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3 (Dylan Grey)

Der Neue an Schulen zu sein war schon immer scheiße. Doch dieses Mal war es irgendwie noch schlimmer. Warum wusste ich selbst nicht. Da ich euch nicht mit meinen Gedanken auf die Nerven gehen wollte, sollte ich mal über etwas anderes reden. Es interessierte ja niemanden von euch wieso ich andauernd umzog. Außerdem redete ich nicht oft darüber. Deswegen erspare ich euch die ganze Leier über mein Leben. Wie schon gesagt: ich kam also mal wieder auf eine neue Schule. Diesmal in Berlin. Wie schön. Ich ging also in die Klasse und wurde wie jedes Mal von allen Mädchen angestarrt. Ich konnte schon förmlich ihre Gedanken hören. Wie heiß er doch ist. Ob er wohl Single war? Mit wem er sich wohl abgeben würde? Das und viel mehr waberten in den Köpfen der Leute. Eins möchte ich hier klarstellen. Ich brauche keine Freundin oder eine Begleitung für irgendeinen beschissenen Abschlussball oder so etwas in der Art. Das habe ich nicht nötig. Man sieht doch immer wieder wozu das ganze führt.
Nachdem ich mich kurz und knapp der Klasse vorgestellt hatte, wies die Lehrerin mir einen Platz zu. Ich musste neben einem Mädchen sitzen. Zum kotzen. Ich hasste sie nicht, nein. Ganz und gar nicht. Sie sah zwar gut aus, aber war nichts für mich. Das dachte ich in diesem Moment. Endlich vergingen die ersten Stunden und ich sprang auf. Ich sehnte mich nach der Pause und nach einer Zigarette. Ich rauchte zwar nicht, aber heute musste es mal sein. Flink sprang ich auf die Beine und verschwand aus dem Klassenraum. Ich wollte nicht von irgendwelchen Mädchen angesprochen werden, ob ich denn mal mit ihnen ausgehen wollte. Darauf hatte ich so gar keine Lust. Damit sollten sie mir fern bleiben.
Ich stand also in einer Ecke des Pausenraums und sah ein allzu bekanntes Gesicht. Das Mädchen, welche neben mir gesessen hatte, stand mit ihren Freundinnen einige Meter von mir entfernt. Das Mädchen schaute unablässig auf den Mann hinüber, der sich im Raum aufhielt. Es war schon komisch das ein berühmter Schauspieler, der mal in seiner Vergangenheit im Knast saß, sich an einer Schule in einem Pausenraum voller Schüler aufhielt. Doch darüber sollte ich mir keine Gedanken mehr machen, denn das Mädchen, die zu ihm blickte ging Schnur geradeaus auf ihn zu. Das Gespräch, welches die führten, konnte ich deutlich verstehen.
«Und was willst du jetzt von mir?», wollte er von ihr wissen und sah sie von oben bis unten an. Man sah dem Kerl deutlich an, dass sie ihm gehörig auf die Nerven ging. Doch anscheinend merkte sie es nicht einmal.
«Sie kannten meine Mutter?», fragte sie ihn mit einem Blick, den ich das erste Mal bei ihr sah. Es lag so viel in ihrem Blick. Betroffenheit, Wut, Hass.
«Was willst du jetzt von mir? Ich kannte sie aber was geht dich das an!»
An ihrem Blick konnte ich erkennen, dass sie sehr sauer war, doch anmerken lassen wollte sie sich das vor ihm nicht. Vielleicht wusste er selbst, dass sie wütend auf ihn war. Doch anscheinend machte es ihm wohl nichts aus.
Leise Worte drangen aus ihrem Mund: «Sie können mir doch einiges über sie erzählen oder nicht?»
«Ich bin nicht der richtige Ansprechpartner der dir etwas über deine verstorbene Mutter erzählen kann», meinte er und holte kurz tief Luft, bevor er weitersprach. «Da musst du schon deinen Vater fragen, wenn du etwas über sie wissen willst.»
«Der weiß nicht einmal, dass ich seine Tochter bin!», zischte das Mädchen, welche neben mir saß. «Außerdem würde es ihn nicht einmal interessieren ob er eine Tochter hat oder nicht. Denn schließlich hat er sich ja aus dem Staub gemacht und scherte sich einen scheiß für meine Mutter! Er hat sie einfach im Knast gevögelt und sie dann sitzen lassen! Schließlich ist er davon geflohen und tauchte nie mehr auf. Oder haben Sie etwas dagegen einzuwenden? Vielleicht sind Sie ja mein Vater. Vielleicht haben Sie ja meine Mutter gevögelt und fast zu Tode geprügelt! Vielleicht hat sie sich ja wegen Ihnen getötet! Vielleicht hat sie deswegen eine Ladung Tabletten und Alkohol genommen um so ins Koma zu fallen und danach zu sterben, weil sie nicht gerettet werden konnte! Sie sind daran schuld, dass meine Mutter nicht mehr lebt! Und Sie sind ein beschissener Vater!»
Nachdem sie den Typen mit fassungslosem Gesichtsausdruck zurückgelassen hatte, brüllte sie ihm noch einige Worte hinterher: «Ich werde mich für sie rächen! Das werden Sie noch erleben!»
Dass was sie gesagt hatte, hätte ich von ihr nicht erwartet. Denn ich war der Meinung gewesen, dass sie ein ziemlich schüchternes Mädchen war und einfach alles über sich ergehen ließ. Doch dies war scheinbar nicht der Fall. Ich sah ihn noch eine Weile lang an, bis ich mich umdrehte und dem Mädchen nachblickte. Es sollte mich ja eigentlich nicht interessieren was Mädchen so taten, doch bei ihr war das irgendwie anders. Warum wusste ich selbst nicht.

