26

26 (Livia Baker)

Der Abend, an dem ich mich mit meinen Liebsten getroffen hatte, war sehr super verlaufen. Dieses Treffen war nun einige Tage her. Und jetzt saß ich hier in meiner Wohnung, grübelte über alles Erdenkliche nach, bis mich das Klingeln aus meinen Gedanken riss. Wer war das denn schon wieder? Ohne durch den Spion zu schauen, öffnete ich die Tür und traute meinen Augen nicht. Da stand er nun. Mit Blumen in der Hand und sah mich mit Vergebung in den Augen an. Doch ich konnte nur fassungslos dastehen und ihn beobachten. Tausende von Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Eine Zuordnung war schier unmöglich. Das was ich in jenem Moment tat, war stolpern und die Tür zuknallen.
«Nein», flüsterte ich leise vor mich her und rang nach Atem. Luft! Ich brauchte Luft! «Das kann nicht sein. Nein. Wie zum Teufel? Was zum? Verdammte scheiße! Wieso taucht er hier? Ich meine hier? Bei mir? Warum tut er das?»
Ich war am Ende. Was war nur los mit einem Leben, dass es sich in solch eine Richtung entwickelte? Ich wusste es beim besten Willen nicht. Wieder einmal riss mich das lautstarke Klopfen an der Wohnungstür aus meinen Grübeleien. Diesmal würde ich nicht den Fehler machen die Tür einfach aufzureißen. Diesmal würde ich durch den Spion schauen, um wissen zu können wer da vor der Tür stünde.
Meine Augen erblickten eine mir allzu bekannte Gestalt vor der Tür. Ich wollte und konnte nicht mit ihm reden. Das ging nicht. Er hatte mir das Herz gebrochen! War mit einer anderen ins Bett gesprungen! Riss mir das Herz bei lebendigem Leib aus dem Körper, trampelte darauf herum und warf es achtlos in eine Ecke, wo es versauern konnte! Ich war einfach zu gutherzig, meinten alle. Und ich selbst sah es genauso. Warum auch immer hatte ich ihn denn hereingelassen? Damit wir eine kleine Plauderrunde abhalten konnten? Vielleicht hatte ich noch immer einen Teil nicht davon überzeugen können, dass er ein riesengroßes Arschloch war! Oder ein Teil von mir hoffte noch immer, dass er mich liebte und zu mir zurückkam. Doch ein anderer Teil wusste, dass dies nie geschehen würde. Sollte ich mich eigentlich nicht damit abfinden? Ja, eigentlich schon. Aber wie immer war das kleine Wörtchen EIGENTLICH wieder im Spiel und zerstörte alles, was ich mir bis zu diesem Zeitpunkt hatte aufbauen können.
Doch nun saß er hier. Vor mir. Seine Augen waren mit tiefen Ringen umzogen. Daran zog ich meinen Schluss, dass er nicht schlafen konnte.
«Liv?»
Seine Stimme durchbrach die Stille, welche zwischen uns gelegen hatte. Doch ich tat nichts als schweigend da zu sitzen und ihn dabei zu beobachten wie er versuchte an mich heranzukommen. Mein inneres Bewusstsein wusste, dass ich nicht länger dasitzen konnte. Ich wollte ihn. Aber natürlich konnte ich das jetzt vor ihm nicht zeigen, denn er hätte gewusst, dass ich ihn noch immer liebte, obwohl er solch eine Scheiße abgezogen hatte. Wie oft hatte ich versucht mich von seinen Sachen zu trennen? Wie oft war dies gescheitert? Wie oft hatte ich versucht nicht an ihn zu denken? Wie oft war diese Tat kläglich gescheitert? Das waren einige Sachen, die ich versucht hatte zu tun, doch ich konnte es nicht. Vielleicht lag es daran, dass ich ihn noch immer liebte. Vielleicht lag es daran, dass seine Art einfach zu anziehend für mich gewesen war. Es gab viele Gründe woran es hätte liegen können, doch es waren zu viele um sie alle aufzuzählen.
«Liv?», durchdrang seine Stimme erneut die Stille, welche zwischen uns lag und riss mich somit aus meinen gängigen Grübeleien. Ich blickte nicht auf. Es viel mir zwar schwer, doch ich unterdrückte dieses Gefühl, welches sich in seiner Gegenwart in mir breitgemacht hatte.
«Nenn. Mich. nicht. Liv», versuchte ich so wütend wie nur möglich herauszubrüllen, doch gelingen tat es mir nicht. Denn meine Stimme zitterte bei jedem Wort verräterisch. Er stand auf, kam auf mich zu.
«Komm mir nicht näher!», schrie ich. Nein, wollte schreien, doch es war nur leise und klang anklagend. Ich musste weg. Seine Nähe machte mich verrückt. Ich musste hier verschwinden! Sofort! Aber wie sollte ich dies anstellen? Nicht einmal bewegen konnte ich mich, wenn er in meiner Nähe war. Ich war wie gelähmt. Es fühlte sich an, als würde mich jemand an die Couch fesseln. Unsichtbare Schnüre ließen mich nicht aufstehen. Sie waren zu sehr um sich geschlungen worden. Sie nahmen mir die Luft zum Atmen. Es hätte sein können, dass ich hier elendig zu Grunde ging. Vielleicht würde dies auch in wenigen Sekunden der Fall sein, denn ich spürte nur wie mich jemand in die Arme nahm. Ich wollte mich wehren. Wirklich. Doch es gelang mir einfach nicht. Ich war machtlos in seiner Nähe. Daran würde sich bestimmt nichts ändern. Vielleicht sollte ich die Augen schließen und dann würde meine letzte Stunde geschlagen sein. Vielleicht tat ich das schon längst, denn ich nahm überhaupt nichts mehr wahr. Alles verschwamm und wandelte sich in völlige Dunkelheit.

