch ohne ein Wort darüber zu erwähnen. Anscheinend verstanden sie dies und gaben mir den nötigen Freiraum, den ich brauchte um wieder klar im Kopf zu werden.

......

Ich saß auf meinem Platz, als jemand auf mich zukam und sich vor mich stellte. Es war der schüchterne Junge.
«Wie geht es dir?», wollte er wissen und sah mich kurz an.
Ich lächelte leicht. «Danke für deine Nachfrage. Es geht mir gut.»
Er sah erleichtert aus. «Das freut mich.»
Bevor ich etwas sagen konnte, kam der Lehrer und er begab sich auf seinen Platz. Schon fing der Unterricht an. Na das konnte ja lustig werden.
In der Pause saßen wir wieder gemeinsam auf einer Bank und unterhielten uns über belanglose Dinge. Jetzt war mir auch sein Name wieder eingefallen. Adam hieß er.
«Hast du heute noch was vor?», wollte Adam wissen und grinste mich an.
«Nein, eigentlich nicht. Wieso fragst du?», wollte ich wissen und lächelte ebenfalls.
«Ich würde dich nämlich sehr gerne auf ein Eis entführen. Natürlich nur, wenn du Lust und Laune dazu hast. Ich zwinge dich zu nichts.»
Ich lachte leise auf. «Aber gerne doch. Wann und wo?»
«Wie wäre es mit heute nach der Schule?»
Fragend sah er mich an. Ich nickte. Sein lächeln wurde breiter. Ich grinste ebenfalls.
«Wo willst du mich denn hinführen?», fragte ich und konnte das neugierige nicht verstecken.
«Das wirst du dann sehen.»
«Dann wird das wohl eine Überraschung werden?»
«Ja, das wird es wohl.»
«Och Adam. Ich platze vor Neugier. Du musst es mir unbedingt sagen. Das macht mein Herz nicht mit.»
Geschockt schaute er mich an. Wie ich es liebte ihn zu verarschen.
«Wirklich jetzt? Denn wenn das so ist, dann würde ich es dir natürlich sagen. Vorausgesetzt, dass du dies verkraften kannst, wenn ich es sage. Kann doch sein, dass es etwas ist, was dein Herz wohl überhaupt nicht verkraften wird.»
Wir lachten. Mir tat schon vor lauter Lachen der Bauch weh und ich hatte Lachtränen in den Augen.
«Dir ist doch schon klar das dies ein Witz gewesen ist oder?», fragte ich und wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln. Adam nickte und kitzelte mich durch, sodass ich noch heftiger lachen musste.
«Soll ich aufhören?»
«Ja», sagte ich atemlos. «Bitte hör auf. Ich tu auch alles, was du möchtest.»
Er grinste, ließ mich los. Ich holte tief Luft und versuchte meine schnelle Atmung unter Kontrolle zu bringen. Nur mit Mühe gelang mir dies. Wir gingen in die Klasse und ließen uns auf unsere Plätze fallen.
«Bitte öffnet Seite 225 auf und lest den Text!», forderte Frau Schmidt uns auf. «Wenn ihr damit fertig seid, dann meldet euch kurz. Danach werdet ihr die nötigen Aufgaben dazu erledigen. Falls ihr nicht alles erledigt, ist der Rest Hausaufgabe zur nächster Woche Donnerstag.»
Wir protestierten nicht darüber, denn es brachte nichts. Sie war einfach ein Griesgram. Fast keiner mochte sie aus unserer Klasse. Also schlug ich die entsprechende Seite auf und las mir den langweiligen Text durch. Nachdem ich damit fertig war, arbeitete ich die darunterliegenden Aufgaben still und leise ab. Und dann meldete ich mich. Frau Schmidt kam zu mir, sah sich meine Sachen kurz an und nahm diese dann an sich. Es gab nichts mehr, was ich noch in den restlichen dreißig Minuten machen konnte. Also sah ich mich still und leise im Klassenraum um. Die meisten arbeiteten noch. Livia arbeitete still und leise an den Aufgaben. Ich konnte zwar nicht sehen wie weit sie sich befand, aber das konnte mir in diesem Moment egal sein. Denn ich sah, dass Adam fertig war und die Sachen Frau Schmidt reichte. Diese lächelte ihn leicht an und ging dann wieder an den Lehrertisch zurück. Mir kam die Stille ziemlich unheimlich vor. Doch wenn wir arbeiteten, war es meistens immer so still.
Nicht immer. Erinnerst du dich noch an den Tag vor einem Jahr?
Ach du heilige scheiße. Nicht das noch.
Also kannst du dich noch daran erinnern?
Warum musste meine innere Stimme mich darauf bringen? Wieso ausgerechnet auf den Tag vor einem Jahr? Ich wusste es nicht und doch schweiften meine Erinnerungen an den besagten Tag zurück.

......

«Warum hast du vor vorhin so gegrinst?», fragte mich Adam, als wir auf Stühlen saßen und unser köstliches Eis aus Bechern löffelten.
«Weil ich an etwas denken musste.»
«Daran was vor einem Jahr passiert ist?»
Ich nickte. «Ich weiß aber nicht, warum ich ausgerechnet heute die Erinnerung daran erhalten habe.»
«Keine Sorge. Du warst nicht die Einzige. Ich musste auch daran denken. Das war schon ziemlich komisch.»
Da musste ich ihm zustimmen. Wir verfielen in Gelächter und schmissen die leeren Becher in den Mülleimer.
«Soll ich dich nach Hause begleiten?», fragte er und reichte mir seine Hand zum aufstehen.
«Wenn du Lust hast, gerne», meinte ich und blickte mit leicht geröteten Wangen zu Boden.
«Na dann kann es ja losgehen.»

Wir gingen los. Dabei schwiegen wir. Es war kein unangenehmes Schweigen, sondern sehr angenehm. Adam und ich liefen einfach nur nebeneinander her und blieben stehen, als wir eine Horde kreischender Mädchen sahen, die in eine bestimmte Richtung zu liefen schienen.
«Weißt du, was die machen?»
Ich schüttelte den Kopf. «Ich habe keine Ahnung und will es auch eigentlich nicht wissen.»
«Na dann lass uns weiterlaufen», sagte er und nahm meine Hand in seine. Kurz zuckte ich zusammen, doch entspannte sichtlich bei seiner Berührung. Verliebte ich mich etwa in ihn? Nein, das konnte doch nicht so schnell gehen. Wir liefen direkt auf die Horde der kreischenden Mädchen zu. Dann konnte ich erkennen wieso sie schrien und sich drängelten. Es war der Schauspieler Cem Gül, der Autogramme verteilte und ziemlich genervt dabei aussah. Oder ich bildete mir die Genervtheit von ihm nur ein. Adam sah ebenfalls zu ihm herüber und verzog das Gesicht.
«Wie kann man den nur mögen?», fragte er. «So heiß ist der doch gar nicht.»
Da konnte ich ihm nur zustimmen. Er setzte mich ab und wir verabschiedeten uns.

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