......

«Wir haben heute einen Gast bei uns», begann Frau Schmidt, welche unsere Klassenlehrerin war, und zeigte auf den Mann, mit dem das Mädchen, welche neben mir saß und auf ihre Papiere blickte, kurz einige Worte in dem Pausenraum gewechselt hatte. Kurz blickte ich mich nach den anderen Mädchen um, welche scharf die Luft einzogen. Die Jungs blickten mit dümmlichem Gesicht auf ihn herab. Der Typ, der vorne neben Frau Schmidt stand, scherte sich einen Dreck darüber. Er blickte alle, einschließlich dem Mädchen neben mir, an und lächelte gezwungen auf. Wieder huschte mein Blick zu dem Mädchen. Ihr Gesicht war weiß geworden. An ihrer Haltung erkannte ich, dass sie schnell atmete. Wie vom Blitz getroffen stand sie auf, schwankte ein wenig und rannte geradewegs auf die Tür zu.
«Livia!», rief jemand. Anscheinend war das ihre Freundin. Ohne dass ich bemerkte aufgestanden zu sein, hastete ich dem Mädchen, welche einen äußerst schönen Namen hatte, hinterher. Drei vier Meter fand ich sie. Schwer atmend saß sie auf dem Boden und blickte ins leere. Panik überkam sie. Leise setzte ich mich zu Livia und streichelte ihr über den Rücken. Ihr Blick blieb an mir haften. Erschrocken sah sie mich an. Noch bevor Livia zu Boden gehen konnte, fing ich sie auf und hielt sie in meinen Armen. Kurzdarauf kam ein Mädchen aus der Klasse gestürmt und sah mich fragend an.
«Sie ist bewusstlos», gab ich kühl von mir. «Ich werde sie auf die Krankenstation bringen.»
«Ich komme mit», meinte das Mädchen. «Sie ist meine Cousine. Ich lasse Livia nicht allein.»
Ich grinste, legte Livia über meine Schultern und bedeutete ihr mit der freien Hand mir den Weg zu weisen. Schweigend tat sie es. Als wir auf der Krankenstation ankamen, sah eine liebenswerte Frau fragend zu uns herüber.
«Sie hatte eine Panikattacke und ist bewusstlos», erklärte ich.
«Leg' sie auf das Bett dort!», forderte die Frau mich auf. «Bis sie wieder bei Bewusstsein ist, kann sie sich ausruhen. Und ihr geht in die Klasse zurück. Marsch! Marsch!»
«Ich lass Livia nicht alleine», sagte das Mädchen und Tränen glitzerten in ihren Augen. Derweil hatte ich das Mädchen auf dem Bett abgelegt. Ich fühlte ihren Puls. Dieser war zwar schwach, aber sie zeigte noch immer keine Regung.
«Emily», begann die Frau und nahm sie in die Arme. «Livia wird schon nichts geschehen.»
«Sie kommt langsam zu sich», sagte ich und beide drehten sich zu mir. «Ihr Puls ist zwar schwach, aber deutlich spürbar.»
Emily sah erleichtert aus. Die Frau ebenfalls.
«Ich werde ihre Tante anrufen, damit diese Livia abholen kann.»
Bevor Emily etwas erwidern konnte, zog ich sie am Arm mit mir nach draußen. Es gab nichts mehr was wir hätten tun können. Vergebens versuchte sie sich gegen meinen festen Griff zu wehren. Und als wir an der Klasse ankamen blieb sie ruckartig stehen. Sie sah mich an.
«Sie hat sonst nie Panikattacken.»
«Ihr geht es gut. Sie braucht jetzt Ruhe», sagte ich sanft. «Lass uns jetzt reingehen, bevor sie noch auf die Idee kommen und nach uns suchen lassen.»
«Wenn du da rein willst, dann kannst du das ruhig tun. Ich mach es nicht. Ich will diesem Arsch nicht mehr unter die Augen treten!»
«Nur weil er mal in seiner Vergangenheit im Knast saß?»
«Er hat noch viel mehr gemacht», sagte Emily und sah mich an.
«Und was soll er gemacht haben?»
«Das willst du gar nicht wissen.»
Ich grinste und riss galant die Tür auf. Alle Blicke ruhten auf mir. Ich lächelte. Dann ging ich selenruhig auf meinen Platz zu ohne noch etwas zu sagen. Emily tat es mir gleich. Schweigen breitete sich in der Klasse aus. Jeder machte seine Aufgaben. Anscheinend war der Typ schon lange verschwunden und wir hatten es nicht mitbekommen, da wir bei Livia waren.