......

(Dylan Grey)

Vielleicht hätte ich nicht bei ihr auftauchen dürfen. Vielleicht hätte ich sie nicht so überrumpeln dürfen. Vielleicht währe dann alles anders gekommen. Doch rückgängig machen konnte ich nun nichts mehr. Ich war hier. Bei ihr. Doch sie saß einfach nur da, regte sich nicht, schaute mich nur an. Ob sie etwas bedrückte? Ich wusste es nicht. Die Versuche sie zum Reden zu bringen, hatten nicht die gewünschte Wirkung, welche ich eigentlich vorausgesehen hatte. Dem war wohl nicht so. Vielleicht hätte ich nicht herkommen dürfen. Ich hätte sie einfach aus meinem Kopf verbannen sollen und dann weg damit. Vielleicht hätte ich umziehen müssen, doch irgendwie wollte ich dies nicht.
Zu viele Gedanken hatte ich verschwändet. Zu viel nachgedacht. Ich musste handeln! Jetzt! Sie saß da, regte sich nicht. Etwas lag in ihren Augen, doch was es war, konnte ich beim besten Willen nicht erkennen. Schlussendlich hob ich sie hoch und trug sie in ihr Zimmer. Dort legte ich Liv sachte aufs Bett und deckte sie zu. Eine Weile lang blieb ich bei ihr und schaute sie an. Schließlich gab ich ihr einen Kuss und verschwand dann aus ihrem Zimmer. Doch bevor ich endgültig aus ihrem Leben verschwinden würde, musste ich ihr noch etwas mitteilen. Vielleicht höre sie mich ja. Vielleicht schlief sie schon und nahm nichts mehr wahr. Doch es war mir egal. Ich musste es ihr sagen. Ich wusste, dass ich es hätte früher tun müssen, doch dafür war es zu spät. Viel zu spät.
«Ich liebe dich.»

......

(Melek Gül)

Es kam, wie es kommen musste. Als ich das Haus von Livia betrat und sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorgefunden hatte, suchte ich überall nach ihr. Letztendlich fand ich sie in ihrem Zimmer schlafend. Trotzdem stellte sich mir eine Frage. Wie konnte sie so lange schlafen? Oder schlief sie wohlmöglich nicht? War sie etwa... Nein! Rasch sah ich nach ihrem Puls. Nichts! Sie regte sich nicht. Oh Gott! Nein! Ich hatte Bella versprochen, dass ich gut auf sie aufpassen würde. Was hatte ich getan? Nichts.
Jetzt durfte ich nicht Trübsal blasen. Ich musste etwas tun. So schnell ich konnte, rief ich beim Notruf an. Nicht, das es zu spät war. Oh Gott. Das würde ich mir nie verzeihen. Die arme kleine Livia. Sie musste einfach überleben.

......

(Emily Baker)

«Du bist dir sicher, dass du das schaffst, Emily?», fragte Edward und sah mir lange in die Augen.
Ich nickte. «Sie ist meine Cousine. Das werde ich schon schaffen.»
«Ich bin immer bei dir. Das weißt du doch. Oder?»
Erneut nickte ich. «Ja, und jetzt lass mich bitte machen, bevor sie endgültig unter Erde landen wird, wenn nicht schnell gehandelt wird!»
So schnell wie möglich machten wir uns an die Arbeit. Es bedurfte nun aller höchsten Präzessionen, wenn nichts schief gehen sollte. Voller Konzentration machten wir uns an die Arbeit. Es musste schnell gehen. Sie durfte uns nicht sterben. Sie musste leben. Sie war doch noch so jung.
«Verdammt!», rief Edward laut aus und brachte mich zur Verzweiflung.
«Was ist los?», wollte ich wissen und konnte dabei die Angst in meiner Stimme nicht zurückdrängen.
«Defibrillator! Schnell!»
Diese Sache war ernst und nicht zum schießen komisch! So schnell wie möglich reichte ich ihm den Defibrillator. Er hatte die Kontrolle übernommen, da ich zunehmen nervöser wurde.
«Auf wie viel soll ich aufladen?»
«200! Und weg!», kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Diese Prozedur wiederholte sich etliche Male. Und irgendwann dann der ersehnte Ton.

......

(Livia Baker)

War hier der Himmel? Woher kam das grelle Licht? Und wer war die Frau?
«Livia, mein Kind», drang ihre samtweiche Stimme an mein Ohr.
«Mama? Bist du das?», fragte ich leise.
«Ja, ich bin es.»
«Warum bist du so früh gegangen? Warum hast du mich allein gelassen?»
«Das ist eine lange Geschichte.»
«Ich habe Zeit.»
«Die anderen warten auf dich.»
«Und was ist mit dir? Ich brauche dich. Ohne dich kann ich nicht leben.»
«Du hast es all die Jahre geschafft ohne mich auszukommen. Das hier schaffst du auch noch. Außerdem kannst du ihn nicht alleine lassen.»
«Wen meinst du?»
«Du weißt wen ich meine. Spiele nicht die Unwissende, Livia.»
«Melek brauch dich auch. Dein Bruder ebenso. Du hast auch alle allein gelassen! Du hast dich nicht verabschiedet! Du hast dich einfach vollgepumpt und warst dann weg! Einfach so! Nur Briefe hast du ihnen dagelassen! Sonst nichts!»
«Mir blieb keine andere Wahl. Was hätte ich denn sonst tun können?»
«Du hättest mit Papa reden können! Du hättest es ihm sagen müssen! Du hättest für ihn kämpfen müssen! Was hast du getan? Nichts von alldem!»
«Es tut mir leid, Liv. Es tut mir so leid», flüsterte sie und Tränen flossen ihr übers Gesicht. Ich tat nichts. Stand einfach nur so da und blickte sie an. Vielleicht hätte ich ein schlechtes Gewissen haben müssen. Vielleicht hätte ich mich schlecht fühlen sollen. Vielleicht hätte ich mich bei ihr entschuldigen sollen. Ich hätte es einfach machen müssen. Vielleicht währe dann alles anders gekommen. Vielleicht wäre ich anders geworden. Oder ich hätte sie verstehen können. Doch das tat ich nicht. Die Wut hatte mich in ihrem Griff. Hielt mich fest umklammert. Ich war machtlos.
«Vielleicht hat er dich ja auch geliebt!», rief ich ihr entgegen. «Vielleicht wollte er es einfach nicht zeigen, so wie Dylan es nicht gezeigt hat und mich einfach betrogen hat, indem er mit einer anderen ins Bett gestiegen ist! Und du? Was hast du getan? Du hast dich einfach von allen abgewandt und warst dann weg! Für immer! Das soll sich also Mutter nennen? Nein!»
Trotz dieser heftigen Worte, war sie stark. Sie stand immer noch da und sah mir in die Augen.
«Du siehst ihm ähnlich», begann sie leise zu flüstern. «Du hast dieselben Gesichtszüge wie dein Vater. Du solltest nicht den gleichen Fehler begehen wie ich. Dylan liebt dich. Er liebt dich wirklich. Dein Vater hat mich nie geliebt. Und jetzt ist es Zeit für dich zu gehen, mein Kind. Wir sehen uns bestimmt wieder. Aber in einem anderen Leben, zu einem anderen Zeitpunkt. Du musst weiterleben. Für mich. Bitte tu mir diesen Gefallen.»
Alles verschwamm um mich herum. Das licht wurde merkwürdig verzerrt. Etwas drang an meine Ohren. Ein stetiges Piepen, was mich wahnsinnig machte. Außerdem roch es zunehmen merkwürdiger. Wo war ich hier? Dann diese Stimmen, welche mir bekannt vorkamen. Sollte ich? Nur ein wenig. Dann öffnete ich meine Augen.

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