......

«Wie war die Schule?», fragte meine Mutter und trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab.
Ich zuckte mit den Schultern. «Ganz ok. Wieso?»
«Ich weiß, dass du es leid bist, das wir andauernd umziehen müssen, mein Sohn», begann sie und ließ mich nicht zu Wort kommen. «Doch das ist das letzte Mal gewesen. Das versprechen wir dir.»
Ich nickte ohne etwas zu sagen. Mein Vater war viel in der Welt unterwegs, denn er war Hirnforscher oder so etwas in der Art. Das, was er betrieb, ging mich eigentlich nichts an.
Ich saß also in meinem Zimmer und blickte an die Wand. Mein Handy lag neben mir und blinkte stumm vor sich hin. Ich machte mir nicht die Mühe auf die Nachrichten zu antworten, welche ich bekommen hatte. Darauf hatte ich irgendwie keine Lust. Als mich das Blinken des Handys so sehr genervt hatte, nahm ich es in die Hand und schaltete es ab. Konnte man nicht einfach mal in Ruhe in seinem Zimmer sitzen, ohne dass man von dem Geklingel seines Handys aufgeschreckt wurde? War dies denn nicht mehr möglich? Anscheinend nicht. Fast jeder, ich korrigiere mich, jeder Teeny saß in seinem Zimmer und hielt sein Handy in der Hand, um mit seinen Freunden zu chatten. Da ich mich nicht mit irgendwelchen Leuten abgab, schrieb ich auch kaum mit irgendjemandem über mein Handy. Das hatte ich nicht nötig.

......

Ich saß auf meinem Platz und schaute an die Decke. Wie ruhig es hier doch war, wenn keiner sich im Raum befand. Dies war mal eine Wohltat für mich. So konnte ich mal entspannen. Livia hatte ich heute kurz gesehen, doch beachtet hatte sie mich nicht. Ich hing so meinen Gedanken nach, als ich eine Gestalt in den Raum huschen sah. Sofort blickte ich auf und sah in das Gesicht von einer ihrer Freundinnen. Es war auf jeden Fall nicht Emily. Dann musste es wohl Lara sein. Ich beachtete sie nicht, stattdessen schaute ich ab und zu mal zu ihr herüber. Sie musste mich wohl auch bemerkt haben, denn sie hielt in der Bewegung inne und schaute zu mir herüber. Genervt verzog ich das Gesicht. Sie beachtete mich nicht mehr und drehte sich um. Das Vibrieren riss sie aus ihren Gedanken. Schnell fischte sie ihr Handy heraus und nahm den Anruf entgegen. Ich war ja kein böser Junge, der die Leute an die Lehrer verpetzte. So etwas hatte ich überhaupt nicht nötig. Es sollte mir ja schließlich egal sein was mit ihr passierte oder nicht. Doch mich überkam die Neugier. Kurz schielte ich zu ihr herüber und konnte die blankes Entsetzen auf ihrem Gesicht entdecken. Verkrampft hielt sie das Handy in ihrer Hand. Schon von weitem konnte man sehen, dass Lara - oder wie auch immer sie nun hieß – ihr Handy fest umklammerte, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten. Die erste Möglichkeit, die mir durch den Kopf ging, war dass sie von jemandem bedroht wurde und die Zweite war, dass sie etwas Schlimmes erfahren hatte. Ich aber tendierte eher zur ersten Möglichkeit. Denn niemand sah verängstigt aus, wenn man demjenigen eine Hiobsbotschaft brachte. Ob ich sie fragen sollte, was mit ihr los war? Nein, lieber nicht. Ich wollte mich aus alle dem heraushalten und so unauffällig wie möglich bleiben. Doch das war bei meinem Aussehen nicht der Fall gewesen. Fast alle der Mädchen starrten mich an, wenn sie mich kommen sahen. Dabei blieben ihre Münder offen stehen und sie fingen an zu sabbern. Das ging mir ziemlich auf die Nerven, wenn sie mich so anschauten. Doch lassen konnten sie es leider nicht. Daran würde sich wohl nichts ändern. Aber ich konnte eigentlich gut damit leben, wenn sie mich so anhimmelten. Obwohl es nervte. Das Handy entglitt Lara's Händen und fiel auf ihren Tisch. Das Gesicht war aschfahl. Jegliche Farbe war ihr aus dem Gesicht entwichen. Jetzt war ich mir sicher. Möglichkeit eins war in Kraft getreten.
Nach und nach trafen alle Schüler ein und ließen sich langsam auf ihre Plötze fallen. Einige, die mit Klara sehr gut befreundet waren, blieben vor ihr stehen und beäugten sie besorgt. Livia ging geradewegs auf den Platz neben mir zu und setzte sich. Kurz blickte ich sie an, konnte aber nichts in ihrem Gesicht entdecken. Sie konnte wohl sehr gut ihre Gefühle vor anderen Leuten verbergen. Doch ich konnte es besser. Aber darüber brauchte ich in diesem Moment nicht zu reden, den ich sah wie einer der Jungs aufstand und sich mitten in den Raum stellte. Innerlich stöhnte ich auf, doch anmerken ließ ich mir äußerlich nichts. Ein weiterer Junge stand auf und stellte sich dem Riesen gegenüber. Misstrauisch musterten beide einander. Jetzt würde es Prügel geben.
Woher willst du das denn wissen?
Ich zeigte meiner inneren Stimme einen imaginären Vogel und ging nicht mehr auf sie ein. Schon wenige Minuten nach meiner Vermutung schlug der ungefähr ein Meter dreiundneunzig große Typ dem fast einen Kopf kleineren in den Magen. Alle blickten auf die sich prügelnden herüber. Wenn sie nicht aufpassten, dann würden sie die Tafel umstoßen, sodass sie wohlmöglich jemandem auf den Kopf krachen konnte. Oder sie stießen den Eimer mit dem Wasser für die Tafel um und veranstalteten dadurch eine riesengroße Sauerei. Als ich erneut hinüber blickte, lagen beide Typen am Boden und kloppten sich. Nicht mal ein Lehrer kam, um die beiden Irren voneinander zu trennen. Ich seufzte und stand auf. Ich ging geradewegs auf die Verrückten zu. Sie bemerkten mich nicht, doch einige der Zuschauer taten es. Ihre Blicke hafteten an mir und folgten jeden meiner Schritte. Mit einem gezielten Tritt hatte ich beide ausgeschaltet und zerrte sie an ihre Plätze.
«Was glaubt ihr eigentlich wer ihr seid!», brüllte ich und baute mich vor ihnen auf. «Ihr habt doch nicht mehr alle Latten am Zaun!»
Ich begab mich in Richtung meines Platzes und setzte mich. Schüchtern sah Livia zu mir herüber. Ich musste grinsen, obwohl ich eigentlich nicht wollte.
«Wie hast du das gemacht?», fragte sie zögernd und sah mich mit ihren großen Augen an.
Ich lächelte leicht. «Geheimnis.»
Dann wandte ich mich meinen Blättern zu und blickte auf die leere Tafel. Genau in diesem Moment öffnete sich die Tür und ein etwas kräftiger Lehrer trat ein und musterte uns von oben bis unten. Er sagte etwas, was ich nicht verstand.

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